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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die sieben Todsünden – Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zeigt den zweiteiligen Abend

Eine Revue zwischen Lachen und Weinen

Von Walter H. Krämer

Die Uraufführung des Tanzabends „Die sieben Todsünden“ mit den beiden Teilen Die sieben Todsünden und Fürchtet Euch nicht nach Texten von Bertolt Brecht und der Musik von Kurt Weill fand am 15. Juni 1976 in Wuppertal statt. Ab dem 12. April bis einschließlich 21.April 2025 ist diese Arbeit wieder in Wuppertal zu sehen.

Emily Castelli, Ensemble, Foto: Jürgen Steinfeld

Auf der Bühne die Tänzer*innen des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch mit Gästen – unter anderen mit Ute Lemper, Melissa Madden Grey, Erika Skrotzki und Steffen Laube. Das musikalische Niveau ist hoch, angefangen beim kantig aufspielenden Sinfonieorchester Wuppertal unter Leitung von Jan Michael Horstmann, über das präzise und sinnlich singende Herrenquartett aus dem Ensemble der städtischen Oper, bis hin zu den stimmlich hervorragenden Solistinnen. Dabei spielt das Orchester nicht aus dem Graben, sondern ist im Hintergrund der Bühne plaziert.

 Ensemble, Foto: Paul Andermann

Ausgangspunkt für diesen Doppelabend (Dauer insgesamt 2 Stunden 25 Minuten) ist Bertolt Brechts einziges Ballettlibretto “Die sieben Todsünden der Kleinbürger“, das 1933 mit Lotte Lenya in einer der beiden Hauptrollen in Paris uraufgeführt wurde.

Sieben Todsünden, Babacar Mané, Emily Castelli, Foto: Karl Heinz Krauskopf

Der erste Teil – Die sieben Todsünden (also: Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht, Neid) – ist die Darstellung einer Reise zweier Schwestern aus den Südstaaten, die auf einer Tournee durch sieben Städte für sich und ihre Familie das Geld für ein kleines Haus in Louisiana verdienen wollen.

Anna I, dargestellt von Ute Lemper, die mit rollendem R den von Bertolt Brecht und Kurt Weill angedachten Ausdruck und Ton hervorragend trifft und Anna II, dargestellt von Stephanie Troyak, die mit tänzerischer Anmut und Wucht dieser Figur in all ihren Gefühlszuständen einen glaubhaften Ausdruck verleiht. Die junge Frau (Ann II) muss sich verkaufen, wird sexuell ausgebeutet, um den Traum nach einem eigenen Haus für ihre Familie finanziell zu ermöglichen: „Der Herr erleuchte unsere Kinder, dass sie den Weg erkennen, der zum Wohlstand führt, dass sie nicht sündigen gegen die Gesetze, die da reich und glücklich machen“ (Zeilen aus dem Libretto von Bertolt Brecht).

Ute Lemper, Emily Castelli, Foto: Ursula Kaufmann

Mehrfach muss die ältere Schwester die jüngere davon abhalten, eine der Todsünden zu begehen, denn dies könnte den Profit gefährden. Was nach dem christlichen Moralkodex als Verfehlung gilt, erklärt Bertolt Brecht hier zur Tugend. Solange aber die eine Schwester als Verkäuferin die andere als Ware auf dem „Markt der Eitelkeiten“ anbietet, bleibt keine Möglichkeit, diese „Tugenden“ auszuleben: „Wer dem Unrecht in den Arm fällt, den will man nirgendwo haben, und wer über die Rohheit in Zorn gerät, der lasse sich gleich begraben. Wer keine Gemeinheit duldet, wie soll der geduldet werden? Und so hab‘ ich meiner Schwester den Zorn abgewöhnt“ (Zeilen aus dem Libretto von Bertolt Brecht).

Das Hauptinteresse der Choreographin Pina Bausch gilt weniger der Kritik an den gesellschaftlichen Bedingungen, wie von Brecht angedacht, sondern sie lenkt das Augenmerk stärker auf die Ausbeutung der Frau durch den Mann. Die Notwendigkeit, sich zu prostituieren, sich als Ware zu verkaufen, um wenigstens ein kleines Stück vom Glück zu erhaschen. Steht bei Bertolt Brecht die Darstellung der sozialen Problematik und die Brutalität der ökonomischen Bedingungen einer Gesellschaft im Mittelpunkt, interessiert sich Pina Bausch mehr für das Schicksal der Frauen, die Käuflichkeit ihrer Körper, die ihnen von einer Männerwelt aufgezwungen wird und die Verhinderung individuellen Glücks.

Anfangs liegt Anna I in einer mit Kreide aufgemalten Sonne – dann nimmt das Schicksal seinen Lauf. Anna II fordert ihre Schwester auf, sich auszuziehen. Bevor sie, in ein enges Kleid gezwängt, tanzen muss, werden ihr noch die Haare auf sehr brutale Weise durchkämmt. Und die Männer haben ihren Spaß mit ihr – betatschen sie von oben bis unten.

Sie verkauft sich bis zum bitteren Ende – das Haus am Mississippi ist mit einem Meer von Tränen erkauft. Entstanden sind dabei Szenen, die auch nach mehr als 50 Jahren noch unter die Haut gehen und zeigen, dass die Inszenierung nichts von ihrer Aktualität verloren hat.

Der zweite Teil des Abends Fürchtet Euch nicht – die Textzeile ist dem Heilsarmeechor aus Happy End entnommen und verbindet in loser Folge insgesamt 25 Gesangsnummern– ist weniger brutal und zeigt, wie sich die Sehnsucht von Frauen nach Liebe und Zärtlichkeit nicht erfüllt. Und das mit der Musik von Kurt Weill unter Verwendung von Songs aus der Dreigroschenoper, kleine Dreigroschenmusik, Happy End, Das Berliner Requiem und Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny.

Ute Lemper, Foto: Sylvain Guillot

Hier treibt die Choreographin Spott mit einer Welt, die die Männer für sich und für die von ihnen abhängigen Frauen eingerichtet haben. In dieser Welt verstehen sich die Männer selbst noch als die besseren Frauen und Pina lässt diese denn auch in Frauenkleidern tanzen und stellt sie als Transvestiten des Varietés aus.

Tanz ist hier nicht Selbstzweck, sondern weist ausdrücklich auf die Notwendigkeit weiblicher Emanzipation hin, indem sie Frauen in den Mittelpunkt der szenischen Abläufe stellt und Möglichkeiten der Verbesserung von Lebensumständen aufzeigt. All dies ohne dogmatisch zu werden oder gar den Zuschauer*innen etwas verordnen zu wollen. Über allem steht dann doch die Lust zu tanzen und zu leben und zu widerstehen.

Dieser Tanzabend gehört neben Blaubart zu den härtesten Stücken der Choreographin – auch hier wird die Unterdrückung der Frauen auf drastische Weise zur Schau gestellt. Doch es geht Pina Bausch dabei nicht darum, Männer alleine für diese Misere verantwortlich zu machen. Augenzwinkernd lässt sie daher die Tänzer am Ende in Frauenkostümen auftreten. Unter diesen Verhältnissen wird selbst der Mann zur Ware und ist fern jedweder Selbstbestimmung – und dennoch tanzen sie.

Nicht unerwähnt bleiben darf der Moment, in dem sich Melissa Maden Grey bei einem ihrer Lieder zu einer hysterisch-aggressiven Lachsalve hinreißen lässt – voller Verzweiflung und Wut. So ein Lachen habe ich noch nie auf einer Bühne gehört – es wirkt nicht ansteckend, sondern bleibt einem im Halse stecken. Grandios!

Melissa Madden Gray, Ensemble, Foto: Oliver Look

Zum Matrosentango gruppiert Erika Skrotzki die Tänzerinnen der Company als lebende weibliche Puppen um ein Schaukelpferd – ein stiller Moment und voller Magie.

Stefen Laube versucht sich in der sanften Verführung junger Frauen mit dem hingehauchten „Fürchte dich nicht, fürchte dich nicht, sitzest du auch im Sündenpfuhl, Gottes Auge verlässt dich nicht, er setzt dich auf den goldenen Stuhl“. Als seine Verführung nicht gelingt, nimmt er sich mit Gewalt, was er freiwillig nicht bekommen hat. Der Anblick dieser Szene, die sich über Minuten im Hintergrund abspielt, während im Vordergrund ausgelassen getanzt wird, wirkt nachhaltig und ist schwer zu ertragen.

Alles in allem eine Revue zwischen Lachen und Weinen – mitreißend und berührend, ohne oberflächlich zu bleiben. Fragwürdiges Verhalten, Ungerechtigkeiten und Gemeinheiten bleiben nicht ausgespart, sondern werden sichtbar.

Pina Bausch geht hier den direkten Weg von der Text- und Musikvorlage zum Gefühl und Ausdruck, ohne jemals bedeutungsschwanger oder schwerfällig zu wirken, sie ignoriert Tabus und ist dabei immer auch zu Scherzen aufgelegt. Tanz, Spiel und Gesang werden virtuos miteinander verzahnt und in Einklang gebracht und das zu einer Zeit, in der die Choreographin sich auch damit auf bisher unbekanntem Terrain bewegte.

Weitere Vorstellungen im Opernhaus Wuppertal

am 16. / 17. / 19. / 20. + 21.04.2025 

Die Vorstellungen beginnen sonntags um 18 Uhr an allen anderen Tagen um 19:30 Uhr

https://www.pina-bausch.de/de/plays/17/die-sieben-todsunden

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