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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Vor 80 Jahren: 1945 – Ein Jahr in bildmächtigen Erinnerungen

Niederlage. Befreiung. Neuanfang

Von Petra Kammann

Zwölf Jahre lang hatte das nationalsozialstische Terror-Regime in Deutschland fortbestanden, das die Welt in Atem hielt und in den Abgrund stürzte. Als die Waffen am 8. Mai 1945 endlich schwiegen, waren etliche Städte dem Erdboden gleich gemacht. Zerbombt lagen sie in Schutt und Asche und waren nicht wiederzuerkennen. 1945, in diesem in der Geschichte des 20. Jahrhunderts unvergleichlichen Jahr ging nicht nur der Zweite Weltkrieg 1945 zu Ende und mit ihm das „Dritte Reich“. Es wurden auch die Weichen für eine neue Ordnung der Welt gestellt. Photo-Ikonen eines Jahres, lautet der Untertitel des Bildbandes 1945 von Schirmer & Mosel, das uns diese Übergangszeit zwischen Krieg und Frieden bildhaft vor Augen führt. Das „Nie wieder!“ scheint seine Wirkung eher verfehlt zu haben…

Einsamkeit in den Trümmern der Freiburger Altstadt 1945, Photo: Werner Bischof 

Bilder, die sich ins Gedächtnis eingraben

Bilder, die für die nachgeborene Generation immer noch unvorstellbar schockierend sind: der Massenmord in den Konzentrations- und Vernichtungslagern, die Öffnung der NS-Konzentrationslager, das Leid von Millionen Zwangsarbeitern, die Bombardierung deutscher Städte und die Not in ihren zerstörten Zentren wie in Dresden, Köln, Frankfurt, Freiburg, Nürnberg und Leipzig, darunter besonders eindrucksvoll Bourke-Whites Bild von der völlig zerschmetterten und in Teilen im Rhein schwimmenden Hohenzollernbrücke in Köln aus dem März 1945, das sinnbildlich für die Unmöglichkeit des Brückenschlagens steht.

Bilder von ausgehungerten Kinder in den Trümmern, die „Trümmerfrauen“, die den Schutt beiseite räumen, Gewalt gegen Frauen, dann die Trecks der Flüchtlinge aus dem Osten, Menschen, die wie Kletten an den Zügen hängen, Menschen mit Kinder- und Handwagen und dem nötigsten Gepäck darauf  und natürlich auch solche Bilder, die von den letzten Tagen von Hitler, Goebbels und deren Selbstmord angesichts der Aussichtlosigkeit ihrer sinnlosen Handlungen und der Angst vor Strafe zeugen. Schließlich das Bild von der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 8. Mai 1945 des russischen Photographen Georgi Petrussow.

Kurzum: Lauter historische Meilensteine, die in dieser Zeit von den bedeutendsten Bildreportern und Fotografen der Welt in ikonischen Bildern festgehalten wurden: so etwa diejenigen der amerikanischen Photoreporterin Margaret Bourke-White, die der Redaktion der neu gegründeten Illustrierte LIFE angehörte, von der Befreiung Buchwalds. Erschütternd auch die Serie von der Befreiung Bergen-Belsens vom britischen Fotografen George Rodger aus dem Mai 1945. Er zählte übrigens zu den Mitbegründern der Foto-Agentur Magnum.

Bergen-Belsen am 20. April 1945 Photo: George Rodger

Wie auch der stets mit der Leica fotografierende französische Bildjournalist Henri Cartier-Bresson, der u.a. die Befreiung von Zwangsarbeitern in Dessau festhielt. Er hatte sich in Paris mit dem amerikanischen Kriegsreporter ungarischen Ursprungs Robert Capa zusammengetan, mit dem er später ebenfalls die Bildagentur Magnum mitgründete. Bekannt geworden war dieser vor allem seiner Kriegsberichterstattung aus dem Spanischen Bürgerkrieg wegen, wo er zur Abschreckung den fallenden republikanischen Soldaten im Augenblick seines Todes festgehalten hatte. Szenen wie diese haben sich –  wie auch die von der Landung der US-amerikanischen Truppen am D-Day, dem 6. Juni 1944 am Omaha Beach in der Normandie – tief sich ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben, selbst, wenn einige von ihnen bewusst von den Fotografen inszeniert wurden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Der jüdisch-ukrainische Jewgeni Chaldej setzte seine Kamera während der Potsdamer Konferenz mit Churchill, Truman und Stalin wirkungsvoll ein. Bei den Nürnberger Prozessen war es Ray d’Addario. Dem polnisch-jüdischen Photojournalisten Alfred Eisenstaedt wiederum verdanken wir etliche Porträts, seien es die von Stars wie Marlene Dietrich, oder die von Kriegsverbrechern wie Hitler & Co und dem den Füßen aufgehängten Mussolini oder das vom schmunzelnden Regimegegegner Winston Churchill mit erhobenem Victory-Zeichen.

Befreite russische Zwangsarbeiter, Photo: Henri Cartier-Bresson

Schließlich die Konferenzen der Siegermächte in Jalta und Potsdam und die Eröffnung des Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher, daneben das Ende des Kriegs im Pazifik, der „Trinity Test“ in Los Alamos und die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki mit grausamen menschlichen und ökologischen Folgen, die Kapitulation Japans…

Nicht alle im Band abgebildeten Fotos, von denen einige auch von Unbekannten geschossen wurden, strahlen nur Hoffnungslosigkeit aus. Da macht  vor allem ein poetisches Foto von Alfred Eisenstaedt Mut. Und es spendet Hoffnung, weil es die Idee einer inneren Befreiung vermittelt. Der Fotograf hatte während einer spontanen Siegesfeier zur Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg auf dem Times Square in New York am 14. August 1945 eine Straßenszene verewigt, bei der ein Matrose in seinem Überschwang eine junge Krankenschwester in die Arme nahm und innig küsste. Das bewegte und bewegende Schwarz-Weiß-Foto erschien später auf der Titelseite des LIFE-Magazins und ging somit um die Welt.

Freudentaumel am Times Square „sailor kissing the nurse“ am 14. August 1945, Photo: Alfred Eisenstaedt

Wunderbar auch das Foto vom attraktiven New Yorker Model der Vogue Lee Miller, die durch den Kontakt zu den französischen Surrealisten mit der Résistance vertraut war und schließlich selbst als Kriegsreporterin in Europa arbeitete. Sie hatte sich nach Kriegsende provokativ vom Life-Magazin-Fotografen David E. Scherman in Hitlers Badewanne vergnügt und unbekleidet ablichten lassen, um dem Spuk von dessen diktatorischem Geist ein ironisch-bildliches Ende zu bereiten.

All diese Photo-Ikonen, auch von der Übergangsperiode zwischen den letzten Kampfhandlungen und dem prekären Leben im Nachkriegsdeutschland in einem Buch versammelt zu sehen, ist vor allem auch für Nicht-Historiker besonders eindrucksvoll. Sie können sich dann selbst ein Bild von dem machen, was Diktaturen auslösen können. Für die historischen Einordnungen sorgen die Texte des Historikers Norbert Frei bzw. das Nachwort des aus Thüringen stammenden Verlegers  und Herausgebers Lothar Schirmer, auch er Jahrgang 1945. Kurzbiographien der teils weltberühmten Fotografen lassen sich am Ende des Buches nachlesen.

Darüberhinaus zeigt der Blick über „den Tellerrand“ Deutschlands und Europas auch die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf den pazifischen Raum im Kapitel „Japan/Pazifik 1945“. Da wird zudem die neue weltweite Bedrohung antizipiert, mit Bildern vom ersten Test der Atombombe am 16. Juli 1945 an  – übrigens eins der wenigen farbigen Bilder in dieser historisch mahnenden Schwarz-Weiß-Schattenwelt der verwüsteten Landschaft nach dem Bombenabwurf über Hiroshima und Nagagsaki. Diese Bilder werden uns zweifellos ebenfalls in Zukunft als Mahnung begleiten…

 

1945. PHOTO-IKONEN EINES JAHRES
108 Photographien von 42 Photographen
Mit einem Essay von Norbert Frei
Hrsg. von Lothar Schirmer
Verlag Schirmer/Mosel
216 Seiten, 108 Abbildungen in Duotone und Farbe
ISBN 978-3-8296-1033-9
€ 39,80 €

 

 

 

 

 

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