ARTistART- Die Kunst der Artisten unter der Zirkuskuppel
Imagination vor allem – Das rasante Gesamtkunstwerk Roncalli
Von Petra Kammann
Phantastisch, mitreißend und wagemutig: ARTistART, Kunst und Artistik auf dem Festplatz am Ratsweg. Mit fabulösen Gauklern, Jongleuren, Seiltänzern, Schaustellern, Tänzern und Tänzerinnen, mit poetisch-komischen Clowns, spektakulären Equilibristen und romantischen Luftakrobaten, Slapstick-Meistern, Requisiteuren, Illusionisten und Musikern verzaubert der Zirkus der Extraklasse das Publikum mit Künsten, die von Keith Haring, Frida Kahlo, Pablo Picasso oder Henri de Toulouse-Lautrec inspiriert sind. Schon auf dem Festplatz am Ratsplatz anzukommen, der von den nostalgischen Roncalli-Zirkuswagen umsäumt ist, ist das schiere Vergnügen.
Hereinspaziert! Noch bis zum 29. Juni auf dem Festplatz am Ratsweg, Fotos: Petra Kammann
Und im Vorraum der eigentlichen Manege wird man sofort in einer anderen, einer phantastischen Welt, empfangen. Zuckerwatte, buntebemalte Holzlarussellpferde, Wunderkammertiere, historische Zirkusplakate, Essens- und Souvenirstände mit Produkten der Roncalli-Zirkuswelt stimmen schon atmosphärisch vor Beginn auf die eigentliche Veranstaltung ARTistART ein.
Fasziniert: der historische Orgelwagen aus Höchst, Foto: Petra Kammann
Da sorgen Jongleure, Clowns und Tänzerinnen für beste Stimmung und erscheinen wie Boten aus einer anderen Welt. Verführerisch und unterhaltsam. Alle Repräsentanten der Roncalli-Welt flanieren und bewegen sich vor ihrem eigentlichen Auftritt formvollendet durch die jugendstilige Erlebniswelt. Ja, auch das ist eine Kunst für sich.
Charmante Programmverkäuferin, und ein faszinierender Jongleur, Fotos: Petra Kammann
Etliche sind passend im Stile der Belle Epoque gekleidet, figurbetont mit Tressen, Pailletten, Federboas, Hut, Seidenschal und Strunztuch im Jackett, ist doch ein Teil des Programms dem französischen Künstler Henri de Toulouse-Lautrec, gewidmet. Und schließlich hat der Roncalli-Erfinder und passionierte Sammler Bernhard Paul im Laufe der Zeit etliche zirsensische Accessoires und Kostüme auf französischen und belgischen Flohmärkten erworben.
Das Roncalli Royal Orchestra spielt immer live und improvisiert während des Umbaus zum nächsten Act und der Raum abgedunkelt wird, Foto: Petra Kammann
Sogar leibhaftige Orchester-Musiker und Multiinstrumentalisten spielen dazu auf. Später sitzen sie nicht etwa im „Orchestergraben“, sondern auf einer zweiten Bühne im höchsten Rang. Genial, wie die acht Multiinstrumentalisten unter der Leitung von Georg Pommer die unterschiedlichsten Stile beherrschen: von Flamenco- über Cancan-Musik, jazzigen Klängen und Sounds bis hin zu heißen Rock und Pop-Rhythmen und Groove. Beim jeweiligen fixen Umbau der Bühne im abgedunkelten Raum improvisieren sie, damit es dem Publikum nie langweilig wird. Und das schon seit 47 Jahren…
Mit dem aufsteigenden Ballon entschwebt man entgültig dem Alltag, Foto: Petra Kammann
Wenn dann in der Manege der Heißluftballon mit den beiden Clowns Matute und Canutito in schwindelnde Höhen aufsteigt, kann es losgehen mit der Reise ins Reich der schönen Illusionen…
Weißclown Gensi empört über den trötenden Clown Canutito Jr., Foto:Petra Kammann
Schon treibt der spanische dienstälteste Weißclown Gensi den peruanischen Clown Canutito Jr. an, er solle „musica classica“, klassische Musik also, auf seiner Tröte zu spielen. Doch der gehorcht natürlich nicht und macht zu Gensis Entsetzen immer genau das Gegenteil und posaunt irgendwas in sein Blasinstrument hinein: „Mamma mia“. Dem ist wohl nicht zu helfen, verrät Gensi dem Publikum… Die Kinder neben mir jauchzen vor Vergnügen.
Der chilenische Clown Matute mit seinem aufgeschnallten Schlagzeugorchester, Foto: Petra Kammann
Demgegenüber wirkt der chilenische Clown Matute mit seinen großen melancholischen Augen eher hinreißend ungeschickt, verloren und versucht, sich in dieser Rolle auf der Bühne (des Lebens) zu behaupten, sei es mit seinen dünnen Ärmchen im Boxkampf mit einem Zuschauer aus dem Publikum, sei es mit seinem Schlagzeug auf dem Rücken – nie platt, sondern immer leicht selbstzweifelnd, ungewollt komisch und poetisch. Ein kleiner zarter Junge zwei Reihen vor mir schmiegt sich eng an die Schulter seiner Mutter. Auf dem Rücken seiner coolen Jeansjacke steht über den unterschiedlichen Smileys: „Smile together“ .
Und dann immer wieder auch das Spiel mit dem Nervenkitzel. Hilfe! Ist das etwa eine Guillotine, die während der Französischen Revolution eine unrühmliche Rolle gespielt hat, oder wo lässt die italienische Illusionistin Alexandra Saabel die halben Körper der Menschen nur so bodenlos verschwinden?
Soll der Kopf ab? Wo bitteschön, hat die Illusionistin den Unterkörper nur versteckt?, Foto: Petra Kammann
Und dann einfach unglaublich, wie Lili Paul-Roncalli, die Tochter von Bernhard Paul, ihren Körper strecken und ihre Beine wie eine Gummipuppe rücklings verdrehen kann. Kontorsion heißt sowas wohl fachmännisch. Die schöne Let’s dance-Gewinnerin ist schon von früher her in Frankfurt keine Unbekannte. In dieser Show balanciert sie auf dem Tisch mit der zerfließenden Uhr, Bezug nehmend auf Salvador Dalís berühmtem Gemälde „Die zerrinnende Zeit“ , im Handstand mit dem Kopf nach unten und lässt weitere Uhrenteller auf ihren Füßen bzw. ihren Zehenspitzen rotieren. Einfach magisch!
Lili Paul-Roncalli kehrt in den Zirkus zurück und nimmt die elterliche Tradition auf, Foto: Petra Kammann
Ach was. War das gerade die Stimme der Piaf oder die von Juliette Gréco? Mit dem live gesungenen weltberühmten Chanson „Sous le ciel de Paris“ geht es in das für Bohémiens so attraktive Amüsierviertel der französischen Metropole um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert. Bei dieser Nummer in „Bleu, blanc, rouge“, den Farben der französischen Trikolore, muss man an Motive des berühmten Porträt- und Plakatmalers Henri de Toulouse-Lautrec und sein geliebtes Montmartre mit den Variététheatern à la Moulin Rouge denken. In diesem Quartier trafen sich seinerzeit die – politisch nicht immer „korrekt denkenden“ Künstler – wie etwa Picasso und Toulouse Lautrec, so dass die Polizei bisweilen verzweifelt versuchte, durchzugreifen.
↑ Könnten gegensätzlicher nicht sein die Welten: Der Cancan repräsentiert Paris, während der in der von Keith Haring eigens für Bernhard Paul gestalteten Säule verschwindende Verbiegungskünstler Andrey Romanovski für New York und den Pop-Artisten Haring steht.
Das Roncali Ballett legte einen schmissigen Cancan hin, Foto: Petra Kammann
Bei dem ebenfalls in fröhlich, frech und frisch in blau-weiß-rot gekleideten Duo Cardio aus Frankreich vergisst man fast die Angst, Solène und Rodrigo könnten abstürzen, wenn sie sich zu dem atemberaubend gefährlichen Perche-Balanceakt aufschwingen. Es wirkt so federleicht, wenn Solène sich spektakulär in luftiger Höhe kopfüber kopfunter auf den schwankenden Stäben bewegt, die Rodrigo scheinbar mühelos auf seiner Stirn trägt.
Locker, mühelos und leicht: die riskanten Balanceakte des Duo Cardio, Foto: Petra Kammann
Bevor wir zum anderen Duo, dem Duo Turkeev, einem romantischen Liebespaar, kommen, das sich selbst, da wo die Luft dünn ist, immer wieder ineinander verknäuelt, sich entfernt und wieder zueinanderfindet, dürfen wir natürlich keinesfalls den hinreißenden „tollpatschigen“ Vladimir Georgiev alias Professor Wacko und seine Slapsticks vergessen.
Stierkampfnummer ohne lebende Tiere, Foto: Petra Kammann
Da es Tiere seit einigen Jahren nicht mehr im Roncalli-Zirkus gibt, war es köstlich zu sehen, wie er als Matador auf einem (Stoff-) Stier durch die „Arena“ ritt und damit an die Stierkämpfe erinnerte, die den Jahrhundertkünstler Picasso immer wieder faszinierten… Auch er lässt den Atem stocken, wenn er von einem höchst kippeligen Sprungbrett kopfüber in ein aufgeblasenes Schwimmbecken springt und ungeschickt versucht, sich an der wackeligen Konstruktion wieder hochzuhangeln, dann wieder auf dem Sprungbrett landet und immer wieder neu runterfällt. Natürlich ist dem nicht mehr blutjungen Turner, der die Menschen einfach zum Lachen bringt, dann der tosende Beifall sicher.
Romantisch träumt das Liebespaar-Duo Turkeev von Höherem, Foto: Petra Kammann
Wie das Zusammenfinden von Iuliia und Dmytr zu zweit in der Luft gelingt und dabei auch noch romantisch wirkt, das wird uns das Duo Turkeev wohl kaum verraten.
Die Luftakrobaten zählten zu den stärksten Acts im Cirque du Soleil, Foto: Petra Kammann
Ob es Liebe ist, ein gutes aufeinander Eingespieltsein oder Einvernehmlichkeit? Verstehen müssen sich die beiden Artisten wohl auf jeden Fall – und Vertrauen zueinander haben. Denn sonst hätten sie wohl kaum so erfolgreich in 17 Ländern auf vier Kontinenten auftreten können.
Luftig und spektakulär bleibt es bis zum Schluss an dem variationsreichen Zirkusabend, an dem hier nur subjektiv Elemente herausgegriffen werden, wenn der Akrobat Zhenyu Li aus Peking auf den schwankenden Stäbchen-Türmen noch ein Luft-Ballett vollführt. Schwebend wie ein Vogel, der seine Schwingen im Flug ausbreitet, vollzieht er seinen perfekten Spagat unter der Zirkuskuppel und scheint sich dabei von Luftströmungen tragen zu lassen.
Gleitet auf den kippeligen Stäben förmlich durch die Luft: der chinesische Equilibrist Zhenyu Li , Foto: Petra Kammann
Mit dieser Nummer gewann er schließlich auch beim „Festival Cirque de Demain“ in Paris die Silbermedaille. Aus der Vogel-Perspektive wird er bei seinem Können wohl kaum Angst haben, in die Zukunft des Zirkus von morgen zu schauen.
Die Artisten winken zum Abschied, mit Lili Paul-Roncalli in der Mitte, die hier ihren genialen Vater Bernhard Paul vertritt, Foto: Petra Kammann
Da fällt der Abschied von den winkenden bravourösen Artisten wirklich schwer und man möchte gerade alles noch einmal erleben und noch genauer hinschauen. Beschwingt geht es durch die Nacht zurück in den Alltag. Wie heißt es noch bei Roncalli?
„AUF WIEDERSEHEN. AUF WIEDERTRÄUMEN. AUF WIEDERDENKEN!“
Weitere Infos:
Kartenservice
Tickets für das Gastspiel in Frankfurt sind an allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie vor Ort an der Circuskasse erhältlich.
Und unter:
www.roncalli.de,
oder über die Ticket-Hotlin +49 (0) 69 – 677 739 99