„Vordemberge-Gildewart-Stipendium 4.0“ und „KörperGeometrie“ in Wiesbaden
Zwei außergewöhnliche Ausstellungen im Museum Wiesbaden
Von Hans-Bernd Heier
Seit 1983 vergibt die in der Schweiz angesiedelte Stiftung Vordemberge-Gildewart gemeinsam mit einem europäischen Ausstellungshaus ein hoch dotiertes Stipendium an Kunstschaffende bis zu 35 Jahren aus der jeweiligen Region. Die zu diesem Anlass kuratierte Gruppenausstellung „Stipendium 4.0“ bildet die Grundlage für die diesjährige Auswahl durch eine unabhängige internationale Jury. Das Museum Wiesbaden ist bereits zum vierten Mal der Ort, an dem eines der weltweit bedeutendsten Stipendien für Nachwuchskünstler:innen vergeben wird. Der Preis geht zurück auf eine Initiative von Ilse Leda, der Ehefrau von Friedrich Vordemberge-Gildewart. Ihre Persönlichkeit wird in der begleitenden Kabinettausstellung „KörperGeometrie“ vorgestellt.

Ausstellungsansicht mit „BOTULINUMTOXIN“ von Sonja Yakovleva und Display von Klara Schnieber; Foto: Christoph Boeckheler
Das Landesmuseum Wiesbaden präsentiert noch bis zum 30. November 2025 Exponate der jungen europäischen Kunstszene in der Gruppenausstellung „Vordemberge-Gildewart-Stipendium 4.0“. Zu sehen sind Arbeiten der zeitgenössischen Malerei, Bildhauerei, Zeichen-, Foto-, Video- und Installationskunst junger Künstlerinnen und Künstler. Ihre Kunst setzt sich mit der Welt, mit Themen des Alltags oder dem Ausstellungsraum auseinander. Das Museum Wiesbaden ist damit nach den Jahren 1997 (Preis an: Katja M. Schneider *1966), 2004 (Angela Glajcar *1970) und 2012 (Ankabuta Seuk *1980) bereits zum vierten Mal der Ort, an dem dieses finanzkräftige Stipendium an junge Kunstschaffende vergeben wird.
„Mit großer Vorfreude hat das Team des Museums Wiesbaden im vorvergangenen Jahr den Auftrag der Stiftung Vordemberge-Gildewart entgegengenommen, für die diesjährige Vergabe des Förderstipendiums den entsprechenden Rahmen zu bieten“, betont der Kurator und Kustos für Moderne und Zeitgenössische Kunst Dr. Jörg Daur.

Ausstellungsansicht mit „Glory“ und Gemälde „Darlings Between Fires (Scarred Ear)“ von Augustine Paredes; Foto: Christoph Boeckheler
Jedes Jahr tagt die Jury an einem anderen Ort. Dabei wird jeweils aus der Umgebung des Jury-Ortes, den nahegelegenen Akademien und Kunsthochschulen die Preisträgerin bzw. der Preisträger ermittelt. Die Wahl der Materialien, Themen und Medien ist frei, sodass junge Kunstproduktion in allen Facetten vorgestellt werden kann. „Das Besondere der Vorbereitung der Juryauswahl liegt“ laut Daur “in der Präsenz der einzelnen Arbeiten. Es werden keine Mappen begutachtet und keine Arbeitsproben gesichtet. Vielmehr werden originale Arbeiten zur Bewertung herangezogen. Mit der Konsequenz, dass als Nebeneffekt der Jurysitzung eine Ausstellung entsteht, die einen guten Einblick in die einzelnen Positionen ermöglicht.“
Jury kürt Augustine Paredes zum Gewinner des Vordemberge-Gildewart-Stipendiums 2025
In diesem Jahr erhält Augustine Paredes mit dem Objekt „Glory“ und der vierteiligen Gemäldeserie „Darlings Between Fires“ das mit 60.000 Schweizer Franken dotierte Förderstipendium. Er wurde unter 14 Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt. Dazu Deborah Keller, Kunsthistorikerin und Jurymitglied: „Das Objekt und die vier Gemälde, die Augustine Paredes in der Stipendienausstellung zeigt, sind geprägt durch eine zarte Farbigkeit und eine leise visuelle Sprache. Gerade dadurch haben sie die Jurymitglieder unmittelbar angesprochen. Hergestellt in mehreren Schichten, mit Ananasgewebe und Spitzendecken, vertreten die Bilder eine sehr eigenständige Ästhetik, in welcher Form und Inhalt auf überzeugende Weise korrelieren: Denn auch ,Ge-schichte‘ ist ein Konstrukt aus mehreren, sich überlagernden Ebenen, wobei die Historiographie allzu oft eine Reduktion auf eine bestimmte Perspektive vornimmt. Dem arbeitet Paredes bestimmt, aber feinsinnig entgegen“.

Augustine Paredes, 2025; Foto: Christoph Boeckheler
Augustine Paredes, ist ein multidisziplinärer Künstler, der sich mit der Frage beschäftigt, was es bedeutet, vor dem Hintergrund von Migration, Identität und Sehnsucht zu begehren. Seine erweiterte fotografische Praxis dreht sich um die Frage nach der postkolonialen Identität eines Filipinos in der Diaspora. Seine Arbeiten waren bereits in einigen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen.
Das bewegte Leben von Ilse Leda und Friedrich Vordemberge-Gildewart
Die begleitende Kabinettausstellung „KörperGeometrie“ beleuchtet die Geschichte einer großen Liebe zweier künstlerisch eng verbundener Menschen: Ilse Leda (1906—1981) und Friedrich Vordemberge-Gildewart (1899—1962). Der konstruktiv arbeitende Maler und die jüdische Tänzerin, Tanzpädagogin und Choreografin lernten sich um 1925 im dadaistisch geprägten Hannover kennen, als die internationale Avantgarde der konstruktiven, ungegenständlichen Abstraktionen – und mit ihr neue Formen der Fotografie, des Films und des Tanzes – dort Station machten. Beide waren tief beeindruckt von der großen Utopie einer durch klare Gestaltung und Schönheit verbesserten Welt. „Sie nahmen diese Prinzipien für sich an, auch als Ausdruck ihres Denkens und Arbeitens… Einfühlsame Texte und eindrucksvolle zeitgenössische Fotografien zeichnen ein respektvolles Miteinander zweier Künstler auf Augenhöhe, die sich gegenseitig unterstützen und inspirierten“, so die Kuratoren Dr. Roman Zieglgänsberger und Valerie Ucke.
Während ihre Karriere als Jüdin aufgrund des Nationalsozialismus 1937 abriss, konnte Vordemberge-Gildewart, dessen Arbeiten in Deutschland als „entartet“ diffamiert wurden, verborgen im niederländischen Exil weiterarbeiten. Die Kabinettausstellung thematisiert erstmals die Zusammenarbeit von Friedrich Vordemberge-Gildewart mit seiner Frau Ilse Leda. Ein besonderer wissenschaftlicher Fokus liegt auf dem choreographischen Werk Ilse Ledas. Bei der Sichtung der Dokumente zeigte sich, „dass Ledas Einfluss auf seine Werke größer war, als bisher angenommen“, betont Zieglgänsberger. Die beeindruckende Schau spiegelt eindrücklich dieses Bild einer großen Liebe, die alle Brüche dieser Zeit überdauert hat.

Ilse Leda, fotografiert von Hugo Erfurth, anlässlich ihrer Heirat 1932 mit Friedrich Vordemberge-Gildewart; © Museum Wiesbaden, Archiv Vordemberge-Gildewart
Vordemberge-Gildewart, geboren 1899 in Osnabrück und verstorben 1962 in Ulm, war stets interessiert an Neuem, an jungen Entwicklungen auf dem Gebiet der bildenden, zugleich auch der angewandten Kunst. Wie selbstverständlich gehörte für ihn und Ilse Leda die Kunst zum Leben, ganz selbstverständlich aber wussten beide auch, dass sich von ihr allein nicht so einfach leben lässt. Jungen Künstlerinnen und Künstlern hier ein wenig unter die Arme zu greifen ist ein lohnendes Unterfangen. Diesem Ziel hat sich die Stiftung Vordemberge-Gildewart verschrieben.

Friedrich Vordemberge-Gildewart, „K 116“, 1940; © Museum Wiesbaden, Archiv Vordemberge-Gildewart; Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert
Das Museum Wiesbaden hat schon lange eine starke Verbindung zur Stiftung Vordemberge-Gildewart, da das Museum den Künstlernachlass von Friedrich Vordemberge-Gildewart beherbergt und verwaltet. Im Jahr 1997 kam dieser als Schenkung ins Landesmuseum. Seither spielen der Künstler und sein Werk eine zentrale Rolle für die Sammlung und das Ausstellungsprogramm des Museums, in unterschiedlichen Präsentationen des Gesamtwerks des Malers, Zeichners, Typographen, Gestalters und Innenarchitekten.
Die beeindruckende Kabinettausstellung „KörperGeometrie Ilse Leda und Friedrich Vordemberge-Gildewart“ ist bis zum 8. Februar 2026 zu sehen. Sie wurde unterstützt durch die Vordemberge Gildewart Stiftung und die Freunde des Museums Wiesbaden e.V.
Bis zum 26. April 2026 ist auch noch die hervorragende Schau „Feininger, Münter, Modersohn-Becker … Oder wie Kunst ins Museum kommt“ ist zu bewundern; s. Bericht vom 11. September in FeuilletonFrankfurt.
