home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wies’n und Theater in München: Ödon von Horvaths „Kasimir und Karoline“

Scheitern, aufstehen, wieder scheitern…

Von Walter H. Krämer

In diesen Tagen dreht sich die Bühne täglich mit den unterschiedlichsten Veranstaltungen vor und während der Frankfurter Buchmesse (15 – 19 10.2025). Und was wird im Süden des Landes gespielt? Das interessierte unseren Theateraficiaonado Walter H. Krämer, der das dramatische Geschehen in Frankfurt und anderswo beobachtet. Zuletzt die Inszenierung von Ödon von Horvaths Volksstück „Kasimir und Karoline“ am Münchener Residenztheater. Da schlägt er nachdenkliche Töne an. Welche Mittel sind geeignet, um Spannung in einem zeitgenössischen Theater zu erzeugen?

Anna Drexler, Thomas Lettow, Robert Dölle, Simon Tagermann, Juliane Köhler © Matthias Horn

Wie beginnt man die Besprechung einer Inszenierung, die ein Gefühl von Langeweile hinterlassen hat? Bei der man das Gefühl hatte, in einem Theatermuseum gelandet zu sein? Dabei wollte man doch einen lebendigen und nachhaltigen Theaterabend erleben! Bei der man keinen Bezug zur Gegenwart erkennen konnte? Während draußen Drohnen den Münchner Flughafen lahmlegen, begeisterte man sich drinnen immer noch am Zeppelin.

Man sollte die Schauspieler*innen auf jeden Fall loben, denn sie führen oft nur die Ideen der Regisseur*innen aus. Das Bühnenbild von Martin Zehetgruber erwähnen mit seinen drei übergroßen Maßkrügen – eine Werbefläche für die Biersorte einer Münchner Brauerei, die – ganz nebenbei  – bei der Produktion als Sponsor genannt ist. Man sollte die Regisseurin (Barbara Frey) erwähnen, die eine Altmeisterin ist und doch bei „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horvath am Münchner Residenztheater keinen packenden Zugriff findet. Texttreue und getreu nach den Anweisungen des Autors zu inszenieren, schafft noch keine gelungene Inszenierung. Im Gegenteil, es wurde ein mühsamer langer Theaterabend obwohl er nur 90 Minuten dauerte.

Das Volksstück „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth ist eine sozialkritische Parabel über Liebe, gesellschaftlichen Aufstieg und den Abstieg angesichts der wirtschaftlichen Not der 1930er-Jahre und handelt von dem arbeitslosen Chauffeur Kasimir (Simon Zagermann) und seiner Verlobten Karoline (Anna Drexler), die während der Weltwirtschaftskrise zusammen auf das Münchner Oktoberfest gehen. Das Oktoberfest mit seinen Fahrgeschäften, Ringelspielen, und Bierzelten, ist auch zur Zeit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre ein Ort des Amüsements und der willkommenen Ablenkung.

Im Milieu des Kleinbürgers, der – so der österreichische Schriftsteller Franz Werfel„von Horváth weniger als Angehöriger einer Klasse als der dem Geiste widerstrebende, der schlechthin verstockte Mensch geschildert wird“, sucht man mit fortschreitender Stunde Trost in Alkoholexzessen und blickt in zwischenmenschliche Abgründe.

Karoline lernt den Herrn Schürzinger (Thomas Lettow) kennen, der ihr eine höhere soziale Stellung verspricht. Später trifft sie auch noch auf Rauch (Oliver Stokowsk), der ebenfalls Interesse an ihr zeigt.

Dieser hat sich gerade mit seinem Freund und Saufkumpan Speer (Robert Dölle) zerstritten. Trunken geht die Welt zugrunde – besonders für die langjährige Freundschaft zwischen Rauch und Speer. Die beiden spielen das slapstickartig und erinnerten mich stark an das britisch-amerikanisches Komikerduo Laurel und Hardy.

Und man begegnet noch dem Kleinkriminellen Franz (Max Rothbart) und seiner Erna (Juliane Köhler).

Nach einem erneuten Streit verlässt Karoline Kasimir endgültig, da sie erkennt, dass sie durch ihn nicht den erhofften gesellschaftlichen Aufstieg erreichen kann und sie träumt davon, durch eine neue Beziehung ihren sozialen Status zu verbessern – was letztlich aber zum Scheitern verurteilt ist.

Thomas Lettow, Anna Drexler, Evelyne Gugolz, Niklas Mitteregger © Matthias Horn

O‘zapft war auch im Jahr 2025 und es zog Millionen Menschen auf die Wies’n. Ein himmlisches Vergnügen für die Bierseligen und ein Ort zum Sehen und Gesehenwerden. Manch eine Tragödie mag sich im Verlauf der Festlichkeiten hier abgespielt haben, aber keiner hat sie notiert und da kommt man leicht auf die Idee, den Ödön von Horvath und sein Volksstück „Kasimir und Karoline“, uraufgeführt im November 1932, aus der Schublade zu ziehen.

Zweimal musste die Festwiese 2025 wegen Überfüllung geschlossen werden und einmal sogar wegen Bombendrohungen fast einen ganzen Tag gesperrt werden. Und der Münchener Flughafen stellte seinen Flugbetrieb in diesen Tagen mehrmals wegen herumschwirrender Drohnen ein.

Mit dem Oktoberfest im eigentlichen Sinne hat „Kasimir und Karoline“ bei Horvath nichts zu tun. Es dient als Sehnsuchtsort für die Wünsche der Karoline nach Vergnügen und dem Streben nach Höherem.

Als Kasimir – gerade arbeitslos geworden – ihre Lust auf eine Achterbahnfahrt nicht verstehen will und auch ihre Begeisterung für den über die Wies‘n fliegenden Zeppelin nicht teilen kann, stellt sie erstmals fest, dass Kasimir nicht wirklich zu ihr passt. Sie verfällt den Verführungen von Schürzinger und später dem Geheimrat Rauch, um zu guter Letzt festzustellen, dass Männer egoistisch sind und immer nur das eine wollen. Da bleibt sie lieber alleine und dennoch beschwingt zurück.

Zumindest spielt das Anna Drexler so und ist damit die einzig wirklich positive Figur auf der Bühne. Wie sie mittels der Drehbühne sich laufend fortbewegt, fort von all den Gestalten, die ihre Hoffnungen doch nicht erfüllen können, ist ein großartiges Bild und zeigt Karoline nicht mehr als Opfer, sondern als Gestalterin eines eigens Lebens. Scheitern, aufstehen, wieder scheitern …  oder doch gefangen im ewigen Kreislauf der Drehbühne…

Anna Drexler spielt die Karoline als einerseits naive, anderseits aber auch durchtriebene und selbstbewusste Frau. Um drei Riesenbierkrüge – zwei stehend wie Kirchtürme, einer schon umgefallen, weil ausgetrunken, sind rundherum Stühle aufgestellt und alles dreht sich bei Bedarf wie ein Karussell. So lässt es sich gut davon- und hinterherlaufen.

Der Franzl als Kleinganove und Frauenschläger mit markigen Sprüchen kommt endlich verdient hinter Schloss und Riegel und seine Erna nimmt zaghaft Kontakt auf mit dem jetzt wieder Single gewordenen Kasimir auf. Die Liebe dauert eben oder dauert nicht.

Dass Juliane Köhler in ihrer Rolle als Erna selbstbewusst behauptet, sie sei erst zwanzig Jahr, nimmt man augenzwinkernd und wohlwollend zur Kenntnis.

Kasimir ein Tick zu wehleidig und ichbezogen, der Geheimrat Rauch ein Sprücheklopfer und Ausbeuter, der nicht hält, was er verspricht – weder seinem Angestellten Schürzinger noch der Karoline.

Insgesamt trotz Oktoberfest, Wies‘n und München Bezug kein erhellender und schon gar kein notwendiger Theaterabend – wenn da nicht die Darstellung der Karoline durch Anna Drexler wäre – frisch vergnügt und voller Optimismus läuft sie neuen Irrtümern entgegen.

Inszenierung: Barbara Frey

Bühne: Martin Zehetgruber

Mitarbeit: Bühne Stephanie Wagner

Kostüme: Esther Geremus

Musik: Barbara Frey,  Josh Sneesby

Licht: Gerrit Jurda

Dramaturgie: Constanze Kargl

Nächste Vorstellungen im Residenztheater

Max-Joseph-Platz 1, 80539 München

am 1. + 4. + 6. + 12. November 2025

https://www.residenztheater.de/stuecke/detail/kasimir-und-karoline

Comments are closed.