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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Freibeuter der Meere“ bei den Störtebeker-Festspielen 2025

Eine imposante Panoramabühne für Klaus Störtebeker

Von Margarete Berghoff und Walter H. Krämer

Ralswiek, ein beschauliches Dorf auf der Insel Rügen, ist bekannt für eine der größten Naturbühnen Europas. Bei ausverkauftem Haus – was zugegebenermaßen nicht immer der Fall ist – finden über 8.000 Zuschauer*innen Platz unter freiem Himmel und schauen seit Sommer 1993 auf der wiedereröffneten Bühne den Land- und Seeabenteuern des Klaus Störtebeker zu.

Männer um Klaus Störtebeker verlassen die Stadt, Foto: Margarete Berghoff

2024 wurde mit der Enthauptung des Piraten und seiner Männer ein mehrjähriger Handlungsbogen beendet. In diesem Jahr (2025) startet ein neuer Erzählzyklus – der mittlerweile siebte!  – mit der Inszenierung „Die Freibeuter der Meere“. Die Erzählungen um Klaus Störtebeker nehmen erneut ihren Lauf. Der Mythos um diese Lichtgestalt ist einfach nicht kleinzukriegen und Piratengeschichten scheinen in zu sein – man denke nur an den „Fluch der Karibik“ und Folgen mit Jonny Depp.

Gegründet wurde die Naturbühne Ralswiek 1959 als Spielort für die Rügenfestspiele in der damaligen DDR. Von 1959 bis 1961 wurde dort nach einer Ballade des DDR-Nationalpreisträgers Kurt Barthel der Likedeeler Klaus Störtebeker auf einer eigens errichteten Bühne am Jasmunder Bodden zum Volkshelden. Es war ein Stück mit 1.000 Mitwirkenden, gewaltigen Seeschlachten – und den Kopf verlor Störtebeker natürlich auch.

Kurt Barthel beabsichtigte, eine dramatische Geschichte über einen, den Menschen vertrauten Volkshelden zu schreiben. In dem Buch „Klaus Störtebeker in Ralswiek“ heißt es dazu: „Kurt Barthel wusste, dass es darauf ankam, den Klassencharakter in der Bewertung Störtebekers, der Likedeeler-Bewegung aufzudecken, die Einfärbungen, denen die sozialen Kämpfe dieser Zeit in der bürgerlichen Geschichtsschreibung unterlagen, zu beseitigen.“

Dann sorgte der Bau der Mauer für ein vorläufiges Ende. Von 1980 bis 1981 folgte ein weiterer Versuch, die Rügenfestspiele zu aktivieren. Doch auch dieser war nach zwei Jahren beendet.

Blick auf den großen Jasmunder Bodden, Foto: Walter H. Krämer

Nach Jahren des Stillstands werden die – jetzt so genannten  – Störtebeker Festspiele nach der Wende 1993 von Peter Hick und seinem Team erneut  ins Leben gerufen und das erste Stück „Wie einer Pirat wird“ wird aufgeführt. Peter Hick, Schauspieler und Stuntman, der Ende der 80er Jahre die Karl-May-Festspiele Bad Segeberg aus den roten Zahlen führte, begann 1993 zusammen mit seiner Frau Ruth und großem persönlichen Risiko, die Festspiele neu aufzubauen.

Die Inszenierungen sind aufwendig und bieten ein großes Spektakel mit Schauspiel, Stunts, Spezialeffekten und Feuerwerk. Beteiligt sind mehr als 150 Mitwirkende – darunter auch Bewohner*innen von Ralswiek – 30 Pferde, 4 Schiffe und ein Greifvogel. Vor unseren Augen entsteht eine mittelalterliche Welt voller Abenteuer, Intrigen und Liebe, in der Adlige, einfache Leute, reiche Kaufleute, die sogenannten „Pfeffersäcke“, Kirchenmänner und natürlich Piraten unter Führung des Klaus Störtebeker (Moritz Stephan) ihre Rollen spielen.

Blick auf die Stadt mit im Bau befindlicher Kirche, Foto: Walter H. Krämer

Als Peter Hick 1991 die malerische Bucht am Großen Jasmunder Bodden in Augenschein nahm und das Theatergelände, auf dem in der DDR die „Rügenfestspiele“ abgehalten worden waren, von der Gemeinde pachtete, war das Freiluftspektakel bereits in seinem Kopf geboren. Ein Jahr später gründeten Peter Hick und seine Ehefrau Ruth die Störtebeker Festspiele – und es wurde massiv umgestaltet: Ein Zuschauerraum für 8.000 Besucher wurde errichtet, ein Hafen ausgebaggert und befestigt, es entstanden das Imbissdorf, das Sanitärgebäude, der Pferdestall, das Kassenhaus und die Boutique für die Fanartikel, die Lautsprechertürme und die Lichttraversen.

Am 3. Juli 1993 war es dann endlich soweit: die Störtebeker Festspiele konnten beginnen. „Wie einer Pirat wird“ war der Titel der ersten Inszenierung und somit auch der Beginn einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte. Und Klaus Störtebeker wird auch 2025 seine Segel setzen und Kurs auf ein neues / altes Abenteuer nehmen.

Dichter Dunst steht über dem Großen Jasmunder Bodden. Während eine sonore Männerstimme beginnt, vom Mythos Störtebeker zu berichten, quillt Nebel aus dem Bühnenkies, der sich in Richtung Wasser verflüchtigt. Plötzlich ist er da, der blonde Held. Er erscheint im Nebel der Geschichte, hoch zu Ross, wie in Stein gemeißelt. Und schon sprengt er davon. Eine Fata Morgana? Eine Geistererscheinung?

Blick auf das Anwesen der Alkuns, Foto: Walter H. Krämer

Im Gegenteil. Ein handfester Geselle ist dieser Klaus Störtebeker, der nun schon zum wiederholten Male – wenn ich richtig gezählt habe zum 33. Male – seit dem Neubeginn 1993 auf der Naturbühne in Ralswiek steht, einem 300-Seelen-Dorf auf der Ostseeinsel Rügen. Aber auch einer mit Gefühl und Wissen. Im diesjährigen Stück „Freibeuter der Meere“ mit dem der siebte Zyklus um das Leben und Sterben des Seeräubers beginnt, kehrt Klaus von Alkun auf den heimatlichen Besitz zurück und findet ihn zerstört, die Eltern tot.

Er sinnt auf Rache und ruht nicht eher, bis die Bösewichter bestraft und die Enterbten gerächt sind. Nach dem Tod seiner Schwester Klara von Alkun (Eva Gerngroß) hält ihn nichts mehr an Land und er nimmt das Angebot von Goedeke Michels (Alexander Hanfland) an, mit ihm in See zu stechen und Kapitän der Seewolf zu werden. Mit seiner Seeräuberidentität bekommt er nach einem erfolgreichem Wettsaufen mit Goedecke Michels auch einen neuen Namen: „Stürz den Becher“, auf Plattdeutsch „Störtebeker“.

Kinotaugliche Musikuntermalung und Spezialeffekte, besonders die Pyrotechniker*innen lassen staunen, bilden Teil der Inszenierung. Rechts auf der Panoramabühne, deren imposanter Abschluss der Bodden bildet, ragt in diesem Jahr eine Kirche im Bau in den Himmel. Stadttore und die Anmutung einer Kneipe und eines Marktplatzes – später auch Richtplatzes – ergänzen das Bild. Rechts sieht man auf das Gehöft des Geschlechts derer von Alkun, das später von dem willfährigen Dienern des Alexander Brandt (Andreas Müller) niedergebrannt wird. Dieser Brand – ein pyrotechnisches Meisterstück.

Noch liegt das Schiff von Alexander Brandt unbehelligt im Hafen, Foto: Maragrete-Berghoff

Der Reiz der ganz naturalistisch gebauten Bühne – erschaffen diesmal von Stephan Fernau – liegt in ihrer perfekten Illusion. Manchmal erscheint sie wie ein barockes flämisches Gemälde. Dann wieder wie die Kulisse für einen Störtebeker-Film.  Die Zuschauer*innen fühlen sich in eine andere Zeit versetzt oder als Beobachter eines Filmdrehs.

Jedes Jahr wird die Bühne der laufenden Geschichte angepasst. Häuser aus ziegelartigen Plastiksteinen, täuschend echt, Dächer, die man nach hinten klappen kann, wenn die Flammen daraus schlagen und viele Raffinessen mehr. Ein wahres technisches Meisterwerk. Verantwortlich für diese Spezialeffekte und Pyrotechnik FFB Fred Feuerstein Braeutigam.

Schiff von Alexander Brandt in Brand geschossen, Foto: Margarete Berghoff

Die Regisseur*innen Cordula Jung und Louis Villinger nutzen die große Bühnenfläche geschickt. Lassen Gaukler auftreten, Schiffe entladen und zeigen das bunte Treiben der Bevölkerung mit spielenden Kindern. Pferdkutschen kommen vorbei. Auch mal der Quacksalber und Bader Fidius (Charles Lemming) samt Kutsche und allerlei Arzneien und Pülverchen. Auch eine Riesenzange für faule Zähne darf nicht fehlen.

Steine werden geschleppt, denn der Bau der Kirche muss vorangehen. Es gibt Streit, es wird gekämpft und Probst Leonberg (Norbert Braun) ist mehr an der Höhe des Kirchturms – koste es, was es wolle! – interessiert, als an dem Wohl der dort arbeitenden Menschen. Menschenliebe scheint ihm fremd. Demgegenüber erweist sich sein Secreatarius Hugo (Carsten Faseler) als der eigentliche Christenmensch.

Es wird gekämpft und, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, die Gebäude und die Schiffe des Alexander Brandt mit Kanonen beschossen.

Collage von Walter H. Krämer unter Verwendung einer Bühnenbildzeichung von Stephan Fernau

Die Kaufleute der „Hanse“ und die Vertreter der „Katholischen Kirche“, die sich auf Kosten der bettelarmen und oftmals kranken Bevölkerung immer mehr bereichern, sind Störtebeker ein Dorn im Auge. Enttäuscht und in seinen Tiefen erschüttert von den tödlichen Intrigen, von Betrug und der Grausamkeit, mit der seine Familie ausgelöscht wurde, scheint er beim Begräbnis seines Vaters alle Hoffnung verloren zu haben. Für einen Moment nur, kurz danach entschließt er sich, auf See zu gehen. Nichts hält ihn mehr an Land.

Und schon ahnen die Zuschauer*innen, Klaus Störtebeker will nicht nur Rache. Es geht ihm um Gerechtigkeit und darum, die „Pfeffersäcke“ zu überlisten und ihren Reichtum unter die Armen zu verteilen. Er wird der Robin Hood der Meere werden.

So findet man in der eher unterhaltsamen Darbietung auch noch einen tieferen Sinn.

Die handwerklich solide und perfekt getimte Inszenierung erfreut durch einige herausragende Darsteller*innen. Allen voran Lis Ahorn, die als Wirtin Walli das Herz auf dem rechten Fleck hat und sich auch gegenüber den Haudegen der Szene behaupten kann. Werkzeugmacherin Alenia (Alonja Weigert) glänzt durch Schlagfertigkeit und ist schnell auch mal über ein Dach geklettert. Bei der Befreiung von Klaus Störtebeker (Moritz Stephan) spielt sie eine tragende Rolle. Eva Gerngroß glänzt als Klara von Alkun durch ihre Reiterkünste und ihren Mut. Dass sie am Ende sterben muss, ist mehr als schade. Aber sicher findet sich im nächsten Jahr bei der Folge „Likedeeler“ eine neue Rolle für diese begabte Schauspielerin.

Ihr Lieblingsvogel als Bühnenfigur ist „Laran“, ein majestätischer Adler, der auch einmal während des Stückes über die Köpfe der Zuschauer*innen hinwegfliegt und sicher auf dem Arm ihres Bruders Klaus landet. Ein beeindruckender Anblick bei 3 Meter Flügelspannweite und möglich gemacht durch die Arbeit der beiden Falkner*innen Lisa und Volker Walter, die seit mehr als 20 Jahren für diesen Luftakrobaten verantwortlich zeichnen, der selbst seit über 27 als stiller Star zum Ensemble der Störtebeker Festspiele gehört.

Balladensänger Wolfgang Lippert vor Bühnenkulisse, Foto: Walter H. Krämer

Immer wieder eingebaut wird Wolfgang Lippert als Balladensänger. Zuerst wirkt er fast wie ein Fremdkörper in der Inszenierung, wie ein Zeremonienmeister, ein Heilsbringer, der Hoffnung verbreiten möchte. Meist greifen die Lieder die Stimmung und die Gefühle der Menschen und der Szene auf. Bei jedem Auftritt singt er sich tiefer in die Herzen des Publikums und erntet viel Applaus.

Es sind eigene Texte von Wolfgang Lippert, aber auch Texte und Lieder von ehemals bekannten und erfolgreichen DDR-Rock-Bands wie der Puhdys oder der Gruppe City. In diesem Jahr sind es u.a. die Songs „Jeder Tag“ und „Albatros“ der Gruppe Karat, die die Szene musikalisch und textlich untermauern. Unter großem Beifall zelebrieret Wolfgang Lippert diese Auftritte.

Klaus von Alkun lässt sein früheres Leben hinter sich und geht als Pirat Klaus Störtebeker an Bord der Seewolf neuen Abenteuern entgegen und am nächtlichen Himmel über dem Jasmunder Bodden ergießt sich allabendlich an den 60 Spieltagen ein Feuerwerk der Extraklasse.

Ist das Leben des Klaus Störtebeker nur ein Mythos? Gab es ihn wirklich? Ja, es soll ihn gegeben haben. In England fand man Einträge seines Namens und von Goedeke Michels mehrfach in Archiven. Allerdings wo genau an der Ostsee er geboren wurde, ob er ein Adeliger oder einfacher Mann war, ob er den Armen geholfen hat, das alles ist Legende und ein Gespinst von Wahrheit, Phantasie und Wunschdenken.

Die Störtebeker-Festspiele sind zu einem regionalen Wirtschaftsfaktor geworden. In Ralswiek gibt es im Sommer jeden Abend ein jahrmarktähnliches Treiben vor den Fisch- und Wurstbuden, es leben mehrere Restaurants und Hotels vom Besucherstrom.

Noch bis einschließlich 13. September 2025 jeweils um 20 Uhr von Montag bis Samstag kann man auf der Naturbühne in Ralswiek die Abenteuer des Klaus Störtebeker miterleben.

https://stoertebeker.de/stoertebeker-festspiele-2025/

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