Friedrich-Hölderlin-Preis 2025 der Stadt Bad Homburg
Feierliche Preisverleihung in der Schlosskirche
Von Erhard Metz
Plakat (Ausschnitt) zur Veranstaltung
Bei hochsommerlichen Temperaturen am Nachmittag des 29. Juni 2025 erwies sich die Bad Homburger Schlosskirche mit ihrem Ende des 17. Jahrhunderts errichteten dicken Mauerwerk als ein willkommener Aufenthaltsort, an dem der Bad Homburger Oberbürgermeister Alexander Hetjes denn auch ein zahlreich erschienenes Publikum zur Verleihung des Friedrich-Höderlin-Preises 2025 begrüßen konnte, der bereits 42. Auszeichnung ihrer Art. Die Ehrungen nahm Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt wahr. Umrahmt wurde der Festakt vom Spiel des hervorragend disponierten Holzbläser-Trios Lézard.
Der Friedrich-Hölderlin-Preis wird von der Stadt Bad Homburg gemeinsam mit der Stiftung Cläre Jannsen vergeben. Der Hauptpreis ist mit 20.000 Euro dotiert, der gleichzeitig vergebene Förderpreis mit 7.500 Euro.
Die Stadt Bad Homburg fühlt sich in besonderer Weise dem Dichtergenie Johann Christian Friedrich Hölderlin, 1770 in Lauffen am Neckar geboren, verbunden. Es war der Homburger Isaak von Sinclair, der seinen Freund aus Studienzeiten Hölderlin im September 1798 in die Stadt einludt, in der der Dichter bis Juni 1800 weilte und arbeitete und beispielsweise den Briefroman „Hyperion“ vollendete. Letzterer gehörte zur Lieblingslektüre der Prinzessin Auguste von Hessen-Homburg, Tochter des zu Hölderlins Zeit regierenden Landgrafen Friedrich V. von Hessen- Homburg. Der Dichter widmete ihr anlässlich ihres Geburtstags die Ode „Der Prinzessin Auguste von Homburg den 28ten Nov 1799.“ Im Jahr 1800 verließ Hölderlin die Stadt, kehrte aber 1804 auf Initiative Sinclairs wieder zurück. Dort konnte er jedoch nicht mehr an die produktive Phase seines ersten Homburger Aufenthalts anknüpfen. Inzwischen vereinsamt und in psychisch schlechter Verfassung, ließ ihn seine Mutter 1806 abholen und in die Tübinger psychiatrische Universitätsklinik einweisen. Nach seiner Entlassung als unheilbar verstarb er 1843 in Obhut in seinem Zimmer im berühmten Tübinger „Hölderlinturm“.
Das Plakat zur Preisverleihung versprach nicht zu viel: ein Fest für die Literatur! Die Laudatio von Professor Joachim Jacob, Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Giessen, geriet selbst zu einem kleinen literarisch-poetischen Ereignis, nicht minder die Dankesansprache des Hauptpreisträgers Christian Lehnert. Markant war die Laudatio von Shirin Sojitrawalla auf den Träger des Förderpreises Necati Öziri – wobei Oberbürgermeister Hetjes bereits in seinen Eröffnungsworten darauf hingewiesen hatte, dass die beiden diesjährigen Preisträger unterschiedlicher nicht sein könnten. Shirin Sojitrawalla, 1968 in Freiburg geboren, arbeitet nach dem Studium von Germanistik, Politikwissenschaft und Komparatistik und einem Voluntariat bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als freiberufliche Kulturjournalistin mit den Schwerpunkten Literatur und Theater. Wie zu erwarten nahm Necati Öziri in seiner Dankesrede engagiert wie pointiert zu aktuell diskutierten gesellschaftspolitischen Fragen wie Migration und Integration in Deutschland und Europa Stellung.
Hauptpreisträger Christian Lehnert bei seiner Dankesrede, Foto: Erhard Metz
Der Dichter und Theologe Christian Lehnert, 1969 in Dresden geboren, gilt als eine der eindrucksvollsten Stimmen der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik. Seine in mehreren Bänden veröffentlichten Gedichte, zuletzt im Band „Aufkommender Atem“, kreisen in kraftvoller Sprache um metaphysische Fragen, Naturerfahrung und die Stille als poetischen Raum. Lehnerts Lebensweg spiegelt seine konsequente Suche nach Sinn und Tiefe wider: In der DDR verweigerte er den Wehrdienst und leistete seinen Ersatzdienst als Bausoldat in den Chemieanlagen von Leuna.
Nach dem Studium der Theologie und Orientalistik in Leipzig führten ihn Reisen nach Israel und Nordspanien. Als evangelischer Pfarrer in Müglitztal bei Dresden, später als Studienleiter in Wittenberg und zuletzt als Leiter des Liturgiewissenschaftlichen Instituts in Leipzig prägte er theologische und kulturelle Diskurse mit. 2024 zog sich Lehnert bewusst aus dem akademischen Betrieb zurück. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Barockgeigerin, und den drei Kindern lebt und arbeitet er heute in einem alten Bauernhaus im Osterzgebirge und widmet sich ganz dem Schreiben. Er ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Lehnert erhielt bereits zahlreiche renommierte Literatur- und speziell Lyrikpreise sowie mehrere Stipendien und Förderpreise.
Begründung:
Christian Lehnert erneuert mit seinem literarischen Werk in Lyrik, erzählender Prosa und essayistischer Reflexion die große Tradition dichterischen Sprechens über Religion, Natur und die Grundfragen des menschlichen Daseins. Im Vertrauen auf die weltstiftende Kraft der Sprache erreicht seine Lyrik eine für die gegenwärtige Dichtung herausragende Einfachheit, Prägnanz und musikalische Schönheit.
Mit großer sprachlicher Feinheit, Formenreichtum und genauester, allen Sinnen geöffneter Beobachtung richtet Lehnert seine Aufmerksamkeit auf die Natur in der Fülle ihrer Erscheinungen wie auf menschliche und spirituelle Grunderfahrungen, die in der Spur einer modernen Mystik göttliches Angesprochensein als Widerspiel von Schweigen, Leere und Nichts artikulieren. Lehnerts Werk umfasst neben acht Gedichtbänden, Libretti für das moderne Musiktheater (u.a. Hans Werner Henze „Phaedra“; Steffen Schleiermacher „Nach Markus. Passion“), Übersetzungen und Herausgaben. In ganz eigener poetisch-theologischer Weise öffnen Lehnerts Essays über den Apostel Paulus „Korinthische Brocken“ und „Das Haus und das Lamm. Fliegende Blätter zur Apokalypse des Johannes“ ferngerückte biblische Texte wieder einem persönlichen Erfahrungsraum.
(Quelle: Magistrat der Stadt Bad Homburg, Fachbereich Kultur und Bildung)
Schlosskirche Bad Homburg; Foto: TeKaBe, Wikimedia Commons CC-Lizenz creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Mit dem Förderpreis würdigt die Stadt Bad Homburg in diesem Jahr Necati Öziri, geboren 1988 in Datteln. Der Schriftsteller und Dramaturg ist eine prägende Stimme einer neuen Generation von Autoren, die Herkunft, Sprache und kulturelle Identität radikal und zugleich poetisch neu denken.
Öziri wuchs im Ruhrgebiet bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, studierte Literatur und Philosophie in Bochum, Istanbul, Olsztyn und Berlin und fand über das Ballhaus Naunynstraße in Berlin zum Theater. Eine Ausbildung an der Akademie der Autodidakten, einem Talentförderprogramm für junge Künstler mit Migrationsgeschichte, legte den Grundstein für seine Karriere als Dramaturg und Autor. Mit Theaterstücken wie „Die Verlobung in St. Domingo – Ein Widerspruch“ und „Gott Vater Einzeltäter“ sorgte Öziri für Aufsehen. Seine Arbeiten stellen klassische Texte von Kleist, Schiller oder Wagner infrage und bringen neue Erzählformen und Perspektiven auf die Bühne.
Übergabe des Förderpreises: Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt, Preisträger Necati Öziri, Laudatorin Shirin Sojitrawalla, Foto: Erhard Metz
Öziris Romandebüt „Vatermal“ erschien 2023 und stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. In eindringlicher Sprache erzählt Öziri darin die Geschichte eines jungen Mannes, der seinem abwesenden Vater einen Brief schreibt – ein starkes Stück Gegenwartsliteratur über Entwurzelung, Selbstbehauptung und familiäre Brüche. Im Wintersemester 2024/25 übernahm Necati Öziri die gemeinsame Poetikdozentur der Hochschule RheinMain und des Kulturamts der Landeshauptstadt Wiesbaden. Auch Öziri erhielt bereits eine Reihe von Preisen und Stipendien.
Begründung:
In seinem Debütroman „Vatermal“ inszeniert Necati Öziri mit sprachlicher Präzision und klugem Humor ein komplexes Geflecht aus Erinnerung, Erzählung und Identitätssuche. Seine Hauptfigur Arda, die sich sowohl vom abwesenden Vater als auch vom abweisenden deutschen Staat im Stich gelassen fühlt, nutzt auf souveräne Weise die Mittel von Dichtung und Wahrheit, um sich der eigenen Position innerhalb von Familie und Gesellschaft zu vergewissern.
„Vatermal“ ist gleichzeitig einfühlsame Familiengeschichte und literarische Selbstermächtigung. Öziri ist mit diesem Roman eine eindringliche und überzeugende Reflexion über Zugehörigkeit, Migration und die Macht des Erzählens selbst gelungen.
(Quelle: Magistrat der Stadt Bad Homburg, Fachbereich Kultur und Bildung)
Trio Lézard in der Schlosskirche (Jan Creutz, Stephane Egeling, Daniel Mohrmann), Foto: Erhard Metz
Der Preisverleihung waren zwei Veranstaltungen des Jungen Hölderlin-Forums in der Bad Homburger Villa Wertheimber vorausgegangen: eine Lesung mit der Autorin und Hölderlin-Kennerin Olga Martynova sowie eine Vorstellung der diesjährigen Hölderlin-Preisträger in einer öffentlichen Lesung der Bad Homburger Bürgerschaft ebenfalls in der Villa Wertheimber.
Nachfolgend mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Autorin die Laudationen auf die Preisträger 2025 Christian Lehnert und Nacati Öziri:
Laudatio Lehnert HöldPreis 2025_PDF