Vietnams Mitte: Ein Land zwischen Himmel und Horizont, zwischen dem tropischen Süden und dem subtropischen Norden.
Über den Wolkenpass zum feuerspeienden Drachen
von Paulina Heiligenthal
Wolkenverhangen ist er, einer der markantesten geografischen Punkte des Landes. Der Hai-Van-Pass, blumig Wolkenpass genannt, in Zentral-Vietnam. Zwischen der alten Kaiserstadt Hue und der Metropole Da Nang. Parallel zur Küste des Südchinesischen Meeres, entlang des Annamiten-Gebirges. Hier winden sich Serpentinen über eine Länge von 21 km spiralförmig in die Höhe. Bis auf 496 Meter. Auf Scheitelhöhe bieten sich endlose, atemberaubende Ausblicke auf einen der großartigsten Küstenabschnitte. Und auf die steil abfallenden dschungelbedeckten Berge. Zwischen Himmel und Horizont. In einer sattgrün-azurblauen Symphonie. Paradiesisch.
Die friedvolle Postkartenlandschaft am Wolkenpass, Foto: Paulina Heiligenthal
An klaren Tagen wohlgemerkt. Denn Nomen est bekanntlich Omen. Immer wieder umhüllen schwere Schleierwolken die Spitzen des dichten Dschungelgebietes und verdüstern das Himmelszelt. Dramatisch. Der Wolkenpass, eine spürbare Wetterscheide, eine klimatische Grenze. Zwischen dem tropischen Süden und dem subtropischen Norden.
Im Minutentakt ändert sich das Wolkenspiel am Himmel, Foto: Paulina Heiligenthal
Die Strecke hinauf führt an perlenweißen Stränden und türkisfarbenen Lagunen entlang. An hübschen Dörfchen vorbei, die Wohlstand ausstrahlen. Hier wohnen Muschelzüchter, die nicht nur den lokalen Markt bestücken. Sie betreiben die Produktion der fermentierten Garnelenpaste für den gesamten Landesbedarf.
Die Garnelenfischer fermentieren ihren Fang bis zu zwölf Monaten, um anschließend die Würzpaste Mam Ruoc herzustellen, Foto: Paulina Heiligenthal
Auch Austernzüchter leben hier. Für den schimmernden Perlenschmuck. Um eine graziöse Kirche herum. Fischerhütten stehen auf Stelzen. Vögel finden hier einen reich gedeckten Tisch. Dass viele Fisch- und Ententeiche einmal Bombenkrater des Vietnamkrieges waren, vermutet heute niemand mehr. Der Pass mit dem bildhaften Namen hat gänzlich andere Zeiten hinter sich.
Der 2000 km langen am Wolkenpass sichtbare Teil des Ho-Chi-Minh-Pfades – der Versorgungspfad- führte duch Laos und Kambodscha nach Süd-Vietnam, Foto: Paulina Heiligenthal
Die strategisch historische Bedeutung der Wespentaille – zwischen Nord und Süd – zeigt sich am Gipfel. Immer heftig umkämpft. Zuletzt von US-Streitkräften als Militärstützpunkt benutzt, im geopolitischen Krieg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Zahlreiche Nebelnächte verhinderten die optische Aufklärung. Zur Freude des ortskundigen Vietcongs, um Essenswaren und andere Beutegüter von den US-Streitkräften zu ergattern. Von lancierten Angriffen ganz zu schweigen. Überreste französischer und amerikanischer Kriegsbunker, ein kleiner Teil des Ho-Chi-Minh-Pfades, das historische Backsteintor des Kaisers Minh Mang aus dem 19. Jahrhundert zeugen von vielen Konflikten, die sich hier ereigneten.
Sie verleihen der landschaftlichen Schönheit eine historische Tiefe, eine fast mystische Atmosphäre. Auch ein Innehalten beim Thema Frieden.
Serpentinen schlängeln sich am Hai-Van-Pass durch atemberaubende 360°- Panoramen hinauf, Foto: Paulina Heiligenthal
Der Küstenboulevard der rasch wachsenden Stadt Da Nang wartet mit gelbblühenden Mimosen, wedelnden Palmen und immergrünen Laubhölzern auf. Und mit Flanierwegen. Für ein lebendiges, farbenfrohes Bild. Der eigentliche Stolz und das Symbol Da Nangs – mittlerweile für ganz Vietnam – ist ein architektonisches Highlight. Es kommt in Form einer aufsehenerregenden Brücke mit aufsteigendem Drachen in Quittengelb daher.
Der mächtige Drache von Da Nang ist an den Wochenenden voll im Einsatz – dann spuckt er Feuer und speit anschließend einen Wasserschwall, Foto: Paulina Heiligenthal
Über einer Gesamtlänge von 666 Metern schwingt sich dieser Drache schlangenförmig über die Brücke, dem Himmel entgegen. Herzerfrischend. Nicht nur, um die beiden Ufer über den Fluss Han, sondern auch um die historische Vergangenheit mit der dynamischen Zukunft der Stadt zu verbinden. In enthusiastischer Umarmung! Der Drachenkopf ragt 72 m weit über die 6-spurige Fahrbahn, der Drachenschwanz 64 m. Am 38. Jahrestag der Eroberung der Stadt, im März 2013, wurde die weltweit größte Drachenbrücke gleichzeitig mit der filigranen Tran-Thi-Ly-Brücke, 1,2 km weiter südlich, eingeweiht.
Bei Einbruch der Dunkelheit erstrahlen 2.500 LED-Lichter im Neonlicht. Jedes Wochenende, Punkt 21 Uhr ist der Drachenkopf in seinem Element. Dann dominiert er in einer spektakulären Schau die Umgebung am Fluss und präsentiert sich in seiner eigentlichen Rolle: Er spuckt minutenlang Feuer und speit anschließend Wasser. Dass der Verkehr für das faszinierende Schauspiel 15 Minuten angehalten wird, stört niemanden. Spiegelt es doch den Solidaritätsgeist und das Entwicklungsstreben in der Landesmitte wider.
Skulpturenaltar in feinster Steinmetzarbeit aus der Cham-Zeit, Foto: Paulina Heiligenthal
Die Geschichte des Reiches der Cham wird in einer großartigen Kunstsammlung im Cham Museum der Stadt, nahe der Drachenbrücke dokumentiert. Sie führt bis ins Jahr 192 nach Chr. zurück. Die Cham benutzten fast 800 Jahre lang die Bucht von Da Nang/Großer Fluss für Handelszwecke, bis 982 die Kontrolle in die Hand der Vietnamesen gelangte. Es existiert weltweit kein vergleichbares Museum zu Da Nangs Museum of Cham Sculpture.
Die Kollektion geht auf archäologische Forschungen der École Française de L’Extrême Orient (EFEO), Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Unter Leitung des französischen Archäologen Henri Parmentier (1870- 1949). Er ist der Retter der wichtigsten Kunstschätze aus Dong Duong, einer heiligen Stätte der Cham Kultur aus 875 nach Chr., ca. 50 km von Da Nang entfernt. Nach umfangreichen Restaurierungen Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Tempelkomplex im Vietnam-Krieg völlig zerstört.
Tempelanlage von My Son- Schlafender Vishnu auf Schlangengottheit, Foto: Paulina Heiligenthal
Die einzigen Zeugnisse der prächtigen Anlage sind im Cham Museum des Gründers Parmentier zu bestaunen. Fertiggestellt im Jahr 1919 fand die offizielle, museale Präsentation ab 1936 statt. Schon im parkähnlichen Eingangsbereich befinden sich Skulpturen wie Löwen, Affen, Elefanten aus der Cham-Ära. In luftigen Räumen sind die geborgenen und gut erhaltenen Kunstschätze nach Stilepochen und Fundorte täglich, morgens ab 7.30 Uhr zu besichtigen.
Eine der allerschönste Statuen ist die der bronzenen Göttin Tara aus dem 8 Jahrhundert, Foto: Paulina Heiligenthal
Eine Kostbarkeit in ganz Südostasien und von großer Schönheit ist die von Bauern 1978 in der Erde entdeckte Statue der Göttin Tara aus dem 8. Jahrhundert. Die einzigartige 1,15 m große Skulptur ist aus Bronze gefertigt und gehört zur Kategorie „National Treasure“. Ihre Provenienz war bislang nicht feststellbar. Alle übrigen der ca. 300 ausgestellten Schätze, wie der hinduistische Sagenvogel Garuda, der elefantenköpfige Gott Ganesha, die Trinität Brahma, Shiva, Vishnu sowie Altäre, Reliefs sind exzellent gearbeitete Sandsteinskulpturen. Acht Jahrhunderte Hochkultur, zusammengefasst in einer faszinierenden Ausstellung.
In Da Nang tragen schmale Schultern die schwere Last der Körbe an Bambusstöcken, Foto: Paulina Heiligenthal
Nicht nur die Cham wussten den natürlichen Hafen Da Nangs zu schätzen. Im 17. Jahrhundert landeten hier Spanier mit Missionsabsicht. Zwei Jahrhunderte später benutzten Franzosen als Invasoren das Einfallstor. Sie kamen mit Kriegsschiffen, um die Stadt 1847 zu bombardieren. Wegen angeblicher Verfolgung katholischer Missionare. Im Indochina-Krieg, 1946 bis 1954 wurde Da Nang wiederholt Opfer verheerender Zerstörungen.
Auch die Amerikaner erkannten die günstige Lage. Im März 1965 landeten die ersten für den Boden eingesetzten Truppen hier. Da Nang wurde einer der größten Brennpunkte im Vietnamkrieg. Als „Insel des Friedens“ galt das deutsche Rote Kreuz- Hospitalschiff „Helgoland“, das die Bundesregierung 1966 nach Südostasien schickte. In 5 Jahren halfen deutsche Mediziner und Pflegepersonal mit größter Zugewandtheit fast 200.000 Zivilisten. Unterschiedslos! Eine großartige Mission in Sachen Menschlichkeit.
Cham-Kultstätte My So inmitten des Dschungels
Der Elefantentempel in My Son, Foto: Paulina Heiligenthal
Umschlungen von überbordendem Wildwuchs der Natur lag sie da, eine verwunschene Tempelstadt. Vom Dschungel in Besitz genommen, dem Verfall ausgeliefert. Das spirituelle Zentrum – sichtbar und spürbar – der 1.000 Jahre währenden Cham-Hochkultur. Vom vierten bis zum 14. Jahrhundert. Hier huldigten sie ihre großen hinduistischen Gottheiten Shiva und Vishnu. Alle nachfolgenden Herrscher wurden, erst recht nach ihrem Ableben, als Gottkönige verehrt.
In My Son werden die Besucher mit Musik und Tanz auf das religiöse und spirituelle Zentrum eingestimmt, Foto: Paulina Heiligenthal
Der französische Kartograph Camille Paris konnte nicht erahnen, dass er auf eine der aufregendsten Entdeckungen Südostasiens blickte, als er sich 1898 mit Einheimischen einen Weg durch das Dickicht der Natur bahnte. Unterwegs zum wichtigsten Tempelkomplex des gesamten Cham-Reiches. Den längst vergessenen Ort nannte er My Son, was schöner Berg bedeutet.
Das reich verzierte Postament deutet auf die Hochkultur der Cham, Foto: Paulina Heiligenthal
Sage und schreibe 71 turmähnliche Heiligtümer aus rosaroten Ziegelsteinen, verziert mit Schutzfiguren wie Elefanten, Löwen, Wächtern, lokalisierte das Team um den bereits erwähnten Archäologen Henri Parmentier drei Jahre später. Auch bedeutsame Skulpturen wie Lingam und Yoni. Im Hinduismus symbolträchtig für die männliche Energie und die weibliche Kraft. Für die schöpferische Verschmelzung von Shiva und Shakti.
Im Vietnam-Krieg nutzten die Widerstandskämpfer der Vietcong den restaurierten Tempelkomplex als sicheres Versteck. Bis zum Zeitpunkt, als die „ Free-Fire-Zone“ deklarierte Kultstätte durch US-Bombardements auf weniger als zwei Dutzend Bauten dezimiert wurde.
Im Jahr 1999 nahm die UNesco die historischen Häuser der Altstadt von Hoi An in die Weltkulturerbe-Liste auf, Foto: Paulina Heiligenthal
Nach Kriegsende waren die mit internationaler – wegweisender italienischer – Hilfe durchgeführten Maßnahmen zur Gewährleistung einer langfristigen Restauration, keine einfache Aufgabe. Die Cham pflegten die flachen Ziegelsteine mit dem Baumharz des Banyan-Baumes zu verfugen, das dem subtropischen Klima jahrhundertelang standhielt. Eine nicht mehr reproduzierbare Bauweise. Auch die Gravurkunst der meisterhaften Skulpturen und detaillierten Verzierungen an den Fassaden ist bis heute ungeklärt.
Die Freilegung der archäologischen Ausgrabungen spiegelt nicht nur die Architektur einer früheren Epoche wider. Vielmehr werden Einblicke in kulturelle Fortschritte einer längst vergangenen Zivilisation ermöglicht: die blühende Ära des Cham-Reiches. Noch immer geheimnisumwoben.
1999 erhielt My Son den Weltkulturerbe Status der UNESCO.
Graziöse Tänzerinnen in traditioneller Apsara-Choreografie vermitteln Freude und Harmonie vor der Kulisse eines Tempels in My Son, Foto: Paulina Heiligenthal
An dieser Stelle sollte man die Aktion „Agent Orange“ nicht verschweigen. Ausgehend von Da Nang, dem amerikanischen Marine-Stützpunkt, wurde in 24% der Dörfer im Süden Vietnams 50 Millionen Liter eines Entlaubungsmittels versprüht. Zur Zerstörung der Vietcong. Mit genetischen Folgen bis heute. Welch ein irrwitziger Einsatz, in einem sinnlosen Krieg!
Seidenzauber der Stadt Hoi An
Hoi An klingt in manch europäischem Ohr wie eine fröhliche Begrüßung. Wie ein „Hallo Anne“. In Wirklichkeit aber bedeutet der Name „friedvoller Treffpunkt“. Passender könnte die Bezeichnung kaum sein.
Das malerische Hoi-An war bis zur Versandung eine bedeutende internationale Hafenstadt, Foto: Paulina Heiligenthal
Hoi An strahlt doch Beschaulichkeit, Frieden, Freude aus. Und eine Atmosphäre, die besticht durch Anmut und Zauber. In keiner anderen vietnamesischen Stadt entdeckt man mehr Gebäude von historischem Wert. Sie erwecken den Eindruck alter Zeiten. Eine Reise in die koloniale Vergangenheit. Wen wundert’s, dass die historische Altstadt 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.
Namentlich erst 1630 als Hoi An erwähnt, wurde bereits im 4. Jahrhundert eine Siedlung durch die Cham als Champa-Stadt gegründet. Mit einem Seehafen, der dem gesamten Champa-Königreich als Handelsbasis für Gewürze, Tee und Edelhölzer diente. Und …der Seeräuberei. Im 16. Jahrhundert erlangte die Stadt großes Ansehen und beachtliche Wohlfahrt als Brückenpunkt an der Seidenstraße. Auf dem Handelsweg zwischen Indien und China.
In den Straßen von Hoi An trägt eine Frau ihre komplette Garküche für den Straßenverkauf auf den Schultern, Foto: Paulina Heiligenthal
Der Hafen erblühte zum mächtigsten Handelshafen in Südostasien. Zahlreiche Kaufleute, Stoffhändler mit ihren Familien aus China und Japan, die ihre Schotten gegen die Fremden dichtmachten, ließen sich in der prosperierenden Stadt nieder. Als 1644 die Ming-Dynastie in Peking gestürzt wurde, flohen zahllose Chinesen nach Südostasien und übernahmen quasi Hoi An. In ihrem Gepäck befanden sich Lampions: Zeichen für Glück, Gesundheit und Reichtum. Prägende Bauwerke wie chinesische Tempel und Teakhäuser, die japanische Brücke, französische Kolonialvillen erzählen die Geschichten verschiedener Epochen. Eine gelungene Melange einheimischer und fremdländischer Einflüsse.
Hinter einem Vorhof entlang der Hauptstraße befindet sich eine der eindrucksvollsten Sehenswürdigkeiten der Stadt: die Versammlungshalle Trieu Chau. Sie wurde 1845 von ausgewanderten Chinesen der Region Chaozhou in hochwertiger Konstruktion errichtet. Nach dem Tor mit kalligrafischen Erinnerungstafeln öffnet sich ein mit Bonsais gestaltetes Atrium. Seitlich davon liegen die Versammlungsräume. Dahinter beginnt der Tempelbereich mit kostbar geschnitzten Säulen, Decken, Wänden und Altären nach den Legenden ihrer Heimat. In Verehrung für die Schutzgottheit Ong Bon im Hauptraum, dem Gott des Reichtums Than Tai, sowie dem segensreichen Gott der Tugend Phuoc Duc in Nebenräumen.
Nach wachsender Versandung des Hafens verlor Hoi An im 18. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Zu Gunsten von Da Nang. Der Niedergang als wichtigste Handelsstadt der Region sollte sich erst sehr viel später als Segen herausstellen: Der historische Stadtkern blieb sowohl im Indochina- als auch im Vietnamkrieg komplett erhalten, völlig unversehrt.
Kleine gefräßige Kreaturen sind für die Seidenpracht unentbehrlich, Foto: Paulina Heiligenthal
Während der Kolonialzeit entwickelte sich in Hoi An eine Textilindustrie: die Seidenherstellung. Durch Kunsthandwerker mehr und mehr verfeinert, bewahrt „Silk Village Hoi An“ bis heute die handgefertigte Seidenwebtechniken aus der Cham-Ära. Die Produktion beginnt mit der Aufzucht der Seidenraupen: Gefräßige Kreaturen, die sich ausschließlich von Maulbeerblättern bis hin zur Sättigung ernähren. Dann gehen sie handverlesen „auf den Bergpfad“, um Kokons aus feinsten Seidenfäden bis zu 3.000 Meter zu spinnen.
Raupenaufzucht – Seidenweberei und Maßanfertigung unter einem Dach, Foto: Paulina Heiligenthal
Die Herstellung der „Königin der Stoffe“ nimmt ihren Lauf. Es kann geerntet, abgewickelt, gefärbt und gewebt werden. Und maßgeschneidert, in der „Schneidereihauptstadt der Welt“, in Hoi An.
Hoi An ist die Stadt der traditionellen Lampions aus Seide. Handgefertigt in über 30 Manufakturen, verzaubern sie das Stadtbild. In Form von Diamanten, Lotos, Mangos oder auch Knoblauch. Für Hochzeiten, Sommerfesten, Mondfeste und das jährliche Lampionfest zum chinesischen Neujahr.
Lampions am Ufer des Dao Tien Flusses in Hoi An, Foto: Paulina Heiligenthal
Zwischen Tempel und Lampions begegnet man schönen Frauen im „Ao Dai“, dem landestypischen Kleidungsstück aus Seide, das so oft auf die Probe gestellt wurde. Für die vietnamesische Frau bedeutet das „lange Kleid“ mehr als nur ein Fotomotiv oder eine Festtagskleidung. Es steht für Stolz und Identität der bewegten Geschichte des Landes. Für die nationale Seele.
Entstanden während der Nguyen-Dynastie im 18. Jahrhundert, war das Tragen in Kolonialtagen nur vietnamesischen Frauen vorbehalten, die mit französischen Männern verheiratet waren. Allmählich erst änderte sich die Situation für andere soziale Schichten. Französische und amerikanische Modeeinflüsse inspirierten das neue Erscheinungsbild von „Ao Dai“ nachhaltig. Silhouetten betont und bewegungselegant weckt das langärmelige Ao Dai-Kleid, mit den hohen Schlitzen Bewunderung. Es unterstreicht die Grazie der weiblichen Schönheit.
In Hoi Ans Reisfeldern erstrahlt das Rot der sinkenden Abendsonne, Foto: Paulina Heiligenthal
Ab 1954 nach der Niederlage Frankreichs und der Teilung des Landes, musste allerdings ein Teil der Vietnamesinnen ihr Seidenensemble im Schrank aufbewahren. Als westliche Dekadenz im kommunistischen Norden verpönt, wurde das Tragen verboten. Im Süden dagegen sollte der amerikanische Lebensstil zur Emanzipation beitragen. Die Frauen wurden selbstbewusster, sie erkannten den Wert ihrer individuellen Freiheit und provozierten nahezu mit der Ao Dai-Bekleidung. Die Seitenschlitze ragten jetzt bis über die Taille, sodass ein kleines Hautstück subtil sichtbar wurde: „Das Dreieck der Sehnsucht“.
Nach der Wiedervereinigung 1975 wurden jeder Frau zwei Meter Stoff pro Jahr zugestanden. Zu wenig für ein langes Kleid. Außerdem lief man Gefahr, in ein Umerziehungslager zu geraten, wenn man ein „Ao Dai“ trug. Galt es doch als Verrat am politischen System. Als sich Ende der achtziger Jahre das Land für die freie Marktwirtschaft öffnete, brachte die rasant wachsende Wirtschaft das Ao Dai zunächst zögerlich zurück.
Beim internationalen Wettbewerb 1995 in Japan errang eine Vietnamesin den ersten Preis für die schönste Landestracht weltweit. Der Durchbruch der Ao Dai war nicht mehr aufzuhalten. Weder für Frauen, noch für Männer. Generationenübergreifend. Eine Kombination zwischen Tradition und Moderne. Ausdruck kultureller Vornehmheit und Kultiviertheit.
SEIDE: Kühlend an Sonnentagen, wärmend an Wintertagen. Haptisch! SEIDE: Glanz, Glamour und Raffinesse! Edel, luxuriös, verführerisch! Schmeichelnd, seidig, sinnlich! Ja wohl, im höchsten Maße! Eine Sünde wert!