„John Baldessari. The Städel Paintings“ im Frankfurter Städel Museum
2015, November 8.Schnipselmann & Schnitzeljagd –
John Baldessaris ironische Meisterwerk-Kommentare
Krönender Abschluß „200 Jahre Städel“
Kurator Martin Englert und Städelchef Max Hollein vor John Baldessari (*1931) Movie Scripts/Art: A hand suddenly grips railing, 2014, Diptychon; Inkjet-Print und Acrylfarbe auf Leinwand, 273,7 x 189,2 cm, Marian Goodman Gallery © John Baldessari; Foto: Petra Kammann
Von Petra Kammann
Meisterwerke von Genies können etwas Einschüchterndes haben, in der Kunst wie in der Literatur. Wie wollte man Goethe übertrumpfen? Man muss nur selbstbewusst und respektlos genug mit den Meistern umgehen. So etwa hat sich der Pop-Artist Andy Warhol frech aus dem berühmten Tischbein-Porträt den Kopf mit Hut herauskopiert, stark vergrößert und ihn mit grellen und frischen Farben neu aufgebaut. Entstanden ist so eine neue Ikone im „Zeitalter der Multiplizierbarkeit“, ohne die man das Tischbein-Gemälde kaum mehr denken kann … Und jemand wie der DDR-Autor Ulrich Plenzdorf wollte Goethe auch nicht allein den Ruhm für „Die Leiden des jungen Werther“ überlassen. Wie der Autor den „ollen Werther“ in sein eigenes Werk „Die neuen Leiden des jungen W.“ einbaut, ist so provokativ wie witzig: Held Edgar sitzt im Dunklen auf der Toilette und findet kein Papier. Also missbraucht der ein dünnes Büchlein, von dem er Titel- und Deckblatt sowie die letzten paar Seiten als Toilettenpapier gerade zur Hand hat. Dass es sich dabei um Goethes Werther handelt, kann er zwar nicht mehr feststellen, liest das Buch dann doch noch, lässt jedoch kaum ein gutes Haar daran. Das Aufmüpfige, das dem Autor Probleme mit der Zensur verursacht hat, der respektlose Umgang mit traditionellen Kultwerken, hatte in der westlichen Welt weniger dramatische Folgen.
So war dem kalifornischen, inzwischen 84-jährigen Künstler John Baldessari, der als Vater der Konzeptkunst gilt, mehr Erfolg und Anerkennung beschieden. Er erhielt nicht nur unzählige Auszeichnungen, sondern auch Ausstellungen in renommierten Museen wie dem Metropolitan Museum in New York oder der Tate Modern in London. Und er wurde mit dem Goldenen Löwen der 53. Biennale von Venedig und 2012 mit dem Kaiserring der Stadt Goslar ausgezeichnet. Als Pionier der Konzeptkunst hatte Baldessari schon Mitte der 1960er Jahre alles infrage gestellt: die Malerei, den Markt, den Mythos des Künstlergenies – und auch den guten Geschmack oder das, was Kunstkenner wohl dafür hielten. Der Maler schlug einen radikalen Weg ein. So wurde er 1970 so richtig durch seine provokative Tat bekannt, als er nämlich seine Gemälde, die er bis 1968 geschaffen hatte, offiziell in einem Krematorium verbrennen ließ. Weiterlesen