„Feine Fahrräder“, präsentiert im Museum Angewandte Kunst
Vom Laufrad bis zum futuristischen Fahrrad aus dem 3D-Drucker
Von Hans-Bernd Heier
Im Laufe seiner über drei Jahrhunderte währenden Entwicklungsgeschichte avancierte das Fahrrad zum weltweit meist genutzten Verkehrsmittel. Gesellschaftliche und soziale sowie politische und ökonomische Verhältnisse prägten die Bedeutung dieses Fortbewegungsmittels und die mit ihm verbundene Zukunftsvisionen. Die Ausstellung „Der eigene Antrieb. Feine Fahrräder“ im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt widmet sich den Höhepunkten des Fahrraddesigns aus drei Jahrhunderten.
Ausstellungsansicht, Foto: Günzel/Rademacher / Museum Angewandte Kunst
Die erlesene Auswahl umfasst Modelle von Karl Drais‘ Laufmaschine über Hoch-, Nieder- und Falträder bis zum Alltagsrad oder Sportgerät von heute, aber auch verschiedene Herstellungsverfahren – vom handwerklichen Rahmenbau über die industrielle Serienproduktion bis zum Fahrrad aus dem 3D-Drucker.
Mit der Erfindung des Fahrrads entsteht das effizienteste, mit Muskelkraft zu bewegende Gefährt. Dank ihm erweitert der Mensch mit zunehmender Beschleunigung seinen Aktionsradius, mit ihm beginnt zugleich der individualisierte Verkehr. Das Fahrrad war allerdings schon immer mehr als ein Mittel zur Fortbewegung. „So steht es auch für Sport, Gesundheit, Lifestyle und jenem Zusammenspiel von Gestaltung und ausgeklügelter Funktionstechnik, durch das es zu einem nahezu kultisch aufgeladenen Designobjekt wird.“, sagt Prof. Matthias Wagner K, Direktor des Museums Angewandte Kunst Frankfurt.
Dass dabei das Design von Fahrrädern mit der Geschichte technischer Innovationen und Herstellungsverfahren eng verbunden ist, zeigt sich am Antrieb, der Federung und den Laufrädern, aber besonders auch am Rahmen und dessen Materialien. Design und Technologie verschmelzen zunehmend und immer wieder werden dabei die Grenzen des Machbaren ausgelotet.
„Liegerad J-Rad“, 1919; Entwurf: Paul Jaray, Rahmen: Stahl, geschweißt, Schaltung: Dreigang-Trethebelantrieb mit Drahtzügen, Gewicht: 21,9 kg; © Deutsches Fahrradmuseum, Bad Brückenau
Die großartige Schau im Richard Meier-Bau am Schaumainkai bietet nicht nur einen faszinierenden Einblick in die herausragende Ingenieurskunst bei der Entwicklung der „Feinen Fahrräder“ – so der Titel der Ausstellung –, sondern es beleuchtet auch die zentrale Rolle, die lokale Unternehmen und Institutionen der Rhein-Main-Region bei Entwicklung und Verbreitung von Fahrrädern im deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik einnahmen.
Ausführlich dargestellt wird die Geschichte der einst in Frankfurt am Main ansässigen Adlerwerke (ehemals Heinrich Kleyer AG), des 1889 in Offenbach am Main gegründeten Arbeiter-Radfahrerbunds Solidarität sowie der 1922 begonnenen Eigenproduktion günstiger Fahrräder des Offenbacher Fahrradhaus „Frischauf“.
Die Adlerwerke wurden 1880 in Frankfurt am Main gegründet. Als bedeutender Hersteller in der Fahrradindustrie spielte das Unternehmen eine wichtige Rolle. Adler-Fahrräder wurden in immer größeren Stückzahlen und verschiedenen Varianten hergestellt: Tourenräder, Luxusmodelle für Damen und für Herren, Straßen- und Bahnrennräder, Jugendräder, Tandems, Drei-, Vier- und Sechssitzer sowie Transporträder. Werbeslogans, wie „Adler für den anspruchsvollen Käufer“ vermittelten bis in die 1930er Jahre dank fortwährend neuer technischer Entwicklungen und Fertigungsqualität das Selbstbewusstsein der Firma. Ein besonderer Erfolg war das 1934 zuerst von Adler gebaute 3-Gang-Wechselgetriebe im Tretlager.
Straßenrennrad, 1989, Entwurf: Togashi Engineering, Rahmen: Karbon Monocoque, Schaltung: 14-Gang-Kettenschaltung Suntour; Gewicht: 12 kg; © Sammlung Reiner Balke
Nach dem Stellenabbau infolge der Weltwirtschaftskrise profitierten die Adlerwerke – so wie viele Industriebetriebe – während des Zweiten Weltkrieges von staatlichen Rüstungsaufträgen. Eine Erweiterung des Fabrikgeländes wurde 1938 erst durch die Vertreibung jüdischer Unternehmer möglich. In den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges wurde die Rüstungsproduktion zunehmend mit Zwangsarbeiter:innen und insbesondere mit KZ-Häftlingen betrieben.
Mit der Übernahme des Unternehmens durch die Firma Grundig im Jahr 1957 endete der Fahrzeugbau im Gallusviertel. Seit 2015 widmet sich der Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ-Katzbach/Adlerwerke der geschichtlichen Aufarbeitung und der Aufrechterhaltung einer Erinnerungsstätte. Der Geschichtsort Adlerwerke: Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager dient heute als lebendige Gedenk- und Bildungsstätte.
Arbeiter Radfahrerbund Solidarität
Fahrräder gehörten bis in die 1890er Jahre zu den Privilegien der besitzenden Schichten. Um die Jahrhundertwende hätte ein einfacher Industriearbeiter für den Erwerb eines Fahrrads noch ungefähr ein Achtel seines Jahreslohns aufbringen müssen. Erst mit der deutlichen Preissenkung für Fahrräder ab 1900 wurde dieses Fortbewegungsmittel auch für die Arbeiterschaft interessant.
Bambusfahrrad, um 1898; Rahmen: Bambusrohr, Stahl, Stahlmuffen, Gewicht: 16,2 kg; © Deutsches Fahrradmuseum, Bad Brückenau; Foto: Hans-Bernd Heier
Um die eigenen Interessen besser vertreten zu können, organisierten sich Arbeiter und Arbeiterinnen in entsprechenden Radsportbünden. 1896 kamen die Delegierten von Bünden aus zwölf deutschen Städten nach Offenbach am Main, um den „Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität“ ins Leben zu rufen. Die Vereinigung konnte die Zahl der Mitglieder von knapp 500 im Gründungsjahr auf ca. 148.500 im Jahr 1913 steigern. Der Fokus lag zunächst auf dem Touren- und Wanderfahren als Maßnahme zur körperlichen Erholung. Später kamen Kunstradfahren und andere Saalradsportarten hinzu.
Ab Mitte der 1920er Jahre wurden im Verband zunehmend Motorradfahrer-Abteilungen gegründet, weshalb er sich 1928 in „Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität“ (ARKBS) umbenannte. Unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung 1933 wurde der ARKBS verboten, das Eigentum, bestehend aus Sportanlagen, Wohnungen und dem Fahrradwerk, beschlagnahmt und nationalsozialistischen sowie gleichgeschalteten bürgerlichen Radfahrervereinen übereignet.
1949 erwachte der „Arbeiter-Rad- und Kraftfahrerbund Solidarität“ wieder zu neuem Leben, sowie ein Jahr zuvor der Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Der Radsport war somit der einzige Sport, für den es in Deutschland nach dem Krieg gleich zwei Spitzenorganisationen gab. Nach mehrjährigem Rechtsstreit trat 1977 ein Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe in Kraft, das den DSB dazu zwang, den RKBS, wie er sich seit 1964 nannte, als Mitglied aufzunehmen und mit dem BDR gleichzustellen.
Fahrradhaus Frischauf
Um den Mitgliedern des Arbeiter-Radfahrerbund Solidarität günstige, oftmals gebrauchte Fahrräder anzubieten, gründete der Verbund zahlreiche genossenschaftlich organisierte Fahrradhäuser. Die Ausgangsbasis dafür bildete eine bereits seit Ende der 1890er Jahre in Berlin bestehende Einkaufsgenossenschaft für Fahrräder und Zubehör, die 1906 den Namen „Fahrradhaus Frischauf“ erhielt. Anfang 1911 zog die Zentrale in das in Offenbach am Main neuerbaute Bundeshaus und besaß nur drei Jahre später bereits 28 Filialen und 60 Verkaufsstellen. Im Jahr 1922 wurde in der Sprendlinger Landstraße in Offenbach mit der Produktion eigener, kostengünstiger Damen- und Herrenfahrräder sowie Fahrradzubehör begonnen.
Das Fahrradhaus Frischauf wurde bereits 1933 durch die Nazis beschlagnahmt und enteignet und drei Jahre später unter dem Namen „Mayweg Werk Frischauf“ weitergeführt. 1949 konnte das Fahrradhaus Frischauf den Betrieb zwar erneut aufnehmen, musste ihn aber wegen der übergroßen Konkurrenz auf dem deutschen Fahrradmarkt und permanenter Kapitalschwäche 1955 endgültig einstellen. Seit 2016 werden in Frankfurt am Main unter dem Markenamen Frischauf wieder Fahrräder gebaut, die mit dem ursprünglichen Unternehmen jedoch nichts zu tun haben.
Design-Fahrräder für alle?
Seit den 1970er Jahren brachten Umweltschutzbestrebungen und ein verändertes Problembewusstsein ein Umdenken und eine Renaissance des Fahrrads als Fortbewegungsmittel mit sich. Die durch den Deutschen Sportbund (DSB) ausgelösten Trimm-Dich-Aktivitäten, die Öko-Bewegung im Kampf gegen die durch Industrialisierung und Urbanisierung verursachte Verschmutzung von Wasser, Boden und Luft sowie der zunehmende Verkehrsinfarkt in den Innenstädten trugen zur Wiederentdeckung des Fahrrads als alternatives Verkehrsmittel bei. Mit dazu beigetragen hat auch der permanente kommunale Ausbau von Fahrradwegen. Frankfurt ist aufgrund des Baus von mehr und breiteren Fahrradspuren einer aktuellen Umfrage des Fahrradclubs ADFC zufolge sogar zur fahrradfreundlichsten deutschen Großstadt gekürt worden.
Ausstellungsplakat, Grafik/Graphic: deserve.de © Museum Angewandte Kunst, Darauf das Kunststoff-Fahrrad „Itera“ 1980/1982
Das Fahrrad avancierte derweil zum Lifestyle-Produkt und mithin stiegen das Interesse und der Spaß an gut gestalteten und maßangefertigten Sporträdern. Bald wurden für das verbreitete Alltagsfahrzeug spezifische Merkmale, Funktionen und Designs interessant, was dazu führte, dass das Angebot an Fahrrädern sich zunehmend ausdifferenzierte. Carbonfaser-verstärkter Kunststoff, Aluminium und Magnesium – oft im Mix mit traditionellen Herstellungsweisen – wurden für Innovationen in Design, Verarbeitung und Funktionalität genutzt, wie die sehenswerte Präsentation im Museum Angewandte Kunst zeigt.
Die Schau „Der eigene Antrieb. Feine Fahrräder“ – noch bis zum14. September 2025 zu bewundern – ist eine Kooperation des Museums Angewandte Kunst mit der „Neuen Sammlung, München“ und dem Deutschen Fahrradmuseum, Bad Brückenau, das über die umfangreichste und qualitativ hochwertigste Sammlung historischer Fahrräder in Deutschland verfügt.
Weitere Informationen unter:
www.museumangewandtekunst.de