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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Alle Artikel zu Buchmessen

75 Jahre Frankfurter Buchmesse im Jahre 2023

2023, Oktober 16.

Eine kurze Geschichte der Frankfurter Buchmesse

Zwischen Kommerz und Kultur –  Bücher: keine Ware wie jede andere

Die Stadt lag in Trümmern. Wer zur Buchmesse wollte, kam an Schutthalden und Ruinen vorbei, auch wenn die Aufräumarbeiten schon vorangeschritten und die Zeichen des Aufbruchs unverkennbar waren. Wie die erneuerte rote Sandsteinfassade der Paulskirche, die man als erstes historisches Gebäude in Frankfurt am Main nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaut hatte. Es war pünktlich fertig geworden, um 1948 dort die Zusammenkunft der Nationalversammlung 100 Jahre zuvor zu feiern: steinernes Symbol einer demokratischen Tradition, an die anzuknüpfen nach den zwölf verheerenden Jahren des Nationalsozialismus ein Gebot der Stunde war.

Bescheiden waren die ersten Stände in der Frankfurter Paulskirche. Unvorstellbar heute, Foto:  Weiterlesen

75 Jahre Internationale Frankfurter Buchmesse (18.-22.10.2023). Ein Interview mit Torsten Casimir

2023, Oktober 12.

Die Buchmesse: „Eine soziale Maschine, die Vertrauen produziert“

 Ohne die Frankfurter Buchmesse wäre mein Leben ganz anders geworden.“ Michel Friedman

Die Frankfurter Buchmesse, international die größte Fachmesse für das  Publishing und branchenübergreifender Treffpunkt von Buchmenschen, feiert ihren 75. Jahrgang. Einen inhaltlichen Schwerpunkt der Herbstmesse in Frankfurt bildet jeweils der jährlich wechselnde Ehrengast, der dem Messepublikum auf vielfältige Weise seinen Buchmarkt, seine Literatur und Kultur präsentiert, in diesem Jahr Slowenien. Aber die Messe erfindet sich vor allem im rasend rapiden digitalen Zeitalter alljährlich auch neu. Grund für Petra Kammann, ein Gespräch mit Dr. Torsten Casimir zu führen, der seit Anfang des Jahres als Mitglied der Geschäftsleitung und Stellvertreter von Messedirektor Juergen Boos zuständig für Fragen der Kommunikation, der Außendarstellung und der inhaltlichen Gestaltung ist.

Dr. Torsten Casimir spricht als Stellvertreter von Juergen Boos für die Frankfurter Buchmesse, Foto: Petra Kammann

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30. Book Forum im Pulverturm

2023, Oktober 9.

Vive L’viv im Buchforum! Renaissance und „Zukunft schreiben“

Von Christian Weise, (alle Fotos inklusive)

„Und Begrenzungen gibt es nicht – nur die Grenze und das Ziel,/ so nah und so scharf,/so hoch und einfach./Lies es mir erst einmal laut vor./Hör nicht auf zu lesen. Lies.“(Kateryna Kalytko)

„Au“, sagt Radoslava plötzlich und hält sich den Kopf. Wir stehen im Schatten der Bäume vor dem Pulverturm in L’viv, wo dieses Jahr das 30. Book Forum stattfindet, und machen eine Verschnaufpause. Radoslava Kabachiy arbeitet bei der Stiftung „Wiedergeburt“ und zugleich beim „Ukrainischen Buch-Institut“.

 Der Pulverturm L’viv wurde zum Bücherturm, Foto: Christian Weise

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„Gittersee“ von Charlotte Gneuß: Ein kontrovers diskutierter Roman

2023, Oktober 2.

Herrlich geheim

von Simone Hamm

Der Roman „Gittersee“ spielt im Dresden der 1970er Jahre. Die 1992 geborene Autorin Charlotte Gneuß löste mit ihrem Debütroman eine große Debatte aus, ob und wie „Nachgeborene“ über die vergangene DDR-Geschichte schreiben können, dürfen, sollen…

Die Debütautorin Charlotte Gneuß, Foto: Alena Schmick

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OPEN BOOKS 2023 – die Stadt als Lesebühne zur Frankfurter Buchmesse

2023, September 29.

Ein Lesefest für Alle

Neben der großen bedeutsamen internationalen Frankfurter Buchmesse (18 – 22.10.23) auf dem Messegelände, die in diesem Jahr ihren 75. Geburtstag feiert, wird sich auch zum nunmehr zum 15. Mal die Innenstadt von Frankfurt in ein großes Lesefest verwandeln. Mit diskussionswürdigen Neuerscheinungen des Herbstes, mit 115 Lesungen und rund 170 Autor:innen wird die Mainmetropole an vier Tagen, vom 17. – 21. Oktober, zur großen Lesebühne. Da präsentiert OPEN BOOKS 2023 Novitäten deutschsprachiger und internationaler Belletristik, dazu Sachbücher, Gedichtbände, Graphic Novels und neue Kinderbücher. Das Programm stellten Kulturdezernentin Ina Hartwig und Literatur-Programmleiterin Sonja Vandenrath auf einer Pressekonferenz in der historischen Villa Metzler vor.

Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig freut sich über das vielfältige und prominente Programm von OPEN BOOKS, Foto: Alexander Paul Englert 

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Slowenien – Gastland bei der Frankfurter Buchmesse 2023- Das Ensemble Modern spielt daher ein slowenisches Programm…

2023, September 19.

Werke von fünf slowenischer Komponisten und Komponistinnen 

Die Frankfurter Buchmessevom 18. bis 22. Oktober 2023 wirft ihre Strahlen voraus. Bevor sie das Augenmerk auf den Ehrengast Slowenien richtet, gibt das Ensemble Modern vorab schon einen Einblick in die vielfältige Neue-Musik-Szene des Landes. Daher präsentiert das Ensemble Modern anlässlich des Ehrengastes Slowenien zwischen dem 28. September und 7. Oktober in Bamberg und Frankfurt am Main sowie im slowenischen Maribor und Ljubljana ein Programm mit Werken fünf slowenischer Komponist*innen in vier Konzerten.

Gruppenporträt des Frankfurter Ensemble 2022, Foto: Wonge Bergmann Weiterlesen

Deutscher Buchpreis 2023 – Die Longlist

2023, August 28.

Die nominierten Titel für den Deutschen Buchpreis 2023

Zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse wird zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels jährlich mit dem Deutschen Buchpreis den deutschsprachigen „Roman des Jahres“ aus. Damit soll über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit  für deutschsprachige Autor*innen geschaffen werden. Der Deutsche Buchpreis steht für eine unabhängige und kompetente Preisträgerermittlung: Sieben Juroren und Jurorinnen prüfen alle eingereichten und den Teilnahmekriterien entsprechenden Bücher.

Coverabbildung der für die Longlist nominierten Tiel

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Was wird aus dem Ehrengastland Slowenien auf der Buchmesse angesichts der dramatischen Überschwemmungen?

2023, August 17.

Slowenien ist Ehrengast der 75. Frankfurter Buchmesse (18.-22. Oktober 2023) und präsentiert seine Literatur und Kultur. In Kultureinrichtungen in ganz Deutschland findet bereits jetzt schon das begleitende Kulturprogramm unter dem Motto „Waben der Worte“ statt. Das Team des Ehrengasts ist im Moment dabei, den Ehrengast-Auftritt auf der Buchmesse im Oktober vorzubereiten. Katja Stergar, Direktorin der Slowenischen Buchagentur und Leiterin des Ehrengastprojekts, gibt im Gespräch mit Ines Bachor, PR Managerin der Frankfurter Buchmesse, einen Einblick in die aktuelle Situation in Slowenien zu geben.

Katja Stergar (Leiterin Slowenische Buchagentur und Ehrengastland), präsentierte das Schwerpunktprogramm voller Zuversicht in Frankfurt in der Evangelischen Akademie, Foto: Petra Kammann

Das Jahr 2022: Was hat das Redaktionsteam von FeuilletonFrankfurt bewegt?

2022, Dezember 29.

Petra Kammann

Ein großer Verlust war für mich der Tod des so hochbetagten wie trotz seiner Malaisen hoch lebendigen Frankfurter Jazzmusikers Emil Mangelsdorff. Er hatte zwar noch bei der Grundsteinlegung des CasalsForums in Kronberg Saxofon gespielt, aber die so beschwingende Eröffnung dann leider nicht mehr erlebt. Sie bot dank des so gut durchdachten und kühn angelegten Musikgehäuses des Architekten Volker Staab ein Erlebnis, das uns förmlich alle musikalischen Poren öffnet. Darin wird uns demnächst der geniale Musiker-Entdecker und -Inspirator Raimund Trenkler ganz sicher noch etliche musikalische Entdeckungen liefern.
Dass 2022 endlich die Frankfurter Buchmesse wieder live stattfinden konnte, ist zweifellos der Durchhaltekraft von Buchmessedirektor Juergen Boos zu verdanken. Gekrönt wurde sie von der Friedenspreisverleihung in der Paulskirche an den so unerschrockenen wie mutigen ukrainischen Schriftsteller und Musiker Serij Zhadan. Seine mahnende Rede, die einem Kriegstagebuch glich: einfach existenziell berührend, poetisch dazu! Kurz darauf bescherte uns auch die anfangs berlinernde deutsch-türkische Schriftstellerin Sevgi Emine Özdemir eine ungewöhnliche Rede zum Büchner-Preis. Es sei der Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner gewesen, der ihr die Tür geöffnet habe, hin zu ihrer frühen Kindheit und zu ihrem Ankommen in Deutschland in den 1960er Jahren in West- und in Ost-Berlin.
Und in der so vielfältigen Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum zum Regisseur, Bühnenbildner, Karikaturisten, Komponisten, Musiklehrer und Musikkritiker, dem skurrilen Schriftsteller, und Maler E.T.A. Hoffmann, der eigentlich von Beruf aus Jurist war, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Sie ist dem Reiz des Maschinenmenschen als auch der Bewunderung des Menschenmöglichen ebenso gewidmet wie dem Inspirator von Stummfilmen. Die Schau gleicht einer virtuellen Zeitreise in E.T.A. Hoffmanns Frankfurt und in die Welt der künstlichen Intelligenz: „Unheimlich fantastisch“. Und das 200 Jahre nach der Romantik. Da tut sich der Weg in die Moderne auf.

Deutsches Romantik-Museum: „Unheimlich Fantastisch“ fühlt sich E.T.A. Hoffmann nicht zuletzt Frankfurt und Clemens Brentano verbunden, sagt Kurator Prof. Dr. Wolfgang Bunzel, Foto: Petra Kammann

 

Hans-Bernd Heier

Dank der großzügigen Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain konnte die Region mit herausragenden Ausstellungen auftrumpfen, die auch noch in den ersten Monaten 2023 zu genießen sind.
Ernst Wilhelm Nay zählt zu den bedeutendsten Farbmalern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach fast  30 Jahren werden erstmals die kraftvollen, dynamischen Bilder wieder in einer breit angelegten Retrospektive präsentiert. Als documenta- und Biennale-Künstler hatte Nay nach dem Zweiten Weltkrieg internationale Bekanntheit erlangt. Sein facettenreiches Oeuvre ist sowohl figürlich als auch abstrakt. Das Museum Wiesbaden zeigt in der grandiosen Ausstellung „Ernst Wilhelm Nay – Retrospektive“ nicht nur die berühmten Lofoten-, Scheiben- oder Augenbilder. Ein besonderer Fokus liegt auf den in der Rhein-Main-Region entstandenen bedeutenden Werkgruppen der „Hekate- und Fugalen Bilder“. Noch bis zum 5. Februar 2023 im Hessischen Landesmuseum für Kunst und Natur Wiesbaden.

Caricatura-Plakat; Foto: © CARICATURA/Till Kaposty-Bliss; © B&N

Ein Kontrast-Programm bietet das Caricatura Museum Frankfurt mit der Jubiläumsausstellung „Teuflische Jahre-PARDON“. Längst ist die vor 60 Jahren gegründete „deutsche satirische Monatsschrift“ Legende.
Höchst unterhaltsam und amüsant verdeutlicht die Schau, warum das Zeitgeist-Magazin so erfolgreich war und innerhalb kürzester Zeit mit über 300.000 verkauften Exemplaren zur größten Satirezeitschrift Europas aufstieg.
PARDONs Markenzeichen war von Anfang an ein von dem Karikaturisten F.K. Waechter entworfener Teufel, der scheinbar freundlich seine Melone zum Gruß hebt, um dabei jedoch diebisch lachend seine Hörner zu offenbaren. Das Magazin spiegelt prägnant und provokant, dabei respektlos und meist urkomisch, die bewegte Geschichte der Bundesrepublik in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Die gesellschaftspolitisch engagierten Redakteure wollten gegen Prüderie, Aufrüstung und Verdrängung ankämpfen und dazu beitragen, aus der spießigen, stockkonservativen Bundesrepublik eine lebenswertere, demokratischere Gesellschaft zu machen.

 

Renate Feyerbacher

Für mich persönlich war es ein trauriges Jahr. Mein Bruder starb, wenige Tage später ein enger Freund und nun völlig unerwartet meine ‚Herzensfreundin‘. Als Kölsches Kind beachte ich natürlich die Regeln des Kölner Grundgesetzes „Et es wie et es.“ („Es ist, wie es ist.) Artikel 1 und schaue in eine Zukunft ohne Krieg, ohne Klimaprobleme, ohne große Kluft zwischen Arm und Reich und Hass im Internet.
Es waren Produktionen der Oper Frankfurt, erneut  Opernhaus des Jahres, die wieder herausragten: Die Sechs Monologe aus Jedermann von Frank Martin realisiert von Johannes Martin Kränzle, der Opern-Krimi Fedora von Umberto Giordano in vorzüglicher Besetzung, Ulisse von Luigi Dallapiccola, Die Meistersinger von Nürnberg und nun Die Zauberin von Peter I. Tschaikowski mit Asmik Grigorian, Claudia Mahnke, Iain McNeil und Alexander Mikhailov, dirigiert von Valentin Uryupin, unter der Regie von Vasily Barkhatov. Eine Inszenierung, die wieder eine Auszeichnung erhalten könnte.

Begeistert hat mich der Tanzabend Vertigo im Staatstheater Wiesbaden. Auf einer um 34 Grad abgewinkelten weißen Plattform, die direkt in den Orchestergraben eintaucht, dahinter schwarzer Bühnenhimmel, gleiten die Tänzerinnen und Tänzer die Schräge hinab immer wieder, aber in veränderten Bewegungsformen. „Eine mitreißende Kraft des Abgrunds.“ Die Ausstellung Marcel Reich-Ranicki. Ein Leben, viele Rollen in der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt – kuratiert von der Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933-1945 Dr. Sylvia Asmus und dem Schriftsteller Dr. Uwe Wittstock – hat mir neue Einblicke über das Wirken des Literaturkritikers und Literaturvermittlers vermittelt, den ich manchmal nicht ausstehen konnte. Uwe Wittstocks Buch „Februar 33 – Der Winter der Literatur“  (Verlag C.H.Beck) und „Fremd“, ein sehr persönlicher, schmerzhafter Text von Michel Friedman (Berlin Verlag) haben mich in Beschlag genommen. Friedmans Buch über das Femdsein ist „allen Menschen gewidmet, die irgendwo im Nirgendwo leben“  [..] Staatenloses Kind. Migranten-Kind. Juden-Kind. Lebensaufgabe dieser Kinder: Eltern glücklich machen. Eltern stolz machen.“ (S. 30 – 86)

 

Simone Hamm

 

Im Tanz: Die phänomenale Interpretation des Flamencotänzers Israel Gávan von Strawinskys „Sacre“ – ein Solotanz durch Zeiten, Gender, Tanzstile. Gastspiel in Köln. In der Literatur: Javier Marías letztes Meisterwerk Tómas Nevison (übers. v. Susanne Lange), ein Roman über Verrat und Geheimnisse, Doppelleben und Einsamkeit. In der Oper: Luigi Nonos „Intolleranza“ an der komischen Oper Berlin. (Regie. Marco Štormann mit dem Dirigenten Gabriel Feltz). Ein Emigrant irrt durch Wüsten aus Eis und Schnee. In einem morschen Boot wird er kentern. Ein perfektes Zusammenspiel von Musik, Gesang, Licht, Bühnenbild, Kostümen. Als Ausstellung: Simone de Beauvoir,Le Deuxième Sex – das andere Geschlecht“ in der Kunsthalle Bonn. Die Geschichte des Buches und der Autorin, spannend und sinnlich dargestellt mit Fotos, Interviews, Faksimiles.

Es gab noch anderes in Kassel auf der Documenta 15 als Agitprop-Wimmelbilder, Foto: Simone Hamm

Und in der Kunst: Die Documenta 15!!!! Jung, frisch, innovativ mit völlig neuen Perspektiven. Nur in Deutschland ist es möglich, die größte Kunstschau der Welt zu desavouieren, weil auf einem Agitprop-Wimmelbild die Karikatur eines Juden zu sehen war. Der Streit darüber, ob die Documenta 15 antisemitisch sei, ließ die Kunst in den Hintergrund treten: meditative syrische Gesänge, ein geheimnisvolles, gläsernes Floß auf der Fulda, einen indonesischen Geschichtenerzähler inmitten quietschbunter Plastikobjekte, Voodokunst aus Port Au Prince in der Kirche, Alte Meister mit politischen Botschaften aus Gaza, eine zauberhafte vietnamesische Installation aus Musik und Schatten – und das alles ohne große Galerien, jenseits der Gesetze des Kunstmarktes, ausgewählt, dargeboten von Kollektiven.

 

Erhard Metz

Ach, unser ohnehin buntes Frankfurt wird noch bunter! Und: Frankfurt, die Weltstadt „Mainhattan“, wird Fahrradstadt! Überall werden Fahrradbahnen gepinselt – leider in unschönem Rot-Front-Hammer&Sichel-Rot. Nun denn – hat sich doch sogar die CDU inzwischen von der SPD die Leitfarbe Rot abgekupfert. Zum Trost: Rot neigt rasch zum Verblassen.
Doch nun – spricht man landauf, landab nicht von der demographischen Entwicklung, der Überalterung der Gesellschaft? Und: Fahren die Alten etwa Fahrrad? Beileibe nicht, Rollator und Rollstuhl sind angesagt! Und wo sollen die fahren?
Eine weitere Fahrspur muß also her, und zwar neben einer jeden roten Bahn! Und welche Farbe soll die dann haben? Grün? Nein, Grün(e) haben wir ja genug in Frankfurt. Gelb? Nein, verschmutzt zu schnell.
Bleibt also Blau – unser von Bayern schwärmendes Herz hüpft spürbar höher. Und Frankfurt liegt ohnehin am Main, dem „Weißwurstäquator“ der Republik zum schönen weiß-blauen Paradies. Ein Blau ist es also, ein schönes, freundliches Himmelblau (in Abgrenzung zum düsteren Blau der AfD, versteht sich).
Aber Rot und Blau nebeneinander, hören wir schon die Nörgler und Bedenkenträger – war da nicht was mit Rußland? Aber nicht doch: Himmelblau! Und außerdem haben die ja noch das sibirische Weiß dabei.
Wir haben da mal ein Exempel statuiert, eine Musterstraße bemalt. Überzeugt das nicht nur Alt, sondern auch Jung? Wie schön bunt Frankfurt doch noch werden kann! Auf denn, ran an die Farbtöpfe. Für so etwas liegt im Stadtsäckel immer genug Geld!

Die gestreifte Welt der Umorientierung, Foto: Uwe Kammann, Collage: Erhard Metz

 

Uwe Kammann

Oberster Kulturpolitiker in Frankfurt ist augenscheinlich Stefan Majer. Die Stadt hat der Verkehrsdezernent mit rotgrundierter Street-Art überzogen. Niemand im Magistrat fällt ihm dabei in den Arm. Vielleicht, weil die Verhässlichung, Verhunzung und Verwahrlosung der Stadt dort niemandem auffällt. Zu sehr gehört das zum Bild des öffentlichen Raums, siehe allein die graffittibeschmierten Panzersperren (sorry, ehemalige Discoeingänge) am Roßmarkt. Bis hin, flächendeckend verbreitet, im Bahnhofsviertel.
Insofern hegen manche die Hoffnung, dass bei Oper und Schauspiel alles beim Alten bleibt (irgendwelche Bau-Lösungen in Sicht?), denn schlimmer geht immer.
Wer vor der politisch gewollten/geduldeten visuellen Barbarei fliehen will, kann allerdings Trost finden: in den schönen Bauten am Museumsufer, zuletzt auch auf der Nordseite des Mains. Romantik-Museum, Jüdisches Museum zeigen, was sein kann. Und jeder Besuch eines Konzerts oder einer Lesung im Holzhausen-Schlösschen belegt: Ja, so kultiviert kann Kultur sein, so anregend und klug komponiert.
Mehr als ein Hoffnungsschimmer? Ach, wäre es doch so. Doch die Stadt hat eben andere Prioritäten und ist noch stolz darauf.
Mithin: die Aussichten für 2023? Leider so: grüngedacht, rotgestreift und vollverpollert.

Es geht auch anders: Gepflegt und anmutig liegt das Holzhausenschlösschen am Weiher, Foto: Petra Kammann

 

Torsten Casimir wird Sprecher der Frankfurter Buchmesse

2022, Dezember 8.

Feuilleton Frankfurt gratuliert

Bisheriger Chefredakteur des Fachmagazins des Deutschen Buchhandels „Börsenblatt“ übernimmt Verantwortung für weiteren Ausbau des Branchen-Events Buchmesse als Debatten-Plattform

 

 

 

 

 

 

 

Dr. Torsten Casimir;
Foto: Catrin Friedl /Buchmesse

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