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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die Bach’sche Johannes-Passion mit Raphaël Pichon und dem Ensemble Pygmalion in der Alten Oper

Eine Passion voller Würde, luzider Klarheit und berückender Schönheit

Von Petra Kammann

Es ist Passionszeit. Jetzt haben die Musiker des Pygmalion-Ensembles mit ihren historischen Instrumenten und ihrem Dirigenten Raphaël Pichon in der Alten Oper Frankfurt die berühmte Johannes-Passion aufgeführt. Hätte es eine bessere Referenz geben können als dass sie in der – nach dem Brand – frisch renovierten Kathedrale Notre-Dame in Paris aufgetreten sind? Jeder Moment der Frankfurter Passion, die zweite Station einer besonderen Tournee des Ensembles zwischen Amsterdam, Hamburgs Elphi und Mailand, hat die außergewöhnliche Qualität ihrer Interpretation belegt. Pichon hat dazu die bekannte Bach’sche Passion durch eindrückliche musikalische Ergänzungen bereichert. Schon gleich zu Anfang …

Entspannung nach der gelungen, konzentrierten Aufführung – der Dirigent Raphaël Pichon, Foto: Petra Kammann

In der Alten Oper im Großen Saal herrschte in diesem Jahr bei der Aufführung schon von Beginn an eine gespannte Stille, die zum kompletten Innehalten führte, als vom rechten Rang aus wie von Ferne eine Frauenstimme mit einem ergreifend-konzentriertem Lied aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert erklang und den Ton vorgab: „O Traurigkeit! O Herzeleid!“ Gesungen und fast bis ins pianissimo verschwindend geflüstert war die reife Stimme der Mezzosporanistin Lucile Richardot, auf die unmittelbar das a cappella des hinzutretenden Chors antwortete, bevor Chor und Orchester mit voller Wucht und ausdrucksstarker Dichte mit dem uns bekannten dramatisch düster gefärbten und von Unruhe gezeichneten Eingangschor „Herr, unser Herrscher“ in den prall gefüllten Saal der Alten Oper drang.

Die Stimme der Mezzosopranistin Lucile Richardot kam aus der Tiefe des Raumes, Foto: Borggreve

Bach hatte den Evangelienbericht nach Johannes – von Gefangennahme, Verhör und Kreuzigung Jesu  – in eine einzigartige Musik voll musikalischer Dramatik und Leidenschaft verwandelt. Dabei vermied der hochpräsent agile und Stimmungsschwankungen aufgreifende Dirigent Raphaël Pichon in der gesamten Aufführung jegliches Pathos, das der spirituellen Dimension des Werks hätte schaden können. Seine sowohl ausgereifte wie auch inspirierte Interpretation war den jeweiligen verschiedenen Stationen der Leidensgeschichte Jesu Christi – vom Verrat durch Petrus bis hin zur Exekution durch die legendäre Kreuzigung – angepasst. Dazu beeindruckten in jeder dieser Phasen sowohl das Orchester, der Chor wie auch die solistischen Sängerinnen und Sänger des Pgymalions-Ensembles nicht zuletzt, weil sie sprachlich auch ganz sauber artikulierten und daher bestens verständlich waren.

Julian Prégardien als Evangelist beherrscht alle Nuancen der Aussagen, Foto: Peter Rigaud

Perfekt auch in ihren Rollen: die Solisten und Solistinnen, die abwechselnd im Chor mitsangen und dieser Passion ihre ergreifend menschliche Dimension verliehen. Unübertroffen souverän und einnehmend bewegte sich Julian Prégardien als Evangelist auf der Bühne. Ohne einen Blick auf die Partitur zu werfen, trat er singend und deklamierend nach vorn und ging diskret wieder zurück in den Chor, um dort mitzusingen: Gebannt folgte man ganz unmittelbar und natürlich seinem sensibel nuancierten Vortrag, seinem stets treffenden und ergreifenden Ton, dem Timbre seiner mal singenden, mal sprechenden oder auch erregten Stimme.

Der britische Bariton Huw Montague Rendall als Jesus, Foto: Borggreve

Huw Montague Rendall verkörperte durchgängig und überzeugend mit seiner Bass-Bariton-Stimme die Gestalt des Jesus, der zugleich Mensch und Sohn Gottes ist. Besonders in seinen Arien, etwa in „Betrachte, mein Seel, mit ängstlichem Vergnügen…“ besticht er mit zurückhaltender Sanftheit und großer Tiefe, begleitet von den dunklen Klängen der ihn umspielenden Instrumente.

Wenn er bis in eine Art überirdischer Stille hinein „Es ist vollbracht“ seine Stimme zurücknimmt und fast zum Verschwinden bringt, steigert er durch das nachdenklich einsetzende Stillschweigen noch einmal den Hergang des vorangegangenen Geschehens. Diese, seine letzten Worte aus dem Nirgendwo, vermitteln eine Ahnung von der Macht der Todesqualen des Gekreuzigten, der wiederum „nicht von dieser Welt“ ist.

Aufgegriffen wird die Arie „Es ist vollbracht!“ in der zweiten Hälfte kurz vor dem Ende des Werks durch die solistischen Altistin Lucile Richardot, die mit ihrer Stimme mühelos die Höhen erklimmt und grandios die Tiefen trifft, dann ein weiteres Mal. Auch sie hatte sich ansonsten zwischenzeitlich auch schlicht dem hervorragenden Chor angeschlossen hatte. Sowohl in Haltung als auch im Gesang ist ihre Arie von berückender Schönheit, die am Ende der Arie nochmal von den warmen Celli und dem Cembalo äußerst lebhaft begleitet wird.

Die hellkingende Sopranistin Ying Fang und fabelhaft der britische Tenor Laurence Kilsby, Foto: Petra Kammann

Ganz rein und glockenklar dagegen und von geradezu außerirdisch immaterieller Klarheit klingt die Stimme der Sopranistin Ying Fang, die in ihrer ersten Arie von einem Querflöten-Duo begleitet wird. In der Arie „Zerfließe, mein Herze“ wirkt ihre helle Leichtigkeit erhebend und bildet einen Kontrast zu dem düster-schwermütigen Drama der Passionsgeschichte.

Ebenso überzeugt der noch junge aufstrebende britische Tenor Laurence Kilsby mit seinem hellen strahlenden Timbre in den von ihm leidenschaftlich vorgetragenen Arien, während Andreas Wolf, Bass, sich als Pilatus emotional zurückhält, bevor das Kreuzigungsgeschehen seinen Lauf nimmt und die aufgewühlte aufgehetzte Volksmenge affektgeladen gegen den angeklagten Aufrührer Jesus von Nazareth wiederholt fordert :„Kreuzige ihn“.  

Bass-Bariton Andreas Wolf singt den Pilatus, Foto: Dirk Schelpmeier

Als der kleine Chor nach Jesu Tod auf Lateinisch den hinzugefügten Chorsatz des Renaissancekomponisten Jacobus Gallus „Ecce quomodo moritur justus et nemo percipit corde“  („Siehe, wie der Gerechte stirbt / und niemand nimmt es zu Herzen“) vom seitlichen Olymp aus anstimmte, ließ Pichon dies ohne Dirigat gewähren und auf sich wirken. Ein berührend überzeugender Moment, dass auch alle Mitwirkenden betroffen waren, der „Mann am Pult“ eben auch.

Zum Engagement der ausgezeichneten Pygmalion-Sänger und Sängerinnen in den verschiedenen „Rollen“, die sie im Verlauf des Dramas verkörpern, zählt auch die Volksmenge, zählen die Soldaten, welche die Kreuzigung fordern wie die gutgläubigen Christen, die teils in geradezu zärtlicher Hingabe ihren Glauben sangen.

So meisterhaft wie auch bewegend wurden all diese Choräle gesungen. Zweifellos die Frucht einer bestens vorbereiteten Chorarbeit, die wegen der Durchdringung eine Form von Leichtigkeit angenommen hat. Auch die Instrumentalisten mit dem hervorragenden Continuo und den so passenden Sängerstimmen in den Chorälen ergaben ein Ganzes. Bei ihren verschiedenen Einsätzen unterstützten und spiegelten sie jeweils die Gefühle der Gruppe, der Gemeinde, wenn man heute noch davon ausgeht, dass die Passion in der Kirche vor Gläubigen aufgeführt wird.

Überirdisch schön und entrückt klang zum Schluss der Choral „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine“, der das Ende der Passion einleitet, während der abschließende Choral mit „Ach Herr, lass dein lieb’ Engelein“ diese Passion, diesen Leidensweg, beendet und erlösenden Trost zu versprechen scheint. Dieser Schlusschor erfüllte den säkularen Konzertsaal der Alten Oper in Frankfurt mit einer ebenso energiegeladenen wie nachdenklichen Schwingung, die einen vollkommen vergessen ließ, dass man sich nicht  – wie zu Bachs Zeiten – in der Kirche befand, wo in der Barockzeit die Passionen zum Karfreitag üblicherweise stattfanden und aufgeführt wurden.

Die anschließende Stille des Publikums war so angemessen wie wohltuend, bevor der für sämtliche Beteiligte verdiente Applaus aufbrauste.

Tosender Schlussapplaus für die Solisten, Foto: Petra Kammann

Nur eine kleine Anmerkung: Schon Bachs erste Leipziger Passionsmusik war nach dem Karfreitag des Jahres 1724 mindestens weitere dreimal aufgeführt worden, jedes Mal mit kleinen Veränderungen, Ergänzungen, Kürzungen und Umstellungen. Und der französische Bach-Spezialist Raphaël Pichon sagte in einem Interview, die Johannes-Passion habe sein Leben entscheidend verändert. Für ihn spiele sich darin ein bewegendes Menschheits-Drama ab, das eines Mannes, der sich opfert, um die Menschheit zu retten, denn es gehe hier vor allem um die extremen Gefühle und Affekte, welche die Passion nach Johannes enthält  – von Verzweiflung, Verrat, Verhaftung, Verhör, Verurteilung, Vollstreckung, über Leid, Liebe, bis hin zu Tod und Trauer, die der Komponist Bach auf einzigartige Weise musikalisch zum Ausdruck bringe.

Und – auch das wurde in dieser erinnernswerten Inszenierung deutlich – fragt Pichon in seiner Version nicht etwa nach der kollektiven Schuld des dargestellten Dramas, sondern in aller Vielstimmigkeit nach der persönlichen Verantwortung der Einzelnen, und – trotz der Bedeutung und Hervorhebungen der biblischen Texte – eben nicht nur verbal, sondern auch musikalisch.

Ying Fang Sopran
Lucile Richardot Alt
Laurence Kilsby Tenor
Julian Prégardien Evangelist
Huw Montague Rendall Jesus
Andreas Wolf Pilatus
Ensemble Pygmalion
Raphaël Pichon Dirigent

Veranstalter:

Frankfurter Bachkonzerte e.V. in Kooperation mit der Alten Oper Frankfurt

www.frankfurter-bachkonzerte.de

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