home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Günther Uecker: die reinste und intensivste Präsenz

Eine Würdigung des mit 95 Jahren gestorbenen Künstlers

Von Uwe Kammann

Die Villa Hügel, hoch über Essen gelegen, lockt derzeit mit einer Ausstellung, welche die Kunstlandschaft an der Ruhr feiert. 21 Museen der Metropolregion haben jeweils vier, fünf ihrer interessantesten Exponate nach Essen geschickt, wo sie nun den holzgetäfelten Prachtträumen der historisierenden Villa ihre Modernität entgegenhalten. Zwei Objekte könnten kämpferischer und stacheliger nicht sein: ein Kubus-Fernsehgerät vom Anfang der 60er Jahre, thronend auf einem runden Couchtisch Marke Gelsenkirchener Barock, zur Hälfte benagelt, ganz wie ein damals so beliebter Käse-igel. Und daneben ein Objekt, das einem Sandwich gleicht: zwischen zwei Flachbildfernsehern steckt eine Kindermatratze, das Ganze zuisammengehalten von großen Nägeln, die in den Rücken der Apparate getrieben sind.

Günther Uecker wurde durch seine Nagelreliefs bekannt, Foto: Petra Kammann

Schon Halbkenner werden nicht lange rätseln: Das kann nur von Günther Uecker sein. Für den Hintergrund braucht es etwas mehr Wissen. Beide Geräte hat das Skulpturenmuseum Glaskasten beigesteuert, eine wegen ihres Publikumsbezugs in jeder Hinsicht bemerkenswerte Institution an einem Ort, der mit dem Grimme-Preis eine ebenso bemerkenswerte Tradition begründet hat: das Fernsehen als Kulturmedium ernstzunehmen. Genau dieser Medienbezug hat den Düsseldorfer Künstler gereizt – zu einer kritischen Reflexion des Mediums, das 1963 (Stachelapparat) gleichsam noch in den Kinderschuhen steckte, dann, fünf Jahrzehnte später, höchst entwickelt war.

Objekt aus den frühen 1960er Jahren in der Ausstellung in der Essener Villa Hügel, Foto: Petra Kammann

Als 2014 der Grimme-Preis sein rundes Jubiläum feierte, steuerte Uecker großzügig seine neue TV-Interpretation bei. Eine, wenn man so will, vedoppelte Innensicht der Bilder, aufgefangen durch ein undurchsichtiges Polster.

Werbung am Theater Marl für den 50. Grimme-Preis, Foto: Uwe Kammann

Ob die Villa-Hügel-Besucher jetzt, nach dem Tod des 95jährigen Künstlers (fünfundneunzig, ja, und Uecker ruhte und rastete nicht), die in einem kabinettartigen Raum präsentierten Marler Objekte mit einem anderen Blick sehen werden? Ob sie sofort den gesellschaftskritischen Bezug wahrnehmen werden, der im Uecker-Werk auch immer steckt? Oder ob sie doch beim Offensichtlichsten, der materiellen Einzigartigkeit hängen bleiben, eben beim Nagel?

Denn klar ist: Der Name Uecker, er wird von vielen sofort und allein mit den Nägeln assoziiert. Die er in unendlich vielen Formationen und Konstellation verwendet hat (er sagt: „wie einen Pinsel“), in immer neuen Variationen, wobei er auf ebenen Flächen dreidimensionale Bilder geschaffen hat, reliefartig oft, farbig abgestuft.

In der Ausstellung in der Villa Hügel – eine Gabe von Günther Uecker im Rahmen des  50-jährigen Grimme-Jubiläums 2014, Foto: Petra Kammann

Das führte oft zu Gebilden, denen leichteste Poesie eingeschrieben War und abzusehen, geradezu einen Zauber hervorrufend. Dabei darf nie vergessen werden, dass viele seiner Arbeiten auch durch ganz andere Materialien geprägt sind: wie Holz, wie Textilien, wie Sand, wie Asche, Licht und Farbe. Auch sie  gehören zu diesen Generatoren eines Sinnesspektrums, das in seinen verborgenen Untergründigkeiten immer wieder verblüfft, schaut man nur genau und lange genug hin.

Richtig ist sicher: Uecker ist – ach, nun müssen wir leider sagen: er war – in und mit seinen Materialien immer dem Elementaren, dem Ursprünglichen, sehr nahe. Auch unser Leben sieht/sah er, er, der viele Kulturkreise kennengelernt und intensiv studiert hat, im essentiellen Sinne als Ausdruck des Elementaren – und damit immer auch des Verletzlichen, des Versehrten und Versehrenden, des Traumatischen.

Ist es verwunderlich, dass er, der zum Schutz seiner Angehörigen im Krieg einst ein Holzhaus vernagelte, Mitte der Zehnerjahre eine Ausstellung in Teheran „Verletzungen – Verbindungen“ nannte? Und dass er für ein Mahnmal im früheren KZ Buchenwald Steine bandagierte, was ein Gedenkbild schuf, wie es stärker und eindrücklicher nicht hätte sein können?

Wer den Künstler je in seinem – immens großen – Atelier im Düsseldorfer Medienhafen besuchte, der spürte sofort eine intensive Präsenz. Eine Präsenz der (ja, richtig: stattlich-barocken) Person, der umgebenden Dinge, der Bilder – für ihn der unalphabetische Ausdruck des Unsagbaren –, auch der Skulpturen. Das alles strömte eine Art Urkraft aus: Nur so kann es sein, nicht anders. Das galt auch für die Materialien, und, geradezu verblüffend, für alle Gegenstände des Alltags, versammelt auf zwei Stockwerken: Stühle, Teller, Gläser, Stifte. Alles schien seine Kraft zu spiegeln und – zu potenzieren.

Hatte eine hohe Präsenz: der Künstler Günther Uecker, Foto: Petra Kammann

Welcher Künstler fiele einem zum Vergleich ein, der mit gleicher Intensität und Kreativität alles in immer wieder verblüffend vielfältige Zentren der Kraft, der Anschauung und des sinnlichen Denkens verwandelte? Genau, vermutlich wäre es Picasso. Uecker, das heißt und hieß immer: Ergreifen, Umfassen, Umreißen, Verbildlichen, Materialisieren. Aber immer – trotz konturierter Ideen – ohne jeglichen Dogmatismus, ohne zwanghafte Einengungen in Gefäßen des Prinzipiellen, ohne mechanische Grammatik der Bildsprache. Ohnehin, so seine Überzeugung, speise sich das Schöpferische aus der Banalität des Alltags. Vieles lasse sich aus Urahnungen visualisieren, werde im schöpferischen Akt zur Befreiung vom atavistisch Unbekannten.

Blick in einen Raum von Ueckers Atelier im Düsseldorfer Medienhafen, Foto: Petra Kammann

Was immer bedeutet hat: So entstand ein offener künstlerischer Kosmos, der vieles gleichzeitig umfasste, der im selben Zug ungemein geerdet und meditativ schwebend war. Und das fast wortwörtlich: in unendlicher Kreisbewegung arbeitet eine Sandmühle, in unendlicher Perspektive wirkt Licht, ein Zentralelement der Bewegung ZERO, an der Uecker neben Heinz Mack und Otto Piene wesentlich beteiligt war.

Dass moderne Medien einen besonderen Reiz auf ihn ausübten, zeigte sich ohnehin schon in den 60er Jahren, als er im Düsseldorfer Szenelokal Creamcheese zusammen mit Heinz Mack das Ambiente gestaltete. Dazu gehörten 24 Monitore ebenso wie ein überdimensionierter Nagel (ja, das musste sein); „electric garden“ nannte der das Kunstwerk); überall im Creamcheese flimmerte und flackerte es, die Musik war durchdringend, wie sich Besucher von damals noch heute mit Wonne oder Schrecken erinnern.

Und, mindestens ebenso erinnerungswürdig: Paillettenkleider zeigten den kinetischen Geist der Zeit direkt im Körper. Eine verdichtete Szene war das Ganze, ein Raum als Gesamtkunsterk, eines, das Künstler und Intellektuelle (die Kunstakademie lag um die Ecke) in Scharen anzog. Nicht zuletzt Beuys gehörte dazu.

Licht- und Klangkunst also, das war bei ZERO das Programm. Angelehnt an das arabische Wort für die Null oder das Nichts ließ sich das Ziel als höchste Konzentration umreißen, auch als Neubeginn verstehen, als Einschnitt, als das nun beginnende Ganz-Andere. Als reine Konstruktion aus Bewegung und Licht, frei von allen figurativen Setzungen und Bedeutungen. Malerei, Objektkunst, Installationen, Projektionen, Aktionen – eine Mischung aus ganz verschiedenen Ausdrucksformen also, die mithin auch viele individuelle Variationen erlaubten. Insgesamt ein großer Freiheitsraum.

Eindeutig war/ist es Uecker, der dies am ergiebigsten nutzte. So gehörte zu seinem ureigenen Freiheitsraum auch die Beschäftigung mit der Bühnenkunst, die Oper eingeschlossen. Anfang der 1980er Jahre schuf er Bühnenskulpturen für Tristan und Isolde, zuvor für eine Lohengrin-Aufführung in Bayreuth. Musik, so sagte er im Gespräch, ergreife ihn tief, er schätze an ihr eine große innere Kraft, die sich entfalten könne, ohne einem äußeren Zwang zu gehorchen.

Blick in die Ausstellungshalle des K20 im Jahre 2015 anlässlich der Retrospektive„Günther Uecker“, Foto: Petra Kammann

Was auch wieder zum Nagel zurückführt, der von manchen gerne als reiner Marketing-Gag denunziert wird. Als 2015 die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in einer bestens präsentierten Ausstellung Arbeiten von mit der Kunstakademie verbundenen Bildhauern versammelte, da gehörte zu den Uecker-Exponaten ein zur Hälfte benageltes und mit weißer Farbe begossenes Klavier. Im Katalog wurde beschrieben, wie der 1955 aus der DDR in den Westen geflohene Uecker in seinem sofort in Düsseldorf aufgenommenen Studium anfangs seine Bilder mit den Fingern malte. Warum? Weil ihm schon damals die unmittelbare physische Beteiligung, auch der direkt spürbare Prozess wichtig gewesen seien. Und dann ein Schlüssel: mit einer selbst gefertigten Bürste aus Nägeln habe er Strukturen in die Farbe ‚kämmen‘ können. So also sei 1957 der Nagel für ihn zu einem zentralen strukturbildenden Element geworden – und in der Folge zu seinem Werkzeug und zu seinem Material.

2015 – Günther Uecker im Gespräch mit der damaligen NRW-Kunstsammlungsleiterin Marion Ackermann, Foto: Petra Kammann

Die damalige Kunstsammlungs-Direktorin Marion Ackermann hat Ueckers Arbeitsweise eher erhellend beschrieben: „Es entstanden Reliefstrukturen aus Struktur, Bewegung und Licht, die durch die verschiedenen Perspektiven des Betrachters und den Schattenfall in ihrer Wirkung veränderlich sind. Kam noch die Nichtfarbe und ‚Lichtfarbe‘ Weiß hinzu, löste sich die Materie ganz in der Wirkung des Nichtmateriellen auf.“ Es folgt noch der Hinweis auf den Zen-Buddhismus, der damals eine ganze Generation von Künstlern in Europa und Amerika erfasst habe. Uecker selbst habe sich damals ein vollständig weiß gestrichenes Atelier eingerichtet, das, wie Ackermann schreibt, „einen geistigen Raum bilden und dem Künstler eine ‚Entleerung‘ von störenden äußeren Einflüssen ermöglichen sollte.“

ZERO, Null, Nichts: Das erinnert, wenn man auf die benagelten Fernsehgeräte zurückkommt, die jetzt proportional klitzeklein in der mächtigen einstigen Krupp-Residenz, der Villa Hügel, zu sehen sind, an Hans Magnus Enzensberger und sein Verdikt des Fernsehens als von allem Sinn entleertes  „Nullmedium“. Wäre es so, dann müsste es für Uecker ein überzeitliches, ein schlechthin ideales Traummedium sein.

Ein Uecker-Nagel als öffentliche Skulptur vor dem „Kö-Bogen“ in Düsseldorf, Foto: Petra Kammann

Doch genau das drückt sich in seinen aus Marl herbeigeholten Objekten von 1963 und 2014 nicht aus. Wenn man es schlicht übersetzen woll: Auch diese Arbeiten stehen dafür, dass es keine Eindeutigkeiten gibt, dass sich Kunst und Leben nicht trennen lassen. Dass sich vielmehr – gerade wegen der alltäglichen, auch der einfachen Materialien – Wirklichkeit und Kunst in einer steten Beziehung umkreisen lassen.

Der Kurator Alexander Tolnay hat es bei der vormaligen Teheraner Ausstellung „Verletzungen – Verbindungen“ so beschrieben – gleich nach der Feststellung, dass für Uecker die Kunst ein bewohnbarer Raum, ein Existenzraum und ein Überlebensmodell sei: „Sein ‚berauschtes Auge‘ (…) nimmt die reale Welt wie im Rausch war und verwandelt sie mit seiner Kunst in ein Netzwerk von magischen Symbolen und metaphorischen Bildnissen“.

Das berauschte Auge: ein Ausdruck des persischen Dichters Hafez, der für einen anderen großen Sehenden, Goethe, so bedeutend war. Treffenderes ließe sich über den Ausgangspunkt der Kunst Günther Ueckers nicht sagen. Rausch allerdings ist dabei nicht alles. Die Kraft der intensiven Verwandlung und Anverwandlung gehört in allen Varianten dazu.

Eines sei noch nachgetragen: Der unglaublich großzügige Gastgeber und Lebensfreund Günther Uecker verwöhnte Besucher gerne zum Arbeitsauftakt mit einem Glas Champagner. Auch dies ist nun eine Bemerkung im Imperfekt. Der allerdings hinzuzufügen ist: Günther Uecker, das ist reinste, das ist intensivste Präsenz. Für immer.

 

Comments are closed.