Eindrücke von der ARCHITEKTURBIENNALE VENEDIG 2025
Klimabezüge und Interessantes aus dem arabischen Raum
Von Corinne Elsesser
An der diesjährigen 19. Architekturbiennale in Venedig finden Beiträge aus dem arabischen Kulturkreis besondere Beachtung, bieten sie doch brauchbare Lösungen für aktuelle Themen wie Überhitzung, soziales Miteinander oder bezahlbares Wohnen. Federführend sind dabei, auch das ist bemerkenswert, vor allem junge Architektinnen.
Pavillon von Qatar in den Giardini, © Corinne Elsesser
Für Kurator Carlo Ratti (Carlo Ratti Architetti/CRA) stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, was eine Biennale heute noch sein kann. Längst nicht mehr eine Präsentation großer Projekte weltweit führender Stararchitekten. Dies sei, so Ratti im Vorfeld des Architekturevents, angesichts der Verfügbarkeit des weltweiten Baugeschehens im Internet obsolet geworden. Vielmehr soll unter dem diesjährigen Motto „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“ die Entwicklung von Ideen für eine Zukunft von Architektur ins Zentrum gerückt werden.
Die Biennale als ein Labor, in dem Aspekte der natürlichen, künstlichen und kollektiven Intelligenz zusammenwirken, um den vielfältigen Herausforderungen zu begegnen. Bereits die Kuratorin der vorherigen Architekturbiennale, die Afrikanerin Lesley Lokko, betrachtete die Biennale als ein Labor.
Ratti will diesen Ansatz fortführen im Hinblick auf ein Nachdenken über Architektur von ihren Bedingungen her. Dafür biete sich Venedig wunderbar an, denn die Lagunenstadt kann als ein lebendiges Labor gelten, da man hier Klimaeffekte wie den Anstieg des Meeresspiegels oder der Erwärmung der Ozeane beobachten kann.
Klimawandel im Deutschen Pavillon, © Corinne Elsesser
Daniele Santucci, Architekt und Mitarbeiter im Kollektiv aus Architekten, Landschaftsplanern, Innenarchitekten, das in diesem Jahr den Deutschen Pavillon gestaltete, betrachtet ganz im Sinne Rattis die Klimaanpassung als eines der vorrangigen Themen der Biennale.
Der Pavillon bietet einen „Stresstest“ für die Besucher an, die im großen Mittelraum multimedial über Aspekte des Klimawandels unterrichtet werden, bevor sie entweder nach rechts in einen dunkel ausgekleideten, von einer Anzahl von Radiatoren überheizten Raum oder nach links in einen hellen, mit Pflanzkübeln ausgestatteten, natürlich durchlüfteten Raum eintreten.
Klimawandel hautnah erfahrbar – doch wo bleibt die Architektur?
Materiallager im Dänischen Pavillon, © Corinne Elsesser
Im Dänischen Pavillon konzentriert sich das Team um den Architekten Søren Pihlmann über die Zeit der Ausstellung auf den Pavillon selbst. Dieser wird renoviert und alle Baumaterialien nach ihrem jeweiligen Wiederverwendbarkeitspotential untersucht. Ein Architekturlabor im strengen Wortsinn.
Österreich präsentiert dagegen einen Vergleich zum Thema bezahlbares Wohnen und stellt bewährte Sozialwohnprojekte des Wiener Wohnens seit den 1920er Jahren spontanen Übernahmeaktionen brachliegender Häuser und Bauruinen durch Wohnungssuchende in Rom gegenüber.
Nimmt man Klimabezüge oder Nachhaltigkeit jedoch allzu genau, so kann das zu skurrilen Ergebnissen führen. In der Corderie des Arsenale fällt die quer im Raum platzierte „Elefantenkapelle“ auf, eine 4 Meter hohe, vom thailändischen Architekten Boonserm Premthada entworfene elliptische Ziegelkonstruktion. Von der Biennaleleitung erhielt der Beitrag eine „Lobende Erwähnung“, denn er genügt geradezu exemplarisch allen Bio- und Recyclingkriterien – die Ziegeln bestehen ausschliesslich aus getrocknetem Elefantendung.
Und wie Venedig als „Labor“ wörtlich genommen werden könnte, zeigen die britischen Architekten Diller Scofidio + Renfro mit einem direkt am Hafenbecken des Arsenale platzierten „Canal Café“. Man kann hier für 1.50 Euro einen Espresso aus wiederaufbereitetem Lagunenwasser trinken und dabei zuschauen, wie ebendieses Wasser aus dem Hafen gereinigt wird – na dann guten Appetit!
Auf eine konkrete Realisierbarkeit zielen dagegen Entwürfe aus arabischen Ländern. So stellt Azza Aboualam, Architektin in den Vereinigten Arabischen Emiraten, als Kuratorin ihres Länderbeitrags unter dem Titel „Pressure Cooker“ eine Reihe kleiner, unkompliziert und nahezu überall installierbarer Gewächshäuser aus Glasfaser vor. Sie schützen vor hoher Sonneneinstrahlung, sind aufgrund ihrer offenen Struktur optimal durchlüftet und bieten nicht nur für die darin gezüchteten Pflanzen, sondern auch als Treffpunkte für die Nachbarschaft im Quartier ein gutes Raumklima.
Die Emirate importieren heute 90% der Nahrungsmittel, erläutert die Architektin, und Projekte wie ihres können dazu beitragen, die hohen Importquoten zu reduzieren.
Für das Sultanat Oman hat die Architektin Majeda Alhinai ein eindrucksvoll aus dünnen Aluminiumschienen konstruiertes Zeltdach entworfen, das einen schattigen Ort zum Verweilen bietet. Ausgangspunkt für die offene Struktur war die traditionelle „Sablah“, ein zentraler Platz in omanischen Dörfern, dem Alhinai eine freie, futuristisch anmutende Form verliehen hat.
Unter dem Titel „Beyti Beytak. May home is your home“ stellt sich Qatar gleich an zwei Standorten vor, in den Giardini mit einem Pavillon und im Palazzo Franchetti Cavalli am Canale Grande mit einer sehr sehenswerten Ausstellung.
Das Land nimmt zum ersten Mal an einer Biennale teil und der luftige, nach einem Entwurf der aus Pakistan gebürtigen Architektin Yasmeen Lari entworfene Pavillon befindet sich an dem Standort, wo Qatar zukünftig einen festen Platz in den Giardini anvisiert. Mit einer leichten Struktur aus Bambus ist ein schattiger, kühler Treffpunkt entstanden, an dem ganz in qatarischer Tradition Kaffee und Datteln serviert werden.
Die einfache Bautechnik knüpft an Laris Aktivitäten in der Erdbeben- und Flutkatastophenhilfe an, die sie im Rahmen der von ihr 1980 mitbegründeten „Heritage Foundation of Pakistan“ als Architektin unterstützt.
Im Palazzo Francetti Cavalli erfährt man mehr über die Architektur im arabischen Raum. Arbeiten von über 30 Architekten aus Nordafrika, Arabien und Südasien werden gezeigt, die sich mit dem Thema Gastfreundschaft auseinandersetzen.
Allen voran der ägyptische Architekt Hassan Fathy, der sich nicht nur zeitlebens mit einer Architektur für ärmere Schichten beschäftigt hat, sondern insbesondere für Yasmeen Lari ein Vorbild wurde. Von ihm sind feine Architekturzeichnungen aus den Jahren 1962-1965 zu sehen, außerdem Modelle von Jean Nouvel, Ieoh Ming Pei oder OMA für Museums- und Bibliotheksbauten in Doha, die zeigen, dass Internationalität durchaus mit traditionellem Bauen vereinbar ist.
Ein überzeugendes Beispiel ist das 2024 ebenfalls in Doha erbaute „Al-Mujadilah Centre“, eine Moschee nur für Frauen, die die britischen Architektin Elizabeth Diller (Diller Scofidio + Renfro) entworfen hat.
Naheliegend, dass ein arabischer Beitrag mit einem „Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon“ ausgezeichnet wurde. Der von Andrea Faraguna für das Königreich Bahrain gestaltete Raum im Arsenale bietet einen schattigen Platz für das Arbeiten im Freien, zum Beispiel auf Baustellen, der auf traditioneller passiver Kühlung und zugleich auf neuester Technologie basiert.
Info:
Die 19. Biennale Architettura di Venezia 2025 geht bis zum 23. November 2025
Katalog:
Biennale Architettura 2025, Intelligens. Natural. Artificial. Collective, Bd.I 728 S., Bd.II 254 S., englisch/italienisch, 90 Euro.
Kurzführer:
Biennale Architettura 2025, Intelligens. Natural. Artificial. Collective, 552 S. englisch/italienisch, 25 Euro.