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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Lojze Wiesers persönliche Würdigung des Übersetzers und Herausgebers Gero Fischer

Europa übersetzen – Die lange Reise zur Übersetzung eines Jahrhundertromans

Von Lojze Wieser

Etliche kennen Lojze Wieser von der Frankfurter Buchmesse. Bis heute ist es das Ziel dieses legendären Gründers des Klagenfurter Wieser/Drava Verlags unbekannte Literatur aus Slowenien und anderen Ländern Ost- und Mitteleuropas in deutscher Übersetzung herauszugeben, besonders in der Reihe „Europa erlesen“. Anlässlich des Todes von Gero Fischer (1939 – 2025) erinnert Wieser sich persönlich an dessen Übersetzung von „Die Fahnen“. Dieses sprachgewaltigen Kaleidoskop der europäischen Geistes-und Kulturgeschichte des kroatischen Dichters Miroslav Krleża, hat Fischer mit seiner Übersetzung auch den deutschen Lesern zugängig gemacht.

Der Verleger Lojze Wieser, der auch den kulinarischen Spezialitäten Südosteuropas zugetan ist, Foto: Robert Lachowitz/Archiv Wieser 2021

Mein erstes Treffen mit Gero Fischer fand um das Jahr 2005 herum, in der Raststätte in Vaterstätten bei München statt – vor zwei Jahrzehnten.

Wir sprachen über Miroslav Krleža, „Zlato i srebro Zadra“ – „Zadars Gold und Silber“. Du hast den Essay wunderbar übersetzt. Damit begann eine fruchtbare Zusammenarbeit. Wir wurden Freunde, und „Die Fahnen“ von Miroslav Krleža, die Du gemeinsam mit Silvija Hinzman übersetzt hast, und ein Glossar zum besseren Verständnis beifügtest, war Deine Meisterleistung!

„Was für ein Essayist ist da zu entdecken!“ schrieb schon 1988 der österreichische Schriftsteller und Essayist Karl-Markus Gauß über Miroslav Krleża. „Welche Sprachgewalt, welcher wahrhaft imponierende Weit- und Umblick über die Grenzen der eigenen Sprache, Kultur, Ideologie und Epoche hinaus, welche Fähigkeit, das Entlegene, das scheinbar Unzusammenhängende wie selbstverständlich zusammen zu sehen! Ein Gelehrter und doch von der Leidenschaft des Rühmens wie des Verwerfens erhitzter Schriftsteller, wollte Krleža den kroatischen Künstlern und Intellektuellen, wollte er der kroatischen Kultur den Weg nach Europa weisen – und für die empfohlenen Erkundungsfahrten gleich selbst den Immunstoff gegen europäische Modekrankheiten des Geistes bereitstellen.

Nichts darf die Literatur vergessen, niemand darf sie vergessen – im gewaltigen Werk des Miroslav Krleža sind die Namen der Namenlosen und Jahrhunderte kroatischer Geschichte in Knechtschaft und Auflehnung verzeichnet. Aber da dieses Kroatien, wie es Krleža mit Zuneigung und Kritik gestaltet hat, stets ein historisches Krisengebiet war, in dem die Erdbeben Europas nachbebten und kommende Zusammenbrüche sich knirschend und krachend ankündigten, ist in Krležas Gedächtnis des kroatischen Volkes auch europäische Geschichte aufgehoben“, setzte Gauß in seinem bis heute viel beachteten Essay-Band Tinte ist bitter nach.

Wie kam es zur Übersetzung Krležas Hauptwerkes Zastave – Die Fahnen?

1978 ruft mich Ina Jun Broda, die legendäre Übersetzerin aus den jugoslawischen Sprachen, an.„,Die Fahnen‘, die müssen Sie verlegen.“ Ich, jung, unerfahren, wurde vom Umfang des Romans fast erschlagen. Fünf Bände, 3000 Seiten.

Broda versucht, Krleža zu überzeugen, das epochale Werk zu kürzen.

1979 berichtet sie dann von den Gesprächen mit dem Autor: „Für eine deutschsprachige Übersetzung kürze ich Ihnen ,Die Fahnen‘ ein. Auf 800 Seiten. Weniger geht nicht. Und Sie übersetzen das!“

Krleža stirbt Ende 1981, Broda folgt ihm August 1983 nach.

Es wird noch einmal fast ein Vierteljahrhundert dauern, bis sich Gero Fischer und Silvija Hinzmann daran machen, dieses epochale Werk ins Deutsche zu bringen. Neun Jahre werden sie und die Lektoren Gerhard Maierhofer und Josef Pichler daran sitzen, bis Miroslav Krležas „Zastave – Die Fahnen“ im Sommer 2016 druckreif vorliegen.

Worum geht es in diesem großen Werk?

In seinem umfangreichsten Werk, dem ab 1962 veröffentlichten fünfbändigen Roman „Die Fahnen“, der in den Jahren 1912 bis 1922 spielt und jetzt erstmals in einer deutschen Übersetzung vorliegt, zeichnet Krleža ein Panorama von der geistesgeschichtlichen und politischen Situation Europas zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Schicksal von Bürgern, Aristokraten, Politikern, Ministern, Bürokraten, Generälen, Kriegsgewinnlern und Träumern, die ganze Galerie der ungarischen, kroatischen und serbischen Intelligenz – steht im Vordergrund dieser Chronik. Kriegsereignisse und Liebesbeziehungen werden miteinander verwoben.

„Die Fahnen“ zeigen ein Kaleidoskop der europäischen Geistes-und Kulturgeschichte, das Krleža zu einem großen europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts macht.

Krieg und Frieden. Europa zerfällt. Zwischen Wien und Zagreb, Budapest und Belgrad – quer durch Musils „Kakanien“. Die letzten Tage der Menschheit brechen an. Züge rasen hin und her. Politik, Wirtschaft, Regierungen, Beziehungen und Familien zerbrechen.

Nach 38 Jahren, allen Widrigkeiten zum Trotz, erschien das Werk und wurde im deutschsprachigem Feuilleton gefeiert!

Ein Jahrhundert vor unserem literarischen Auge. Das epochale Werk des Meisters der Erzählung Südosteuropas lag endlich in einer mustergültigen, gewissenhaften Übersetzung vor.

Mit dieser Übersetzung hat sich Miroslav Krleža, spät, aber nicht zu spät, auch im deutschsprachigen Raum behauptet!

Lieber Gero, auch unser letztes gemeinsame Büchlein „Avgust Šenoas Kugina kuÄa – Das Haus der Pest“, neu übersetzt am Beginn der Pandemie 2020, brachten wir als Ultramarin-Band heuer Anfang 2025 im Wieser Verlag heraus. Ein schönes Beispiel Deiner Übersetzungskunst und Šenoas allzeit gültigen Betrachtungen in Zeiten einer Pandemie.

Was sagtest Du beim letzten Telefonat im Mai: „Der Band Opatija für die Reihe Europa erlesen wird in Bälde.“ Du erinnertest Dich Deiner zweiten Heimstätte, die Dir im Herzen immer die Erste war. Der Europa erlesen-Band Opatija wird nun in der Endredaktion Deines Freundes Miloš Okuka im Herbst 2025 erscheinen.

Ich werde das Brevier im Andenken an Dich im Herzen tragen. Du bist zur ewigen Reise aufgebrochen und hinterlässt ein umfangreiches Werk und Trauer.

Sieben Bände Europa erlesen waren es, die Du, alleine oder mit Miloš Okuka bei Wieser gemacht hast!

Ankica, Deiner Frau, fehlst Du schon jetzt, wie uns, Deinen literarischen Wegbegleitern und Wegbegleiterinnen!

Ina Jun Broda und Miroslav Krleža warten auf Dich, und wenn Ihr Euch auf Deiner Reise trefft, werden sie Dich herzlichst mit offenen Armen begrüßen. Sie werden Dich am Stammtisch der Literatur empfangen und Krleža, wie er halt so ist, wird murren: „Lang hast uns warten lassen, Freund! Aber jetzt bist ja da!“

Lojze Wieser, Klagenfurt/Celovec, Anfang Juli 2025

Kurze Bio-Bibliographie von Gero Fischer

Nach dem Abitur auf einem humanistischen Gymnasium studierte Gero Fischer (*1939 + 2025), Germanistik, Romanistik, Slawistik und Computerlinguistik in Deutschland und den USA (Pittsburgh, Princeton). Nach langjähriger Tätigkeit in der automatischen Lexikographie und in leitender Position in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Mensch-Maschine-Kommunikation und Datenbanksysteme übersetzte er seit 1996 kroatische und serbische Literatur ins Deutsche. Er lebte und arbeitete in München und Opatija.

Gero Fischer als Übersetzer und Herausgeber:

ÜBERSETZER

August Šenoa

Kugina kuÄa – Das Haus der Pest

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2025

Bojana Meandžija

Lauf! Warte nicht auf mich …

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2021

Miroslav Krleža

Die Fahnen: gemeinsam mit Silvija Hinzmann; Bände 2-4, Glossar

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2016

Ivo AndriÄ

Ex ponto: Lyrik und lyrische Prosa

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2012

Miroslav Krleža

Zadars Gold und Silber

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2007

HERAUSGEBER

EUROPA ERLESEN

Opatija

hrsg., Endredaktion Miloš Okuka.

Klagenfurt/Celovec: Wieser. Herbst 2025

Rijeka

hrsg. mit Gerhard Michael Dienes, Ervin DubroviÄ und Marijana ErstiÄ

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2020

Vojvodina

hrsg. gem. mit Miloš Okuka

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2009

Kvarner

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2007

Mostar

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2008

Slawonien

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2005

Terra Bosna

hrsg. gem. mit Miloš Okuka

Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2002

MITHERAUSGEBER

„Am Kärntner Wesen könnte diese Republik genesen“: an den rechten Rand

Europas: Jörg Haiders „Erneuerungspolitik“

hrsg. mit Peter Gstettner

Klagenfurt/Celovec: Drava 1990

Blog – Würdigung

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