Auftakt des 38. Rheingau Musik Festivals im Kloster Eberbach
„Im Weinberg des Herrn“: Musik vor magischer Kulisse
Von Petra Kammann
Eine sommerliche Stimmung lag über dem Kloster Eberbach, als sich dort zum Auftakt das hr-Sinfonieorchester, der MDR-Rundfunkcho und die Geigerin Diana Adamyan mit ganz unterschiedlichen Kompositionen präsentierten. Mit Werken von Maurice Ravel anlässlich seines 150. Geburtstags, von Pablo de Sarasate, Franz Waxman und der selten gehörten Cäcilienmesse von Charles Gounod mit den Solisten Annett Fritsch, Sopran, Bogdan Volkov, Tenor, und Alexandre Duhamel, Bariton. Alles unter der Leitung des dynamischen französischen hr-Chefdirigenten Alain Altinoglu. Bis zum 6. September stehen noch insgesamt 150 weitere Konzerte auf dem Programm: von Frankfurt über Wiesbaden werden bis zum Mittelrheintal Schlösser, Kirchen und Weingüter zu Konzertbühnen.
Blick ins Laiendormitorium von Kloster Eberbach, Foto: Petra Kammann
Im Zisterzienserkloster Eberbach, das architektonisch durch strenge Einfachheit und Schmucklosigkeit überzeugt, leben schon seit langem keine Mönche mehr. Inmitten lieblicher Weinberge findet in der im Tal gelegenen Klosteranlage traditionell alljährlich der Auftakt des Rheingau Musik Festivals statt.
Die Auftaktveranstaltung findet traditionnell in der Basilika von Kloster Eberbach statt, Foto: Petra Kammann
Die europäischen Zisterzienserabteien – geprägt vom liturgischen Leben, von Stille, Gebet und Kontemplation, von der Arbeit im Weinberg, sind auch eng mit der Musik, vor allem mit der menschlichen Stimme verbunden. Sie kommt in der schlichten Architektur besonders gut im gregorianischen Gesang zur Geltung.
Klar ziseliert die Stimmen des MDR-Chors, Foto: Petra Kammann
Heutzutage, wo das mönchische Ritual wegfällt, erscheint es an diesem auratischen Ort, der mit zunehmender Säkularisierung viele Stadien unterschiedlichster Nutzung durchlaufen hat, überzeugend, immer wieder eine Messe aufzuführen, die an den religiösen Ursprung erinnert. In diesem Jahr war die Messe eine prächtige und festliche, allerdings relativ unbekannte und selten aufgeführte von Charles Gounoud (1818-1893).
Einführende Worte von Festivalintendant Michael Hermann im Laiendormitorium, Foto: Petra Kammann
Selbst für den Musikkenner Michael Hermann, der das Festival als Intendant seit nunmehr 38 Jahren leitet, war die Aufführung der „Messe solennelle en l’honneur de Sainte-Cécile“, die auf Latein gesungene „Cäcilienmesse“ von Gounod, eine Premiere. Ebenso wie das Spiel des darin äußerst selten gespielten Instruments, der für das Konzert eigens zur Verfügung gestellte dreieinhalb Meter hohe Oktobass, von dem überhaupt nur 15 Exemplare insgesamt existieren. Das überdimensionale tiefe Streichinstrument mit nur drei Saiten aus der Violonen-Familie war 1855 von Gonoud erstmals erfolgreich eingesetzt worden.
Die Uraufführung dieser der Patronin der Kirchenmusik gewidmeten Messe hatte symbolisch am Jahrestag der Hl. Cäcilia, in Paris in St. Eustache 1855 stattgefunden. Über sie schrieb der damals anwesende Komponist Camille Saint-Saëns später: „Die Aufführung der Cäcilienmesse rief eine Art Benommenheit hervor. Diese Einfachheit, diese Größe, dieses reine Licht, das sich über die Musikwelt wie eine Dämmerung breitete, setzte die Leute sehr in Erstaunen: Man fühlte, dass hier ein Genie tätig gewesen war … glänzende Strahlen gingen von dieser Messe aus … zunächst war man geblendet, dann berauscht und schließlich überwältigt.“
Applaus für die Musiker und den Dirigenten – Blick in die vollbesetzte Basilika des Kloster Eberbach, Foto: Petra Kammann
Die Ausstrahlung dieser untypischen, auf Latein gesungenen Festmesse im zweiten Teil des Eröffnungskonzertes, die gewissermaßen alle Register zieht, war musikalisch ausgesprochen gelungen. Sie ließ das – auf Wunsch des Landesherren – von hr und mdr eingangs gesungene, neu interpretierte Hessenlied, an diesem Abend völlig in den Hintergrund treten. Die Brillanz des Orchesters, der Sänger und Sängerinnen des mdr und einzelner Solisten und Solistinnen kamen insgesamt in der zweiten Hälfte des Eröffnungsabends überzeugender und stringenter zum Ausdruck. Das mag an der Mischung des zwischen französischen, ungarischen und spanischen Elementen changierenden Programms des ersten Teils gelegen haben.
Unberührt blieb davon die insgesamt rasante und gekonnte Dirigierleistung des französischen Chefdirigenten Alain Antinoglu, der die Musiker souverän durch alle Höhen und Tiefen führte. Nicht von ungefähr war er mit dem hr-Sinfonieorchester nach Paris eingeladen worden, um nach dem Brand von Notre-Dame zur Wiedereröffnung der frisch restaurierten Kathedrale die Uraufführung des „Te Deum pour Notre-Dame“ des französischen Komponisten Thierry Escaich aufzuführen. Ein für ihn, wie auch für die hr-Sinfoniker zweifellos berührendes und hochmotivierendes Erlebnis!
Eigentlich waren 6 Harfen statt der 2 für die Gounod- Messe vorgesehen, doch machte das u.a. die in der Enge der Basilika souverän spielende Solo-Harfenistin Anne-Sophie Bertrand wieder wett, Foto: Petra Kammann
Großes Einvernehmen zwischen der Violinistin Diana Adamyan und dem Dirigenten Alain Antinoglu, Foto: Petra Kammann
Was die Solisten betrifft, so zauberte die zarte junge Geigerin Diana Adamyan – sie, wie auch Antinoglu armenischen Ursprungs – die höchsten und leisesten Töne aus ihrem Instrument hervor, während die Harfenklänge der französischen Solo-Harfenistin des hr Anne-Sophie Bertrand wie sanfte Meereswellen in Ravels „Une barque sur l’océan Nr.3 aus den Miroirs M. 43“ das Kirchenschiff durchzogen.
Orgelkonzerte führten Martin Lücker, „den Organisten“ der Frankfurter Katharinenkirche, an bedeutende historische Orgeln in viele europäische Länder, auch nach St. Sulpice in Paris, Foto: Petra Kammann
Die Orgel, die der bekannte Organist und Professor Martin Lücker spielte – vielen bekannt wegen seiner Solokonzerte in der Frankfurter Katharinenkirche und wegen seiner Gastspiel auf historischen Orgeln in verschiedensten europäischen Ländern und in den USA – war seitlich des Orchesters verborgen. Der Orgelklang korrespondierte mit den tief brummenden Tönen vom Oktabass.
Die Solisten der Gounod-Messe beim anschließenden Empfang, v.l.: Bogdan Volov, Tenor, Anett Fritsch, Sopran, Alexandre Duhamel, Bariton, Foto: Petra Kammann
Umso heller und strahlender klangen die Solo-Partien der herausragenden Sopranistin Anett Fritsch, fast schwebend im „Benedictus“. Etwas zurückgenommener ordneten sich die Sänger Bogdan Volkov, Tenor, und Alexandre Duhamel, Bass, in das „Domine, Salvum Fac“, das seinerzeit Napoleon III. gewidmet war, was bei näherer Betrachtung bei uns Heutigen gemischte Gefühle hervorruft. Die politische Anspielung, der Herr möge uns erhören und unsere Republik retten, erweckt für uns vielleicht auch andere Assoziationen. Die Wahrnehmung der hochdynamischen Musik bleibt davon ungetrübt.
Am späten Abend kehrt im Kloster Eberbach wieder Stille ein, Foto: Petra Kammann
Trotz der – in manchem etwas zu potpourriartigen Auswahl der gespielten Stücke – hallten die gelungenen „himmlischen“ musikalischen Momente auf dem Nachhauseweg an diesem unnachahmlich lauen Sommerabend noch lange nach. Und das Festivalprogramm hält noch viele musikalische Überraschungen unterschiedlichster Couleur und Zeiten bereit.
Weitere Informationen:
https://www.rheingau-musik-festival.de/programm-karten/programmuebersicht