Internationale Tage Ingelheim zeigen Werke von “Fotografinnen auf Reisen“
Mutige Frauen mit Neugier und Wissensdurst im Gepäck
Von Hans-Bernd Heier
Im 20. Jahrhundert begaben sich zahlreiche Fotografinnen auf Fahrten in teils wenig erforschte Länder. Die neue Themen-Ausstellung „Neugier, Mut und Abenteuer: Fotografinnen auf Reisen“ der Internationalen Tage Ingelheim nimmt die Besucherinnen und Besucher mit auf eine Reise in 30 verschiedene Länder. Versammelt sind die Werke von 21 Fotografinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zu bestaunen sind in der gut gehängten Schau mehr als 180 Schwarz-Weiß- und Farbfotografien von den 1920er Jahren bis heute. Die beeindruckenden Aufnahmen zeigen subjektive Eindrücke und individuelle Bildästhetiken der renommierten Fotografinnen.
Franziska Stünkel „All the stories, 64“, 2014; Farbfotografie, Dia-Sec; © Franziska Stünkel
Ihre Beweggründe, fremde Ziele allein und unter oftmals strapaziösen Bedingungen zu bereisen und dabei auch bis an die eigenen physischen und psychischen Grenzen zu gehen, werden in der gut strukturierten Schau in drei Themenbereichen beleuchtet. „Ganz gleich, was der Grund war: Alle Reisen forderten diesen Frauen Neugier, Mut und Abenteuerlust ab, vor allem aber das Können, den einzigen unwiederbringlichen Moment mit ihrer Kamera festzuhalten“, so Dr. Katharina Henkel, Leiterin der Internationalen Tage Ingelheim.
Für einige Fotografinnen war ein journalistischer Auftrag, meistens von Zeitungen und Zeitschriften, der Anlass, in ferne Länder aufzubrechen und von Kontinent zu Kontinent zu reisen. Nicht allein der Vielfalt und Schönheit von Städten und Landschaften wegen, sondern auch dem Alltagsleben der einheimischen Bevölkerung, dem Nebeneinander von Tradition und Moderne sowie der körperlichen Arbeit in verschiedensten Bereichen, galt ihr besonderes fotografisches Interesse.
Besonders beeindruckend sind die ausgestellten Arbeiten von Alice Schalek, einer Pionierin des Reisejournalismus. Bereits 1909 reiste sie das erste Mal nach Indien und 1928 erneut für mehrere Monate. Ein Jahr später veröffentlichte der Ullstein-Verlag ein Sonderheft mit ihrem 20-seitigen bebilderten Indien-Bericht. Schaleks Interesse galt primär der Architektur und Landschaft und weniger den Einheimischen. Der Blick durch einen Bogen auf einen Palast offenbart ihr Gespür für wirkungsvolle Aufnahmen.
Lotte Errell „Kurashpane, Teherans’s Brick City“, um 1934, Silbergelantineabzug; © Nachlass Lotte Errell / Museum Folkwang, Essen
Einen ungewöhnlichen Einblick gewähren auch die Werke von Ré Soupault, geborene Meta Erna Niemeyer: Die unter schwierigen Umständen entstandenen Fotos aus dem „verbotenen“ Quartier reservé in Tunis zeigen aus ihren Familien ausgestoßene Frauen unterschiedlichen Alters, die nur durch Prostitution oder Bettelei überleben konnten. Soupault fotografierte die Frauen meist frontal auf Augenhöhe, aber mit genügend Abstand, um ihnen ihren eigenen Raum zu belassen.
In der zweiten Themengruppe sind Arbeiten von Fotografinnen zu sehen, die mit ihrer Kamera archäologische Grabungen und Forschungsreisen begleitetet oder historische Kulturstätten dokumentiert haben, die durch Kriege oder Klimaveränderung äußerst gefährdet waren. Mit geschultem Blick hielten sie oftmals einen unwiederbringlichen Moment für nachfolgende Generationen fest.
Alle Fotografinnen auf einen Blick; Foto: Hans-Bernd Heier
Speziell durch das Œuvre von Ursula Schulz-Dornburg zieht sich das Thema von gefährdeter Architektur und Landschaft. Ihre in insgesamt etwa 30 Serien angelegten Aufnahmen dokumentieren uralte, im Verschwinden begriffene Kulturlandschaften. In den vergangenen Jahrzehnten waren einige dieser Orte allerdings schwerwiegender und auch absichtlicher Zerstörung ausgesetzt – wie die antike Oasenstadt Palmyra im heutigen Syrien, die seit 1980 zum UNESCO Weltkulturerbe zählt. Faszinierend sind die ausgewählten schlichten zehn Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus ihrer Serie „Verschwundene Landschaften“ von 2010.
Ebenso beeindruckend sind Herlinde Koelbls Farb-Fotografien von einer Reise durch Turkmenistan. Die Fotokünstlerin ist vor allem für Ihre Langzeitprojekte bekannt, mit denen sie bedeutende deutsche Persönlichkeiten oder Politiker*innen wie Angela Merkel (1991-2021) porträtierte. 2018 begleitete sie eine archäologische Forschungsgruppe nach Margiana – eine historische Landschaft im Osten Turkmenistans, die vor rund 4.000 Jahren die Wiege einer bewundernswerten Hochkultur der Bronzezeit war. Dort entstanden herrliche Fotografien von archäologischen Stätten und Relikten, aber ebenso von Land und Leuten, welche die Gegensätze zwischen Tradition und Neuerung eines sich durch den wirtschaftlichen Aufschwung rasch wandelnden Landes zeigen.
Turkmenische Frau aus der Serie Turmenistan 2018, Fine Art Print, Foto: Herline Koelbl
Im dritten Ausstellungsbereich werden Arbeiten von Fotografinnen präsentiert, die andere Kontinente bereisten, um freie künstlerische Projekte zu realisieren. Sie verfolgten ein bestimmtes Konzept oder realisierten eine Idee, die manchmal als Serie angelegt oder auch über viele Jahre hinweg verwirklicht wurde. Sowohl die Präsentation wie auch das exzellente Begleitbuch zeigen, dass die Grenzen zwischen den drei Themen Auftrags- und Dokumentarfotografie sowie freier künstlerischer Fotografie durchaus fließend sind. Zwei Fotokünstlerinnen seien noch besonders erwähnt.
Barbara Klemm „Matterhorn, Schweiz“, 1993, Silbergelatineabzug auf Barytpapier; © Barbara Klemm
Die vielfach ausgezeichnete Fotografin Barbara Klemm ist für ihre einfühlsamen Reportagen und Porträts bekannt. „Viele ihrer Fotografien gehören zum kollektiven Bildgedächtnis der Deutschen“, schreibt Carolin Förster in dem Katalog. Bis 2005 bereiste sie als Redaktionsfotografin der FAZ die verschiedensten Länder und Kontinente. Parallel zu ihren auch international anerkannten Fotoreportagen über bedeutende historische Ereignisse entstand ihr weiterhin fortgeführtes – weniger bekanntes Œuvre der Landschaften. „Auch in diesen ebenfalls ausschließlich schwarz-weißen Naturaufnahmen beweist Klemm ihr sicheres Gespür für den Augenblick. Zudem offenbart sie in den perfekten Kompositionen eine meisterhafte Beherrschung der Grautöne zwischen Schwarz und Weiß unter Nutzung des natürlichen Lichts“, so Katharina Henkel.
Die Filmregisseurin und Fotokünstlerin Franziska Stünkel ist fasziniert von Spiegelungen und Reflektionen in Schaufenstern, Glasscheiben oder spiegelnden Flächen. Sie sagt: „Spiegelungen ermöglichen die Wahrnehmung zeitgleichen Lebens. Wir können uns nicht isoliert betrachten. Wir alle leben in Koexistenz, oft auch ohne dies bewusst zu bemerken“. Die formale Komplexität der Spiegelung entdeckte sie 2009 zufällig in Shanghai. Seitdem hat sie vier Kontinente bereist, um Reflektionen ausschließlich analog zu fotografieren. Ihre höchst beeindruckenden Fotoarbeiten erzählen von der Vielschichtigkeit der Welt der Durchdringung von innen und außen, dem Miteinander von Mensch und Architektur, der Überlagerung von Formen und Farben sowie der Gleichzeitigkeit des Geschehens.
Die sehenswerte Präsentation „Mut und Abenteuer: Fotografinnen auf Reisen“ ist noch bis zum 13. Juli 2025 im Kunstforum Ingelheim – Altes Rathaus François-Lachenal-Platz 1, zu sehen.#
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