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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Blick auf die Ruhrfestspiele Recklinghausen 2025

Vom Zaudern und Zweifeln, Gipfeln und Träumen, kühnen Sprüngen und sanften Worten

Von Simone Hamm

Zweifel und Zusammenhalt lautet der Titel der diesjährigen Ruhrfestspiele, die heute an Pfingsten enden

Hofesh Shechters Choreographie – Der  Stoff, aus dem die Träume sind: „Theatre of dreams“, Foto: Tom Visser

Dort wird Zirkus mit atemberaubender Akrobatik gezeigt. Artisten aus Tanger werden zu menschlichen Pyramiden auf doppeltem Boden. Der flämische Choreograf Piet Van Dycke lässt Akrobaten an einer gewagten Konstruktion aus Balken klettern, flitzen, sich überschlagen.

Es gibt ein Kabarett, Lesungen, Diskussionsabende, Musikaufführungen und wie immer ein besonderes Programm für junge Zuschauer.

Moderner Tanz ist zu sehen: Anna Teresa De Keersmaeker tanzt mit ihrer Kompanie zu Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, Omar Rajeh erinnert sich an sein Heimatland Libanon, sein Körper drückt Schmerz aus, Chaos und doch immer wieder auf Freude.

„Theatre of dreams“, Foto: Tom Visser

Hofesh Shechters Choreografien sind von mitreißender Energie, die rhythmische, manchmal stakkatohafte Musik dazu komponiert er selbst.

„Theatre of Dreams“ heißt sein neuestes Werk. Was ist das für ein Stoff, aus dem die Träume sind, scheint er zu fragen. Und lässt die Tänzer tief ins Unterbewussteste gleiten. Und sein neues Werk korrespondiert vielleicht am Besten mit dem Motto der Ruhrfestspiele: „Zweifel und Zusammenhalt“.

Eine Tänzerin ist kurz zu sehen, bevor sich der Vorhang schließt und an einer anderen Stelle wieder öffnet. Ebenso kurz sehen wir eine Gruppe tanzen, dann schließt sich der Vorhang wieder. Die dreizehn Tänzer und Tänzerinnen blicken durch die Lücken in den Vorhänge.

Sie verbergen sich, und schon sind sie wieder sichtbar mitten in einer Bewegung. Dann kommen sie alle auf die Bühne, sind lustig, traurig aggressiv. Rennen, als ob es um ihr Leben ginge. Rechts und links von der Bühne sind drei rotgekleidete Musiker zu sehen. Trompetenmeldodien zu Shechters Rhythmen.

Es sind Träume und Alpträume, die die Tänzer zeigen. Mitreißend. Packend.

„Warten auf Godot „mit Mathias Brandt, Foto: Jörg Brüggemann

Es  gibt viel Theater zusehen. Luk Perceval ist eingeladen mit seiner Inszenierung von „Warten auf Godot“ vom Berliner Ensemble mit Matthias Brandt als Estragon, vom Schauspielhaus Hamburg kommt Lina Beckmann mit „Laios“ aus dem Antikenprojekt. Mohamed El Khatib zeigte in „Das geheime Leben der Alten“, dass Liebe und Begehren auch im Seniorenheim nicht aufhören.

Christoph Marthaler schickt drei Männer und drei Frauen auf einen Berggipfel. Genauer gesagt in eine sparsam möblierte Berghütte, aus deren Boden eine Bergspitze hervorkommt.

Da wälzen sie nun Akten. Sind es die Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels in Davos oder Politiker? Oder einfach reiche Leute, die sich auf Deutsch, Spanisch, Itatlienisch Französisch oder Englisch über Fuchl und Ischl austauschen?

Wobei austauschen schon zu viel ist. Sie kommunizieren nicht wirklich miteinander. Wenn sie sprechen, sprechen sie mehr zu sich als zu den anderen. Sie lachen laut, wenn sie schlechte Witze machen.

Christoph Marthalers „Gipfeltreffen“, Foto: Matthias Horn

Sie sind nicht die Macher, die sich in Davos treffen, sie wirken verloren und orientierungslos. Sie  saunieren gemeinsam oder bereiten sich in Abendrobe auf einen Ball vor. Einer spielt Akkordeon. Sie singen. Sie warten und niemand weiß, worauf.

In einem Aufzug werden Decken heraufgeschickt, ein Hubschrauber wirft aufblasbare Feuerlöscher durch die Dachluke. Am Ende ertönt eine Durchsage, die Straßen zum Gipfel sind verschüttet und auf Jahre hinaus nicht mehr passierbar. Im Aufzug kommt Winterwäsche an. So witzig das alles ist, Marthaler lässt keine Hoffnung aufkommen.

Am Interessantesten, Innovativsten sind die Vorstellungen, die das Genre sprengen.

Christian Friedel ist ein großartiger, vielseitiger Schauspieler: auf der Bühne in Düsseldorf in Robert Wilsons „Dorian“ oder in Dresden als Macbeth in dem über hundert Mal in aufgeführten „Hamlet“.

Im Kino in Michael Hanekes „Das weiße Band“, oder Jonathan Glazers „The Zone Of Interest“. Zuletzt war er in der gefeierten Serie „The White Lotus“ als Hotelmanager zu sehen.

Und die vielen jungen Zuschauer im Publikum tauschten sich dann auch über die Serie aus. Vielleicht hat so mancher darüber den Weg ins Festspielhaus gefunden.

Christian Friedel zeigt Macbeth. In Dresden hat er Regie geführt bei Shakespeares Königsdrama.  Zu den Ruhrfestspielen ist er aber nicht mit großem Ensemble und opulenten Bühnenbild gekommen. Sein Macbeth ist ein sehr ungewöhnlicher: er spricht alle Rollen selbst. Und er singt, begleitet von seiner Band „Woods of Birnam“. „Macbeth in Concert“ also.

Er hätte sich auch ein Leben als Rocksänger vorstellen können, sagt er. Friedels Gesang ist sicher, er kann es einfach.

Er erzählt Macbeth vom Ende her. Ein Herrscher, allein und ohne Freunde, denn er hat sie alle niedermetzeln lassen oder in die Flucht geschlagen, erinnert sich. An die Prophezeiungen unheimlichen Schwestern, die ihm vorhersagten, er würde König werden und es bleiben, bis Birnams Wald (The Woods of Birnam) zu seinem Schloss kommt.

Soldaten tarnen sich mit Bäumen und Blättern aus dem Wald und ziehen zum Schloss.

Jetzt spielt Friedel Macbeth als einen Wahnsinnigen. Je weiter er zurückgeht in Macbeth Leben, desto klarer scheint er zu sein. Und doch sind da immer schon Zeichen, die auf das Wahnsinnigwerden hinweisen.

Zu sehen sind Videoprojektionen, die den inneren Zustand Macbeth zeigen sollen, seine Ängste, seine Gier, seinen Machthunger. Sie sind meist bunt, erinnern an Kaleidoskope oder die Lampen, in deren Inneren Farben zu Wolken werden.

Sie sind oft überbordend und fast bombastisch, da hätte Friedel sich an seine Zusammenarbeit mit Bob Wilson erinnern sollen. Nur einmal geistert er als Schattenriss über die Bühne.

Phänomenal hingegen ist, wie er, ohne seine Stimme groß zu verändern, alle Rollen spricht. Das ist sehr eindringlich. Höhepunkt ist der Dialog mit Lady Macbeth, er zögert, zaudert. Sie überredet ihn mit fester Stimme zum Mord an Duncan auf, dessen treuer Vasall er ist. Nur über Duncans Leiche kann er König werden.

Friedels nachdrückliche, bisweilen beschwörende  Darbietung, die Besonderheit, dass er alle Rollen übernimmt, führen dazu, dass man – wie selten sonst – auf jedes Wort achtet. Shakespeare at it’s best.

The Great Yes, The Great No“ Foto: Monika Rittershaus

William Kentridge Oper „The Great Yes, The Great No“ , das ist Musik, Schauspiel, Tanz, das sind Zeichnungen, Gesänge, Collagen, Scherenschnitte, Landkarten. Das ist eine wilde Reise für Ohren und Augen. Uraufgeführt wurde es beim Festival in Aix -en-Provence, die Ruhrfestspiele Recklinghausen sind Koproduzent.

1942 war Marseille von den Nazis besetzt und eine der wenigen Hafenstädte, von denen Juden, Künstler, Intellektuelle noch per Schiff fliehen könnten. Kentridge lässt eine der Überfahrten von Marseille nach Martinique zu einer surrealen Reise werden. Martinique war französische Kolonie und Sklaveninsel.

The Great Yes, The Great No“ Foto: Monika Rittershaus

Kentridge feiert das Leben, die Kunst, den Gesang. „The Great Yes, The Great No“ ist phantastisch und phantasivoll. Und gewiss ein Höhepunkt der diesjährigen Ruhrfestspiele.

Ruhrfestspiele Recklinghausen
Otto-Burrmeister-Allee 1
45657 Recklinghausen

https://www.ruhrfestspiele.de/

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