„100 Jahre Neues Frankfurt“: im Jüdischen Museum Frankfurt
Pop-up-Präsentationen und eine spezielle Tour durchs Museum
Großformatige Collage auf dem Vorplatz, ein Jahr lang wechselnde Präsentationen in der öffentlich zugänglichen Bibliothek im Neubau – eine Themenspur durch die Wechselausstellung „Im Angesicht des Todes“ und eine andere durch die Dauerausstellung im Rothschild-Palais sowie Führungen und digitale Angebote über politische Entscheidungsträger und prägende weibliche Persönlichkeiten des Neuen Frankfurt
Collage mit Persönlichkeiten des Neuen Frankfurt, Collage: Jüdisches Museum
Als Teil der stadtweiten Jubiläumsaktivitäten zur grundlegenden Modernisierung von urbaner Infrastruktur, sozialem Wohnungsbau, Medien, Kunst und Design konzentrieren sich die Pop-up-Präsentationen im Jüdischen Museum Frankfurt auf einen maßgeblichen, aber nicht unbedingt bekannten Aspekt des Neuen Frankfurt: Alle zentralen politischen Entscheidungsträger waren jüdisch.
Oberbürgermeister Ludwig Landmann ebenso wie Stadtbaurat Ernst May, Stadtkämmerer Bruno Asch oder Kulturdezernent Max Michel. Auch die prägenden weiblichen Persönlichkeiten kamen aus jüdischen Familien – wie die Künstlerin Erna Pinner oder die Fotografinnen Ilse Bing und Jeanne Mandello. Andere – wie etwa Ferdinand Kramer – waren mit einer Jüdin verheiratet oder – wie der Radiopionier Hans Flesch – in Familien aufgewachsen, die sich in vorausgehenden Generationen vom Judentum abgewandt hatten.
Für die meisten dieser zentralen Persönlichkeiten des Neuen Frankfurt hatte ihre jüdische Herkunft keine zentrale Bedeutung für ihr Selbstverständnis. Für andere – wie den Architekten Fritz Nathan oder den Silberschmied Ludwig Wolpert – hingegen bildete sie den Ausgangs- und Bezugspunkt ihres Schaffens.
Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden sie alle gleichermaßen entrechtet und in die Emigration gezwungen, wenngleich ihre Verfolgungsgeschichte nicht das Einzige ist, was die jüdischen Protagonisten miteinander verbindet. Sie alle wuchsen mit mehr oder weniger großer Nähe zur jüdischen Tradition der Pflege von Gemeinsinn auf.
Inwieweit prägte eben dieser Sinn auch das dezidiert soziale Verständnis von Modernisierung, die sich im Neuen Frankfurt zeigte? Dieser Frage geht das Jüdische Museum Frankfurt ein Jahr lang , vom 20. Mai 2025 – 10. Mai 2026 in seinen Pop-up-Präsentationen, Führungen und digitalen Angeboten nach.
20.05.2025 – 29.06.2025: Fritz Nathan
Fritz Nathan wird 1891 in Bingen in eine jüdische Weinhändler-Familie geboren und studiert Architektur in Darmstadt und München. Nach seinem Dienst als Soldat im Ersten Weltkrieg macht er sich 1923 in Frankfurt als Architekt selbstständig. Er entwirft rund 100 Bauten für diese Stadt, darunter Siedlungen, Warenhäuser, Kinos, Fabriken, Krankenhäuser und Schulen.
Besondere Anerkennung erhält er für seinen Entwurf des Neuen Jüdischen Friedhofs an der Eckenheimer Landstraße, den er 1928/29 realisiert. Dieser Friedhof wird bis heute von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt genutzt. 1938 muss Fritz Nathan mit seiner Familie in die Niederlande fliehen und wandert ein Jahr später in die USA aus. Dort spezialisiert er sich auf den Bau von Synagogen und Gemeindezentren. Fritz Nathan stirbt am 3. November 1960 in New York.
01.07.2025 – 31.08.2025: Erna Pinner
Erna Pinner, 1890 in Frankfurt geboren, beginnt mit 17 Jahren am Städelschen Kunstinstitut zu studieren. 1908 zieht sie nach Berlin, um bei Lovis Corinth zu lernen, und schließlich weiter nach Paris, die europäische Hauptstadt der damaligen Bildenden Kunstszene. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrt sie nach Frankfurt zurück.
Erna Pinner: Weltreisende und eine der prägenden weiblichen Persönlichkeiten des Neuen Frankfurt © Estate of Erna Pinner
1916 lernt sie Kasimir Edschmid kennen, den Mitbegründer der Darmstädter Sezession. Zusammen bereisen sie Südeuropa, Südamerika sowie Afrika und verarbeiten ihre Erfahrungen in Publikationen. Erna Pinners Werk umfasst zahlreiche Reisebilder und Tierzeichnungen. Mit letzteren entwickelt sie sich zu einer gefragten Illustratorin. 1926 stellt sie ihre Tierzeichnungen in Frankfurt aus. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden ihr Leben und ihre Arbeit zunehmend eingeschränkt. 1935 emigriert Erna Pinner nach London, wo sie bis zu ihrem Tod 1987 lebt.
02.09.2025 – 12.10.2025: Ferdinand Kramer
Der Architekt und Designer Ferdinand Kramer kommt 1898 in Frankfurt zur Welt. Seine nicht-jüdischen Eltern führen das Geschäft „Hutlager G. Kramer“. 1925 vertraut Stadtbaurat Ernst May ihm die Leitung der Abteilung für Typisierung im Frankfurter Planungsdezernat an. In dieser Position verantwortet er unter anderem die Entwicklung kostengünstiger Interieurs. Zusammen mit Eugen Blanck entwirft er die Siedlung Westhausen (erbaut 1929 – 1931). Auch am Bau des ehemaligen Gebäudes der Henry und Emma Budge-Stiftung wirkt er mit. 1937 verhängen ihm die Nationalsozialisten Berufsverbot.
Ein Jahr später retten sich Kramer und seine jüdische Ehefrau, die Modedesignerin Beate Kramer, in die USA. Dort arbeitet Kramer als Architekt und Industriedesigner. Anfang der 1950er Jahre kehrt er nach Frankfurt zurück, übernimmt bis 1964 die Leitung des Bauamts der Frankfurter Universität und realisiert für diese 23 Hochschulgebäude. Er stirbt 1985 in Frankfurt.
14.10.2025 – 23.11.2025: Ilse Bing
Um ihre kunsthistorische Dissertation mit Fotografien zu versehen, besorgt sich die 1899 in Frankfurt geborene Ilse Bing Mitte der 1920er Jahre eine Kamera. Sie experimentiert mit dem Apparat und kauft sich später eine Leica. Ab 1929 fertigt sie Reportagen an und arbeitet als Fotojournalistin. Ihre Fotografien werden unter anderem in der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ abgedruckt.
Ende 1930 zieht Bing nach Paris um, veröffentlicht ihre Bilder in französischen Illustrierten und präsentiert ihre Arbeiten auf ersten Ausstellungen zeitgenössischer Fotografie. Mit ihrem Mann Konrad Wolff flieht sie 1941 vor den nationalsozialistischen Verfolgungen nach New York, wo sie ihren Unterhalt vor allem als Werbe- und Porträtfotografin verdient. 1959 gibt Ilse Bing die Fotografie auf, arbeitet als Hundepflegerin und produziert Collagen, Zeichnungen und Gedichte. Sie stirbt 1998 in New York.
25.11.2025 – 04.01.2026: Ernst May
1886 als Sohn von Jenny Clara May und dem Lederwaren-Hersteller Adam May in Frankfurt geboren, wird der Architekt Ernst May 1925 von Oberbürgermeister Ludwig Landmann zum Stadtbaurat ernannt. Mit seinem Team junger Architekten, Gestalter und Techniker wird er zur zentralen Figur des Neuen Frankfurt.
Prägend hierfür sind der Siedlungsbau und die Einführung genormter Bauteile, aber auch ein sozialreformerischer Ansatz. 1930 folgt May einer Einladung in die Sowjetunion und entwirft Bebauungspläne für Industriestädte. Als ihm klar wird, dass er seine Konzepte unter Stalin nicht realisieren kann, verlässt er Ende 1933 die UdSSR. Da ihn Goebbels ihn in einer Radioansprache direkt angreift, emigriert May nach Ostafrika. Dort erwirbt er eine Farm und eröffnet ein Architekturbüro. Nach 1945 kehrt er nach Deutschland zurück. May stirbt 1970 in Hamburg.
06.01.2026 – 15.02.2026: Nelly Schwabacher
Nelly (Cornelia Bertha) Schwabacher wird 1899 als Tochter von zwei alteingesessenen jüdischen Münzhändler-Familien in Frankfurt geboren. Ab 1916 studiert sie in den Technischen Lehranstalten in Offenburg, danach an der Kunstgewerbeschule Frankfurt, wo sie Schülerin des Bildhauers Benno Elkan wird. Sie bewirbt sich am Bauhaus in Weimar und besucht von 1919 bis 1921 die Klassen für Holzbildhauerei und Werkzeichnen. In Frankfurt ist sie weiterhin als Grafikerin tätig und später in Festanstellung bei der Frankfurter Zeitung. Sie heiratet den Journalisten Alexandre Rossmann, der sich allerdings Mitte der 1930er Jahre von seiner jüdischen Frau scheiden lässt. Während eines Besuchs bei ihren Eltern, die nach England emigriert sind, bricht der Krieg aus. Nelly Schwabacher bleibt mit ihrem Sohn dort. In London arbeitet sie unter anderem für das deutschsprachige Exilblatt „Die Zeitung“ und stirbt 1957 in Edmonton, England.
https://www.juedischesmuseum.de/
Die Neue-Frankfurt-Spur im Museum am Bertha-Pappenheim-Platz führt Sie vom Vorplatz über die öffentliche Bibliothek, die Wechselausstellung „Im Angesicht des Todes“ bis in die Dauerausstellung im Rothschild-Palais. Sie finden die entsprechenden Inhalte markiert mit diesem Logo:
Führungen
Themenbezogene Führungen finden an den folgenden Daten jeweils um 16 Uhr statt:
- Do, 29.05.2025
- Do, 19.06.2025
- Do, 31.07.2025
- Do, 21.08.2025