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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

UNESCO-Weltkulturerbe: Die Megalithen von Carnac an der französischen Atlantikküste

Rätselhaft: Die Spur der Steine

Von Petra Kammann

Um die rund 6000 Jahre alte Megalithkultur in der Bretagne ranken sich Legenden. Ihre Zentren Locmariaquer, Carnac und Gavrinis stehen seit rund 200 Jahren im Mittelpunkt intensiver archäologischer Recherchen. Auch wenn es bis heute keine eindeutigen Ergebnisse darüber gibt, was diese Steinkulturen bedeuten, so boten sich die bretonischen Megalithen (griechisch: mega = groß, lithos = Stein) viele Jahre als Anwärter auf das Weltkulturerbe der UNESCO an. Nun endlich fiel die Wahl auf sie.

Steinalleen von Carnac: Hinkelsteine (Menhire), soweit das Auge reicht, Foto: Petra Kammann

Deutschland ist mit 55 Einträgen auf der UNESCO-Liste vertreten, gerade sind die Märchenschlösser von Ludwig II. hinzugekommen. Ich persönlich freue mich aber, dass endlich und wohlverdient das bretonische Carnac an der Atlantikküste zwischen der Halbinsel Quiberon und dem Golf von Morbihan mit seiner unnachahmlichen Megalithkultur darauf vertreten ist.

Ob wohl der Film, den wir dort 2020 für die Terra X-Serie „Ungelöste Rätsel der Archäologie“ mit dem erfolgreichen Autor, Regisseur und TV-Produzenten Peter Prestel – unter der kundigen wissenschaftlichen Leitung des Archäologen Serge Cassen aus Nantes – dort gedreht haben, ein wenig dazu beigetragen hat? Vorausgegangen waren auch schon 2015 Begutachtungen im Vorfeld der erfolgreichen Buch- und Filmautorin Gisela Graichen, die für ihre Terra X-Sendungen bekannt ist.

Der Nantaiser Archäologe Serge Cassens bei den Dreharbeiten zu Terra X in Locmariaquer auf dem Menhir brisé, einer fast 20 Meter hohen Steinstele, die in vier Teile zerbrochen ist, Foto: Petra Kammann

Zwar findet man überall in Europa Zeugnisse der Megalithkultur, doch nirgendwo stehen sie so geballt und konzentriert beieinander wie in der südlichen Bretagne, im Morbihan in der Umgebung von Carnac.

Die geordneten kilometerlangen 7.000 Jahre alten Steinreihen von Carnac mit rund 3000 Menhiren, Foto: Petra Kammann

Asterix-Lesern dürften die Alleen aus Stein durch Obelix, der die gigantischen Hinkelsteine mit sich herumschleppt, bekannt sein. Außerdem trifft man in der Bretagne fast überall auf diese Menhire /Langsteine, wie sie hier heißen. Doch rein historisch liegen die beliebten Comics ein wenig daneben. Denn zu Cäsars Zeiten, so um etwa 50 vor Christus, in der Asterix und Obelix agieren, – „die spinnen ja die Römer“– war die Megalithkultur schon lange untergegangen.

Reiterin Isabelle im Quadrilène „Le Manio“, einem Kultplatz mit Menhir, bei Carnac, Foto: Petra Kammann

Mehr als 6000 solcher Steinmonumente verschiedener Ausprägung ­­– in Form von Menhiren (bretonisch: men = Stein; hir = groß), Dolmen (bretonisch: dol = Tisch, men = Stein), meist Einzelgrabstätten oder Tumuli (Hügelgräber) oder eindrucksvolle Cairns (Steinkreise) – hat man inzwischen im Golf du Morbihan gefunden. Diese herausragenden Zeugnisse megalithischer Monumentalarchitektur wurden hier gezielt in Bezug zur Landschaft gesetzt. Und die Dichte dieser Bauwerke – allein 550 Megalithstätten in Carnac und am Golf von Morbihan – lässt Rückschlüsse auf die damalige Bevölkerungszahl zu.

Der „Grand Menhir brisé“ in Locmariaquer und im Hintergrund das Hügelgrab, die „Table des marchands“, Foto: Petra Kammann

Dennoch: bis heute gibt diese Kultur, die man auch in anderen westeuropäischen Ländern wie England, Irland, Portugal und Spanien wiederfindet, den Wissenschaftlern viele Rätsel auf: Unvorstellbar, wie Menschen vor mehreren tausend Jahren ein solches Bauwerk errichtet haben. Woher kamen diese Menschen überhaupt? Und welchen Zweck erfüllten diese Anlagen? Und wie überhaupt wurden diese Denkmäler errichtet? Immerhin handelt es sich um die ersten Steinarchitekturen und Landmarken im westlichen Europa von historischer Bedeutung. Und man kommt aus dem Staunen nicht heraus.

Gravuren in der prähistorischen Grabstätte auf der Insel Gavrinis, Foto:Petra Kammann

An manchen Stellen zeigen Felsgravuren Tiere, Objekte und abstrakte Zeichen, die man als frühe Beispiele symbolischer Bildsprache sehen kann. Bereits 5000 Jahre vor Christus begannen die Menschen, riesige Steine aufzustellen und gigantische Grabanlagen zu errichten. Auf manchen findet man Felsgravuren, welche Tiere, Objekte und abstrakte Zeichen zeigen, die als frühe Beispiele symbolischer Bildsprache gelten.

Aurélie Giars , die Verantwortliche für die Stätten Cairn de Gavrinis und Petit Mont, begleitete uns beim Dreh und erläutert die Lage, Foto: Petra Kammann

Vor allem zwischen der Halbinsel Quiberon und dem Golf von Morbihan, an der französischen Atlantikküste finden sich während der Jungsteinzeit herausragende Zeugnisse dieser megalithischen Monumentalarchitektur. Über mehr als zwei Jahrtausende hinweg hatten Menschen hier Steinblöcke zu Dolmen und Menhiren aufgerichtet, Steinkreise und Grabhügel angelegt.

Im Innern der „Table des Marchands“ in Locmariaquer mit dem Nantaiser Archäologen Serge Cassen, hier mit Kameramann Max Schecker, Foto: Petra Kammann

Erst in der Anfangszeit des 19. Jahrhunderts hatten Archäologen in der Gegend gegraben und sprechende Gravuren und einzigartige Funde wie Steinwerkzeuge vorgefunden: Spitzhacken, Meißel, Hobel, Kratzer und Schaber, Äxte aus Jade.

Die Ornamente wurden mit kleinen Quarzsteinen in die Steinplatten geritzt, Foto: Petra Kammann

Die großen Grabanlagen geben daher wenigstens ansatzweise Aufschluss darüber, auf welch hohem technischen Standard sich die Menschen in der Jungsteinzeit bereits bewegten. Und sie lassen Rückschlüsse auf die damalige Bevölkerung zu: Die Menschen, die hier lebten, waren keine Nomaden mehr. Denns sie betrieben Landwirtschaft und Viehzucht, stellten Keramik und Werkzeuge aus hartem glatten Stein her.

Der Dokumentarfilmer Peter Prestel bei den Dreharbeiten für die Terra X-Serie 2020, Foto: Petra Kammann

Archäologische Datierungen legen nahe, dass schon vor den Ägyptern die Kultur im beschriebenen Atlantikraum ihren Ursprung hat. Aber es bleibt für Wissenschaftler bis heute äußerst schwierig, diese Kultur zu ergründen, da die Bevölkerung weder schriftliche Zeugnisse noch nennenswerte Siedlungsspuren hinterlassen hat.

Das Megalith-Zentrum ist zweifellos Carnac mit seinen kilometerlangen Steinreihen – und das daher endlich auch zurecht von der UNESCO gewürdigt wurde. Die in Gruppen auftretenden Menhire dienten vermutlich als Wegweiser oder begrenzten ein Gelände (ein geheiligtes?).

Les Pierres Plates in Locmariaquer unmittelbar gegenüber dem Strand, Foto: Petra Kammann

Aber auch der 123 m lange und 60 m breite Tumulus Saint-Michel, über dem in Carnac inzwischen die Kirche St. Michel thront, ist seine spannende Fundgrube, nicht öffentlich ohne Führung zugängig und längst noch nicht ausreichend erforscht. An einem weiteren Ort in Carnac, im Musée de Préhistoire de Carnac, dem prähistorischen Museum, werden manche der steinzeitlichen Funde aus dem Tumulus St. Michel im Original aufbewahrt, die das Bild der neolithischen Kultur vervollständigen.

Eingang zur Table des Marchands, dem Hügelgrab  in Locmariaquer, Foto: Petra Kammann

1984 haben Archäologen die verdeckte Seite von einigen Steinen freigelegt und sind dabei auf der steinernen Deckplatte der Begräbniskammer auf die Form eines Horntieres, eines Beilpflugs oder auf die Symbole von Krummstäben gestoßen. Steinbeile aus Jadeit und Fibrolith, Außerdem barg man zehn  und eine Perlenkette aus einer Art Elfenbein.

Im Innern der Tables des Marchands führt der enge, lange Gang führte zu einer großen runden polygonalen Kammer mit Zeichen, Foto: Petra Kammann

Archäologen wie Charles Tanguy Le Roux, Konservator des Kulturerbes, und später Serge Cassen von der Universität Nantes, untersuchten die Ritzzeichnungen und stellten fest, dass diese ursprünglich einen 14 Meter hohen Menhir bildeten, der anscheinend umgeworfen und geteilt wurde, um dann als Deckplatte für drei Grabkammern zu dienen. Die vorgefundenen Ritzzeichnungen, die zu denen aus Locmariaquer passten, fanden sich jedenfalls auf der gerademal 4 km Luftlinie entfernt gegenüberliegenden Insel Gavrinis wieder.

Auch die Menhir-Reihe auf der Insel Gavrinis, die nur bei Ebbe in Erscheinung tritt, gab Rätsel auf, lässt aber auf Zusammenhänge schließen, Foto: Petra Kammann

Die Stätte belegt den Wandel im Verhältnis des Menschen während der Neolithisierung in Westeuropa zu seiner Umwelt. Die Entwicklung der Megalithkultur zersplitterte sich indes im 3. Jahrtausend vor Christus in kleinere Einheiten. Die Steinansammlungen wurden teils geplündert und als Steinbruch benutzt.

Einzelne Steine dienten dazu, um in Häusern oder Mauern verbaut zu werden. Auch änderten sich zweifellos die religiösen Rituale. Ließen sich noch die Anführer dieser Reiche  in Dolmen bestatten, wurden einige Menhire umfunktioniert. Die Kirche setzte Kreuze darauf, überbaute die Dolmen mit Kirchen.

In Carnac wurde über dem gewaltigen Tumulus St. Michel im 17. Jahrhundert eine christliche Kirche errichtet, Foto: Petra Kammann

Obwohl die Megalithbauten in der Bretagne in den letzten Jahren bereits unter Denkmalschutz der Monuments nationaux standen, waren, sind sie auch heute immer noch von der Zerstörung bedroht, wozu auch der Tourismus aus der ganzen Welt beiträgt.

Wenn die Steinreihen heute auch nur noch im Rahmen offizieller Führungen besichtigt werden können und die Besucherzahl begrenzt ist, so werden diese magischen Orte der Megalithkultur zwar in Zukunft sicher wenig unmittelbar erlebt werden können, dafür aber wird das kulturelle Erbe der Menschheit auf Dauer durch die UNESCO-Nobilitierung sicher besser im Boden verankert bleiben und geschützt sein.

Erste Recherchereise mit der Fernsehautorin Gisela Graichen (u.a. „Terra X“ und „Schliemanns Erben“) 2015 in Locmariaquer vor dem „Grand Menhir brisé“, dem 300 Tonnen schweren und 20 Meter hohen, in vier Teile zerbrochenen Menhir von Locmariaquer, Foto: Petra Kammann

Das UNESCO-Welterbekomitee, zusammengestellt aus 21 gewählten Vertragsstaaten der Welterbekonvention tagte vom 6. bis 16. Juli am Sitz der Weltkulturorganisation in Paris. Das Gremium entscheidet über die Einschreibung neuer Kultur- und Naturstätten in die Welterbeliste und befasst sich mit dem Erhaltungszustand eingeschriebener Stätten. Auf der Liste des UNESCO-Welterbes stehen nun 1.248 Kultur- und Naturstätten in 170 Ländern. Deutschland verzeichnet aktuell 55 Welterbestätten.

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