Unabhängigkeit und Charme des vietnamesischen Volkes am Mekong-Delta
Vom Literaturtempel zum smaragdgrünen Wasser
Von Paulina Heiligenthal
Wie gemalt liegt er da, der sagenumwobene See Hoan Kiem. Eine Oase, eine Perle. Ja, eine Emotion. Die Seele der Stadt. Inmitten des Herzens von Vietnams Hauptstadt Hanoi, einer dynamischen Altstadt mit Flair.
Atemlose Stille im Paradies der Natur – das Wunder der Halong-Bucht, Foto: Paulina Heiligenthal
Azurblaues Wasser, weit-verträumte Ausläufer in Grün. Überspannt von einer „Brücke des Lichts der aufgehenden Sonne“, der Thé-Huc-Brücke. Elegant und ästhetisch. In roter Farbe. In vollendeter Harmonie zur Umgebung.
Bevor der Morgen erwacht, unterstreicht das Licht der aufgehenden Sonne die Schönheit des der See zurückgegebenen Schwertes, Foto: Paulina Heiligenthal
1875, im japanischen Stil errichtet, verbindet sie Alt-Hanoi mit dem Viertel der Europäer, dem französischen Kolonialviertel.
Seit Anfang des 15. Jahrhunderts prägt die Legende von Ho Guom/Hoan Kiem See, bekannt als „See des zurückgegebenen Schwertes“, die Geschichte der Stadt. Die Unabhängigkeit des vietnamesischen Volkes. Und dessen Stolz.
In Hanoi liebt man Märchen und Legenden. Vor allem liebt man die Schildkröte, das spirituelle Symbol schlechthin. Einer historischen Sage zufolge, die Reinkarnation der mythischen Figur, die dem See den Namen gab.
So nah an den malerischen Kalksteininseln, Foto: Paulina Heiligenthal
Jeder in Hanoi kennt die Legende der Riesenschildkröte, sogar jedes Kind. Liebevoll Großväterchen, Cu Rua genannt. Vergöttert als Beschützer des Landes: Als sich der Großgrundbesitzer Le Loi mit seinen Elitenkämpfern gegen die anrückenden, feindlichen Ming-Invasoren aus China zur Wehr setzen wollte, tauchte überraschenderweise eine schimmernde Riesenschildkröte aus dem Wasser empor. Im Maul ein prächtiges großes Schwert.
Das Unbesiegbare. Le Loi nimmt das ihm präsentierte Schwert vom rettenden „Engel“ entgegen. Es scheint ihm magische, ja himmlische Kräfte zu verleihen. Glorios wird der Feind besiegt und in die ferne Flucht getrieben.
Am Tag der festlichen Krönung des Siegers Le Loi zum Kaiser „Le Thai To“ der Viets, taucht unmittelbar vor ihm die goldglänzende Schildkröte auf.
Der alte Turm der Schildkröte im See, benannt nach einem Mythos mit historischem Bezug, Foto: Paulina Heiligenthal
Der frisch inthronisierte Kaiser legt das Zauberschwert voller Dankbarkeit ins Maul des Reptils zurück. Dieses taucht in die Tiefen des Wassers ab.
Der Turm Thap Rua/Turm der Schildkröte aus dem Jahre 1886 inmitten des Sees, erinnert an den Helden Le Loi. Eine Bezeichnung mit historischem Bezug: das Wahrzeichen der Stadt Hanoi.
Das renommierte Wasserpuppentheater, eine Institution von internationalem Ruf, entstand nach einer üppigen Reisernte im 12. Jahrhundert am Delta des Roten Flusses von Hanoi. Da wird täglich erfolgreich auf der Wasserbühne der siegreiche Kampf mit dem Zauberschwert nebst weiteren vietnamesischen Sagen im Theater am See aufgeführt.
Seit dem 12. Jh bei Klein und Groß beliebt: antike Akteure des klassischen Wasserpuppentheaters im Ethnologischen Museum, Foto: Paulina Heiligenthal
Bis 1998 hatte kaum jemand an eine Population von Schildkröten im Hoan Kiem See geglaubt. Für viele ein Märchen. Bis ein Amateur-Fotograf das Riesenreptil sichtete. Ihm gelang es, die Schildkröte fotografisch einzufangen. Als Zeichen ihrer Existenz.
Die Puppen sind in ihrem Element, Foto: Paulina Heiligenthal
Aufgrund von Wasserverschmutzung, Überfischung und Verlust von Lebensraum geriet ihr Leben in Gefahr. Daraufhin halfen tausende von Hanoiern, den See zu reinigen.
Im Jahr 2011 erhöhte sich das mediale Interesse weltweit, als das riesige Wirbeltier, nach einer Verletzung durch einen Angelhaken, an Land verarztet und gepflegt werden musste.
Dann im Januar 2016 tiefe Trauer in Vietnam, als der Korpus der Yangtse-Riesenweichschildkröte (Rafetus swinhoei) leblos an der Oberfläche des Sees trieb.
Mit einer Gesamtlänge von 2,10 Metern, einer Breite von 1,09 Metern und einem Gewicht von rund 170 kg ist sie das größte Exemplar ihrer fast ausgestorbenen Art. Schätzungsweise 100 Jahre lebte die zoologische Rarität im Hoan Kiem See in Hanoi.
Deutsche Experten, Jürgen Fiebig vom Museum für Naturkunde Berlin und Marco Fischer vom Naturkunde Museum Erfurt konservierten in einem weltweit einzigartigen Projekt das heilige Tier, das kulturelle Symbol Hanois für die Ewigkeit. Ihm wurde die Ehre einer Einbalsamierung zuteil.
Das ethonologische Museum von Hanoi mit Ausstellungen zu den verschiedenen Kulturen Vietnams, Foto: Paulina Heiligenthal
Nach aufwendiger Arbeit – zwischen 2016 und 2019 – wurde die legendäre Riesenschildkröte im Ngoc Son Tempel am Hoan Kiem See ausgestellt. Als Sinnbild der Stärke und der ewigen Existenz. Verehrt aufgrund ihrer Größe und ihres Alters. Welch eine Wertschätzung für die seltenste Schildkröte der Welt, von denen nur noch drei Exemplare überhaupt am Leben sind.
Die erste Einbalsamierung des Landes fand 1969 statt: der Leichnam von Ho-Cho-Minh, dem Revolutionsführer und Nationalheld. In einem gläsernen Sarkophag des namensgleichen monumentalen Mausoleums wird er in der Landeshauptstadt aufbewahrt.
Die Cai Pagode auf einer Insel in der Halong-Bucht, Foto: Paulina Heiligenthal
Ein wichtiger Ort des Gedenkens an einen, der zu Lebzeiten in Holzhütten gelebt hat. Strenge Regeln verbieten das Fotografieren sowie das Stehenbleiben vor dem Leichnam. Ho-Chi-Minh, der in erster Linie ein Patriot war, hätte sich als Zeichen einer Wiedervereinigung das Ausstreuen seiner Asche über Vietnams Mitte gewünscht.
Über tausend Jahre Hanoi
Das Old Quarter, die Altstadt von Hanoi, ist ein über Jahrhunderte gewachsenes Stadtviertel. In 36 engen Gassen mit Gewerken des traditionellen Handwerks, vermischt mit Handelshäusern, Straßengarküchen, Boutiquen und Bars strahlt es einen besonderen Charme und große Geschäftigkeit aus.
Die charmante Altstadt in der Hauptstadt, Foto: Paulina Heiligenthal
Hier schlägt das Herz der ältesten Hauptstadt Südasiens. Vom Elektro-Auto aus erlebe ich – umweltbewusst – das pralle Leben: Hier brummt der Verkehr. Er mutet wuselig an, eine Straßenüberquerung ist riskant.
Abgase drängen in die geöffneten Fenster der sehr schmalen, hochauftürmenden Häuser mit Spitzdächern. Hanoi gehört zu den führenden Großstädten weltweit mit der meisten Feinstaubbelastung. Bei Smog hoffen die Einwohner auf einen starken Nordost-Monsunregen, um Erleichterung zu erhalten.
Nachdem die Kolonialherren die alten Bambushütten abgerissen und ganze Stadtteile planiert hatten, wurde vor 125 Jahren das French Quarter, das französische Viertel südlich der Altstadt schachbrettartig angelegt.
Das Opernhaus Hanois (1901-1912) ist ein Prachtbau und eine verkleinerte Replik der Pariser Oper. Es wurde 1990 mit französischer Unterstützung renoviert, Foto: Paulina Heiligenthal
Ein architektonischer und emotionaler Ankerplatz nach französischem Geschmack. Mit breiten Boulevards, repräsentativen Villen, Eliteschulen und Cafés, luxuriösen Hotels und Banken. Mit dem berühmten Opernhaus von Hanoi. Großzügig, elegant, kolonial.
Das französische Luxusmodehaus Dior residiert seit 2013 in Hanoi, Foto: Paulina Heiligenthal
Wen wundert es, dass dort Dior 2013 sein Flaggschiff für die Label-affine Kund*in eröffnete. Und wo Dior ist, ist Prada nicht mehr weit.
Der Literaturtempel
„Es ist besser, ein Lichtlein anzuzünden, als über die Dunkelheit zu klagen.“
Konfuzius, 551 v.Chr. – 479 v.Chr.
Westlich der Altstadt befindet sich der einzigartige Literaturtempel Van Mieu, dessen kultureller Stellenwert für Vietnam nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Das Eingangstor des Literaturtempels, Foto: Paulina Heiligenthal
Erbaut im Jahr 1070 von Thanh Thon, dem dritten Kaiser der Li-Dynastie. Das Bauwerk ist ein Anlagenkomplex von 5 ummauerten Innenhöfen, die durch Tore und Pavillons miteinander verbunden sind.
Ein Ort des Wissens, dem großen Meister Konfuzius geweiht. Die sehenswürdige Kultstätte mit reizvoll angelegten Gärten ist die erste Universität Vietnams. An der kaiserlichen Akademie war ein Studium zwischen 1076 und 1915, den Söhnen der Aristokratie und der Mandarine – höchsten Staatsdienern – vorbehalten.
Heute finden die akademischen Abschlussfeierlichkeiten im internationalen Gewand im Literaturtempel statt, Foto: Paulina Heiligenthal
Hochbegabte bürgerliche Söhne wurden dann zugelassen, wenn sie aus höheren Gesellschaftsschichten stammten. In der Halle des Großen Erfolges wird die Konfuzius-Statue von Bronzekranichen getragen, die auf Schildkröten ruhen. Als Sinnbild für Weisheit und Harmonie. Zwischen Himmel und Erde.
Der Tempel der Gelehrsamkeit in gelungener Synthese von Natur und Architektur lädt dazu ein, in serenem Ambiente im wichtigsten Heiligtum des Landes über die Philosophie des Konfuzius nachzusinnen.
Hier wird dem großen Meister Konfuzius gehuldigt, Foto: Paulina Heiligenthal
Seit über 2.500 Jahren lautet seine Lehre: Der Mensch gilt erst dann als edel, wenn er sich in kosmischer Harmonie mit dem Weltganzen befindet. Einen Weg hierzu sah Konfuzius in erworbener Bildung, die den eigenen Charakter stärkt.
Seine Ethik beruht auf 5 Säulen:
Menschlichkeit/Nächstenliebe (Rén)
Rechtschaffenheit/Gerechtigkeit (Yì)
Sittlichkeit/Anstand (Lì)
Weisheit (Zhì)
Aufrichtigkeit/Verlässlichkeit(Xìn)
Studentinnen in ihrer eleganten Ao-Dai-Bekleidung, Foto: Paulina Heiligenthal
Die größtenteils sehr junge Bevölkerung Vietnams hält, trotz des modernen Lebensstils mit Karaoke, Hip Hop und seiner Vielfalt, die Grundideen des großen Meisters hoch. Respekt!
Bis in das letzte Bergdorf sind sie zutiefst konfuzianisch geprägt. Heute wird gefeiert: mit strahlenden Gesichtern und Blumen, in Talaren und mit Doktorhüten.
Das Wasserpuppentheater in der gepflegten Anlage des Museums für Ethnologie, Foto: Paulina Heiligenthal
Im Literaturtempel Van Mieu: Die Absolvent*innen der Universität von Hanoi. Heute wird auch geheiratet: in der traditionellen Ào-Dài-Bekleidung aus bestickter Maulbeerseide. In Freudenfarben: die Braut in Rot, steht symbolisch für Glück, Liebe und Freude.
Im Literaturtempel Van Mieu: Die Absolvent*innen der Universität von Hanoi. Heute wird auch geheiratet: in der traditionellen Ào-Dài-Bekleidung aus bestickter Maulbeerseide. In Freudenfarben: die Braut in Rot, steht symbolisch für Glück, Liebe und Freude. Der Bräutigam in Goldgelb, das bei zeremoniellen Festivitäten Glück, Reichtum und Wohlstand bedeutet.
Traditionell gekleidetes Brautpaar im Literaturtempel von Hanoi, Foto: Paulina Heiligenthal
Anlässlich des 50. Jahrestages der Befreiung Süd-Vietnams und der Wiedervereinigung des Landes – (30. April 1975– 30. April 2025) – wurde die Ausstellung „Tempel der Literatur – Reise vom Erbe zum kreativen Raum“ feierlich eröffnet.
Die Ausstellung blickt auf fast vier Jahrzehnte zurück, in welchen der Wert der außergewöhnlichen Tempelreliquien – von schwierigen Anfängen über ernsthafte Zerstörungen in 1947 bis hin zu dramatischen Veränderungen – anschaulich dargestellt wird.
Eine Verbeugung für die vielen Persönlichkeiten, welche mit großem Engagement unermüdlich dazu beitragen, den Erhalt des nationalen Kulturerbes zu bewahren, die Stätte in einen attraktiven, kreativen Kulturraum zu verwandeln. Das faszinierende Monument der glanzvollen Vergangenheit Hanois, das erst im Jahr 2000 nach umfangreichen Renovierungsarbeiten vollständig fertiggestellt wurde, soll lebendig erhalten werden. Generationenübergreifend. Das reiche historische Erbe von gestern, für das Heute, das Morgen und das Übermorgen!
Der Literaturtempel von 1076 ist ein Anlagenkomplex, der als erste Nationalakademie des Landes erbaut wurde, Foto: Paulina Heiligenthal
Mystische Wunderwelt
„Der sanfte Frühlingsnachmittag kommt auf die Tribüne,
schwebend ohne eine Spur weltlicher Dinge.
Dreimal läuteten die Glocken des Grabes,
ein Teich aus Kummer und Sorgen wurde auf den Kopf gestellt.
Ein Meer der Liebe ist
tausend Meilen tief und kann nicht ausgetrocknet werden,
Eine Quelle der Gnade ist
tausend Meter tief und kann nicht ausgetrocknet werden.
Wo ist das Paradies?
Das Paradies ist eindeutig hier.“
So beschreibt die berühmte Dichterin Ho Xuan Huong, (1772 – 1822) die einzigartige Naturwunderlandschaft der Halong-Bucht. Dort, wo sie einst sehr glücklich war.
Inmitten des smaragdgrünen Ozeans ragen sie aus dem Wasser heraus: Spitzhüte, Zuckerhüte, Morcheln, Kegelhüte, Türmchen, Kuppeln. Meist einander angeschmiegt, mal voneinander gelöst.
Meist dschungelbewachsen, mal nackter Fels. Mystische Geschöpfe. Geheimnisvoll, von Nebelschleiern umhüllt.
Eines der sieben Weltwunder der Natur ist die Halong Bucht mit hunderten Kalksteininseln, Foto: Paulina Heiligenthal
In majestätischer Schönheit des Meeres: ein geologisches Museum. Ein Meeresgarten. Eine Inselwelt voller Wunder, die fast 2.000 Kalksteinfelsen in einem Gebiet von 1.553 km² beherbergt. Nur 165 km von der Hauptstadt entfernt: die Halong-Bucht.
Übersetzt heißt sie„ Bucht des herabsteigenden Drachens“, die 1994 von der UNESCO zum Weltnaturerbe ernannt wurde. Einmal mehr von einer Legende umrankt, die auf einer der historischen Seeschlachten basiert.
Der Drachen/Long steigt von seinem Berg herab und vernichtet die gegnerische Flotte aus dem Norden mit wilden Schlägen seines Riesenschwanzes. Seine überwältigende Kraft schlägt tiefe Täler und Schluchten in die Küstenlandschaft, die dann vom Wasser überflutet wird. Nur die Gipfel der „Drachenfelsen“ ragen heraus.
Farbenfrohe Hausboote der einheimischen Bewohner der Bucht, Foto: Paulina Heiligenthal
Eine märchenhafte Erklärung für geologische Prozesse, die auf über 300 Millionen Jahren zurückgreifen. Die heutigen Kalksteinformationen entstanden vor 40 Millionen Jahren durch tektonische Verschiebungen und Erosion. Mit einer höchsten Erhebung von über 300 Metern.
Saftig-grünes Land im Delta des Roten Flusses, Foto: Paulina Heiligenthal
Der Weg führt entlang landwirtschaftlicher Gebiete des Red River-Deltas. Saftig-grüne Reis- und Gemüsefelder in endloser Weite. Erfolgreich bewirtet von fleißigen Menschen, von denen manche knöchelhoch im Schlammwasser stehen.
Eine mit Azaleen geschmückte Hängebrücke verbindet Hon Gai mit dem Nachbarsort Bai Chay. Ein Brückenschlag, eine Fusion seit 1994 mit dem Namen Halong Stadt.
Und schon wartet er – der goldene Drache – im Hafen vor der Halong-Bucht, Foto: Paulina Heiligenthal
Dort wartet es schon, das goldene Drachenboot. In der Marina der palmengesäumten und langgestreckten Uferpromenade. Hier ist alles Gold, was glänzt: der Bettüberwurf, die Wasserhähne, der Duschkopf, das Prägebild über dem Bett. Gold bringt Glück, zwei Tage lang.
Sanft gleitet das goldene Schiff durch eine poetische Landschaft. Ein magisches Labyrinth, umgeben von smaragdgrünem Wasser. Entlang der urzeitlichen, spektakulär geformten Karsttürme. Ein perfekt ausgereiftes, unvergleichliches Meisterwerk der Natur, das sich im feucht-warmen tropischen Klima gebildet hat. Eine atemberaubende Schönheit, die Stille und Ruhe atmet.
Schiffsverkehr in der Halong-Bucht, Foto: Paulina Heiligenthal
Vom Anlegesteg geht es steil über viele Treppenstufen 25 Höhenmeter den Fels hinauf zu einer der größten und eindrucksvollsten Höhlen der Bucht: zur Sung Sot Höhle.
Gelegen auf der Insel Bo Hon, 14 km von Halong entfernt. Über einer Länge von sagenhaften 500 Metern haben hier Naturkräfte einen natürlichen, überdimensionalen Durchgang geschaffen.
In einem 45-minutigen Rundgang bestaune ich die gewaltigen Ansammlungen prächtiger Stalagmiten, Stalaktiten und komplexer Formationen, die in Jahrmillionen eine bezaubernde Märchenwelt gebildet haben. Eine Welt voller Fantasie. Das Wassertropfenbauwerk.
Die Insel Bo Hon von innen betrachtet. Sie beheimatet die einzigartige Sung Sot Höhle, Foto: Paulina Heiligenthal
Ein grandioser Blick von oben auf die aus dem Meer aufragenden Felsinseln der Bilderbuchlandschaft rundet den Besuch der Grotte ab. Eine stimmungsvolle Abendsonne hüllt den Meeresgarten in einen goldleuchtenden Glanz und unterstreicht die magischen Geheimnisse der Bucht.
2012 wurde die Sung Sot Höhle zu einer der 10 schönsten Höhlen der Welt gewählt.
Für die Fahrt durch den Luon Cave/Tunnel, eine natürliche Kaverne mit niedriger Zugangspassage, haben wir Schwimmwesten angezogen. Er ist nur mit einem Kajak oder Bambusboot zugänglich. Der unterirdische Hohlraum entstand am Ende eines Kalksteinberges als Folge des ständigen Gezeitenwechsels. Allmählich bildete sich ein Höhlentunnel, durch den wir mit unwillkürlich eingezogenem Kopf durchfahren.
Im Langhaus des Ede-Bergvolkes – Christen und eines der 52 Ethnien Vietnams – leben bis zu 5 Generationen im Matriachat zusammen, Foto: Paulina Heiligenthal
Einmalig kunstvoll, auch aufregend, die von der Natur geschaffene Felsöffnung. An der anderen Seite öffnet sich ein etwa 1 km² großer Felskessel, eingerahmt von lotrechten, abwendenden, nackten Felswänden. Hier leben Affen, die sich an den Klippen festkrallen oder auch fröhlich hüpfen können. Nämlich dann, wenn es mitgebrachte Bananen zu Futtern für sie gibt.
Erotische Dichtkunst
Meisterlich ist sie, die bereits erwähnte, berühmteste Dichterin Vietnams Ho Xuan Huang, die von 1722 bis 1822 lebte. Ihrer Zeit meilenweit voraus, verfasste sie den Großteil ihrer Gedichte nicht in chinesischen Schriftzeichen der Oberschicht, sondern in der Nôm-Schrift, dem vietnamesischen Sprachsystem der einfachen Menschen.
Im Literaturtempel herrscht große Freude, Foto: Paulina Heiligenthal
Meist diskutiert, sprengt sie den Rahmen der traditionellen Moral, in dem sie als bahnbrechende, leidenschaftliche Verfechterin Partei für unterdrückte, rechtlose Frauen ergreift gegen eine bigotte, dekadente Männergesellschaft. Als erste Frau der Oberschicht, nämlich als Nebenfrau des Distriktleiters von Halong, entlarvt sie schonungslos die unerträglichen Missstände.
Im Gedicht „Loblied auf ein lediges, schwangeres Mädchen“ aus dem Buch „Augen lachen, Lippen blühen“ des Herausgebers Tien Huu verteidigt die Dichterin vehement das Recht auf freie Liebe. Eine Schwangerschaft lediger Frauen galt damals als kriminell und zog die Todesstrafe für Mutter und Neugeborenes nach sich.
Ihre Werke im Stil der Tang-Lyrik – Gesetz der Poesie – lassen zwei Interpretationen zu. Hinter szenischen Naturgedichten, inspiriert von den Wunderwerken in der „Bucht des aufsteigenden Drachens“, verbergen sich hoch erotische Offenbarungen. In Anspielungen und Doppelbildern. Mit subtil-hintergründigem Humor. Mutig und gewagt.
Heute soll geheiratet werden in der Glücksfarbe Rot. Doch zunächst wird das Haar über die Krempe frisiert, Foto: Paulina Heiligenthal
Höchst umstritten zu einer Zeit, in der die sogenannte „Tugendtragende Literatur“ erlaubt war. Ein Tabuthema also: die erotische Dichtkunst, Lust und Sinnlichkeit. Gesellschaftlich und literarisch galt sie als unwürdig. Unbestritten allerdings ist die literarische Qualität ihres Oeuvres. Und bis heute unerreicht. Inspiriert vom Rhythmus der Naturphänomene in der Halong-Bucht, in die sie mit allen Sinnen einzutauchen vermochte.
Im Januar 2022 feierte die UN-Kulturorganisation UNESCO das 250. Geburtsjahr und das 200. Todesjahr der Dichterin Ho Xuan Huong. In Anerkennung für die Werte der vietnamesischen Nation in Sachen Kultur, Geschichte, Tradition des Lernens und des Geistes der Gleichheit der Geschlechter.
Ein Theaterstück über das durchaus tränenreiche Leben der großen Dichterin an weiterführenden Schulen und Universitäten verspricht, einem literaturbegeisterten jungen Publikum ihre poetischen Werke näherzubringen.
Sie, die es wagte zu lieben, für Frauen zu kämpfen und das zu schützen, was sie für richtig hielt.
Goldener Abendgruß nach einem traumhaft schönen Tag, Foto: Paulina Heiligenthal
Wahrlich, eine „Königin der Nôm-Poesie“, laut zeitgenössischem Dichter Xuan Dieu.
→ Am Duftfluss in der alten Kaiserstadt von Hue
→ Im Land des aufsteigenden Drachens