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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Ein Sommernachtstraum“ von William Shakespeare am Schauspiel Frankfurt

Eine märchenhafte Komödie mit Tiefgang

von Margarete Berghoff

Namensgebend für den „Sommernachtstraum“ ist die Mittsommernacht, die kürzeste Nacht des Jahres, eine magische Nacht des Fruchtbarkeitskults, in der nach altem Brauch junge Menschen ihre Liebe finden. Wie in „Romeo und Julia“ ist die Ausgangssituation im Sommernachtstraum ein junges Paar, das sich nicht dem Willen eines Vaters unterordnen will. Daraus wird in politisch extrem unruhigen Zeiten eine, das Volk erheiternde, märchenhafte Komödie mit Tiefgang. Anders als in „Romeo und Julia“, wo die Liebe des junges Paares tödlich endet, gibt es im Sommernachtstraum ein gutes Ende.

Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare, Regie: Christina Tscharyiski, Isaak Dentler, Annie Nowak, Foto: Arno Declair

Wie alt ist die Sehnsucht junger Menschen nach freier Liebe und selbstbestimmter Partnerwahl? Frei von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwängen. Frei vom Diktat der Väter, die ihre patriarchale Macht direkt auf den Ehemann ihrer Töchter übertragen. Widersetzt sich eine Tochter den Heiratsplänen des Vaters, verliert sie den Schutz und alle Privilegien ihres Standes, was für sie eine existentielle Bedrohung darstellt. In nicht wenigen Ländern der Welt herrschen diese menschenverachtenden brutalen Gesetze bis heute.

In der Geschichte des Sommernachtstraums wagt es Hermia, die Tochter des Egeus trotzdem sich ihrem Vater zu widersetzen.  Sie liebt Lysander und nicht den vom Vater erwählten Demetrios. Hermia und Lysander beschließen zu fliehen, um ihre Liebe zu retten. Sie fliehen in den Wald, wo sie sich unter umher streunenden Naturgeistern vor  Verfolgung sicher wähnen. Hermias Freundin Helena liebt Demetrios, doch der liebt nur Hermia. Diese Konstellationen erinnern an die Geschichten der Commedia dell’arte.

Zeitgleich, zu der Flucht von Hermia und Lysander in den Wald, wird in Athen die Hochzeit von Theseus und Hyppolyta  vorbereitet. Theseus ist  siegreich aus einem Krieg zurückgekehrt. Im Gepäck hat er die mit Waffengewalt eroberte Trophäe  Hyppolyta aus Feindesland mitgebracht.

Athener Handwerker proben für die Hochzeit ein Theaterstück, dass  die Geschichte von zwei Liebenden, die nicht zusammen kommen dürfen, erzählt. In dieser Inszenierung sind es aber keine Handwerker, sondern Bedienstete des Theseus: eine Putzfrau, ein Koch, ein Diener, ein Chauffeur. Der Regisseur hat seine Mühe, die Rollen zu verteilen und auch sonst sind die Schauspieler*innen recht aufmüpfig. Sie geben zum Ende hin eine Kostprobe des Theaterstücks, in dem das Treffen der Liebenden durch einen brüllenden Löwen vereitelt werden soll. Der Löwe ächzt hier nur jämmerlich, wie zum letzten Mal. Ein komischer Moment, der erheitert und darauf hinweisen könnte, dass der Löwe es leid ist zu brüllen um die Liebe zu verhindern.

Die einzelnen Handlungsstränge im „Sommernachtstraum“ sind vielschichtig. Das gibt der Regie die Freiheit, einzelne Erzählinhalte mehr oder weniger zu betonen und auszuschmücken. In Frankfurt hat die Regisseurin Christine Tscharyiski die Geschichte sehr klar und eindrücklich erzählt. Sie erschließt sich in allen Details, amüsiert und unterhält, ohne oberflächlich zu sein.

In der  Renaissance war es üblich, ernste Stoffe heiter zu erzählen. Und gerade das machte den „Sommernachtstraum“,  eines der meist gespielten Theaterstücke, so beliebt. Unser Lachen über die Verrücktheiten der Geschichte hat einen Unterbau. Es kommt aus der Erfahrung und dem Wissen über gesellschaftliche und soziale Zusammenhänge und Gegebenheiten. Ist doch der Humor die Rettung vor dem Untergang.

Tanja Merlin Graf, Mitja Over, Rohki Müller, Miguel Klein Medina, dahinter : Christof Pütthoff, Anna Kubin, Foto: Arno Declair

Shakespeare zeigt uns zwei gegensätzliche Welten. Einmal den Staat, der nach strengen und brutalen Gesetzen strukturiert ist und der den, der sich widersetzt, bestraft. Zum anderen den Wald, in dem Freiheit herrscht. Eine Welt von Naturwesen, Elfen und Geistern, die unbewußte Träume und Wünsche beflügelt. Ein Ort voller Magie und Geheimnis, Metapher für die triebhafte Liebe, das tiefe Unbewusste, das sich nur im Verborgenen zeigen darf.

Im Wald leben Oberon und Titania, König und Königin der Elfen. Oberon, der unersättlichen Liebeslust seiner Frau ausgeliefert, weiß sich keinen Rat mehr. Entzweit durch Eifersucht und Streit schmiedet Oberon mit Puck, einem bösartigen Faun, einen Plan. Er will Titania, die der freien Liebe anhängt, einen Denkzettel verpassen. Verzaubert durch den Blütenstaub einer Blume muss Titania den lieben, den sie nach ihrem Erwachen am Morgen zuerst erblickt. Das ist ein Esel, in den sie sich auf der Stelle verliebt. Der Esel agiert wild und laut, ein Ausdruck seiner Potenz, die ein Ziel sucht und in Titania findet.

Puck, der Fadenzieher der Geschichte, verzaubert im Auftrag Oberons aber nicht nur Titania, sondern treibt seinen Schabernack eigenhändig weiter und verzaubert auch Lysander und Demetrios. Der ist im Wald auf der Suche nach seiner geliebten Hermia.  Helena hat ihm die Flucht Hermias und Lysanders verraten, da sie hofft, damit Demetrios, der Helena  bis jetzt brüsk zurückweist, endlich für sich zu gewinnen.

Als Lysander erwacht sieht er zuerst Helena und verliebt sich unsterblich in sie. Demetrios, der ebenfalls Helena zuerst erblickt, verliebt sich ebenso in Helena. Die Verwirrung ist perfekt.

Am Ende, wenn sich alle wieder in Athen einfinden, dürfen die sich liebenden Paare dann doch heiraten. Hermia und Lysander und auch Helena und Demetrios. Aber nur, weil Theseus es befiehlt. Ein kluger Herrscher befiehlt das, was das Volk möchte.

Christoph Pütthoff, Peter Schröder, Michael Schütz, Matthias Redlhammer, Melanie Straub, Foto: Arno Declair

Die Bühne (Stéphane Laimé) ist zu Beginn leer und das Volk, die Bediensteten, in weißer adretter Arbeitskleidung, zum Teil aus Lackleder, machen sich mit ihren Arbeitsutensilien zu schaffen. Die adeligen Personen treten in eleganten, weißen, modernen Kostümen auf, die durch Details wie Faltenwürfe und großen stilisierten Haarlocken an der Stirn, eindeutig die Mode des antiken Athens nachzeichnen. Das ist ästhetisch und schön anzusehen. (Kostüme: Leonie Falke). Theseus befiehlt die Hochzeit von Hermia und Demetrios. Die Geschichte nimmt damit ihren Lauf und ein gewaltiger roter Wald schiebt sich von hinten auf das Publikum zu. Ein Wald aus  durchbrochener Plastikfolie, ein Gerüst, mit schmalen Wegen und Ebenen, alles in blutrot. Der Wald ist kein gesunder Wald, er wirkt zerstört, vertrocknet, chaotisch und weckt Assoziationen von blutigen Bauchorganen.

Die Elfen erscheinen wie aus dem Gestrüpp geboren. In Tarnfarbe, in diesem Fall in rot. Sie tönen mit hohen Frequenzen und sind bezaubernde Wesen.Titania spricht hier  mit der ihr ganz eigenen Betonung, ein Art persönliches Markenzeichen. Sie zieht die Vokale in die Länge und kurz darauf sprudeln die Worte hart und  in Hochgeschwindigkeit aus ihrem Mund. Erstaunlich und passgenau.

Isaak Dentler, Anna Kubin, Foto: Arno Declair

Die Sprache ist in dieser Inszenierung vielfältig gestaltet. Das ist immer wieder überraschend und wirkt verstärkend zusammen mit dem großartigen Bühnenbild und der großartigen Schauspielkunst aller Mitwirkenden, die fast alle Mehrfachrollen haben. Der Adel als rechtsprechendes autokratisches Gewaltsystem spricht im Versmaß. Das arbeitende Volk spricht in Prosa. Die Naturwesen des Waldes, Elfen und Kobolde, tönen oftmals in tierhaften Lauten.

Puck ist ein Einzelgänger, der oftmals  als tänzerisches und bewegliches Wesen dargestellt wird. In dieser Inszenierung ist er ein eher entspannter und ruhiger Vertreter seiner Art. Er singt  bedeutungsvolle Lieder und wirkt bedacht und besonnen. Puck spricht das Publikum direkt  an. Damit wird das Geschehen stärker in den Zuschauerraum hinein transferiert. Manchmal wirkt er wie ein Geschichtenerzähler, der uns etwas erklären möchte.

Die vier jungen Liebenden, Frauen und Männer, in gleichen romantisierenden rosafarbenen College-Uniformen, verkörpern die Neudefinition von traditionellen Geschlechterrollen. Studenten am Puls der Zeit. Shakespeare gibt ihnen die Möglichkeit, im Wald ihre Libido und ersten sexuellen Erfahrungen, weit weg vom gesellschaftlichen Diktat, auszuprobieren. Dafür ist die Abgeschiedenheit des  Waldes ein idealer Ort. Die Vier finden in einer angedeuteten Orgie alle zusammen. Das  wirkt wie eine Initiation, ein Moment der vollkommenen Losgelöstheit und Trance. Ein Reifeprozess kommt in Gang. Befreiung von verkrusteten alten gesellschaftlichen Werten?

Miguel Klein Medina, Tanja Merlin Graf, Foto: Arno Declair

Christina Tscharyiski entwickelte mit ihrem Team ein stimmiges und klares Konzept. Die Farben rot, rosa und weiß dominieren das Bühnenbild und die Kostüme. Weiß und zartes Rosa für die Menschen. Rot für die Bühne und die Naturwesen. Puck als Mischwesen zwischen Mensch und Tier trägt rot und weiß. Der Zuschauer darf  in eine entspannte Wachheit fallen. Es wird ihm alles wunderbar klar und trotzdem phantasievoll vorgespielt. Die eher zurückhaltende Musik von Cornelia Pazmandi verbreitet eine emotionale Grundstimmung und ermöglicht dem Publikum mitzugehen und mitzufühlen.

Die Regisseurin hat es verstanden, die diametralen Themen der Geschichte herauszuarbeiten. Politische Macht konträr zur Liebe, das Volk und der Adel, Freiheit und Zwang, Stadt und Wald, Natur und Unnatur. Sie vertraut dabei der märchenhaften Erzählweise, die dem Sommernachtstraum eigen ist.

Der Sommernachtstraum, der so leichtfüßig daher kommt, gleicht auf den zweiten Blick einer soziologischen Fallstudie und wirft viele Fragen auf. Kann eine Gesellschaft erfolgreich sein, wenn sie voll und ganz der romantischen Liebe folgt? Ist der sich daraus zwangsläufig ergebende Partnertausch eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Muss der sogenannte Pöbel mit harter Hand regiert werden, um die Werte einer Gesellschaft zu schützen? Das Theater lebt von Fragen. Die Antworten muss sich jeder Zuschauer selbst geben.

Wenn Regie, Dramaturgie, Bühne und Kostüm, die Musik, die Schauspieler und Sänger, Technik und Licht  in solch einer intelligenten Harmonie zusammen kommen, ist es einer der großen Glücksfälle, die es im Theater nicht jeden Tag  zu sehen gibt. Eine Solitär und eine große Freude! Wie auch „Der Geizige“ eine beeindruckende Produktion der letzten Spielzeit am  Schauspiel Frankfurt, atmet dieser Sommernachtstraum die hohe Theaterkunst der gekonnten Überhöhung und Abstraktion.

Weitere Vorstellungen im Schauspiel Frankfurt:

Sa. 19.04.2025

So. 20.04.2025

So. 04.05.2025

Do. 08.05.2025

TEAM

Regie: Christina Tscharyiski

Bühne: Stéphane Laimé

Kostüme: Leonie Falke

Stunt Coach: René Lay

Musik: Cornelia Pazmandi

Dramaturgie: Lukas Schmelmer

Licht: Tobias Lauber

BESETZUNG

Isaak Dentler (Theseus/Oberon)

Anna Kubin (Hippolyta/Titania)

Mitja Over (Lysander)

Miguel Klein Medina (Demetrius)

Rokhi Müller (Hermia)

Tanja Merlin Graf (Helena)

Andreas Vögler (Egeus)

Annie Nowak (Puck)

Peter Schröder (Franz Flaut/Thisbe/Bohnenblüte)

Melanie Straub (Schnock/Löwe/Mond/Spinnweb)

Michael Schütz (Tom Schnauz/Wand/Senfsamen)

Matthias Redlhammer (Peter Squenz)

Christoph Pütthoff (Niklaus Zettel/Pyramus)

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