„Double Serpent“ von Sam Max in der Regie von Ersan Mondtag am Staatstheater Wiesbaden
Albträume – Stilisierter Umgang mit Gewalt
von Walter H. Krämer
Die Inszenierung „Double Serpent“ am Hessischen Staatstheater Wiesbaden ist als eine der zehn bemerkenswerten Inszenierungen zum Theatertreffen 2025 nach Berlin eingeladen. Die Uraufführung des Stücks von Sam Max in der Regie von Ersan Mondtag hatte in Wiesbaden am 29. September 2024 Premiere und war damit eine der ersten Premieren des Staatstheaters unter der Intendanz von Beate Heine und Dorothea Hartmann. Für das Hessische Staatstheater Wiesbaden ist diese Einladung die erste seit 60 Jahren!

Uraufführung: Double Serpent von Sam Max, Foto: Thomas Aurin
Die siebenköpfige Kritiker*innenjury hatte für die diesjährige Auswahl 738 Inszenierungen in 88 Städten gesichtet. 38 Inszenierungen wurden in der engeren Auswahl diskutiert, die zehn bemerkenswertesten wurden nun zum Theatertreffen eingeladen, das vom 02. bis 18. Mai 2025 in Berlin stattfindet. In der Begründung der Jury für die Auswahl von „Double Serpent“ heißt es:
„Dieses Stück ist für Ersan Mondtags albtraumhafte Theatersprache wie geschaffen. Der Sinn setzt sich in dem Text von Dramatiker*in Sam Max aus New York wie ein Puzzle zusammen, in dem erst am Ende alle Teile ihren Platz finden. In Mondtags Inszenierung agieren stilisierte Kunstfiguren, deren Schalen nach und nach aufbrechen. Biografisches tritt zum Vorschein, Zeit- und Realitätsebenen werden zuordenbarer. Dafür verunklaren sich die Machtverhältnisse. Sieht man auf Alexander Naumanns Fantasie-Jugendstil-Bühne einer einvernehmlichen schwulen BDSM-Beziehung oder sexuellem Missbrauch zu? Der junge Connor ist das Zentrum faszinierender Loops aus Licht, Sound und Slow-Motion, in denen Gewalt omnipräsent ist. Sie wird aber selbst in den computeranimierten Videos von Luis August Krawen nie gezeigt. Voyeurist*innen können einpacken: Dieses Gesamtkunstwerk ist auf seine ganz eigene, fast zeremonielle Art verstörend und entwickelt einen hypnotischen Sog.“
„Double Serpent“ ist ein albtraumhaftes Theaterstück über Missbrauch, Traumata und sexuelles Begehren. Es thematisiert den Zusammenhang von Macht, Erbe und Gewalt.
Im kleinen Foyer des Staatstheaters hängt nun an der Wand ein Zettel, der darauf aufmerksam macht und als Trigger Warnung zu lesen ist, dass im Stück Gewalt und Selbstverletzung thematisiert, Kunstblut verwendet und Nacktheit genutzt wird.
Kein leichter Abend also. Dass es dann weniger schlimm kommt, als befürchtet, liegt auch daran, dass der Regisseur Ersan Mondtag sehr bewusst über Gewalt, Angst und Bedrohung und deren Darstellung auf der Bühne reflektiert und dafür eine Form findet: „Manche schmerzhafte Momente einer bedrohten Biografie müssen unmittelbar wirken, um die Tiefe der Verstörung und des menschlichen Dramas nicht vorschnell wegzurationalisieren. Deswegen sucht die Inszenierung von Ersan Mondtag die Balance aus verschiedenen formalen Herangehensweisen. Ein stark körperloses Spiel, das besondere Konzentration auf die Gewalt der Sprache und Symbole ermöglicht, geht über inVerhaltensweisen, wo das Bedrohliche sich aufzulösen beginnt.“ (Till Briegleb)
Gewaltbilder entstehen letztlich nur im Kopf der Zuschauer*innen. Auf der Bühne werden die Sexszenen nur angedeutet, fast alles wird nur angedeutet und die sexuellen Praktiken werden poetisch mit „Kopf in den Schoß legen“ oder „Bruder-Spiele“ umschrieben oder mit dem Satz „Will Baby sich tot stellen für Daddy und seine Kumpels? Damit sie ihn auf dem Teppich benutzen können?“ als Spiel dargestellt.

Felix Strüven, Jonas Grundner-Culemann, Timur Frey, Foto: Thomas Aurin
In dem Stück „Double Serpent“ des 1995 in Western Pennsylvania/USA geborenen Sam Max, das als Auftragswerk für das Hessische Staatstheater geschrieben wurde, kreuzen sich die Lebenswege mehrerer Figuren: Connor (Timur Yann Frey), Felix (Lasse Boje Haye Weber), Fake Dad (Felix Strüven) und Eric 1 / Eric 2 (Jonas Grundner-Culemann). Augenscheinlich läuft es gut zwischen Connor und Felix. Doch dann gibt es Missbrauchsvorwürfe gegen den berühmten Filmproduzenten Felix und Connor, der ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit mit sich trägt, muss sich entscheiden, ob er weiter zu ihm hält.
Die Vorwürfe – ein Ex-Partner behauptet, Felix hätte ihn betäubt und Organe entnommen – bringen Connor in Kontakt mit seiner Kindheit: Er befindet sich in einem dunklen und feuchten Kellerraum und wartet geduldig darauf, dass sein Adoptivvater mit seiner Arbeit im oberen Stockwerk fertig wird. Die Zeit vertreibt er sich derweil mit dem Computerspiel “Double Serpent“, bei dem zwei Schlangen in einer Box gefangen sind und möglichst viel fressen müssen, um immer länger zu werden…
Connor wiederholt die Traumata seiner Kindheit mit seinen wechselnden Sexpartnern, empfindet Lust an Qual und Gewalt und sucht sich mit dem Filmproduzenten Felix erneut eine väterliche Figur.
Die Trigger-Warnung, Foto: Walter H. Krämer
Ersan Mondtag gelingen in seiner Inszenierung starke, stilisierte Bilder und Stimmungen für die Traumata und das Spannungsfeld von Lust und Schmerz. Unterstützt wird er dabei von der surrealen Bühne im Stil des Art Déco Alexander Naumanns und den hybriden Kostümen von Teresa Verghos. Die computeranimierten Videos von Luis August Krawn unterstreichen den Realismus gewisser Szenen und öffnen gleichzeitig Fenster hin zum Phantastischen. Nicht zu vergessen die atmosphärischen Anleihen an das Suspense- und Horror-Kino. Unterstützt durch die Klang- und Musikkompositionen Benedikt Brachtels und das Lichtdesign Rainer Caspers, gelingt es, die mehrschichtige Erzählung über Gewalt und Begehren in ihrer Intensität zu transportieren – und dabei gleichzeitig doch auch zu unterhalten. Besonders deutlich wird das bei dem angedeuteten Geschlechtsakt zwischen Connor und Eric auf dem OP-Tisch: Eric philosophiert dabei im schönsten Berliner Jargon und Dialekt.
Die Spielweise der Schauspieler ist stilisiert. Sie bewegen sich im Slow-Motion Stil mit Hall, der bei jedem Schritt durch den Theaterraum wabert.
Letztlich, so der Dramatrug Till Briegleb, beschreibe das Stück die Persönlichkeitswerdung Connors trotz aller erfahrenen Widrigkeiten als eine seelische und sexuelle Selbstfindung mit dem Ziel, die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen.

Felix Strüven, Lasse Boje Haye Weber, Jonas Grundner-Culemann, Timur Frey, Foto: Thomas Aurin
Ersan Mondtag und sein künstlerisches Team konnten dem Text einiges abgewinnen und die Schauspieler machten es durch ihre besondere Spiel- und Sprechweise und das damit verbundene Bewegungsvokabular interessant mit nachhaltiger Wirkung.
„Double Serpent“ von Sam Max. Aus dem Amerikanischen von Wilke Weermann
Regie: Ersan Mondtag
Bühne: Alexander Namann
Kostüme: Teresa Vergho
Musik: Benedikt Brachtel
Video: Luis August Krawen
Licht: Rainer Casper
Dramaturgie: Till Briegleb
Mitspieler: Lasse Boje Haye Weber, Timur Frey, Jonas Grundner-Culemann, Felix Strüven sowie Statist*innen des Staatstheaters Wiesbaden
Termine beim Theatertreffen in Berlin:
17. + 18.05. jeweils von 19 – 21.15 Uhr im Haus der Berliner Festspiele
https://www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen/programm/2025/10-inszenierungen/double-serpent
Die Inszenierung „Double Serpent“ ist in voller Länge online verfügbar
ab Samstag, 3.5.2025 für mindestens 120 Tage in der 3satMediathek
https://pressetreff.3sat.de/programm/dossier/double-serpent-starke-stuecke-vom-62-berliner-theatertreffen –
und in der BerlinerFestspiele Mediathek