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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Isabelle Borges: „Woven Fields“ in der Frankfurter Galerie Heike Strelow

Verwobene und pulsierende Zwischenräume

Von Erhard Metz

Es ist wieder einmal eine Ausstellung in der Frankfurter Galerie Heike Strelow, die uns besonders inspiriert und aufmerken lässt: Malerei der in Brasilien geborenen, in Berlin lebenden Künstlerin Isabelle Borges; eine Palette voll betörender, gleichwohl mit Kalkül und Geschick gesetzter Farben, gebändigt durch stringent gezogene, Räume weitende wie begrenzende, meist schnurgerade Linien; ein eigenartiger, faszinierender Kontrast zwischen sich üppig präsentierendem Floralem, Vegetativem und dem strengen Eingriff Ordnung gebietender Disziplin, einschreitendem Gestaltungswillens.

Isabelle Borges in der Vernissage vor ihrer Arbeit LOOPS, 2025, Acryl auf Leinen, 210 x 130 cm; Foto: Erhard Metz

Man möge uns unsere erste Assoziation beim Anblick dieser Arbeit nachsehen, aber wer dächte bei Betrachtung von „LOOPS“ nicht auch an das frühherbstlich gefärbte Blatt des Ginkgobaums; und von dort wiederum bietet sich ein Exkurs zu Johann Wolfgang Goethes Ginkgo biloba an:

Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Giebt geheimen Sinn zu kosten,
Wie ‘s den Wissenden erbaut.

Ist es Ein lebendig Wesen
Das sich in sich selbst getrennt,
Sind es zwey die sich erlesen,
Dass man sie als eines kennt.

Solche Frage zu erwiedern
Fand ich wohl den rechten Sinn;
Fühlst du nicht an meinen Liedern
Dass ich Eins und doppelt bin?

Das Blatt wächst so, wie es ihm die schöpferische Natur einräumt. In amourösem Kontext erhebt der Dichter es zur Metapher gedanklicher Liebesbeziehungen – „eins und doppelt“ (er schickte die Verse, die vermutlich für Marianne von Willemer bestimmt waren, an deren – auch Goethe selbst vertrauten – Stieftochter Rosette, geb. von Willemer). Die forschende, analysierende Gestaltungsmacht der Künstlerin wiederum durchzieht es mit Struktur gebenden Linien und Koordinaten. „Eins und doppelt“: vielleicht auch hier im übertragenen Sinn als Dualismus von malendem Nachempfinden der lebendig sich entfaltenden Natur und deren Formung, ja Kategorisierung durch die Künstlerin.

Die Kunstwissenschaftlerin und Galeristin Heike Strelow schreibt: Die Künstlerin verbindet in ihrer Malerei Geometrie, Struktur und Naturbeobachtung zu einem komplexen visuellen Gewebe. Im Mittelpunkt ihres Interesse steht die Geometrie der Zwischenräume – jener Leerräume, die sich zwischen Dingen auftun und in denen sich Dynamik, Spannung und Offenheit entfalten. Linien, Raster und Farbflächen pulsieren, verschieben sich, erzeugen Tiefe und Reibung – mal meditativ, mal vibrierend.

Isabelle Borges, 2025, ROY, Acryl auf Leinen, 100 x 70 cm; Foto © die Künstlerin und Galerie Heike Strelow

Auch bei der obigen und den nächsten zwei Arbeiten sehen wir, in stärker abstrahierender Formgebung, durchaus vegetative Gebilde, diesmal umfangen von runden, weichen Linien, dann aber wieder durchzogen von kontrastierenden Geraden, die den körperlich anmutenden Komplex – mag er Assoziationen an reifende Früchte, an innere Organe erlauben – unerbittlich beschneiden beziehungsweise zweiteilen und aufspalten. Einen sinnlichen Ruhepunkt bilden auch hier – wie bei den allermeisten Exponaten in der hervorragend gehängten Ausstellung – die malerisch in all ihren Verläufen und Schattierungen virtuos gehandhabten Farben.

Isabelle Borges, 2025, Mutante, Acryl auf Leinen, 100 x 75 cm (li.); 2025, O.T. (Green), Acryl auf Leinen, 40 x 30 cm (re.); Fotos © die Künstlerin und Galerie Heike Strelow

„In dieser aktuellen Werkreihe“, so die Galeristin, „treten verstärkt große Farbflächen, kräftige Farben und subtile Farbverläufe in den Vordergrund. Die Flächen leuchten, pulsieren, verschieben sich zueinander – sie erzeugen Tiefe, aber auch Reibung, mal kontemplativ, mal vibrierend. Die Farbverläufe schaffen Übergänge zwischen Klarheit und Unschärfe, zwischen Konstruktion und Auflösung. Borges nutzt Farbe nicht nur als Gestaltungsmittel, sondern als Träger von Bewegung und Atmosphäre, als ein lebendiges Element innerhalb ihrer strukturellen Kompositionen. Borges steht in einer vielschichtigen Tradition der abstrakten Kunst.“

Selbst bizarrste Erscheinungen bringt die Natur hervor wie die sogenannte „Gottesanbeterin“ mit ihren staksigen Schreit- und Fangbeinen aus der Familie der Fangschrecken. Hat die eigenartige, in ihren meisten Erscheinungsformen grün gefärbte Kreatur die Künstlerin zu ihrer nachfolgend abgebildeten, auf den ersten Blick ja der Abstraktion verpflichtet erscheinenden Arbeit inspiriert?

Isabelle Borges, 2025, Memories #2, Acryl auf Leinen, 70 x 55 cm; Foto © die Künstlerin und Galerie Heike Strelow

Immer wieder begegnen uns in Isabelle Borges Malerei Linien, Winkel, Bezugspunkte, die an geometrische, ja trigonometrisch anmutende Ordnungs- und Vermessungssysteme erinnern, wie sie zur Bestimmung etwa von Gebirgshöhen oder Seefahrtsrouten benötigt werden.

„In Ihrer Ausstellung ‚Woven Fields‘ präsentiert Isabelle Borges eine Serie von Arbeiten, in denen sich Malerei, Geometrie, Struktur und Naturbeobachtung zu einem komplexen visuellen Gewebe verbinden … Borges steht in einer kunsthistorischen Tradition der Abstraktion, die von der brasilianischen Neokonkreten Bewegung über die New York School bis hin zu europäischen Positionen der 1950er- und 1960er-Jahre reicht. Doch ihr Werk ist keine Fortführung im Sinne einer Schule, sondern eine freie Weiterentwicklung: Sie versteht Abstraktion nicht als Dogma, sondern als offenes Feld, in dem Konstruktion und Intuition, Ordnung und Empfindung in einen lebendigen Dialog treten“, schreibt die Galeristin. „So verweist Borges’ Kunst einerseits auf die klaren Strukturen der konstruktiven Moderne, andererseits auf deren Aufbrechen in Bewegung, Farbe und Wahrnehmungsexperimente. Mit ‚Woven Fields‘ verknüpft sie diese Einflüsse zu einer eigenständigen, zeitgenössischen Bildsprache, die bewusst zwischen Fläche und Raum, zwischen Malerei und Zeichnung oszilliert. Ihre Arbeiten laden zur kontemplativen Betrachtung ein – und zugleich zu einem aktiven, suchenden Sehen. Sie eröffnen Erfahrungsräume, die sich jenseits fester Kategorien bewegen: intensiv, klar, farbig, atmend“.

Zum Abschluß die wunderschöne Arbeit „Seed“, in der die dargelegten Betrachtungen eindrucksvoll zur Wahrnehmung gelangen:

Isabelle Borges, 2025, Seed, Acryl auf Leinen, 40 x 30 cm; Foto © die Künstlerin und Galerie Heike Strelow

Isabelle Borges, 1966 im brasilianischen Salvador geboren, studierte an der Universität von Brasilia und an der Escola de Artes Visuais do Parque Lage in Rio de Janeiro. 1993 übersiedelte sie nach Köln, wo sie beispielsweise im Kölner Atelier von Sigmar Polke oder von Prof. Christian Megert in Düsseldorf arbeitete.

Borges ist eine ungemein vielseitige Künstlerin; ihr Œuvre erstreckt sich neben der Malerei auf Papierarbeiten, Fotocollagen, Wandmalerei sowie Objekte. Die Zahl ihrer Einzel- und Gruppenausstellungen sowie Messebeteiligungen ist kaum mehr überschaubar.

Isabelle Borges: Woven Fields, Galerie Heike Strelow, bis 18. Oktober 2025

 

 

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