Le voyage à Nantes (VAN)- Ein Kurztripp in die kreative Loire-Metropole
„Ein merkwürdiger Sommer“ voller Kunst und Lebenskunst
Von Petra Kammann
Entlang der „Ligne verte“, der „grünen Linie“, macht Nantes mit über 130 Kunstwerken auf die Geschichte, Architektur und Kunst der Stadt aufmerksam. In der Geburtsstadt von Jules Verne, die auch so manchen Surrealisten inspirierte, spielt man im öffentlichen Raum gerne und humorvoll mit Absurditäten. Daneben lässt man es sich wohlergehen. Legendär sind etwa die 167 „Tables de Nantes“, kleine Restaurants und Bar à vins, die auf lokale Produkte, Frische und Kreativität setzen. Selbst bei einer Stippvisite lohnt sich nicht nur längs des Weges ein Blick auf die zeitgenössischen Kunstwerke, sondern auch ein Halt in einem der kleinen und köstlichen Restos.
Installation auf der Place Royale in Nantes: Sind die Figuren auf dem Brunnen echt?, Foto: Petra Kammann
Nantes regte immer schon die Phantasie an. Manchen ist vielleicht noch der Chanson-Klassiker von Barbara in Erinnerung: „Il pleut sur Nantes“. In diesem Sommer ist aber nicht der Regen das Thema, wenn auch jetzt das Klima mitspielt. Vielmehr liegt eine fast tropische Hitze über der Stadt an der Loiremündung, in der Jules Vernes seine phantastischen Romane ausbrütete und Filmemacher wie Jacques Demy und Agnès Varda ihre Filme drehten.
Foto von Jean Blaise aus dem Jahr 2012, der da Direktor von „Le Voyage à Nantes“ (VAN) wurde
Hierher war 1982 auch der ideensprühende Kulturmanager und einstige Theatermacher Jean Blaise vom damaligen französischen Kulturminister Jack Lang nach Nantes, in die Stadt, die sich im industriellen Niedergang befand, geholt worden, um dort ein Kulturzentrum aufzubauen und zu leiten. Sein Anliegen war es, Kultur für Alle und nicht nur für die sogenannte kulturelle Elite zum Aushängeschild der Loire-Metropole sichtbar zu machen.
Darin ähnelt Blaise in manchem dem einstigen Frankfurter Kulturmanager Hilmar Hoffmann mit seiner Idee von der Kultur für Alle und in der Folge vom Museumsufer: Der geniale Verhandler und Macher wäre gerade 100 Jahre alt geworden. Damals war er von OB Walter Wallmann unterstützt worden, obwohl ihre Partei nicht dieselbe war.
Le Voyage à Nantes (VAN) ist überall präsent, um über die Kunstwerke Auskunft zu geben, Foto: Uwe Kammann
In Nantes konnte Blaise über die Jahre seine phantastischen Visionen von neu zu gestaltenden Stadträumen umsetzen. Er fand die Unterstützung des damaligen Bürgermeisters und späteren Premierministers Jean-Marc Ayrault. Die völlig neue Stadtlandschaft dehnte er auch ins Umland aus, auf die Loiremündung, den „Estuaire“ zwischen Nantes und Saint Nazaire. An den Ufern der Loire entstand ein interessanter zeitgenössischer Skulpturenpark, den man per Schiff erkunden, an manchen Strecken auch erradeln kann. Aber er richtete seine Aktivitäten auch auf das fruchtbare Umland mit den Weinfeldern, auf denen die Loireweine wachsen oder auf die „Marais“- die fruchtbaren Gemüselandschaften um Nantes.
Seit 2012 leitet Blaise Le Voyage à Nantes. Anfang des Jahres ist der inzwischen 74-Jährige abgetreten Doch trägt dieser Sommer noch seine Handschrift, eben unter dem Titel „L’étrange été“, „Der merkwürdige Sommer“. Die VAN-Leitung wird künftig Sophie Lévy ,bis vor einem Jahr die Direktorin des Musée d’Arts, übernehmen.
An den einschlägigen Kunstorten liegen Führer für das VAN-Sommerprogramm „L’étrange été“ auf Englisch und Französisch aus, Foto: Petra Kammann
Rund um die Place Royale
Die Place Royale wird normalerweise dominiert von einem monumentalen Brunnen aus bläulich-grauem Granit und anmutigen Figurinen, der für jeden Touristen ein echter Hingucker ist. Doch was ist um Himmels willen nur passiert? Tatsächlich bewegen sich da plötzlich die Figuren am Brunnen, tragen ganz „normale“ farbige Kleider. Unerbittlich scheint die Sonne auf den Platz. Ob die sich auf dem Brunnen präsentierenden Menschen das bei der Affenhitze überhaupt aushalten?
Oje, die Figurinen sind ja lebendige Menschen, Foto: Uwe Kammann
Tatsächlich werden da die 14 allegorischen Figuren durch echte posierende Nantaiser und Nantaiserinnen ersetzt, während die ursprünglichen Granitskulpturen aus dem Jahre 1865 auf der anderen Seite des königlichen Platzes auf einem Gerüst abgestellt wurden. Sollen diese allegorischen Figurinen des famosen Brunnens nun tatsächlich ins Depot abwandern? Diese Frage stellt Willem de Haan den Nantaisern, Touristen und uns ganz allgemein.
Sollen die historischen Figuren des famosen Brunnens von 1865 ins Depot wandern?, Foto: Uwe Kammann
Ja, merk-würdig ist dieser Sommer in Nantes im wahrsten Wortsinn. Hier hat sich die Kunst dem Leben anverwandelt, so wie es im diesjährigen Motto „L’étrange été“ schon angekündigt war. Und ausgedacht hat sich diese Installation namens „Latest Version“ am Königlichen Platz der 29-jährige flämische Künstler Willem de Haan, dessen Projekte und Interventionen, die den Alltag miteinbeziehen, schon u.a. in Rotterdam, Berlin, Barcelona, Antwerpen für Furore sorgten. Er bezieht den Alltag vor Ort ebenso mit ein wie die Geschichte der lokalen Gegebenheiten. Bei Fragen wie: Trägt die Vergangenheit? Wie wichtig ist sie für die Gegenwart und Zukunft? will er eben auch die lokalen Künstler einbinden.
Gang durch die historische Altstadt
Ausstellung der Werke des bekannten japanischen Künstlers Hokusai im trutzigen Herzogspalast, Foto: Petra Kammann
Global-historischer geht es im Château des Ducs de Bretagne zu. Seit 2017 pflegt das Herzögliche Schloss regelmäßige Kooperationen mit Japan, so auch mit der Burg von Osaka und dem japanischen Museum Hokusai-Kan in Obuse, das ca. 150 Arbeiten des enigmatischen japanischen Künstlers Katsushika Hokusai (1760-1849) dem historischen Haus für eine Ausstellung bis zum 7. September als Leihgaben zur Verfügung stellte. Eine Besonderheit. Die Hokusai-Werke wurden außerhalb Japans teils noch nie gezeigt.
So mancher Frankfurter mag sich dabei noch an die fabelhafte Frühjahrsausstellung „Die Welt im Fluss. Über Bewegtes und Vergängliches in der Japanischen Kunst“ im Museum Angewandte Kunst erinnern, die der Asienkenner Lutz von der Schulenburg aus den Beständen des Frankfurter Hauses zusammengestellt und dort kuratiert hat. Auch in Frankfurt schwang die ästhetische Idee der berühmten „Welle“ von Hokusai immer mit.
Im Herzen der Altstadt von Nantes befindet sich auch das historische Hôtel de Châteaubriand, ein „Hôtel particulier“, also kein Hotel im deutschen Sinn, sondern eine Art aristokratisches Stadtpalais aus dem 15. Jahrhundert, die einstige Residenz von Françoise de Dinan (1436-1499), der Gouvernante der Herzogin Anne de Bretagne, das allerdings im 16-17. Jahrhunderts als Hôtel de la Papotière umgestaltet wurde.
Im Hof des Hôtel de Châteaubriand „Absurdistan“ der deutschen Künstlerin Gloria Friedmann, Foto: Petra Kammann
In diesem edlen klassizistischen Palais war zuletzt und bis ins Jahr 2018 die Kunstakademie der Metropole Nantes untergebracht, die ‚École supérieure des beaux-arts de Nantes Métropole (ESBANM), außerdem die Vereinigung Nantes Renaissance. Die Stadt, heutiger Eigentümer, hat das Gebäudes inzwischen renoviert und zum der Sitz der Archäologie von Nantes gemacht.
Im Innenhof der Rue de Brior 13 wirkt nun eine dort plazierte Skulpturengruppe mit rund einem Dutzend verschiedenartiger Personen der deutschen Künstlerin Gloria Friedmann besonders verstörend. Wie in einer Art „Danse macabre“ sind Männer, Frauen, Kinder in natürlicher Größe an eine überlebensgroße Gestalt in der Mitte mit elektronischen Kabeln festgebunden. Die seit 1982 in Frankreich lebende Künstlerin widmet sich in ihren Skulpturen, Installationen, Videos und Fotografien dem Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, mit gesellschaftspolitischen ebenso wie mit ökologischen Fragen. Mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln macht sie auf den Zustand der Welt aufmerksam.
Beunruhigend: In „Absurdistan“ hat die überlebensgroße Gestalt die Führung übernommen, Foto: Petra Kammann
Sie mahnt uns damit, bei allem technologischen Fortschritt die eigene Vergänglichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. „Die Menschen der 24-Stundenwelt werden durch einen unendlichen Flow von Informationen, durch Bilder Selfies reanimiert… Wir sind zu verkabelten Gefangenen geworden, und einem Politbüro unterworfen, das den menschlichen Faktor negiert“, kommentiert sie selbst ihre Arbeit. Die uns künftig bestimmende KI lässt grüßen. In dieser Installation hat das überlebensgroße Monster in Umkehrung der traditionell dargestellten Machtverhältnisse die Führung übernommen.
Nach dem Brand noch immer eine Baustelle: die Kathedrale von Nantes, Foto: Uwe Kammann
Nach diesem apokalyptisch-bedrückenden, gleichwohl nicht unrealistischen Kunstwerk führt uns der Weg vorbei an der gotischen Kathedrale, die 2020 einem Brandanschlag zum Opfer fiel und noch immer restauriert wird, auf einen großen befreienden Platz, auf die Place Maréchal-Joffre. Die dort an einem Ende platzierte klassische Säule scheint mit ihrem himmelblauen Abschluss im Nirgendwo zu enden und der „Säulenkletterer“ zwischen „Baum und Borke“ zu hängen. Auch dies wirkt einfach irritierend.
„Antipodos“ von István Argot. Säule an der Place Maréchal-Joffre, Foto: Petra Kammann
Ein kurzer Zwischenhalt wäre nicht schlecht. Weiter geht es in die Rue Joffre, einer Straße, die gerade zur Fußgängerzone umgewandelt wurde. Dort nämlich war ein Mittagstisch reserviert, was sich übrigens dafür dringend empfiehlt, denn die sogenannten „Tables de Nantes“ – 186 an der Zahl – sind hier heißbegehrt. Es sind kleine Bistros, Bars und Cafés, in denen vor allem lokale Erzeugnisse verarbeitet werden.
Blick vom Restaurant SAIN in der Rue Joffre auf die Kunstsäule, Foto: Petra Kammann
Besuch einer table de Nantes
Völlig leger strömt kurz nach 12 – man könnte die Uhr danach stellen – das hungrige Publikum ins SAIN, und kurz darauf sind schlagartig alle Plätze besetzt. Für die Einen ist es die Mittagskantine, für die Anderen ein Ort kulinarischer Entdeckungen.
Noch Ruhe vor dem Sturm beim Blick in die Rue Joffre: kurz nach 12 füllt sich das Restaurant, Foto: Petra Kammann
Ohne Etepetete und ganz familiär geht es dabei hier zu. Es wird gelacht, geplaudert, gemeinsam ein Apéro eingenommen. Halb als Epicerie, halb als Bar à Vins, halb als Restaurant wird das Resto „SAIN“ von zwei Brüdern geführt. Die Gäste sitzen halb draußen, halb drinnen, was die offene Atmosphäre des Hauses unterstützt.
„Le savoir frères“ – Spielerischer Spaß schon auf dem T-shirt der beiden Brüder, Foto: Petra Kammann
„Le savoir frères“ („Das Wissen der Brüder“) steht in weißer Schreibschrift auf dem Rücken der schwarzen T-Shirts der bestens gelaunten und menschenzugewandten Brüder Samuel und Josselin Huitric, die nicht nur gutes Essen, sondern auch die Wortspiele lieben. In dem „savoir frères“ steckt lautlich nämlich auch das „savoir faire“ („wissen wie man was macht“). Und der Name SAIN setzt sich aus Anfang und Ende ihrer Vornamen zusammen. Außerdem heißt SAIN schlicht gesund. Und auch das hat seine Gründe. Hier gibt es feines gesundes und ganz natürliches Essen mit saisonalen Zutaten.
Samuel Huitric (re), einer der Brüder, berät die Gäste, Foto: Petra Kammann
Samuel ist für den Service und die Bar zuständig und sein Bruder Josselin für die Küche. Da bereitet er so blitzschnell wie apetitlich gerade die frischesten Gerichte vor. Alle Bio-Produkte, die hier verwendet werden, kommen aus Guérande (wo auch das berühmte bretonische Meeressalz gewonnen wird), nämlich vom Gemüsehof der Eltern.
Der Chef de cuisine Josselin Huitric bereitet eine aparte Vorspeise vor: Rote Beete mit Himberen und Feta, Foto: Petra Kammann
Ein paar Kocherfahrungen hat Josselin sich allerdings in den USA, in Kanada und in sechs Jahren in Paris erworben, und zwar in den einschlägigen Bar à vins und Restaurants gastronomiques, wo er herrlich leichte Texturen herzustellen lernte. Der kommunikative Samuel hingegen besuchte eine Handelsschule in Lille. Er arbeitete einige Jahre im Marketing und in der Werbung. Beide Brüder wollten auf Dauer selbständig nach ihrem Rhythmus arbeiten.
Samuel kümmert sich auch um die Weine und die Bar, Foto: Petra Kammann
Sie überlegten, was sie Gemeinsames machen könnten und erinnerten sich der herrlichen frischen Gemüse, die ihre Eltern in vierter Generation auf dem Gemüsehof in den fruchtbaren Marais und der jodhaltigen Luft von Guérande anbauten. Von dort also beziehen sie ihr biologisch angebautes Gemüse , seit sie 2021 in Nantes ihren Laden eröffneten Das sprach sich schnell herum und seitdem brummt das Geschäft mit den wahren Köstlichkeiten.
Die bestens sortierte Vinothek im SAIN, Foto: Petra Kammann
Hier kann Josselin mit den Produkten der Saison, die keine langen Wege hinter sich haben, arbeiten und mit seinen Gerichten punkten. Dabei hat er immer die Gesamtkomposition einer Speise schon auf der Zunge. Für ihn muss ein Gericht alles enthalten: das Süße, das Saure, das Knackige und Weiche; die Texturen müssen stimmen, und alles soll am Ende auch noch für die Kundschaft bezahlbar sein.
Das ist ebenso überzeugend hier wie der Weinkeller, der sich sehen lassen kann mit den köstlichen Loire-Weinen, dem Chinon und Chenin, dem Muscadet, den Anjou-Weinen, alles Bio-zertifiziert.
Blick in die Pracht des 19. Jahrhunderts
Frisch saniert wurde die legendäre Passage Pommeraye, Foto: Uwe Kammann
Leicht beschwingt schlendern wir trotz der Affenhitze – der „Canicule“ – nach dem köstlich-leichten Mittagsmenu zurück über die elegante Nantaiser Einkausfsmeile, die Rue Crébillon, bis hin zur höchsten Stelle der Passage Pommeraye, die der Handelsmagnat Louis Pommeraye nach Pariser Vorbildern von 1840 bis 1843 bauen ließ – mit verschnörkelten Eisentreppen, Stuckverzierungen und Putten. Unter den dekorativen Eisen- und Glasdächern und den schmiedeeisernen Leuchten ist hier das Spiel von Licht und Schatten allgegenwärtig, schützt vor Sonne wie für Wind und Regen im Winter..
Die nostalgisch stimmende Einkaufspassage erstreckt sich über drei Etagen, Foto: Petra Kammann
Die Galerie wurde kürzlich bestens renoviert und auf der untersten der drei Etagen zeitgenössisch erweitert. Kaum nimmt man wahr, dass man 9,40 m abwärts oder aufwärts gegangen ist, weil sich überall interessante Ein- und Ausblicke ergeben. Da fühlt man sich fast ins Paris des 19. Jahrhunderts versetzt. Frisch saniert, erstrahlt die Ladengalerie wieder im Glanz von einst, wo man voller Nostalgie gerne länger verweilen würde. Aber nun geht es zurück durch die heiße Stadt in das Parkhaus hinter der Kathedrale – kühler Kontrapunkt zu den in kurzer Zeit zahlreichen Eindrücken einer hochlebendigen und kulturell an- und aufregenden, sich immer wieder neu erfindenden Loire-Metropole. Das macht Lust auf mehr. Au revoir Nantes!
Der City-Pass für Nantes, der Pass Nantes
Der City-Pass für Nantes bündelt die wichtigsten Angebote, außerdem kostenloser Nahverkehr mit Tram, Bus und Boot, Leihrad für einen Tag, kostenlose Ausflüge, Eintritt und Führungen: Hätten wir doch nur soviel Zeit gehabt. Es gibt ihn für 24, 48 und 72 Stunden…
www.levoyageanantes.fr/a-faire/pass-nantes
Les Tables de Nantes
Der Online-Gastronomieführer stellt 167 Adressen zum Essen und Trinken vor – von einfach gut bis zur Sterneküche und l#ädt ein, die lokale Küche und lokale Weine zu entdecken.
www.lestablesdenantes.fr
Das SAIN
93 rue Maréchal-Joffre
44000 Nantes
Tél. : 02 40 72 82 48
→ Die Passage Pommeraye: Ein magisch-nostalgischer Ort in Nantes
→ Tolle Tage – „La folle Journée 2016“ in Nantes