„September 5“: Spielfilm über die Medien-Rolle beim Münchener Olympia-Attentat
Ein Gespräch mit den Machern im DFF – Zehn Nominierungen für die „Lola“
Von Renate Feyerbacher
Ein Thriller macht Film-Furore. Sein Ausgangspunkt; das Olympia-Fest in München 1972. Es sollte ein weltoffenes Sportereignis werden, das liberale Gegenbild der noch jungen Bundesrepublik zur gigantischen Olympia-Propaganda-Schau der Nazis im Berliner Sommer 1936. Zehn Tage lang wurde das Versprechen der heiteren Spiele eingelöst. Dann, im Morgengrauen des 5. September, der brutale Bruch, durch das Attentat eines palästinensischen Terrorkommandos. Zwei Sportler der israelischen Mannschaft wurden im Olympischen Dorf ermordet, neun als Geiseln genommen. Ein Befreiungsversuch endete in einem Blutbad. Alle Geiseln kamen ums Leben, ebenso ein Polizist sowie fünf der acht Geiselnehmer.
Tim Fehlbaum, Regisseur und Drehbuchautor von „September 5“ am 25. 4 .2025 im DFF, Foto: Renate Feyerbacher
Diese weltweit präsente mediale ‚Premiere‘ eines Terroraktes steht im Mittelpunkt des als Thriller etikettierten Films „September 5“ des Schweizer Regisseurs und Drehbuchautors Tim Fehlbaum. Jetzt sprachen er und Ko-Autor Moritz Binder im Frankfurter DFF (Deutsches Fillminstitut & Filmmuseum) mit dem Filmfachmann Urs Spörri über verschiedene Aspekte dieses Films (Untertitel: „The Day Terror Went Live“), der bei den letzten Filmfestspielen in Venedig seine Premiere hatte und der jetzt für den Deutschen Filmpreis „Lola“ (9. Mai) in zehn Kategorien nominiert ist, darunter auch als bester Spielfilm.
Zeitungsberichte, abgebildet im Buch „Olympische Spiele von 1972“, Deutscher Bücherbund Stuttgart
Als Jugendlicher, so erläuterte Tim Fehlbaum das Grundmotiv, habe er verschiedene Filme über die Olympiade 1972 gesehen, so die im Jahr 2000 als bester Dokumentarfilm mit dem Oscar ausgezeichnete BBC-Dokumentation Ein Tag im September von Kevin Mcdonald. Immer wieder auch habe er – der in München Film studierte – das Olympiagelände besucht. Als filmisches Vorbild habe auch Wolfang Petersens Welterfolg Das Boot (1981) gedient, wegen der Konzentration des Geschehens auf einen ganz engen Raum.
Premiere hatte „September 5“ (2024) bei den Filmfestspielen in Venedig, Foto: Renate Feyerbacher
Wie ist – eine zentrale Frage des DFF-Gesprächs – nun die innere Linie des Films zu verstehen? Zentraler Aspekt, so die beiden Macher, sei die Rolle der Medien gewesen, konzentriert in der journalistischen Logistik der American Broadcasting Company (ABC), die mit neuester Technik für die Übertragung der Spiele ein eigenes Studio in München eingerichtet hatte. So beginnt der Film auch mit Aufnahmen von den Schwimm-Wettbewerben mit dem amerikanischen Superstar Mark Spitz, der in München sieben Goldmedaillen gewann. Im Kontrast zu den heroischen Sportbildern steht die folgende Hektik der im fensterlosen Studio arbeitenden ABC-Crew, als sie vom Attentat erfährt.
Hier verdichtet sich dann das Geschehen. Der junge Reporter Geoffrey Mason (grandios gespielt von John Magaro) will sich in dieser Situation gegenüber seinem Chef beweisen und übernimmt die Leitung der Live-Berichterstattung. Unterstützt von der deutschen Dolmetscherin Marianne Gebhardt (ebenso großartig dargestellt durch Leonie Benesch), welche die Meldungen der Radioberichte über die terroristischen Abläufe übersetzt. Gesicherte Informationen gibt es nicht, Mason weiß folglich nicht genau, wie er mit den widersprüchlichen Gerüchten zu dem Tod von Geiseln umgehen soll. Seine Vermutung ist allerdings, dass die Terroristen gezielt das weltweite mediale Rampenlicht suchen – wobei sie selbst die Fernsehbilder aus dem Olympischen Dorf genau verfolgen: Das Live-TV hat Rückwirkungen auf ihre eigenen Handlungen.
Für Tim Fehlbaum ist insofern eine Botschaft klar: Der jetzige Film solle zeigen, wie die mediale Technik auf die Welt einwirke und das Geschehen beeinflusse. In einem Gespräch habe ihn Geoffrey Mason – damals gerade ein 28jähriger Sportreporter – darin bestärkt, den Film konsequent aus der Medienperspektive zu drehen.
Das Drehbuch selbst sei zunächst das Wichtigste gewesen. Danach sei es um die möglichst originalgetreue Einrichtung des Studios gegangen. Das sei schwierig gewesen, genauso wie die Ausstattung des Personals. Doch als Journalist habe er gewusst, wie sich der Film ‚anfühlen‘ sollte, die theoretischen Reflexionen hätten sich erst danach eingestellt. Verbunden mit den ethischen Fragen: Wie geht man live damit um, wenn Menschen erschossen werden? Was darf gezeigt werden? Wo liegen die Grenzen für die Medien?
Moritz Binder schrieb das Drehbuch zusammen mit Tim Fehlbaum und Alex David. Bei der Oscar-Verleihung 2025 wurde es als Bestes Drehbuch nominiert, Foto: Renate Feyerbacher
Diese moralischen Fragestellungen, ebenso wie die praktisch-logistischen Herausforderungen der Crew, werden im jetzigen Film (dessen Drehbuch auch für den Oscar nominiert war) weitgehend dramatisch inszeniert, als intensive Diskussionen der Mannschaft untereinander: Wie soll man vorgehen? Das Verfolgen dieser Auseinandersetzungen trägt wesentlich zur durchgehenden Spannung von September 5 bei. Entsprechend der Montage-Methodik des Doku-Dramas, wie es Heinrich Breloer in Deutschland früh eingeführt hat, werden dokumentarische Aufnahmen in die Spielszenen eingefügt.
Sie wiederum entwickeln eine hohe Intensität, nicht zuletzt durch die Könnerschaft eines internationalen Schauspieler-Teams. Zu ihm gehören Peter Sarsgaard, John Magaro, Ben Chaplin, Corey Johnson, Zinedine Soualem. Leonie Benesch ist bei der jetzigen „Lola“ in der Kategorie der besten weiblichen Nebenrolle nominiert. Auch Kameramann Markus Förderer und Cutter Hansjörg Weißbrich gehören zu den Nominierten für diesen Deutschen Filmpreis.
John Magaro hat auch in dem Film Köln75 – der ebenfalls für die „Lola“ nominiert ist – die Hauptrolle gespielt: die des Jazzpianisten Keith Jarrett. Vergleiche dazu (und auch weiter zu Leonie Benesch)