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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Hessischer Kulturpreis für Mirjam Wenzel

Preis für außergewöhnliche Verdienste um Kultur und Gesellschaft

Von Petra Kammann

An Jom HaShoah, dem israelischen Gedenktag an die Schoa, wurde der Hessische Kulturpreises 2024 an Prof. Dr. Mirjam Wenzel im Jüdischen Museum in Frankfurt verliehen. Dort ist die gebürtige Frankfurterin und promovierte Philologin Wenzel nämlich seit 2016 Direktorin. Hier macht sie jüdische Geschichte in Deutschland sichtbar, stellt Fragen an die Geschichte, an die Gegenwart und sie entwickelt Zukunftsperspektiven. Innovativ und vorbildhaft sind ihre museumspädagogischen Ansätze, zu denen auch zahlreiche digitale Bildungsangebote gehören. Neben ihrer Kompetenz ist sie aber auch eine Sympathieträgerin, was sich in der bemerkenswerten Feier und dem lang anhaltenden Applaus für die Person widerspiegelte.

Nicht nur Blumen für Mirjam Wenzel vom hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein, auch eine umfangreiche Würdigung, Foto: Petra Kammann

v.l.n.r.: David Dilmaghani, Leiter des Ministerbüros  für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur, der Hessischer Kultusminister Timo Gremmels, und GMD Thomas Guggeis, Foto: Petra Kammann

Nachdem sich das Gewusel der Kulturrepräsentanten von „Tout Francfort“ oder ganz Hessen  entknäuelt hatte (darunter der einstige FAZ-Herausgeber und Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft der Freunde und Förderer Walter d’Inka, der deutsch-französische Publizist Michel Friedman, Kulturdezernentin Ina Hartwig, die künftige künstlerische Leiterin des DFF Christine Kopf, Schauspieler wie Stephan Wolf-Schönberg und der Kabarettist und künstlerische Leiter der Volksbühne Michael Quast, der Hirnforscher Prof. Wolf Singer, der Literaturwissenschaftler und ehemalige Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung Klaus Reichert, Künstlerin E.R. Nele und Fotografin Barbara Klemm, Rabbinerin Elisa Klapheck, der frühere hr2-Chef Hans Sarkowicz, die brasilianisch-deutsche Autorin, Kuratorin und Juristin Paola Macedo Weiß, Sponsoren und Förderer wie Karin Wolf, Dr. Julia Cloot und Dr. Susanne Völker vom KulturfondsRheinmain, Rheingau Musikfestival-Chef Michael Hermann, Stadträte, Offenbacher und Wiesbadener MuseumsdirektorIinnen undundund..) und diese sich auf die Stühle begeben haben, wird es still im Atrium des Lichtbaus.

Zahlreiche illustre Gäste wie Michel Friedmann ( Mitte) waren der Einladung gefolgt, Foto: Petra Kammann

An dieser geschützten offenen Passage mit Himmelslicht zwischen Alt- und Neubau des Frankfurter Jüdischen Museums, die Staab Architekten zur Verbindung der beiden Gebäudekomplexe geplant hatte, befinden sich auf der Rückseite des früheren Gartens vom historischen Rothschild-Palais. An diesem symbolischen Ort also, in der Mitte des Anbaus, fanden die Feierlichkeiten der Preisverleihung statt.

Und nach dem Gedränge der ersten Begegnungen in diesen turbulenten Zeiten die plötzliche Stille. Passend zum Ereignis im Jüdischen Museum schlägt die israelische Pianistin Tamar Halperin zarteste und differenzierteste Töne auf dem Flügel an, in die der Countertenor Andreas Scholl mit seiner durchlässigen Stimme in eine Art Klagegebet einstimmt, in „The Rest“ des israelischen Komponisten Ari Frankel, das vom Auschwitzüberlebenden Primo Levi inspiriert ist. Der einstige Kiedricher Chorknabe Scholl hatte schon mit 13 im Petersdom mit seiner zarten und empfindsamen hohen Stimme für den Papst gesungen. Hier im lichten Atrium wird sein eindringliches Timbre von den Betonwänden auf besondere Weise zurückgespiegelt und transzendiert: „All my hearts are alive /All my hope, deep inside /Hats in front,/ knives behind /West is lost“.

Mit ihrer deutsch-jüdisch-israelischen Musik gestalteten die Pianistin Tamar Halperin und der Countertenor Andreas Scholl die Preisverleihung stimmungsvoll und thematisch mit, Foto: Petra Kammann

Dem Zusammenspiel vom changierenden Gesang und Klavier konnte niemand sich emotional entziehen, auch nicht der weiteren Kompositionen von Ivan Reichel („In stiller Nacht“) und Shlomo Gronich (nach dem ersten Präludium von Bach aus dem „Wohltemperierten Klavier“) oder dem Song von Sasha Argov, die den jeweiligen Reden folgten.

Geschützte Offenheit steht für die Verbindung von Tradition und Moderne schon im Bau, Foto: Petra Kammann

Das älteste kommunale Jüdische Museum in Deutschland war am 9. November 1988 anlässlich des 50. Jahrestages des Novemberpogroms von Bundeskanzler Helmut Kohl eröffnet worden. Und unvorstellbar noch vor zehn Jahren, dass 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz inzwischen Überlebende, deren Nachkommen, sowie jüdische Personen, Institutionen und Restaurants zunehmend Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt sind. Vandalismus und Verunglimpfung haben sich seit dem 7. Oktober in Gedenk- und Erinnerungsstätten gemehrt. Das bekam auch Wenzel persönlich zu spüren, als sie wegen ihrer Haltung von propalästinensischen Aktivisten bei einer Performance im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin attackiert wurde. Aber es ficht sie nicht an. Sie forderte damals, den ihr zugesicherten geschützten Raum wiederherzustellen, brach schließlich konsequent ihre Lesung ab.

Ein großer Dank und Applaus ging auch an das Team des Jüdischen Museums, das Wenzel ermuntert hatte, aufzustehen und sich zu zeigen, Foto: Petra Kammann

Sie steht zu ihrer Sache und sich selbst und dem der besonderen Institution auferlegten Motto „Wir sind jetzt“, das die Aufgabe des Jüdischen Museums trotz der antisemitischen Beschimpfungen per Mail, Post und via Social-Media-Posts und -Nachrichten nach wie vor klar formuliert. Wenzel hält fest an der Erinnerungsarbeit, die in die Gegenwart und die Zukunft hineinreicht in einem offenen, wenngleich geschützten Haus.

So bekannte sie in ihrer Dankesrede, nachdem Ministerpräsident Boris Rhein ihr nach einer Lobeshymne den Preis überreicht hatte: „Es ist eine große Verantwortung, das älteste kommunale Jüdische Museum in Deutschland zu leiten und ein noch viel größeres Glück, es grundlegend neu gestalten zu dürfen. Ich habe beides, die Verantwortung und das Glück in den letzten 10 Jahren in erster Linie als die gesellschaftspolitische Aufgabe verstanden, gemeinsam mit meinen wunderbaren Kolleginnen und Kollegen das zwischenmenschliche Beziehungsgeflecht zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Menschen in Deutschland und Europa aktiv zu gestalten, die Gewaltgeschichte transparent zu machen, die in diesem Geflecht nachwirkt und entsprechend reflektierte Perspektiven auf die polarisierten Debatten unserer Gegenwart zu entwickeln“.

Blick in die Ausstellung „Der zerbrochene Spiegel“, Foto: Petra Kammann

Arbeit an dem Gedächtnis von morgen

Dabei bezieht sie sich ebenso auf die Denker der „Frankfurter Schule“ und die von Theodor W. Adorno formulierte „Dialektik der Aufklärung“, die eine neue Form angenommen haben wie auf die aktuelle, von Erik Riedel kuratierte Kabinettmuseumsausstellung „Der zerbrochenene Spiegel“ über den Frankfurter Léo Maillet (1902-1990), der eigentlich Leopold Mayer hieß. Vor dessen Aufbruch ins Exil zerbrach dieser vor Aufregung seinen Rasierspiegel  und verwandelte die Erfahrung des zerbrochenen und zersplitterten Spiegels schließlich in ein neu entworfenes Selbstporträt. Das sei ihr Vorbild, sagte die positiv denkende Museumsleiterin in ihrer Dankesrede: „Wir verstehen die Vergangenheit selbst als einen zerbrochenen Spiegel der Zukunft, die wir mit unserer Arbeit mitgestalten möchten. Eben darum betonen wir nicht nur die Aktualität der jüdischen Erfahrung von Diskriminierung und Gewalt wie auch des Ringens um Gleichberechtigung und soziale Teilhabe, sondern auch den zukunftsgestaltenden Charakter der Beziehungen zwischen Menschen, die im Zentrum unserer Museumsarbeit stehen.“

Laudatorin Katarzyna Wielga-Skolimowska, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Foto: Petra Kammann

So kenntnisreich wie anteilnehmend war auch die Laudatio der Künstlerischen Direktorin der Kulturstiftung des Bundes Katarzyna Wielga-Skolimowska, der Wenzels Arbeit seit vielen Jahren vertraut ist. Wenzel zeige mit ihrem Vermittlungsprogramm einerseits, „wie lebendig und facettenreich die jüdische Kultur in Frankfurt früher war und heute wieder ist“, und mit dem Preis zeichne man zudem Wenzels „wundervolles Talent, auf Menschen zuzugehen, um ihnen die Hand auszustrecken, und diese Hand auch dann nicht wegzuziehen, wenn Gegensätze hervortreten“ aus.

Das geht weiß Gott nicht immer Hand in Hand. Den Mut dazu verdanke sie Ihrer Mutter und der sie unterstütztenden Familie, sagte Wenzel voller Dankbarkeit. So wurde die Verleihung zu einer runden Feier, voller Empathie, Sympathie, Weitblick und künstlerischem Anspruch, wie man sie selten erlebt.

Lebensweg und berufliche Stationen von Mirjam Wenzel

Mirjam Wenzel wurde 1972 in Frankfurt am Main geboren. Nach ihrem Studium in Berlin und Tel Aviv promovierte sie am Institut für Deutsche Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum deutschsprachigen Holocaust-Diskurs der sechziger Jahre. Von 2007 bis 2015 verantwortete sie als Leiterin der Medienabteilung die Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur in digitalen und gedruckten Medien am Jüdischen Museum Berlin. Seit 2016 leitet Mirjam Wenzel das Jüdische Museum Frankfurt, das seither grundlegend erneuert und erweitert wurde. Wenzel ist Autorin und Mitherausgeberin von Büchern und Ausstellungskatalogen zur deutsch-jüdischen Kunst- und Kulturgeschichte. Zudem ist sie kuratorisch tätig und konzipierte mehrere internationale Ausstellungen.

Der Hessische Kulturpreis

wird seit 1982 jährlich für besondere Leistungen in Kunst, Wissenschaft und Kulturvermittlung vergeben. Er ist mit 45.000 Euro dotiert. Im Kuratorium sind außer Ministerpräsident Rhein und Kulturminister Timon Gremmels neun Personen aus Kunst, Kultur und Bildung vertreten.

 

 

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