Emil Mangelsdorff gastierte zum 195. Mal im Holzhausenschlösschen
Ein Wunder an Kontinuität und Frische
Von Uwe Kammann
Das Emil Mangelsdorff-Quartett mit Gast Michael Lutzeier, Bariton Saxophonist, Fotos: Petra Kammann
Emil Mangelsdorff – traumwandlerischer Beginn
One two, one two three… Mit einer kleinen Geste der Hand begleitet Emil Mangelsdorff seinen verbalen Auftakt, und in die Four hinein beginnen sie zu spielen, jene vier Musiker, die das Quartett in und unter seinem Namen bilden. Und schon nach wenigen Momenten weiß man: Ja, so hört es sich an, wenn sich ein Ensemble in traumwandlerischer Sicherheit aufeinander verlassen kann. Wenn es dieselben Schwingungen teilt. Wenn es beseelt ist von einem musikalischen Spirit, der jazziger gar nicht sein kann. Wenn diese Musik zum eigenen Inneren gehört, dabei stets und ausdrücklich imprägniert durch die Großen des Jazz, die aufgenommen, zitiert, variiert und umspielt werden. Wie Miles Davis, Dizzy Gillespie, Clifford Brohn, Sonny Rollins, Gerry Mulligan.
Emil Mangelsdorff kramt manchmal vor jedem neuen Stück in seinen Notenblättern, ordnet und sortiert, um dann eine knappe Ankündigung dem ersten Ton vorwegzuschicken. Die dann aber sofort vergessen ist, weil wir jetzt etwas hören, was so und in dieser Form nur mit ihm, dem Saxophonisten, verbunden ist und seinen fabelhaften Mitspielern in diesem Quartett: dem Pianisten Thilo Wagner, dem Schlagzeuger Axel Pape und dem Bassisten Jean-Philippe Wadle. Darf man, etwas salopp, vom Sound sprechen? Eher nicht, natürlich, das klingt schließlich auch nach Routine, nach Muster.
Bestens aufeinander eingespielt: Thilo Wagner und Emil Mangelsdorff
Und genau das ist es nicht, was dieses Ensemble auszeichnet. Aber doch zieht sich eine gemeinsame akustische Linie durch dieses Spiel, das Emil Mangelsdorff nun seit Jahrzehnten prägt und auszeichnet: mit einer innigen Intensität, mit lyrisch gebundener Dynamik, mit schwingender Energie und stets präzise schweifender Improvisationskunst.
Seit Jahrzehnten? Ja, denn auch dies gehört zum Wunderkind Emil Mangelsdorff: Dass jemand seine frühe Begeisterung für die Musik der Befreiung so unbeschadet, so jugendlich rein bewahrt hat, in einer Art, die völlig vergessen lässt, dass dieses Jazz-Urgestein auf die Mitte 90 zugeht. Natürlich, es gibt die äußeren Anzeichen und Spuren, welche dies ahnen lassen. Aber wer die Züge des bei besonders gelungenen Passagen verschmitzt wirkenden Thilo Wagner sieht, die nicht selten leise lächelnde Lust des jungen Schlagzeugers Axel Pape, die nach Innen gerichtete Fokussierung des Bassisten Jean-Philipp Wadler, der kann nur denken: Formidabel, diese konzentrierte Frische, diese hohe Präsenz.
Der Schlagzeuger Axel Pape, inspiriert und voller Spielfreude
Und das alles – dies ist das zweite Wunder – in einer Kontinuität, wie es sie kein zweites Mal gibt in der Jazzwelt. Denn Emil Mangelsdorff bewies mit seinem Quartett diese hohe Kunst – die ihn natürlich schon in viele Konzertsäle und Clubs geführt hat … nun schon zum sage und schreibe 195. Mal ins Holzhausenschlösschen, einem klassizistischen Kleinod, das am Rande des gleichnamigen Parks liegt, idyllisch umgeben von einem Wassergraben.
Diese Konzerte des Quartetts an jedem ersten Montag des Monats erscheinen wie eine wundersame Fügung, doch hat diese Fügung natürlich auch eine feste Gründung. Denn von Anfang an erwies es sich als glückliche Grundlage, dass Clemens Greve, Geschäftsführer der veranstaltenden Frankfurter Bürgerstiftung, diese Partnerschaft als Herzensangelegenheit förderte und pflegte: eine Zu-Neigung im besten Sinne wurde so zur dauerhaften Brücke für die 1995 begonnene Reihe, welche ohne Übertreibung das Prädikat legendär verdient.
Dass nichts in Routine erstarrt, ist einer wichtigen Zutat zu verdanken. Denn aufgrund seiner engen, auch freundschaftlichen Vernetzung mit vielen Größen der Szene gelingt es Emil Mangelsdorff immer wieder, einen besonderen Gast einzuladen, der jedesmal eine besondere Note, eine ganz eigene Charakteristik mitbringt und so das Quartett – und natürlich das Publikum – bereichert.
Emil’s friends: diesmal Michael Lutzeier, Bariton Saxophonist
Diesmal, beim Novemberkonzert, war es der bei München lebende Musiker Michael Lutzeier, der zu den weltbesten Baritonsaxophonisten gehört. Schon nach drei, vier Tönen beim ersten Miles-Davis-Stück waren die Zuhörer im akustisch so präzisen weißen Saal des Holzhausenschlösschens hingerissen: von der dynamischen Virtuosität des Spiels, von der inneren Dynamik, von der geschmeidigen Modulation, von der spürbaren Kraft, die aber auch subtilem Witz, zarter Innerlichkeit und einer romantischen Beschwörung weichen konnte. Wie in der selbstkomponierten Ballade „Moon over Neptun“, die alle in den Bann schlug. Und, wie alle Soli zuvor, mit spürbarer Begeisterung aufgenommen wurde.
Eine andere Ballade wiederum war es, welche alle guten Freunde Emil Mangelsdorffs (und viele im Publikumskreis dürfen sich dazu im weitesten Sinne zählen) innerlich tief berührte: „Sophisticated Lady“. Balladen, ohnehin, liegen dem Musiker sehr am Herzen, bilden immer Höhepunkt seines Repertoires. Hier allerdings spürte jeder, dass diese Ballade in aller ihrer elegischen Schönheit und Beseeltheit an eine Lady gerichtet war, die erstmals nicht mehr, wie sonst bei jedem Konzert, in der ersten Reihe saß: Monique, seine wiederum ihn beseligende Frau, die am letzten Septembertag gestorben ist.
Sophisticated Lady: Monique Mangelsdorff
Clemens Greve hatte bei der Trauerfeier verraten, wie intensiv sie sich um diese Konzertreihe gekümmert hat. Er könne gar nicht sagen, wie viele Anrufe und wie viele in schönster schwungvoller Schrift geschriebenen Briefe und Faxnachrichten er von Monique vor jedem Konzert erhalten habe. Wenn er dann, im November, wieder mit sehr viel Freude Emil Mangelsdorffs Musik hören werde, dann werde er mit den vielen anderen Zuhörern an sie denken – „und so wird sie da sein“.
Ja, genau so empfanden es alle, die der Ballade lauschten, atemlos, so die Empfindung, in einer intensiven Erinnerung, die vieles einschloss, in innigen Gedanken, die vieles aufnahmen, was mit dieser unvergleichlichen Konzertreihe verbunden ist. Und die auch an diesem Abend wieder so abschloss, wie es der große Liebhaberkreis kennt und liebt: mit einem temperamentvollen Schlussakkord, der zum Beifallssturm hinriss. Die Zugabe war garantiert. So wie die Rosensträuße als schön gebundenes visuelle Kompliment für das Quartett und den besonderen Gast – der mit dem Blumen den Schalltrichter seines mit viel Patina geadelten Instrumentes verzierte.
Blumenkompliment „aus der Röhre“
Eine Blumengeste musste virtuell bleiben – doch der Strauß war höchst präsent. Und ein festes Vesprechen. Denn am 3. Dezember wird es wieder so weit sein, dann zum 196. Mal – das Emil-Mangelsdorff-Quartett gastiert im Holzhausenschlösschen mit einem besonderen Gast. Der noch nicht verraten wird.