„Aufbruch in die Freiheit“: Filmveranstaltung im DFF mit anschließender Podiumsdiskussion zum Thema § 218 StGB
Wo und ab wann beginnt die Würde des Menschen?
Es war die dritte Folge eines dreiteiligen Veranstaltungmarathons zum 30-jährigen Jubiläums des Zontaclubs Frankfurt II Rhein Main mit Spendenaufruf für das Mädchenbüro Milena. Nach dem im DFF gezeigten berührenden Film „Aufbruch in die Freiheit“(2018) schloss sich eine Diskussion mit einem fachlich hochrangig besetzten Podium an: mit der Drehbuchautorin des Films Dr. Andrea Stoll, der Leiterin der ZDF-Redaktion Fernsehspiel I, Caroline von Senden, der Direktorin der Mainzer Klinik für Geburtshilfe und Frauengesundheit Prof. Dr. Anette von Hasenburg sowie dem Strafrechtler der Goethe-Universität und Richter am OLG Prof. Dr. Matthias Jahn, moderiert von der früheren hr2-Radiofrau Rosemarie Tuchelt.

Zu Gast im Filmmuseum: Präsidentin des Zontaclubs Frankfurt II – Rhein-Main Uta Friedlein und die künstlerische DFF-Direktorin Christine Kopf, Foto: Petra Kammann
Schwangerschaftsabbrüche sind ein emotionales Thema, aber auch ein medizinisches und ein strafrechtliches wie es in dem Flm „Aufbruch in die Freiheit“ auf beeindruckende Weise spürbar wird. Man riecht förmlich den Muff der konservativen Denke Anfang der 1970er Jahre in der Provinz. Gebaut ist der Plot des ZDF-Fernsehfilms aus dem Jahre 2018 um die Story „Wir haben abgetrieben“, die 1971 als Titelstory im Stern erschien und die seinerzeit 374 Frauen unterschrieben hatten – Prominente und nicht so Prominente…

Nach dem Eintreffen der Akteurinnen: „Gruppenbild mit Herr“: Uta Friedlein, Anette von Hasenburg, Matthias Jahn, Caroline von Senden, Andrea Stoll, Rosemarie Tuchelt, Heike Strelow, Ulrike Lixenfeld, Foto: Petra Kammann
Nach den Begrüßungen der Verantwortlichen, von Hausherrin Christine Knopf, Künstlerische Direktorin des Filmmuseums, sowie der Initiatorinnen des Abends, Clubpräsidentin Ute Friedlein und der Filmliebhaberin und Inspiratorin Ulrike Lixenfeld sowie der Mädchenbüro Milenabüro-Gründerin und heutigen Leiterin Maneesorn Koldehofe, die drei mit ihrer „Schützlinge“ mitgebracht hatte, hieß es dann „Film ab! “ Und die Zeitreise in die 70er Jahre beginnt.

Die Vertreterinnen des Mädchenbüros Milena bedankten sich mit einer roten Rose für jede(n) bei den Diskutierenden, Foto: Petra Kammann
Der fürs Thema geeignete, mehrfach ausgezeichnete Film „Aufbruch in die Freiheit“ erzählt vom erwachenden und schmerzhaften Emanzipationsbestreben der fiktiven Hauptheldin Erika Gerlach aus der Kölner Provinz (grandios gespielt von Anna Schudt), der Ehefrau des Metzgers Kurt Gerlach (Christian Erdmann). Überfordert vom tageintagaus zu bewältigenden Alltag mit drei Kindern, Haushalt und der Arbeit in der Metzgerei, erfährt Erika, dass sie erneut schwanger und der Situation einfach nicht mehr gewachsen ist. So beschließt sie, zu ihrer jüngeren und sozialbewegteren Schwester Charlotte (Alwara Höfels) nach Köln zu fahren und das Baby dort heimlich abtreiben zu lassen.

Prof. Matthias Jahn, der erste männliche Referent bei den Zontians, im Gespräch mit Klinikdirektorin Prof. Anette von Hasenburg, Foto: Petra Kammann
Bei der illegalen OP kommt es zu Komplikationen. Erika wird zwar gerade noch gerettet. Doch als ihr Mann von der Sache erfährt, tobt er. Und er setzt die Lehrerin der hochbegabten Tochter Rieke, die ein Wort für sie einlegt, damit diese aufs Gymnasium gehen kann, kurzerhand vor die Tür. Da reicht es Erika vollends. Sie packt ihre Sachen und zieht gemeinsam mit ihren Kindern zu ihrer jüngeren Schwester Charlotte in eine fröhlich-lockere, aber hilfsbereite WG nach Köln, was im Film wegen der gegensätzlichen Lebensstile durchaus zu manch komischer Szene führt.
Doch in einer Zeit – und sie ist noch gar nicht so lange her – macht die Gesetzgebung der gewissenhaften Erika einen Strich durch die Rechnung. Ein selbstbestimmter Neuanfang bleibt ihr verwehrt. Sie hadert mit sich, fühlt sich schuldig und erkennt ihre aussichtslose Lage: „Ich stehe da wie ein Idiot. Ich habe mein Leben lang gearbeitet, ich habe drei Kinder, und ich habe gar nichts. Ich habe kein eigenes Geld, ich habe keine Ausbildung, ich habe kein Zeugnis, ich habe einfach überhaupt nichts.“
Ohne die Zustimmung ihres Mannes darf sie weder einen eigenen Arbeitsvertrag unterschreiben noch eigenmächtig ihre Tochter am Gymnasium anmelden. Trotzdem bricht die Duldsame und Wohlerzogene aus der dörflichen Enge immer weiter aus und schließt sich sogar ebenso den Protesten gegen den Paragraphen 218 an wie der Stern-Aktion Wir haben abgetrieben!…
Diese Aktion erregte 1971 großes Aufsehen im damaligen Deutschland, weil sie erstmals öffentlich das Tabuthema Schwangerschaftsabbruch zum Thema machte, auf das damals – so wie in der anschließenden Podiumsdiskussion vom Strafrechtler und OLG-Richter Matthias Jahn dargestellt – die Frau sogar für fünf Jahre ins Zuchthaus wanderte. Dass sie gesellschaftlich missachtet wurde, ist nur eine der zusätzlichen Konsequenzen. Ihr weiteres Leben war verwirkt.

Jahn erläutert, warum es der Zustimmung des Bundesgerichtshofs bedarf, Foto: Petra Kammann
Der Komplexität des Themas entsprechend fiel die Auswahl der Diskutanten für die Podiumsdiskussion mit der dazugehörigen Mischung aus Film, Recht und Medizin klug aus. Bilden im Zusammenhang mit dem umstrittenen § 218 die Medizinerin und der Strafrechtler in der Diskussion ein Gegensatzpaar? Können sie sich darüber einigen, was strafbare Körperverletzung und die Verletzung der Menschenwürde betrifft?

Maneesorn Koldehofe mit ihren Schutzbefohlenen, Foto: Petra Kammann
Mädchenbüro Milenavertreterin Maneesorn Koldehofe sagte in ihrer Begrüßung, dass bisweilen schlichte Wut über einen unhaltbaren Zustand etwas bewirken könne und es manchmal sogar eine notwendige Voraussetzung sei, damit sich auf Dauer etwas ändere. Schließlich seien auch Väter für das Wohl der Kinder zuständig. Schade, dass man nach dem Film mit den Schülerinnen des Mädchenbüros Milena darüber nicht mehr diskutieren konnte. Sie mussten wegen der Schule am nächsten Tag, die für ihre Eingliederung hier sorgt, früher aufbrechen. Koldehofe bietet seit 2016 in der Bildungs- und Integrationseinrichtung neben Deutschkursen für geflüchtete Frauen unter anderem auch Hausaufgabenbetreuung für Mädchen zwischen neun und 21 Jahren an. Einfach toll!
Zurück zum Schwangerschaftsabbruch. Wie sieht die aktuelle Lage derzeit bei uns aus? In Deutschland werden Schwangerschaftsabbrüche in den ersten drei Monaten nicht bestraft, wenn das vorgeschriebene Verfahren mit einer Beratung eingehalten wird. Da sie aber bei uns nach wie vor rechtswidrig sind, werden die Kosten daher auch nicht von den Krankenkassen erstattet. Und im vergangenen Dezember schien es einen Durchbruch für die Legalisierung gegeben zu haben. Und dann platzte die Koalition. Und noch ist nicht sicher, was wird und ob es einen neuen Rahmen in der Sache geben wird.

Engagierte Zonta-Frauenpower: die dreifache frühere Clubpräsidentin Renate von Köller, RA Ulrike Lixenfeld, die sich für die Veranstaltung stark gemacht hatte, und die jetzige Clubpräsidentin Uta Friedlein, Foto: Petra Kammann
Geschickt befragte die Moderatorin Rosemarie Tuchelt bei den einzelnen Produktionsteilnehmerinnen wie vom ZDF nach, wie der Film entstanden sei, viele Jahre nach dem Ereignis der Stern-Aktion. Ganz bewusst habe man für die Verfilmung ein bürgerliches Milieu gewählt und habe das eingehend in der ZDF-Fernsehfilmredaktion – hier repräsentiert durch die Leiterin Carolin von Senden – diskutiert, erläuterte Drehbuchschreiberin Andrea Stoll auf dem Podium, es gehe in diesem ZDF-Drama aus dem Jahre 2018 nicht so sehr um die Abrechnung mit einer verkrusteten, patriarchalischen Justiz. Diese Kämpfe hätte die 68er-Generation schon die Jahre zuvor ausgefochten.

Warum ein bürgerliches Milieu? Drehbuchschreiberin Stoll erläutert es, Foto: Petra Kammann
Vielmehr sei es der Redaktion um einen Neuanfang, um einen „Aufbruch in die Freiheit“, gegangen und um die Hauptdarstellerin Anna Schudt, die das Schwanken ihrer Gefühle zwischen Verzweiflung und Nonchalance, zwischen Wut, Mut und Hoffnungslosigkeit schlicht überzeugend darstellen könne. Und damit sei die Person der Erika eine glaubwürdige Vertreterin der Hauptdarstellerin, die sich allmählich emanzipiert habe. Dabei wird übrigens auch ihr Ehemann trotz seiner Tobsuchtsanfälle, seiner Sprach- und Kommunikationslosigkeit durchaus nicht als Scheusal, sondern letztlich sich als jemand, der dazu lernen kann, dargestellt. Er sei eben einfach noch nicht so weit gewesen. Erst nach dem Tod seiner Mutter, als er das ganze Ausmaß seiner Einsamkeit zu spüren bekommt, wird er veränderungswillig.

Hochkarätige Diskussionsrunde: v.li: Caroline von Senden, Drehbuchautorin Andrea Stoll, Klinikdirektorin Anette von Hasenburg, Strafrechtler und Richter Matthias Jahn und Moderatorin Rosemarie Tuchelt
Was wiederum das Medizinische anbelangt, so sagt auch die Ärztin und Klinikleiterin Anette von Hasenburg, es gehe bei der Abtreibung nicht nur um den Körper, sondern um eben sehr viel mehr. Sie kenne keine Ärztin oder auch keinen Arzt, der eigentlich gerne eine Abtreibung vornehmen würde. Erst wenn man sich mit dem häufig aussichtslosen Schicksal der jeweiligen Frauensituation beschäftigt habe, würde man versuchen, es so gut und so wenig schmerzhaft wie möglich durchzuführen. Und niemand wolle freiwillig eine reine Abtreibungsklinik betreiben. Da sei für alle abschreckend.
Aber im laufenden Betrieb sei es jedoch immer mit einem Mehraufwand verbunden, der nicht etwa von der Bezahlung abgedeckt würde, während es in Frankreich inzwischen eine entsprechende Verfassungsänderung gegeben habe. Ähnlich ist die Situation in Schweden. Daher plädierte sie für eine Legalisierung und Finanzierung.
Jahn wiederum erläuterte auch die juristischen Winkelzüge, die in Grauzonen führten. So ist seit 1995 ist die Abtreibung in Deutschland unter bestimmten in Deutschland Bedingungen straffrei – zum Beispiel innerhalb der ersten zwölf Wochen. Voraussetzung dabei ist: Die Frau muss sich zuvor in einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen. Und zwischen Beratung und Abbruch muss eine Frist von mindestens drei Tagen liegen. In der DDR galt das schon ab 1972, was nach 1990 dann parallelisiert werden musste. Grundsatz bleibt bis heute laut Strafgesetzbuch (§ 218 StGB) die Rechtswidrigkeit.
Und, dass es vor allem an der Grundsatzauffassung des Bundesgerichtshofs hinge, was die unantastbare Würde des Menschen angehe. Bleibt die Frage: Wo fängt die Würde an? In welchem biologischen Moment des schützenswerten Lebens? Nach 12 Wochen? Ist dafür Beratung und ein dreitägiges Nachdenken notwendig oder nicht?
In der anschließenden Diskussion goss Zontaclub-Vizepräsidentin Sabine Otto-Just Wasser in den Wein des scheinbar im Raum Einvernehmlichen. So sprach sie sich gegen eine Zwangsberatung bei Abtreibung aus, falls eine Legalisierung anstünde. Das müsse jede(r) selbst entscheiden. Auch stellte die frühere Biologielehrerin die Frage, wann ein Embryo anfange zu leben.

Nachdenkenswerte Diskussion mit dem Publikum, Foto: Petra Kammann
In Frankreich geht es ohne Beratung, in Schweden ebenso. Aus Polen gebe es einen neuen „Abtreibungstourimus“, vergleichbar mit den späten Sechzigern, als diese deutschen Frauen aus dem Grund noch nach Holland fuhren, hieß es auf dem Podium.
Der lange so informative wie nachdankenswerte Abend wurde vom Publikum ausgesprochen aufmerksam verfolgt.
Hat sich das Streben von Frauen nach Selbständigkeit, das wachsende Bewusstsein für ihre Wünsche, die Forderung nach echtem Einverständnis – die Vorstellung vom ehelichen oder partnerschaftlichen Glück, wie sie jahrzehntelang galt, zwischenzeitlich tiefgreifend verändert? Müssen wir neue Rollen finden?
Das Thema ist nach wie vor diskussionswürdig, unabhängig vom neuen Trend der Trad wives, wie sie derzeit mit großem ästhetischen Aufwand in den sozialen Netzwerken propagiert werden. Da zelebrieren Frauen ein konservatives Rollenbild als Hausfrau und Mutter im Stil der 1950er Jahre…
Und wo setzt in einer Demokratie die Staatsschutzpflicht ein, wo liegen die Kipppunkte, dass nach dem Grundgesetz die Würde des Menschen unanstastbar ist. Was brauchen Kinder? Lediglich die rein körperliche Versorgung? Ganz nach dem Motto von Kurt Gerlach: wo drei satt werden, werden es auch vier. Oder mehr? Sind wir für eine angemessene Ausbildung verantwortlich?
Und was bedeutet es für den Zusammenhalt in Europa, da Gesetzeslagen in autokratisch geprägten Staaten um uns herum derzeit kurzfristig geändert werden können? Noch ist Frauenrecht auch ein erkämpftes Menschenrecht. Wollen wir das mühsam Errungene wirklich so leichtfertig aufgeben?
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