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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Verfilmung von Bulgakows „Meister und Margarita“

Eine irrwitzige Mischung aus Arthouse-Kino und Fantasy

Walter H. Krämer

Mehr als zehn Jahre, bis kurz vor seinem Tod 1940, hat Michael Bulgakow an dem Roman „Meister und Margarita“ geschrieben. Erst Jahrzehnte nach seinem Tod wurde er – zunächst allerdings nur zensiert – veröffentlicht. Heute gilt der Roman als Schlüsseltext der Moderne und wurde vielfach adaptiert für die Bühne, den Film oder als Hörspiel. Die bisher letzte Verfilmung (2024) stammt von Regisseur Michael Lockschin. Sie läuft gerade in deutschen Kinos im Original mit Untertiteln.

Der Meister (Jewgeni Zyganow) und seine Muse Margarita (Julia Snigi), Foto: capelight pictures

Doch worum geht es? Der Roman „Meister und Margarita“ erzählt eine Geschichte, in der der Teufel Moskau besucht, ein Schriftsteller in einer Irrenanstalt landet, sich vorher allerdings noch unsterblich in eine Frau namens Margarita verliebt und Pontius Pilatus eine zentrale Rolle spielt.

Die Reise durch Zeiten und Räume beginnt am Moskauer Patriarchenteich. Zwei überzeugte Atheisten im Gespräch: Chefredakteur Berlioz übt Kritik am jungen Lyriker Besdomney, aus dessen neustem Poem nicht klar genug hervorgehe, dass die Geschichte Jesu reine Fiktion ist. Doch dann mischt sich ein Fremder in das Gespräch ein und behauptet, dass Gott ganz sicher existiere.

Kurze Zeit später, Berlioz wurde inzwischen der Kopf von einer Straßenbahn abgetrennt, wie von dem Fremden vorab erwähnt, wird Besdomney klar, dass der Fremde der Teufel persönlich war. Doch zuhören will Besdomney keiner und alle halten ihn für verrückt. Er wird in die Psychiatrie eingeliefert. Dort begegnet er dem Meister, Autor eines unvollendeten Romans über Pontius Pilatus und den Gottessohn Jeschua.

Der verlängerte Arm des Teufels: Azzaleo (Alexei Rosin), Foto: capelight pictures

Die Geschichten vom Teufel, Margarita, dem Meister, Gottessohn Jeschua und Pontius Pilatus werden von Bulgakow nicht linear erzählt und spielen auf verschiedenen Zeitebenen. Sie sind miteinander verwoben und spiegeln sich gegenseitig:

In der Gegenwart trifft der junge Lyriker Besdomney in Moskau den Teufel Volan, landet danach in der Psychiatrie, sein Zimmernachbar dort ist der Meister. Der Meister, ein Schriftsteller, erzählt ihm, wie er seine große Liebe Margarita kennengelernt und wieder verloren hat, und wie sein großer Roman über Pontius Pilatus und Jeschua – im Film sein Theaterstück – von Verlagen und Kritikern zerrissen und die Aufführung kurz vor der Premiere abgesagt wurde.

Gemeinsam mit dem Riesenkater Behemoth und weiterer teuflischer Begleitung hat Voland – der Teufel – in der Wohnung Nummer 50 Quartier bezogen. Sie stiften Verwirrung in der sowjetischen Hauptstadt. Enthüllen Heuchelei, Gier und Scheinmoral. Parallel dazu entfaltet sich die Geschichte eines namenlosen Schriftstellers – des „Meisters“ – der an einem historischen Roman über Pontius Pilatus arbeitet.

Der mysteriöse Woland (August Diehl) kommt als Tourist nach Moskau, Foto: capelight pictures

Als sein Werk von der Zensur abgelehnt wird, verfällt er in Verzweiflung und zieht sich aus der Welt zurück. Seine Geliebte, Margarita, will ihn retten – und nimmt schließlich ein Angebot von Voland an, um ihren Geliebten zurückzugewinnen. Im Gegenzug wird sie Gastgeberin eines nächtlichen Balls der Verdammten, inszeniert vom Teufel selbst.

Voland – der Teufel – bestraft Korruption Karrierismus, Feigheit und Heuchelei und alle die, die dem Meister Unrecht getan haben und ist damit „Teil jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft.“ In diesem Fall, dem Meister Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und dem Liebespaar Meister und Margarita eine Zukunft zu ermöglichen.

Bulgakow schrieb den Roman zwischen 1928 und 1940, und ihm gelang entgegen aller Widerstände ein staatskritisches, metaphysisches und tiefreligiöses Buch. Was als Fantasie daherkommt, stellt in Wahrheit die Fragen nach Macht, Moral individueller Freiheit und Wahrheit. Und die Frage, inwieweit man bereit ist, dafür einzustehen und zu kämpfen.

Gleichzeitig stellt der Roman tiefgreifende religiöse Fragen: Wer trägt Verantwortung für das Böse? Ist Pilatus schuldig oder ein Getriebener? Wo endet Wahrheit und wo beginnt Manipulation? Und macht deutlich: Die größte Sünde ist die Feigheit!

Der Roman ist wahrhaft ein Meisterwerk und der Autor Michael Bulgakow konnte sich zu seinen Lebzeiten kaum vorstellen und auch nicht erwarten, wie erfolgreich sein Roman einmal sein würde. Die Mischung aus Drama, Satire und Fantasy stellt große Anforderungen an eine Adaption für die Bühne oder den Film.

Es gibt mehrere Verfilmungen und unzählige Adaptionen für die Theaterbühne. Alles Versuche, mal mehr oder weniger gelungen, sich dem Werk zu nähern und den Gehalt des Textes sicht- und hörbar zu machen. Herausragende Umsetzungen auf die Bühne sind von Simon McBurney mit seiner Gruppe Complicite aus dem Jahr 1983, die Arbeit von Wolfgang Engel am Staatsschauspiel Dresden von 2012, die Inszenierung von Kay Voges am Schauspiel Dortmund, ebenfalls aus dem Jahr 2012 und die Arbeit von Luise Vogt am Nationaltheater Weimar im Jahre 2022. Für die Spielzeit 2025/2026 verspricht Schauspiel Frankfurt eine Inszenierung von „Der Meister und Margarita“ durch den Regisseur Timofej Kuljabin.

Erstmals verfilmt wurde der Roman 1972 unter der Regie Aleksandar Petrovics mit Ugo Tognazzi als Meister, Mimsy Farmer als Margarita und Alain Cuny als Voland. Andrzej Wajdas Film „Pilatus und andere“ (1972) ist nur dem zweiten Teil des Buches nachempfunden. 1994 dann eine erneute Verfilmung unter der Regie von Juri Kara und zuletzt im Jahr 2024 von Michael Lockschin – eine gelungene Verfilmung des Romans. Neben der künstlerischen Vision verdankt sich die Qualität dieses Films auch einer großzügigen finanziellen Ausstattung und neuen technischen Möglichkeiten.

Regisseur Michael Lockshin gibt dem Haiuptdarsteller Jewegenji Tyganow Anweisungen am Set, Foto: capelight pictures

Der Film „Der Meister und Margarita unter der Regie von Michael Lockschin ist eine wilde Mischung aus Arthouse Kino und Blockbuster. Biografische Momente aus dem Leben Bulgakows werden mit der Figur des Meisters verschmolzen und die Beziehung zwischen Meister und Margarita wird auch als romantische Liebesgeschichte mit Happy End – dem Teufel sei Dank! – in Szene gesetzt.

Der Film beginnt mit der unsichtbaren – zur Hexe mutierten – Margarita. Die trauernde Geliebte und Muse des verschwundenen Meisters kann dank einer Zaubercreme schwerelos und zeitweise auch unsichtbar durch die Luft fliegen. Margaritas Verwandlung, nachdem sie sich mit Flugsalbe eingerieben hat, in eine Hexe gestaltet sich sinnlich und ihren Flug über die Dächer der Stadt, begreift Luise Vogt, Regisseurin einer Aufführung von „Meister und Margarita“ in Weimar, als „eine tiefschürfende Emanzipationsszene der Weltliteratur. Eine in der eine Frau für ihre Selbstbefreiung nicht bestraft, sondern belohnt wird.“  

Auf ihrem Flug über die Stadt Moskau macht sie Halt in der Wohnung Kritikers Latunsky, der es gewagt hatte, den Roman ihres Meisters niederzuschreiben.  Sichtbar nur der Hammer, mit dem sie die Wohnung des Kritikers verwüstet: eine Marx-Büste zerfällt in Einzelteile, Klaviertasten werden zerdeppert, Wandteller werden zerschlagen und etliche Fensterscheiben und Möbelstücke gehen zu Bruch. Grandioser und lautstarker Einstieg in das Filmgeschehen.

Dann blendet der Film zurück in das Jahr zuvor und wir sehen die Szene am Patriarchenteich mit Diskussion über die Existenz Gottes und – wie vorausgesagt – wird Berlioz seinen Kopf verlieren. Die Geschichte nimmt mit vielen Zeit- und Raumsprüngen ihren Lauf.

Nachdem das Stück Pilatus abgesetzt ist, steht die Revue „Blick in die Zukunft“ – eine Lobhudelei auf das bestehende System – auf dem Programm.  Mitten im Geschehen kapern die Gehilfen des Teufels die Bühne und die Stimmung im Saal verändert sich schlagartig. Gewehrkugeln durchlöchern die an der Decke schwingende Erdkugel. Als Muster entsteht ein Sowjetstern und dann bricht die Kugel auseinander und massenweise Geldscheine flattern in den Zuschauerraum. Und alle stürzen sich darauf, um möglichst viele davon einzusammeln. Als wieder Ruhe eingekehrt ist, gibt es eine Schau mit Mode aus Paris und das Versprechen, jede Frau, die in den Zauberkasten steigt, kommt anschließend neu gestylt wieder heraus. Nachdem erste Ergebnisse sichtbar werden, ist der Andrang riesengroß und selbst ein Mann stürzt sich in den Zauberkasten – was als Seitenhieb gegen das homophobe Russland gesehen werden kann.

Pakt mit dem Teufel: Gella (Polina Aug) gehorcht ihrem Herren Woland (August Diehl aufs Wort, Foto: capelight pictures

Nachdem die Gehilfen des Teufels die Schau beenden und ankündigen, dass alle Auslagen kostenlos abgegeben werden, stürzen sich die Zuschauer*innen ohne Rücksicht auf die Regale und ausliegende Ware. Eine großartig gefilmte Szene, in der Heuchelei, Gier, Neid und Frustration zwischen den Geschlechtern sichtbar wird.

Eine Figur, die sich gegen die Lügen stemmt, ist eine, sinnigerweise hinkende Krankenschwester in der Psychiatrie. Sie stellt sich auf die Seite des Meisters, ermöglicht ihm Zugriff auf einen Schlüssel zum Öffnen der Balkontür, versorgt ihn – obwohl verboten – mit Papier und Stiften, damit er seinen Roman zu Ende schreiben kann und sorgt auch dafür, dass der fertige Roman in die Hände von Margarita gerät.

Hauptdarstellerin Julia Snigir am Set, Foto: capelight pictures

Dem Film gelingt der Spagat zwischen Fantasy, Liebesgeschichte, Gesellschaftskritik und intensivem Kammerspiel und ist mit den Darsteller*innen August Diehl als Voland, Jewgeni Zyganow als der Meister, Julija Snigir als Margarita und Claes Bang als Pontius Pilatus in den Hauptrollen hervorragend besetzt. Nicht zu vergessen natürlich die vielen Nebenrollen, die allesamt gut gewählt und ausgezeichnet spielen.

Der Teufel, gespielt von August Diehl ist bei Lockschin ein lachender, schelmischer Liebhaber von Streichen der genussvoll seine Urteile über die Moskauer*innen vollstreckt.  Er genießt es aufrichtig, wenn er sein Urteil über die Moskauer vollstreckt.

Auch die russischen Schauspieler*innen, allen voran Zyganow als der Meister und Julia Snigir in der Rolle seiner geliebten Margarita – die beiden sind im Leben ein Ehepaar – sind gut gewählt.

 Jazzkonzerte in einem geschlossenen Schriftsteller-Club erinnern an Partys der Reichen und Schönen aus Hollywood-Filmen und die schwarzmagische Séance im Theater wird von einer Modenschau mit Pariser Models begleitet. Und der Große Ball des Satans scheint von christlicher und antiker Kunst inspiriert.

Die fast drei Stunden vergehen wie im Flug und beeindrucken. Der Film, sollte, so der Schauspieler August Diehl, gesehen werden als russischer Emigrant und nicht als russische Propaganda, und daher hierzulande herzlich willkommen sein „Manuskripte brennen nicht!“ – eine zentrale Aussage des Teufels mit Hinweis, Bücher als etwas Geistiges zu verstehen, das gedacht und geschrieben, aber nicht unbedingt gedruckt werden muss.

Dass sich der Film auch als Kritik am System Putin lesen lässt, macht deutlich, dass sich die Zeiten in Russland nicht geändert haben und Zensur und Unterdrückung weiterhin bestehen.

Der Film wurde von der russischen Presse positiv aufgenommen. Kritiker lobten den Film für die schauspielerischen Leistungen, visuelle Schönheit und Aktualität. „Die erste gute Verfilmung“ von Bulgakows Roman und der „beste kommerzielle Film der modernen russischen Geschichte“ war da zu lesen.

Der Roman und auch die neue Verfilmung können verstanden werden als Dokumente für die Freiheit der Künste, die nicht unterzukriegen sind. Die nicht nur anklagen, sondern schallend lachend können über den Irrsinn, der sie umgibt – im Film sollte man besonders auf das Lachen von August Diehl in seiner Doppelrolle als Voland und auch als Tourist hören.

Auch der Roman ein Befreiungsakt Bulgakows, der sich selbst im Stalinismus als Schriftsteller „lebendig begraben“ fühlte und dennoch der Realität diesen vor Fantasie überbordenden Roman abtrotzt.

Titel Der Meister und Margarita
Originaltitel Мастер и Маргарита
Transkription Master i Margarita
Produktionsland Russland
Originalsprache Russisch
Erscheinungsjahr 2024
Länge 157 Minuten
Regie Michael Lockschin
Drehbuch Michael Lockschin, Roman Kantor
Produktion Ruben Dischdischjan, Leonard Blavatnik
Musik Anna Drubitsch
Kamera Maxim Schukow

 

Hauptdarsteller*innen:

August Diehl als Woland, der Teufel, der Moskau besucht

Jewgeni Zyganow als der Meister, ein Schriftsteller, der verzweifelt ums Überleben kämpft

Julija Snigir als Margarita, die Geliebte des Meisters

Claes Bang als Pontius Pilatus, die Hauptfigur im Roman des Meisters

Juri Korokolnikow als Korowjew, Wolands rechte Hand

Alexei Rosin als Asasello, ein Scharfschütze in Wolands Gefolge

Polina Aug als Gella, ein Sukkubus in Wolands Gefolge / Gala, eine aufstrebende SchauspieleJuri Borissow als Stimme von Behemoth

Der Film läuft derzeit im Arthouse-Kino Harmonie

Termine bis 20.Mai:

https://www.arthouse-kinos.de/filme/der-meister-und-margarita-43269/

 

 

 

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