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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die exzellente Ausstellung „From Dawn Till Dusk“ Kunstmuseum Bonn

Bilder der Schatten

Von Simone Hamm

Ein Pelikan, ein Blumentopf mit einer Chrysantheme, ein Engel, ein goldener Oscar, Queen Elisabeth, ein Gartenzwerg. Auf mehreren Tapeziertischen drehen sich Nippesfigürchen aus Gips, Porzellan, Plastik auf Platten. Sie werfen lange Schatten auf die weiße Wand dahinter. Sie scheinen zu tanzen. Mit „Schattenspiel“ hat Hans-Peter Feldmann ein magisches Ballett, ein filigranes Schattentheater geschaffen. Denn nicht die Figuren sind wichtig, sondern einzig ihre Schatten.

Gerhard Richter, Fenster 1968, Kunstmuseum Bonn ©gerhard Richter 2025(15042025), Foto: Reni Hansen

Schatten sind flüchtig, verändern sich, verschwinden in der Dunkelheit. Seit Jahrhunderten haben sie  Philosophen, Schriftsteller und Künstler angeregt: in Platons Höhlengleichnis werden Schatten für die Realität gehalten, Adelbert von Chamissos Peter Schlemihl verkauft seinen Schatten, Bram Stokers Vampir Dracula hatte nie einen, bei Haruki Murakami führen die Schatten ein eigenes Leben. Der Lyriker Paul Celan kannte viele Schatten. Denkschatten, Flugschatten, Sprachschatten, Windschatten, Herzschatten, Lerchenschatten, Ringschatten, Schlagschatten, Wortschatten.

Auch bildende Künstler haben sich mit dem Phänomen des Schattens auseinandergesetzt: Das Kunstmuseum Bonn hat dem Schatten jetzt eine Ausstellung  gewidmet „From Dawn Till Dusk“ (Von der Abenddämmerung bis zur Morgenröte). Die Ausstellung will „ dass vom Existenziellen über das Bedrohliche bis zum Politischen reichende Spektrum der Schattenwelten“ aufzeigen. Ein großes Vorhaben.

Es ist die letzte Ausstellung, die der scheidende Intendanten Stephan Berg kuratiert, der das Museum 17 Jahre lang geleitet hat. Und sie ist grandios. Es ist eine Show, die auf spielerische Elemente setzt, bei der aber zugleich die philosophischen Aspekte nicht zu kurz kommen: der Schatten, der zum Körper gehört und doch immer auch zur Projektionsfläche wird.

Vadim Fishkin, Coffee and ink, 2012 Detail, Courtesey Gregor Dpdna, Vienna, Production : Association DUM / Ljubljana

In einer Welt, in der zunehmend alles schwarz / weiß gemalt wird und der Raum für Nuancen immer weiter abnimmt, könnte diese Ausstellung nicht aktueller sein.

In „Coffee and Ink“ von  Vadim Fishkin wird der Schatten eines  Tintenfasses zur kleine Kaffeetasse. Tinte und Kaffe sind beides dunkle Flüssigkeiten. Ursprünglich kommen sie aus Asien und Afrika. Will Fishkin auf die harten Bedingungen der Kaffeepflücker aufmerksam machen? Oder auf einen Schriftsteller, der eine Tasse Kaffee nach der anderen trinkt, um wach zu bleiben? Oder ist das Ganze einfach ein absurdes Spiel. Es ist das Wunderbare an dieser Ausstellung, dass sie keine Antworten gibt, sondern die  Besucher selbst assoziieren läßss.

In seinem Video „Shadow Play“ boxt Vito Acconci mit seinem eigenen Schatten. Er ist dunkel gekleidet, so dass man ihn auf den ersten Blick auch für einen Schatten halten könnte. Doch der Schatten ist größer, wirkt bedrohlich.  Verzweifelt kämpft der Künstler mit ihm, so als ob der Schatten nicht Teil seiner selbst, sondern ein Fremder wäre.

Auch das muskulöse männliche Model in Chanels Werbeplakat für das Parfum „Egoist“ versucht mit seinem Schatten zu kämpfen. Er steht vor einer weißen Wand, ein Parfümflakon fliegt durch die Luft.

Sophia Pompéry stellt eine brennende Kerze vor eine weiße Wand. Die Kerze ist das Symbol für Leben und Erleuchtung.

Im Schatten dieser Kerze ist der Docht erloschen. Kein Licht mehr, keine Erleuchtung. Sophie Pompéry antwortet in „Light Studie“ auf die Bildserie von Gerhard Richters Kerze. Bei Richter hingegen gibt es nur die brennende Kerze, keinen Schatten.

Gerhard Richter ist in „From Dawn Till Dusk“  mit einem anderen Werk zu sehen (s.o.). Das Fenster ist seit der Renaissance ein klassisches Motiv in der Malerei. Durch das Fenster öffnet sich der Blick auf die Welt, auf Landschaften, Orte, Personen. Wer durch Gerhard Richters Fenster schaut, sieht keine Außenwelt. Da ist nichts als der Schatten des Fensters zu sehen: das Kunstwerk und der Schatten des Kunstwerkes stehen für sich. Kunst, die sich mit nichts anderem als mit sich selbst beschäftigt.

Marlene Dumas„The Origin of the Painting (The Double Room)“ geht auf eine Geschichte von Plinius dem Älteren zurück. Dibutade, die Tochter des korinthischen Töpfers Butades, muss sich von ihrem Geliebten trennen. Sie will sein Abbild bei sich behalten und umrandet den Schatten, den er auf die Wand wirft.

Marlene Dumas, deren „Miss January“ gerade als teuerstes Werk einer lebenden Künstlerin versteigert worden ist, erzählt Plinius‘ Geschichte neu. Mit groben, kräftigen Pinselstrichen schafft sie  eine dunkle Frau, überlebensgroß. Die Frau malt aber nicht den Schatten ihres Geliebten, sondern ihren eigenen an die Wand. Der Schatten als Doppelgänger(in), die Frau als Schöpferin der Kunst.

Im Titel spielt Dumas auf Baudelaires Gedicht „

Baudelaires Gedicht „Das Doppelzimmer“ („La chambre double“) an, den doppelten Seinszustand von Phantasie und Realität.

„Shadow Procession“ heißt der Film ihres Landsmanns William Kentridge. Die aus schwarzem Tonpapier geschnitten und gerissenen Figuren, die über die Leinwand ziehen, sind Versehrte, Vertriebene, Gebeugte, Gebeutelte. Sie tragen Lampen, Räder, ganze Häuser. Angeführt wird dieser groteske Zug der Schattenmenschen vom tyrannischen Roi Ubu aus Alfred Jarrys gleichnamiger Satire. Dazu spielt der Johannesburger Straßenmusiker Alfred Makgalemele.

Kara Walkers „Testimony: Narrative of a Negress Burdened by Good Intentions“ erzählt die Geschichte der Sklaverei einmal anders. Die Afroamerikanerin kehrt in ihrem verstörenden, sexuell aufgeladenen Video, in dem schwarze Scherenschnitte und deren Schatten zu sehen sind, die Gewaltverhältnisse um. Der weiße Plantagenhalter wird brutal gelyncht.

„Denn die einen sind im Dunkeln Und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht“, heißt es in Bert Brechts Dreigroschenoper.

Das verdeutlicht das Video von David Claerbout, das auf den ersten Blick wie eine riesige Fotografie wirkt. Straßen auf Betonsäulen. Darunter ist fast alles verschattet, ja, ein Drittel des Bildes liegt im Schatten. Nur wer Geduld hat und das 36 Minuten dauernde Video lange betrachtet, kann den Obdachlosen sehen, der für ein paar Sekunden sichtbar wird, dann, wenn die Sonne so steht, dass er aus dem Schatten ins Licht kommt. Für wenige Momente tritt er aus seiner Schattenexistenz heraus.

Janice Guy, Untitled, 1977, Kunstpalast Düsseldorf, Sammlung der Stadtsparkasse Düsseldorf, Foto: Ivo Faber, Courtesey Janice Guy

Chopins Nocturne 21 ist zu hören. Farideh Lashai zeigt eine Tafel mit achtzig Fotos von Kriegsszenen, Goyas Werken nachempfunden. Doch auf den Bildern befindet sich zunächst kein einziger Mensch. Lashai hat sie in ihrer Bearbeitung herausgenommen. Eine Punktlampe geistert über die Bilder. Wenn das Licht auf sie trifft, werden sie zur Animation. Dann erscheinen Menschen, Menschen, die einander Gewalt antun. Nur kurz, dann verschwinden sie wieder im Schatten. Es ist eine sehr poetische, tief berührende  Arbeit. Die letzte Arbeit der 2013 in Teheran verstorbenen Künstlerin.

Für sein Selbstbildnis „Toter Fotograf“ hat Jürgen Klaute eine Röntgenaufnahme verwendet. Gekrümmt wie ein Embryo hockt er da, die Kamera vor den Augen. Er wird geröntgt und er fotografiert. Er ist Beobachteter und Beobachter zugleich. Sein Körper wird durchschaut, ja kontrolliert (wie etwa bei Sicherheitsüberprüfungen am Flughafen), doch dieser Fotograf gibt die Kontrolle über sich nicht ab. Etwas vom toten Fotografen bleibt erhalten. Etwas Schattenähnliches.

Janice Guy hat die Augen geschlossen, Sie fotografiert sich selbst im blendenden Sonnenlicht. Wie eine Maske legt sich ein dunkler Schatten auf ihr Gesicht. Er verschließt ihr den Mund. Die Freiheit, einfach in der Sonne zu liegen. Und ein Akt der Gewalt zugleich. Empowerment und Unterdrückung. Janice Guy hat eine feministische Botschaft. Denn sie ist die Fotografin. Sie bestimmt die Spielregeln.

Zur Ausstellung „From Dawn Till Dusk“ ist im Hirmer Verlag ein ausgezeichneter Katalog erschienen, in dem alle Werke abgebildet sind. Zu jedem einzelnen gibt es einen ausführlichen Begleittext.

Drei hervorragende Essays erhellen das Thema „Schatten“ klug aus verschiedenen Perspektiven.

Museumsdirektor Stefan Berg gibt in seinem Essay „Die Schatten der Bilder und die Bilder der Schatten“ die Geschichte des Schattens in der Kunst wieder: von Platons Höhlengleichnis (ein Kupferstich von Jan Pietersz Saenredam aus dem Jahre 1604) über Giorgio de Chiricos „Mysterium und Melancholie einer Straße“ und Ernst Kirchners Holzschnitt des Peter Schlemihl bis hin zu den Gegenwartskünstlern. Berg geht auf die verschiedenen Bedeutungen des Schattens ein, etwa der Schatten als Metapher für das Wesen der Kunst, der Schatten als Gegenentwurf zur Ratio.

Kunstkritiker Hans-Joachim Müller gibt Diogenes recht, der sich nicht verschatten lassen wollte, auch nicht von Alexander dem Großen.

Licht ohne Schatten aber könne es nicht geben, das sei Unsterblichkeit. Zwischen dem 5. und dem 10. Jahrhundert erstarben die Bildkünste und mit ihnen der Schatten. Die katholische Kirche mochte keine Malerei und Bildhauerei war verpönt. Doch die Malerei und der Schatten kehrten zurück aus der Verbannung. Caravaggio ist Meister von Licht und Schatten. Rembrandt leuchtet seine Gemälde perfekt aus. In der Moderne gibt es Künstler, die „in radikaler Schattenlosigkeit ein Synonym für Künstlerischen Fortschrittt erkennen woll(t)en“. Und doch, so Müller, sei der Schatten geblieben:als vielleicht letzte metaphysische Instanz“.

Der Philosoph Martin Booms will den Schatten aus der Atmosphäre des Dunklen, Düsteren herausholen. Dabei blickt er nach Osten. In der traditionellen japanischen Kultur werde das Licht keinesfalls verherrlicht. „Lob des Schattens“ heißt die Abhandlung des 1965 verstorbenen japanischen Schriftstellers Tanizaki Jun’ichirō. Bei ihm bedingt die Dunkelheit das Schöne.

Der Schatten ist für Booms zwiespältig – dialektisch: lichthaftes Symbol der Endlichkeit aber auch Ausdruck der Aufgeschlossenheit. „Um ich sein zu können, muss ich zugleich immer ein anderer sein“. Frei nach Rimbaud und dessen Wunsch nach Entgrenzung: „Um ich sein zu können, muss ich zugleich immer ein anderer sein“. Nur im Schatten, so Booms, könne man seinen inneren Frieden machen.

Und deshalb sollte man die Bonner Ausstellung unbedingt sehen. Wer das nicht kann, dem sei der Katalog „From Dawn Till Dusk“ empfohlen.

Die Ausstellung

„From Dawn Till Dusk“ im
Kunstmuseum Bonn
geht noch bis zum 2.11. 2025
Dienstag bis Sonntag11–18 Uhr
Mittwoch 11–19 Uhr

 

Der Katalog

FROM DAWN Till DUSK –
DER SCHATTEN IN DER KUNST DER GEGENWART.

Auf Deutsch mit englischen Übersetzungen aller Texte.

Hg. Stephan Berg
192 Seiten
185 Abbildungen
Hirmer  Verlag
50€

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