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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Innovative Entwicklungen der Frankfurter Musikszene in den 1920er Jahren

Avantgarde, traditionelle Musikpflege und Musik im Leben der Völker

Von Petra Kammann

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs war die Musikszene der 1920er Jahre in der ehemals freien Reichsstadt Frankfurt von zahlreichen Innovationen geprägt. Darüber sprach Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle in ihrem vielschichtigen Vortrag „Der Komponist als Bürgerschreck“, den sie mit Bildern, Bühnenbildentwürfen, Klangbeispielen und spannenden Tondokumente anreicherte. Live und schwungvoll spielten dazu im Archäologischen Museum Studierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Außerdem moderierte Uwe Paulsen ein anregendes Gespräch mit Gegenwartsbezug zwischen Ulrike Kienzle und Bernd Loebe, dem Intendanten der Oper Frankfurt.

Zum Vortrag von Ulrike Kienzle (re) spielte das Studierenden-Quintett „Drei Anekdoten für Radio“ von Paul Hindemith aus dem Jahr 1925, Foto: Petra Kammann

Mit einem jazzig-aufmunternden Scherzando der Drei Anekdoten für Radio des Komponisten Paul Hindemith setzten die fünf Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (Woobin Park, Violine, Myriam Colliou, Trompete, Nana Kusaka, Klarinette, Jonas Ams, Kontrabass und Taji Koga, Klavier) mit ihren Instrumenten, die nach damaliger Auffassung überhaupt nicht zusammenpassen, eine Marke. Unmittelbar hörbar wurde durch ihren spritzigen Vortrag, wie offen, lustbetont und unkonventionell man Mitte der Zwanziger musikalisch nach neuer Orientierung suchte.

Kurz skizzierte die promovierte Literatur – und Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle, die seit ein paar Jahren intensiv an einer, von der Frankfurter Bürgerstiftung herausgegebenen Publikation der bislang noch nicht geschriebenen historisch bedeutenden „Musikstadt Frankfurt“ arbeitet, mit wenigen Strichen und Bemerkungen die Nachkriegsszenerie ebenso charakteristisch wie den Beginn der Zwanziger Jahre als Zeit des Aufbruchs und der Erneuerung nach den Schockwellen des Ersten Weltkriegs, nach dem Zusammenbruch der politischen Ordnungen und den Verwerfungen der Hyperinflation“, nach der Frankfurt sich sukzessive zur avantgardistischen Kunst- und Musikstadt entwickelte.  

Der Rundfunk als „drahtlose Kulturdampfmaschine für Neue Musik“, Foto: Historisches Museum

So wie die Neue Musik mit der Gründung von Radio Frankfurt 1924 als wichtiger Impulsgeber einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurde und ​Komponisten wie Paul Hindemith Werke speziell für das neue Medium schufen wie eben die Drei Anekdoten für Radio, die hier live gespielt wurden, auch den Abend in besonderer Weise einfassten: quirlig zu Beginn, elegisch nach Kienzles detailreichem Vortrag im Mittelteil, der 1933 eine Zäsur setzte sowie virtuos ineinander verzahnt nach Abschluss der Podiumsdiskussion mit dem so einfallsreichen wie erfolgreichen Idendanten der Frankfurter Oper Bernd Loebe im dritten Teil.

v.l.n.r.: Taji Koga, Klavier, Myriam Colliou, Trompete, Woobin Park, Violine, Nana Kusaka, Klarinette und Jonas Ams, Kontrabass, Foto: Petra Kammann

Der eigentlichen Frage wird das Technische vorausgestellt: „Es gibt heute in der Musik kaum technische Aufgaben, die wir nicht bewältigen könnten. Die technischen und rein künstlerischen Fragen rücken ein wenig in den Hintergrund.“  Und dann folgt die eigentliche, uns auch heute beschäftigende Frage:

„Was uns Alle angeht, ist dies: das alte Publikum stirbt ab; wie und was müssen wir schreiben, um ein größeres, anderes Publikum zu bekommen; wo ist dieses Publikum?“ Diese Vision hatte sich vor knapp hundert Jahren schon Hindemith gestellt.

Dieses so verminte, wie auch aus diesem Grund nicht immer leicht zu beschreibende Gelände sollte später auch die Diskussionsrunde mit Opernintendant Bernd Loebe, Ulrike Kienzle und Uwe Paulsen beschäftigen.

Die Diskutanten waren sich immerhin einig in der Tendenz, dass es im heutigen Handyzeitalter wieder eine begeisterte Rückkehr zum Live-Erlebnis von Musik vor Ort gebe. Das würde doch auch die sozial eminente Bedeutung von Bühnenformaten unterstreichen, biete die Bühne doch phantasieanregende Alternativen zum realen Leben. Wer wollte ihnen da widersprechen?

Uwe Paulsen (Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e.V.) Musikwissenschaftlerin Ulrike Kienzle und Opernintendant Bernd Loebe im Podiumsgespräch, Foto: Petra Kammamm

Parallel zu den digitalen Medien heute hatte schon in den Zwanzigern der Rundfunk die Entwicklung neuer musikalischer Formate beflügelt. Da waren Atonalität, Expressionismus, Zeitoper und Jazz auch in die traditionellen Spielstätten wie Oper und Konzertsaal eingezogen.

Erstaufführungen in der Ära Steinberg, Foto während der Veranstaltung: Petra Kammann

In Frankfurt hatte der damals regierende musikaffine Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann die traditionelle Musikpflege ebenso wie nach der Weltwirtschaftskrise die Avantgarde gefördert, was so lange gutging, bis schon im Januar 1933 die Nachricht Schule machte, dass in Frankfurt Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt worden sei.

Die Folgen waren inzwischen bekannt. Nazischergen stürmten das Opernhaus und hissten an der Fassade draußen Hakenkreuz-Fahnen, nur weil ein jüdischer Dirigent wie Hans Wilhelm Steinberg die Wagner-Oper „Meistersinger“ inszeniert hatte und die Hand zum Hitlergruß erhoben werden sollte. Steinberg wurde unmittelbar entlassen.

Und schon kurz darauf erging es allen damals bedeutenden Musikern, gefeierten Sängerinnen und Sängern so: Josef Turnau, Herbert Graf, Ernst Schoen, Erich Itor Kahn, Bernhard Sekles, Mátyás Seiber und und und… Sie durften fortan weder die Oper, das Sendehaus noch das Konservatorium mehr betreten, verschwanden aus dem öffentlichen Leben. Radio Frankfurt und die Städtischen Bühnen wurden gleichgeschaltet. Das bereitete auch dem belebendem Jazz, der breite Bevölkerungsschichten ansprach und als „Niggermusik“ abqualifiziert wurde, ein jähes Ende. 

Ulrike Kienzle im Gespräch mit Bernd Loebe, Foto: Petra Kammanmn

In der Podiumsdiskussion ging es u.a. darum, wie man sich für ähnlich auftretende Situationen in Zukunft wappnen könne, auch, wie man finanziell souverän bleiben und dabei ein Musiktheater für alle machen könne. Um unter erschwerten finanziellen Bedingungen eine vernünftige Programmarbeit zu gewährleisten, sei eine „Mischkalkulation“ unerlässlich, so Loebe.

Ausgegrabene Schätze wieder auf die Bühne zu bringen, sei wichtig und erstrebenswert. Aber frei nach Mozarts Motto Così fan tutte solle man die Publikumslieblinge nicht vernachlässigen. Da sei intellektuelle Arroganz völlig fehl am Platz. Bekannten Stoffen müsste man halt neue intelligente Aspekte einhauchen, so Loebe. Ob wir aus der Geschichte gelernt haben?

Auf Ulrike Kienzles demnächst erscheinendes Buch über die nicht so gut kommunizierte Geschichte der Musikstadt Frankfurt darf man auf jeden Fall gespannt sein. Im Herbst nächstens Jahres soll es erscheinen.

Die besprochene Veranstaltung ist Teil der Reihe „Frankfurt in der Weimarer Republik“, die von der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e.V. im Archäologischen Museum veranstaltet wird.

 

 

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