Aufbruch zur modernen Stadt von 1925–1933. Drei Schauplätze im Vergleich: Frankfurt, Wien und Hamburg
Vorstellungen vom richtigen und guten Leben in der Stadt – Visionäre Reformen
Von Petra Kammann
Nach „Was war das Neue Frankfurt?“ und neben „Yes, we care“ und der damit verbundenen Frage nach dem Gemeinwohl wurde im Museum Angewandte Kunst nun die letzte Ausstellung im Jubiläumsjahr „100 Jahre Neues Frankfurt“ eröffnet, diesmal unter dem Motto: „Aufbruch zur modernen Stadt von 1925–1933“. Da stehen gleich drei unterschiedliche Schauplätze im Visier: Das Rote Wien, das Neue Frankfurt und die Wohnstadt Hamburg. Eine Herausforderung vereint jedoch alle drei, in ihrer Grundstruktur so unterschiedlichen Städte: die Bekämpfung der Wohnungsnot mit schnellen Reformen. Der Kurator, Architekturkenner und -historiker Wolfgang Voigt, früher auch am DAM, hat in der Ausstellung die Unterschiede herausgearbeitet.

Kurator Wolfgang Voigt führt durch die Ausstellung. Hier mit Blick auf „Zickzackhausen“, Foto: Petra Kammann
Zu Ende des Ersten Weltkriegs waren etliche Städte in Deutschland zerstört. Entsprechend katastrophal waren die Lebensumstände, geprägt durch Wirtschaftskrise, Geldentwertung und vor allem durch die akute Wohnungsnot der Menschen, die neben Armut und Hunger so schnell wie möglich überwunden werden musste. Das galt auch in besonderem Maße für Österreich und die Stadt Wien, die in der „zusammengeschrumpften“ einstigen Habsburgermonarchie ein eigenes Bundesland darstellte. Hier war die Armut der Bevölkerung, vor allem die der Arbeiter, besonders eklatant. Sie lebten oft in echten Slums. Um die Wohnungsnot der Stadt, die von der sozialistischen Partei (SDAP) regiert wurde, zu lindern und die Lebensbedingungen zu verbessern, forcierte die Stadt unter dem Stichwort „Rotes Wien“ ein umfassendes Bauprogramm für soziale Gemeindewohnungen.
Pressekonferenz – 4. Ausstellung zu „100 Jahre Neues Frankfurt“ im Museum Angewandte Kunst:v.li: Natali-Lina Pitzer (Presse), Direktor Matthias Wagner K und Kurator Wolfgang Voigt, Foto: Petra Kammann
So waren die Voraussetzungen in der österreichischen Metropole in den 1920er Jahren völlig andere als im Frankfurt der liberalen Weimarer Republik, wo sich der Stadtrat aus der SPD, der Deutschen Demokratischen Partei und der katholischen Zentrumspartei zusammensetzte und immer wieder von Mehrheitsentscheidungen abhängig war. Zwischen 1924 und 1933 regierte hier der liberale und aufklärerische Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1868-1945), der sich später jedoch den Deutschnationalen und den Kommunisten in perfider Weise ausgesetzt sah und kurz vor Ende des Kriegs im Exil starb. In der Nachkriegszeit war er erst einmal völlig in Vergessenheit geraten. Und dass völlig zu Unrecht.
Dabei war in den 1920er Jahren von Ludwig Landmann und den Architekten des Stadtrats Ernst May (1886–1970) die Umgestaltung von Frankfurt durchaus gelungen. Den 18. 000 Wohnungsnotfällen war tatkräftig entgegengewirkt worden, was zunächst einmal eine linksliberale Politik möglich gemacht hatte. Darüberhinaus sollte Frankfurt ob des höchst selbstbewussten Ernst May aber sozial, baulich und kulturell zur exemplarischen Vorzeigegroßstadt der Moderne geplant werden. Dazu zählte auch die Frankfurter Messe, ein Flugplatz und die für die Region ausgelegte Großmarkthalle des Architekten Martin Elsaesser (1884-1957), um nur einige planerische Glanzpunkte herauszugreifen.
Mit dem Neuen Frankfurt war Mitte der 1920er Jahre eine Stimmung des permanenten Aufbruchs verbunden. 1925 wurde auf dieser Grundlage in Frankfurt ein auf zehn Jahre berechnetes Programm für den Bau von 10.000 Wohnungen mit kontrollierten Mieten verabschiedet, so dass bis 1931 mehr als 10.500 Wohneinheiten in Plattenbauweise gebaut werden konnten. Die Geschwindigkeit, mit der das Programm realisiert und bis 1932 auf 12.000 Wohneinheiten aufgestockt wurde, sorgte für Aufsehen und galt weit über die Grenzen der Stadt hinaus als Vorbild. Nachdem dann die Weltwirtschaftskrise aber die Bautätigkeit versiegen ließ, brachte das NS-Regime dem Neuen Frankfurt das definitive Aus. May und nicht wenige Mitarbeiter:innen seines Teams waren schon 1930 ausgeschieden, um einen großen Planungsauftrag in der Sowjetunion anzunehmen. Die Ausdehnung der kompakten Stadt mit Siedlungsbauten „auf der grünen Wiese“ war damit vorerst einmal gestoppt worden.

Blick auf das Architekturmodell von „Zickzackhausen“, Foto: Petra Kammann
Geschickt hatte Stadtbaurat Ernst May das Programm des „Neuen Frankfurt“ als Hebel für eine Wende im Städtebau, in der Architektur und im schlichten Design in Bewegung gesetzt, unterstützt durch die international verbreitete und von Grafikdesigner Hans Leistikow (1892 bis 1962) gestaltete Montaszeitschrift „Das Neue Frankfurt“, so dass Frankfurts Hochbauamt in einer kurzen Zeitspanne zu einer „Hochburg der Avantgarde“ des Neuen Bauens avancierte.
Das zog nicht nur Architekten und Architektinnen aus dem Ausland in die Mainmetropole – nicht zuletzt die Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000), die als Erfinderin der sogenannten „Frankfurter Küche“ der kurzen Wege und durchdachten Abläufe für die Bauten und Kleinwohnungen gilt, bis heute ein Vorbild für die effektive Einbauküche auf kleinstem Raum. Auch der 2. Internationale Kongress für Moderne Architektur (CIAM) 1929 fand nicht etwa in Berlin oder am Bauhaus in Dessau statt, sondern in Frankfurt am Main.
Ansonsten hätten die Bauten zwar Luft, Licht und Sonne im Blick gehabt, so Voigt, weniger jedoch die Arbeiter und echte urbane Konzepte, dafür vielmehr den viel gepriesenen „Neuen Menschen“, der sich vor allem im Grünen, im Bewirtschaften von Kleingärten in den Siedlungen entfalten können sollte, anders jedenfalls als im „roten Wien“ oder in der von Wasser umgebenen sozialdemokratisch geprägten Hansestadt Hamburg, die einen stärkeren Blick auf die sozialen und geographischen Realitäten hatte.
Die Monatszeitschrift unterstützte und verbreitete die Ideen vom Neuen Frankfurt, Foto: Petra Kammann
Großstädte wie Hamburg und Wien entwickelten innerhalb weniger Jahre ihre eigenen Programme und Architekturen, die sich jedoch erheblich voneinander unterscheiden. Anders als in den dichtbebauten Stadtzentren von Wien oder Hamburg wurde in Frankfurt der urbane Raum der begrenzten Innenstadt durch „Trabanten“, „Grüngürtel“ und „Siedlung“ erweitert und neu geordnet, wovon heute noch die Siedlungen Praunheim, Bornheimer Hang, Römerstadt und Westhausen sowie die Hellerhofsiedlung und Zickzackhausen (Siedlung Bruchfeldstraße) zeugen. Da sie eben nicht im Stadtzentrum lagen, das im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde, sind sie größtenteils sogar bis heute erhalten geblieben, wurden jedoch in der Nachkriegszeit von der Stadtpolitik nicht so gewürdigt wie die Bauhausbauten oder die neuen Bauanlagen aus Wien, auf die die Stadt ausgesprochen stolz war, ihnen sogar ein eigenes Museum widmete.
Der gebürtige Hamburger Voigt, der sich seit vielen Jahren mit der Effektivität des sozialen Wohnungsbaus, vor allem mit dem Massenwohnungsbau, beschäftigt hat, wirft somit einen neuen Blick auf das „Neue Frankfurt“ und der damit verbundenen Aufbruchsstimmung jener Jahre, die nicht allein auf die Architektur begrenzt gewesen sei, sondern zu einem neuen Gesamtkonzept geführt habe. Einerseits hätten dort die profilierten individuellen Architekten im Vordergrund gestanden, andererseits die ideologische Utopie vom „Neuen Menschen“, den man durch die neuen Gebäude und Wohnung im Grünen zu einem anderen, einen besseren Menschen, umerziehen könne.

Winarskyhof, Wien, Architekt Peter Behrens 1924-25, Fotograf Martin Gerlach© Wiener Stadt- und Landesarchiv, Wien
Und im Gegensatz dazu habe der „Neue Mensch“ weder in Wien noch in Hamburg die Stadtverwaltungen interessiert. Hier mussten erst einmal Grundlagen geschaffen werden. Während Frankfurt „Trabanten“ im sogenannten Grüngürtel entwickeln konnte, musste in Wien im Stadtzentrum gebaut, aufgestockt und umstrukturiert werden. Da sei neben der sehr viel größeren Armut und Not der Arbeiterschaft als in Frankfurt auch die städtebauliche Herausforderung gewaltig gewesen. Und so wurde das Vorgehen politisch gewissermaßen mit einer Stimme der sozialdemokratischen Regierung entschieden. Architekten waren hier nicht so wichtig und wurden selten genannt, stadessen: „Erbaut von der Gemeinde Wien in den Jahren zwischen 1924 und 1925 „. Solche Aufschriften wurden zentral an den Bauten angebracht wie zum Beispiel am Wynarskyhof. Und an den Dokumentationsfotografien lässt sich ablesen, dass gegenüber der reinen Architektur die dort lebenden Menschen eine gewichtigere Rolle spielten.

Voigt verweist auf die Werbestrategie des „Roten Wien“, Foto: Petra Kammann
Im rot regierten Wien wurde ein starker Fokus auf die 4- bis 5-geschossigen innerstädtischen sozialen Wohnanlagen mit typischer Blockrandbebauung gelegt. Da nimmt natürlich der 1050 meterlange Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk eine herausragende Stelle ein. In dem gigantischen Bau haben 1382 Wohnungen für rund 5000 Bewohner Platz gefunden, weswegen er als einer der bekanntesten Gemeindebauten Wiens gilt, der als Vorzeigeprojekt des kommunalen Wohnundsbaus in den 1980er Jahren entsprechend generalsaniert wurde. Die rund ein Kilometer lange Gebäudefront wird lediglich im Bereich des Mitteltrakts unterbrochen, der durch vier bogenförmige Durchfahrten zu zwei Innenhöfen gegliedert ist und einen 10.480 m2 großen Park umschließt.

Blick in der Ausstellung auf die Zeichnung und das Modell vom Karl-Marx-Hof, Foto: Petra Kammann
Im Vergleich zu Frankfurt wurden in Wien zwischen 1924 und 1933 insgesamt um die sage und schreibe 65.000 Wohnungen fertiggestellt. Eine ungeheuere Leistung, da zuvor 95 % aller Wohnungen damals noch ohne fließendes Wasser waren und 92 % nicht einmal über ein WC verfügten, so dass diese Art des sozialdemokratischen Wohnungsbaus natürlich ein riesiger Fortschritt war. Die Wohnungen waren zwar klein und hatten noch kein Badezimmer, dafür aber erstmals fließendes Wasser, mehr Licht und teils sogar Balkone. Da vor allem auch die Lebensbedingungen der Arbeiterschaft verbessert werden sollten, erhielten diese Wohnanlagen dazu eine umfassende gemeinschaftliche Infrastruktur wie zum Beispiel Gemeinschaftswaschküchen, integrierte Kindergärten, Bibliotheken, Schulen, eine Krankenstelle mit Ambulatorium, eine Apotheke, eine Zahnklinik, Sportstätten und ein Theater.

Ausstellungsansicht Wohnstadt Hamburg, Foto: Günzel/Rademacher, © Museum Angewandte Kunst
Anders wiederum verhält es sich in der einstigen Hansestadt Hamburg, wo der hier aufgewachsene Voigt sich bestens auskennt. Im Unterschied zur preußischen Großstadt Frankfurt stellte Hamburg einen Stadtstadt im Deutschen Reich dar. Hier wurde das Stadtbild von 1909 bis 1933 vor allem von Oberbaudirektor Fritz Schumacher (1869 -1947) in zwei Abschnitten geprägt – unterbrochen durch den Ersten Weltkrieg – vor allem dann ab 1924. Denn in der von Handel, Hafen und Kolonialismus durchdrungenen Stadtpolitik bis zum Ersten Weltkrieg hieß es zu Kriegsende, sich jetzt vor allem auf die Nöte der zuvor benachteiligten Mehrheit der Bevölkerung und deren Wohnungsnot einzulassen, was logistisch in der von Wasserwegen durchzogenen Hafenstadt nicht gerade einfach war, zumal die Millionenstadt dem begrenzten Platz kaum Spielraum für eine Stadterweiterung nach Westen und Osten bot. Aufs Land konnte sie sich nicht ausdehnen.

Reformierter Plan von Fritz Schumacher für Hamburg, Foto: Petra Kammann
Daneben verfolgte Schumacher die Idee, die bestehende Stadt mit neuen Quartieren als Wohnstadt zu entwickeln und damit als Stadt zu einem urbanen Gesamtkunstwerk zu machen. „Ich fühle mich durch … innere Pflicht und des lebendigen [Thuns] mit dieser Stadt [nämlich Hamburg, ] verbunden … Mein Ziel des Gestaltens geht über das einzelner Bauwerke hinaus. Es sind die großen Zusammenhänge, die ich vor allem für gestaltungswürdig und gestaltungsbedürftig halte“, so sein Credo. Ästhetisch gelang es ihm auch, indem er eine moderne Bautradition entwickelte und neue Akzente setzte, weil er die Bauten regionaltypisch mit viel Backstein verkleidete.

Laubenganghauses Heidorn in Hamburg, Dachterrasse, Architekten Paul u. Hermann Frank 1926-27 Fotograf unbekannt, Quelle: Hamburg und seine Bauten mit Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg 1918-1929, Hamburg 1929
Solche Gestaltungselemente findet man an etlichen Schulen und Museen in Hamburg vor, ebenso wie in den Arbeitersiedlungen, wie man sie noch heute in der denkmalgeschützten Fritz-Schumacher-Siedlung in Langenhorn sehen kann. Beim Übergang vom gründerzeitlichen zum modernen Städtebau schuf er für seine Hamburger Bauten im Baustil eine gelungene Verbindung von Tradition und Moderne. Durch zusätzliche Elemente wie durch den dunkelrot gebrannten Backstein und Klinker und die weißen Fensterrahmen erhielt die Wohnstadt ein einheitliches Stadtgesicht, das uns bis heute als so typisch hamburgisch erscheinen lässt wie etwa das Finanzgebäude am Gänsemarkt, dessen Bau bereits 1914 begonnen worden war und zunächst wegen fehlender finanzieller Mittel nicht fertiggestellt werden konnte.

Voigt bei der Erläuterung des Hamburger Stadtparks, Foto: Petra Kammann
Zur ,Tradition‘ zählte für Schumacher ebenfalls die sinnvolle Planung des Hamburger Stadtparks für alle. Selbst für das Planetarium, das sich in einem ehemaligen Wasserturm befindet, zeichnete er verantwortlich. Und immer wieder sind es auch in der Wasserstadt Hamburg die Brücken, die Schumacher zur Überbrückung der Wasseradern, die die Stadt durchziehen, schuf. Ist es Schumachers durchgängiger urbaner Gestaltungswille, der dafür sorgte, dass nicht nur Hamburger, von der „schönsten Stadt der Welt“, in der sie leben, sprechen, sondern auch viele Touristen, die sich vom regnerischen Norden nicht abschrecken lassen?
Wie auch immer: Ein Städtevergleich wie in dieser Schau ist auf jeden Fall inspirierend für die Weiterentwicklung unserer heutigen Städte, vor deren Umstrukturierung wir gerade stehen. Dabei sollten die jeweiligen geographischen und politischen Unterschiede und Bedingungen vorher genauestens analysiert werden. Konsequente ästhetische Gestaltungsprinzipien jedenfalls geben sowohl den Einwohnern als auch Reisenden Orientierung und Halt.
Zusatzinfos:
Aufbruch zur modernen Stadt: 1925–1933: Frankfurt, Wien und Hamburg
Drei Modelle im Vergleich
30. Oktober 2025 – 25. Januar 2026
Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main
Begleitprogramm
Öffentliche Führungen in der Ausstellung mit dem Kurator Dr.-Ing. Wolfgang Voigt
Mi, 5. November 2025, 18.30 Uhr
Mi, 3. Dezember 2025, 18.30 Uhr
Mi, 14. Januar 2026, 18.30 Uhr
Öffentliche Führungen in der Ausstellung
Mi, 26. November 2025, 18.30 Uhr
So, 7. Dezember 2025, 15 Uhr
So, 21. Dezember 2025, 15 Uhr
So, 25. Januar 2026, 15 Uhr
Podiumsdiskussion
Sa, 17. Januar 2026, 15–18 Uhr
Wohnstadt Hamburg, Rotes Wien, Neues Frankfurt – Was sagt uns der Vergleich?
Mit Dr. Inge Podbrecky (Wien): „Politik, Ideologie und Architektur in Wien 1919-1934“, Prof. Dr. Dirk Schubert (Hamburg): „Das „Neue Hamburg“ – Wohn- und Siedlungsbau der 1920er Jahre“ und Dr.-Ing. Wolfgang Voigt (Kurator der Ausstellung, Frankfurt): „Im Kontext gesehen: Städtebau und Massenwohnungsbau des Neuen Frankfurt“
Im Architekturmuseum (DAM) läuft noch bis 2. November „Stadt Bauen Heute?“ und das Historische Museum Frankfurt zeigt bis zum 1. Februar „Alle Tage Wohnungsfrage“.

