„Helen Frankenthaler moves Jenny Brosinski, Ina Gerken, Adrian Schiess“ im Wiesbadener mre
Kontrolle abgeben und sich vom Material leiten lassen
Von Hans-Bernd Heier
Die neue Sonderausstellung im Museum Reinhard Ernst (mre) präsentiert den Dialog der Arbeiten von drei zeitgenössischen Künstler:innen mit Helen Frankenthalers großartigem Werk: Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess haben teilweise bisher nicht gezeigte Arbeiten Frankenthalers aus der Sammlung Reinhard Ernst ausgewählt und eine gemeinsame Hängung mit ihren eigenen Werken in Szene gesetzt. Die Schau lädt dazu ein, die faszinierende Wirkung dieser wegweisenden Malerin im Dialog mit drei herausragenden abstrakten Positionen der Gegenwart zu erleben.
Ausstellungsansicht, Foto: Hans-Bernd Heier
„In meiner Kunst habe ich mich bewegt und konnte wachsen. Ich habe etwas durchlebt. Hoffentlich werden auch andere auf ähnliche Weise bewegt“, hat Helen Frankenthaler einmal gesagt .Durch ihre Kunst haben sich viele Künstlerinnen und Künstler anregen und bewegen lassen – besonders drei zeitgenössische Künstler:innen Jenny Brosinski, Ina Gerken und Adrian Schiess, die sich mit dreizehn Arbeiten Helen Frankenthalers aus der Sammlung Reinhard Ernst auseinandersetzen, von den sieben bisher noch nicht im mre gezeigt wurden.
„Die aktuelle Ausstellung zeigt eindrücklich, dass Frankenthalers malerische Vielfalt und ihr Pioniergeist bis heute bewegen. So erzählen wir eine Geschichte, die bei ihr beginnt und von den drei Künstler:innen eigenständig erweitert und souverän fortgeschrieben wird“, so Dr. Oliver Kornhoff, Direktor des Museums Reinhard Ernst. Dieses besondere Ausstellungserlebnis gewährt erneut einen Einblick in die weltweit größte private Sammlung von Frankenthalers Werken und eröffnet zugleich vielfältige Begegnungen mit zeitgenössischer abstrakter Malerei aus Deutschland und der Schweiz.
Die Auswahl der Werke haben die Künstler selbst getroffen, „um im Dialog mit Frankenthaler starke formale Bezüge, thematische Verbindungen oder direkte Gegenüberstellungen mit der eigenen Kunst anschaulich werden zu lassen. Dabei ist die Beschäftigung mit Frankenthaler zugleich Herausforderung und Bestätigung des eigenen Schaffens oder konzeptuelle Grundlage für neue künstlerische Sichtweisen“, erklärt Kuratorin Lea Schäfer. Jeder der drei Künstler bespielt einen eigenen Raum. Der zentrale Ausstellungsbereich dieser Präsentation ist Raum 3 – der mit einer Deckenhöhe von 14 Metern höchste Raum des Museums – in welchem sich alle vier Positionen begegnen.
Jenny Brosinski, ©Joost Jossen
Jenny Brosinski (*1984), die mit dreizehn Arbeiten in der Ausstellung vertreten ist, verbindet mit Helen Frankenthaler weit mehr als nur das Medium Malerei. „Mut und Risikobereitschaft erweisen sich als treibende Kraft im Schaffen beider Künstlerinnen. Wagnisse einzugehen, überrascht werden, experimentieren, die Malerei weiter vorantreiben wollen. Mit diesen Worten beschrieb Frankenthaler ihre Arbeitsweise, die Brosinski teilt, indem sie vermeintliche malerische Unfälle erkennt, mit diesen Elementen bewusst weiterarbeitet und aus ihnen unvorhergesehene Kompositionen entwickelt“, sagt Kornhoff. Das Werk von Frankenthaler lernte bereits sie während ihres Kunststudiums kennen.
„Risikobereitschaft und Mut spielen in meinem Arbeitsprozess eine große Rolle. Ich muss bereit sein, Fehler zu machen. Ich muss Unfälle erkennen und sie auch beseitigen können. Dadurch komme ich erst zu neuen und eigenen Ergebnissen. Meine und Frankenthalers Arbeiten korrespondieren in der Offenheit der Komposition oder im Material und in den Negativformen. Ich habe bewusst Arbeiten aus den 1960ern gewählt, in welchen sie sich aktiv mit der freien und unbemalten Fläche der Leinwand auseinandersetzt“, erläutert Jenny Brosinski.
Wie Frankenthaler arbeitet auch Brosinski auf ungrundierter Leinwand – ein rohes Material, das die Entstehung des Bildes nicht nur gnadenlos offenlegt, sondern auch für immer einspeichert „Jeder Pinselstrich, jeder Farbtropfen bleibt sichtbar. Korrekturen werden als produktiver Zufall aufgefasst. Die beiläufig wirkende Ästhetik entsteht aus der Bereitschaft, Kontrolle abzugeben und sich vom Material leiten zu lassen“, so Schäfer. „Die Künstlerin lässt in ihren Schaffensprozess oft kindlich anmutende Zeichnungen einfließen. Das Spielerische und das Leichte in einer Arbeit zu erhalten, ist ihr besonders wichtig. Deshalb beginnt sie jedes Werk auf dem Boden. Im weiteren Prozess richtet sie das Bild auf, um konkretere Entscheidungen zu treffen und um auf die spielerische Grundlage zu reagieren“.

Ina Gerken, ©Anton Pfurtscheller
Bei Ina Gerken (*1987) spielen während der Entstehung eines Bildes Spontanität und Intuition eine tragende Rolle. Es ist ein Vorgang, der für die Künstlerin selbst voller Überraschungsmomente steckt. „In ihren Werken treffen“, laut Schäfer „expressiv-malerische Gesten und Wischungen auf den völlig freien Lauf wässriger Farbe. Um das bewusste Eingreifen in den Malprozess gering zu halten, arbeitet die Künstlerin schnell und wechselt häufig die Position“. Die Arbeiten entstehen mal an der Wand, mal begibt sie sich in das Bild hinein, indem sie es auf dem Boden bearbeitet – wie Frankenthaler, deren Schaffen Gerken hierzu bewegte.
„Mich hat vor allem die große Einfachheit, die Leichtigkeit und gleichzeitige Prägnanz in ihrer Arbeit sehr fasziniert. Inspiriert davon habe ich selbst angefangen, auf dem Boden zu malen“, sagt Gerken. „Vor allem die Widerstandslosigkeit der Farbe, wie sie sich fast von selbst auf der Leinwand ausbreitet, hat mich beeindruckt. Es fühlte sich an wie ein Loslassen – mehr Beobachten als Gestalten. Mehr Vermittlerin zwischen Farbe und Leinwand sein, als kontrollierend einzugreifen. Durch die Beschäftigung mit Helen Frankenthaler habe ich erfahren, wie befreiend es sein kann, Kontrolle abzugeben und sich ganz im Bild zu verlieren“.
Ina Gerken studierte an der Kunsthochschule Mainz und war Meisterschülerin bei Katharina Grosse an der Kunstakademie Düsseldorf. Zahlreiche Auslandsaufenthalte führten sie u.a. an die Skowhegan School of Painting and Sculpture in Maine (USA). Sie erhielt den renommierten Pollock-Krasner Foundation Grant. Gerken ist mit acht Werken in der Ausstellung vertreten.

Adrian Schiess, © Adrian Schiess
Der Schweizer Maler Adrian Schiess (*1959) sah Anfang der 1980er Jahre auf einer Reise nach New York erstmals Werke von Helen Frankenthaler – für ihn ein Erlebnis: „Was mich fasziniert hat, ist diese Entgrenzung des Bildes, die Befreiung der Farbe und das Fließende, das sich mehr oder weniger stark vom Beginn bis zum Schluss durch das Werk hindurchzieht“, sagte er in einem Gespräch mit Kuratorin Lea Schäfer. Für Schiess ist Malerei nicht abgeschlossen, sondern räumlich, gegenwärtig – sie bittet uns als Betrachter:innen hinzu: „Ich möchte eine Malerei, die nichts ausschließt – oder vielmehr: eine Malerei, die alles mit einbezieht. Das ist es, was ich unter Malerei verstehe“.
In den 1980er Jahren entwickelte Schiess eine Serie großformatiger, am Boden liegender Leichtbauplatten, deren spiegelnde Farbflächen aus einer Aluminiumdeckschicht bestehen. Anfangs bemalte er sie selbst: Schicht um Schicht mit Industrielack, mit gestischen Spuren, durchscheinenden Lasuren und feinen Farbübergängen. „1990 entschied er sich für einen radikalen Schritt: Er ließ die Platten von professionellen Lackierern spritzen und mit einem Effektlack versehen. Auf diese Weise verzichtet er völlig auf seine malerische Handschrift. Das Ergebnis sind makellos glatte, glänzende Oberflächen, die auf Licht, Raum und Bewegung reagieren. Sie changieren, spiegeln, irritieren – und verweigern jede fixe Perspektive. Licht und Raum schreiben sich als Momentaufnahme in die Platten ein. Diese flüchtigen Bilder lassen sich nicht festhalten“, so Kornhoff.

Ausstellungsansicht, Foto:Hans-Bernd Heier
Als präziser Regisseur dieses permanent neuen Kunsterlebnisses hat Adrian Schiess für die Ausstellung im Museum Reinhard Ernst die Platten als Installation konzipiert und zu ausgewählten Werken von Helen Frankenthaler in Bezug gesetzt. Sie treten so in einen offenen, fließenden Dialog.
Erweitert wird die Ausstellung „Frankenthaler moves“ durch einen weiteren Raum im zweiten Obergeschoss, in welchem die US-amerikanische Malerin im Zwiegespräch mit den Kunstwerken ihrer Wegbegleiter zu entdecken ist.
Die höchst beeindruckende Schau ist bis zum 22. Februar 2026 im Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zu sehen.
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