„Lass‘ Hände sprechen“ – Fotografien von Barbara Walzer im Frankfurter Presseclub
Persönlichkeiten auf der Frankfurter Bühne: Wort- und Bildmächtige ringen um Worte
Von Petra Kammann
Mit ihren Fotografien erzählt Barbara Walzer Geschichten von Menschen in Frankfurt, der Stadt, in der die Polin seit 1991 sehr gerne lebt und arbeitet. Schon vor zehn Jahren waren im Frankfurter Presseclub in einer Ausstellung unter dem Titel „Gesichter Frankfurts“ Bilder von ihr zu sehen: Damals ging es um vielfältige Porträts von Menschen auf ihren verschiedensten Lebensbühnen, auf Straßen, Platzen, am Mainufer. 10 Jahre später ist der Rahmen ein anderer: „Lass‘ Hände sprechen“. Da geht es um die Hand, die in vielen alltäglichen Redewendungen im Spiel ist. Auch in Begriffen. Denken wir nur an das Handy, das viele kaum mehr aus der Hand legen. Wenn tatkräftige Menschen die Dinge konsequent in die Hand nehmen, klingt das ganz fundamental. In der Bilderschau wird das Thema greifbar.
Die Foto-Künstlerin Barbara Walzer 2021 vor ihren Schwarzweißfotos bei einer Ausstellung im BBK, Foto: Petra Kammann
Denken wir nur an die Wirtschaft. Auch da ist die Hand im Spiel, wenn etwas ausgehandelt wird. Ebenso in Politik und Gesellschaft. In der Computersprache zählt ‚händisch’ zu einem der raren deutschen Wörter. Hände, das gehört zu unserer Grunderfahrung, können viel bewegen – und sind dabei ständig ebenso in Bewegung wie die Sprache. Ihre Gestik wirkt auf uns inspirierend oder auch beruhigend, man denke nur an die Raute unserer ehemaligen Bundeskanzlerin.
Unsere Hände, sie sind fast immer im Spiel, wenn wir in Kontakt zu anderen Menschen treten. So, um per Handschlag Vertrauen zu erwecken oder um mit Hilfe der Hände die Welt im weitesten Sinne zu be-greifen.
Heinrich Heine – Stationen eines Traumas erforschte der eigenwillige Frankfurter Theatermann Willy Praml in der ehemaligen Judengasse, Foto: Barbara Walzer
Denken wir nur an unsere Gefühle, die wir oft unbewusst mit den Händen ausdrücken, gerade dann, wenn es um Austausch geht. Keine Künstliche Intelligenz kann dieses intuitive Spiel von Geben und Nehmen, von Austarieren, ersetzen oder die in den Händen sichtbare Berührung des Herzens simulieren.
All dies spiegelt sich in den Fotos dieser Ausstellung, die damit exemplarisch das ganze Reich der non-verbalen Kommunikation eröffnen. Wäre dafür ein Ort geeigneter als der Presseclub, dem Kommunikation in jeglicher Form ein Bedürfnis ist?

Sebastião Salgado in der Alten Oper über Amazonia, Foto: Barbara Walzer
Barbara Walzer, das sehen wir in jedem ihrer Bilder, beweist ein großes Gespür für die ausdrucksstarken Momente, welche die Hände vermitteln und je nach Umgebung die Gesten verstärken.
Mit offenen Augen, mit anteilnehmender Empathie beobachtet sie die Menschen, um dann im genau richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. So entstehen höchst lebendige unverstellte Bilder, von denen ein besonderer Reiz ausgeht.
War Barbara Walzer diese Gabe schon in die Wiege gelegt? Nun, in ihrer kleinen polnischen Geburtsstadt Ryki drehte sich das tägliche Allerlei vornehmlich um Familie, Essen, Trinken und Krankheiten. Der Auftritt einer Volkstanzgruppe war schon ein Höhepunkt. Das wurde ihr auf Dauer zu eng. Sie sehnte sich förmlich nach anderen Menschen, anderen Erfahrungen, anderen Themen.
Daher wollte sie zunächst auch Journalistin werden, was jedoch vor 1989 in Polen mit einer nicht partei-konformen Familie ohne Beziehungen nicht so leicht war. Als echtes „Naturkind“ eroberte sie zunächst per Rucksack die Welt, fasziniert von Landschaften, vom wechselnden Licht. Schönheit, die sie einfach festhalten wollte.
Durch den Hinweis eines Freundes geriet sie an den Inhaber eines traditionellen Foto-Ateliers mit Hochzeits- bis Beerdigungsfotografien. Dort lernte sie, wie man Filme entwickelt und Bilder abzieht. Eine wichtige Grundlage für ihren weiteren fotografischen Weg. Zunächst mit einer ausgeliehenen Kamera, bevor sie sich eine eigene leisten konnte.
Erste Teilnahme an einer Gemeinschaftsausstellung in Polen von Barbara Jezewska (heute Walzer) aus Ryki, Katalog Scan
Weitere Erfahrungen: ein künstlerischer Foto-Club in Lublin, wo sie ausstellte, dann eigene Dunkelkammerkurse als Erzieherin in einer Grundschule, später eine weitere Professionalisierung auch in Warschau. Inspiriert durch eine Freundin, reiste sie 1988 nach Deutschland. Und durchstreifte dabei Großstädte wie Köln, Hannover und Frankfurt – die Kamera immer dabei.
Nach der Wende kehrte sie nach Deutschland zurück, schlug sich zunächst mit Kellnern durch, so auch im legendären Café Christine an der Eschersheimer Landstraße, wo sie auch Heinz kennenlernte, den sie 1993 heiratete.
Auf die Frage im Jobcenter, was sie denn beruflich machen wolle, sagte sie schlicht und einfach: Fotografin. Ohne vorherige Beglaubigungen – rotes Licht. Stattdessen Schulungen: zur Erzieherin, zur Reisekauffrau. Das hielt die leidenschaftliche Fotografin jedoch nicht davon ab, in ihrer Freizeit immer weiter zu fotografieren. Was ihr besonders am Herzen lag: die vielen verschiedenartigen Menschen in unbeobachteten Momenten aufzunehmen. So, wie es dann in ihrer anfangs erwähnten ersten Ausstellung in den Räumen des Frankfurter PresseClubs zu sehen war.
Dann die Ausweitung ihrer intensiven Seh-Erfahrungen: im Medium des Internets, ermöglicht auch durch ihre erste Digitalkamera. Erst die Plattform Flickr, später dann auch Instagram: Das wurden ihre Schaufenster, die ihren lebendigen Fotos Aufmerksamkeit verschafften. Man konnte sie auch bei ihr bestellen. Ein Ritterschlag dann, als „Der Spiegel“ Kunde wurde.
Ab 2012 fotografierte sie dann regelmäßig auch für Frankfurter Einrichtungen: das Stadtarchiv, das Museum für Stadtgeschichte, das Kulturamt. Das schuf eine neue Basis, auch finanziell. Und weitete die Perspektiven und Begegnungsorte. Neben den für sie weiter wichtigen Naturmotiven wurde die internationale Metropole am Main zur vielgestaltigen Bühne, mit all ihren Persönlichkeiten. Zu denen, auch das war ihr wichtig, viele starke Frauen in herausragenden Positionen gehören, von der Politik bis zur Kultur.
Franziska Nori in der Ausstellung „Mechanismen der Gewalt“, Arbeiten der guatemaltekischen Künstlerin Regina José Galindo, Foto: Barbara Walzer
Hier im Livingstonschen Palais, in den Restaurant-Räumen des „Herrn Franz“, ist der kleinere Teil dieser auf Hände und Gesten konzentrierten Foto-Ausbeute zu sehen. Oben in den Räumen des Presseclubs sind weitere Persönlichkeiten zu entdecken. Bleiben wir mal in diesem Raum.
Die Kopfwand ist den weiblichen Persönlichkeiten gewidmet. So Franziska Nori, der sprachgewandten deutsch-italienischen Leiterin des avantgardistischen Frankfurter Kunstvereins. Ihr Nach- oder auch Vordenken während einer Führung drückt sich in ihrer Körperhaltung aus. Ihre beiden Hände scheinen noch vor dem Sprechen die beiden Gehirnhälften auszubalancieren und zusammenzuführen, beim komplexen Thema „Mechanismen der Gewalt“. Das Gitter hinter ihr deutet das Thema an.
Barbara Klemm erläutert dem kanadischen Künstler Serge Clément ihre Sicht der Dinge, Foto: Barbara Walzer
Die inzwischen in zahlreichen Ausstellungen gewürdigte Frankfurter Fotografin Barbara Klemm ist im lebhaften Gespräch mit dem kanadischen Fotografen Serge Clément zu sehen. Über die verstärkende Hand unterstreicht sie ihren Standpunkt.
Wir erleben die Schauspielerin, Sängerin und Autorin Katja Riemann mit expressiver Gestik, als sie anlässlich einer Fotoausstellung von Walter Korn in der Stadtbücherei afrikanischen Frauen aus Burkina Faso anhand von Geschichten das Rückgrat stärkt, um sie zum selbstbestimmten Leben zu ermutigen.
Die künstlerische Leiterin des Fotografie Forums Celina Lunsford , Foto: Barbara Walzer
Höchst raffiniert, fast spiegelbildlich zum Ausstellungsmotiv einer finnischen Fotografin, sehen wir im Hintergrund, seitenverkehrt, wie sich Celina Lunsford, die langjährige Leiterin des Frankfurter FotografieForums, durch die Haare streicht, während sie mit dem Mikrofon in der anderen Hand um Aufmerksamkeit wirbt.
„The fact of matter“ – Der amerikanische Choreograph und Künstler William Forsythe beim räumlichen Ausschreiten des MMK, Foto: Babara Walzer
Auf der seitlichen Wand wiederum treffen wir dann auf männliche Persönlichkeiten in und aus Frankfurt. So misst der Tänzer und Choreograph und Künstler William Forsythe mit maximaler Armspanne die Wände im Frankfurter Museum für Moderne Kunst aus, macht so den Raum körperlich erfahrbar.
Michael Quast, gewitzter Leiter der „Frankfurter Volksbühne“ im Hirschgraben, inszeniert sich im kaiserlichen Habit samt Krone, karikiert zugleich die per Handgeste angedeutete Deklamation aus einem staatstragenden Buch, passend zum Thema: „Des Kaisers neue Altstadt“.
Michael Quast beim Rezitieren von „Des Altstadts neue Kleider“, Foto: Barbara Walzer
Konzentriert, ernst und Worte mit der Hand modellierend, taucht gleich daneben der brasilianische Fotograf, Friedenspreisträger und Umwelt-Visionär Sebastião Salgado wie aus dem Dunkel einer anderen Welt auf.
Zu dieser Reihe gehört auch der Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messmer, der unmittelbar vom Nanga Parbat auf der Buchmesse gelandet zu sein scheint. Weit ausholend und fingerzeigend belehrt er sein Publikum über die psychischen und physischen Grenz- und Selbsterfahrungen beim Bergbezwingen.
Bergsteigerlegende Reinhold Messmer auf der Frankfurter Buchmesse, Foto: Barbara Walzer
Schließlich ein Vertreter der freien Szene: Bernhard Bub, der künstlerische Leiter der Sommerwerft, des internationalen Theaterfestivals am Main. Unkonventionell gekleidet, die Arme weit ausgebreitet, erinnert er in der Theateraktion „Ashes“ an vergessene oder marginalisierte Lieder, Tänze und Rituale verschiedener Völker. Seine Geste vermittelt Freiheitsliebe und Offenheit für alle.
Im oberen Stockwerk treffen wir in den verschiedenen Räumen auf etliche andere kreative Persönlichkeiten – Philosophen, Schauspieler, Journalisten, Museumleiter, Architekten, politische Publizisten, Autoren. Sie alle machen Frankfurt zu einer besonderen Stadt der Auseinandersetzung.
Nachdenklich ist die Geste des norwegischen Romanautors Karl Ove Knausgard, Foto: Barbara Walzer
Zu diesem Kulturkreis – im wahrsten Wortsinne – gehört etwa der nachdenkliche norwegische Roman-Autor Karl Ove Knausgard, der sich lässig gebende, auf die Zeigefinger-Sprache setzende Richard David Precht. Oder auch der schon 2015 verstorbene Jean-Christophe Ammann, dem wir die Sammlung des Museums für Moderne Kunst verdanken. Hintergründig fingert er an seiner Pfeife.
Nicht mehr wegzudenken aus dem Frankfurter Ostend: Mirek Macke, Familie Montez, Foto: Barbara Walzer
Wir sehen Mirek Macke, Leitfigur der Familie Montez, der mit lustig-listigem Blick seinen dekorativen Bart zwirbelt. Der ihm verbundene unlängst verstorbene Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch blickt ganz direkt in Barbara Walzers Kamera, zupft ebenfalls seinen Bart. Im Hintergrund leuchtet es blutrot…
Susanne Gaensheimer, frühere MMK-Chefin und heutige Leiterin der Kunstsammlung in NRW im Gespräch mit Stiftungsleiter von Kalnein, Foto: Barbara Walzer
Eher cool dagegen die frühere MMK-Chefin und heutige Leiterin der Kunstsammlung in NRW Susanne Gaensheimer im seriösen Gespräch, mit zarter Hand ein Buch blätternd, während der stets korrekt gekleidete frühere Städel-Chef und heutige Direktor des New Yorker Metropolitan Museum Max Hollein im unmittelbaren Gespräch mit dem Künstler Tobias Rehberger fast einen Boxkampf sucht.
Kommen sich fast handgreiflich näher: Ex-Schirn-und Städelchef, heute Direktor des New Yorker Metropolitan Museum, und der Künstler Tobias Rehberger, Foto: Barbara Walzer
Dynamisch gibt sich die dynamische Publizistin und ehemalige Chefredakteurin von Taz und Frankfurter Rundschau Bascha Mika.
Bascha Mika im Frankfurter Presseclub, über das Schicksal der Frankfurter Rundschau, Foto: Barbara Walzer
Im Flur sehen wir den Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef und die Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, beide repräsentativ für eine herkunftsoffene, integrative Stadt. Dany Cohn-Bendit gehört ebenfalls zu diesem Who is Who am Main, so wie auch der eigensinnig-ingeniöse Theatermann Willy Praml – um nur einige herauszugreifen. Daneben der hessische Ministerpräsident Boris Rhein beim Richtfest des Romantikmuseums.
Im Flur: Politiker unterschiedlicher Herkunft in Frankfurt und in Hessen, Foto: Petra Kammann
Was all diese Fotografien – natürlich nur eine kleine Auswahl aus Walzers zahlreichen Menschenporträts – eint, ist die hohe Authentizität, das Unverwechselbare, das die Fotografin erspürt, um im besten Moment auf den Auslöser zu drücken. Dabei erzeugt sie auf ihren Bildern eine außergewöhnliche Spannung – durch das richtige Licht ebenso wie durch den besonderen Bildaufbau. Mit geometrischen Grundstrukturen wie diagonalen Linien, die sich treffen.
Daniel Cohn-Bendit während eines Podiumsgespräch; Foto: Barbara Walzer
Vor allem aber: Mit ihrer Empathie, ihrem inneren Sensorium für Menschen und deren ausdrucksstarker Gebärdensprache arbeitet sie wie eine automatische Kamera: immer künstlerisch, immer stilsicher, immer authentisch. „Lass’ Hände sprechen“. Das ist diesmal die thematische Klammer. Was für uns hier und in den kommenden Monaten bedeutet: „Lass‘ Bilder sprechen“ – die so überaus vielsagend sind.
→ “Gesichter der Sehnsucht- Corona-Sommer 2021” Fotografien von Barbara Walzer in der BBK Galerie
Ausstellung im Frankfurter PresseClub
Palais Livingston
Ulmenstr. 20
60325 Frankfurt
(Neben den Fotos im Restaurant „Herr Franz“ sind weitere Werke in den Räumen des Frankfurter PresseClubs ausgestellt) Besichtigung auf vorherige Anmeldung unter r 069 288800.)
Artikel über Barbara Walzer in FeuilletonFrankfurt:
“Gesichter der Sehnsucht- Corona-Sommer 2021” Fotografien von Barbara Walzer in der BBK Galerie
Ausgewählte Ausstellungen von Barbara Walzer:
09.2024 „Rush Hour Kulturfestival“, KVFM, Gemeinschaftsausstellung Frankfurt
05.2022 GALLUS-Menschen, Kultur und Architektur Litfaßsäule Frankfurt
09.2019 Frankfurt – People & Places, BBK Galerie Frankfurt
08.2018 Polen – People & Places, YokYok Galerie
06.2015 Gesichter Frankfurts, FPC Frankfurt
08.2012 Summer in the City, Sommerwerft Frankfurt
01.2011 Gallus 2010 Menschen Kultur Architektur, Frankfurt