Preis der Leipziger Buchmesse 2025. Kristine Bilkaus kurzer Roman „Halbinsel“
Voll im Trend und alternativlos?
Von Simone Hamm
Völlig überraschend hat Kristine Bilkau für ihren kurzen Roman „Halbinsel“ den Preis der Leipziger Buchesse (Belletristik) bekommen. Die Konkurrenz war groß. Wolf Haas und Christian Kracht galten als Favoriten.
Linn ist zurückgekehrt. Zurück in ihr Elternhaus, das Haus, in dem die Mutter sie nach dem frühen Tod des Vaters allein aufgezogen hat. Ein Haus auf einer nordfriesischen Halbinsel.
Linn ist erschöpft. Während sie einen Vortrag in einem edlen Hotel in Norddeutschland gehalten hat, ist sie zusammengebrochen. Sie hat Umwelttechnik studiert, ist dann zu einem Unternehmen gegangen, das weltweit wieder aufforstet. Was so gut klingt, ist letztlich doch nur nur Greenwashing, bei dem es viel Geld zu verdienen gibt. Genau darüber hat Linn sprechen wollen.
Jetzt ist sie völlig erschöpft zu ihrer Mutter Annett zurückgekehrt. Sie schläft und verlässt ihr Zimmer kaum. Annett fragt sich, ob sie ihre Tochter richtig auf das Leben vorbereitet hat, oder ob sie sie zu sehr beschützt hat. So sehr, dass sie, wenn im Radio eine Meldung über das Schmelzen der Polkappen kam, sofort laut über etwas anderes geredet hat. So sehr, dass sie nicht vom Tod ihres Mannes gesprochen hat, sondern davon, dass er vom Joggen nicht zurückgekommen sei. Sie hält immer noch Zwiesprache mit ihrem toten Mann.
Erzählt wird aus der Perspektive Annetts. Sie ist immer selbstbeherrscht, immer kontrolliert. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie ihre Wünsche und Träume nicht mehr realisieren können. Sie hatte nicht immer auf der Halbinsel leben, nicht immer halbtags in der Bibliothek arbeiten wollen. Bis heute liest sie heimlich Stellenanzeigen. Sie stellt sich vor, anders, woanders zu leben.
Als Linn zurückkehrt, stellt sie sich der Wirklichkeit. Die Krise ihrer Tochter rüttelt sie wach. Deutlich spürt sie ihre eigene Erschöpfung. Ihr Leben war nicht leicht.
Sie sieht, dass die Tochter einen Neuanfang wagen wird und sei es auch nur, um in der Bäckerei des kleinen Ortes zu arbeiten. Sie fragt sich, ob sie – mit fast fünfzig – nicht auch ihr Leben ändern solle.
Kristine Bilkau erzählt zurückhaltend, unaufgeregt über die Verletzlichkeit dieser beiden Frauen und auch über die Verletzlichkeit der Natur. Denn nicht nur Linn ist erschöpft. Bei Bilkau ist die ganze Welt erschöpft.
Das hätte ein guter Roman werden können. Aber Kristine Bilkau hat sich für eine ungewöhnliche Art des Erzählers entschieden. Sie setzt ihrer leisen Geschichte immer wieder naturwissenschaftlich Fakten gegenüber. Emissionen, Erderwärmung, 1,5 Grad Ziel. Das klingt so, als vertraue sie weder sich noch ihren Lesern. Als reiche das subjektive Erleben der beiden Frauen nicht aus. Das stört den Lesefluss, wirkt aufgesetzt und ist völlig überflüssig.
Bilkaus „Halbinsel“ ist, obwohl es um die Umwelt ja wirklich nicht zum Besten steht, wie sie nicht müde wird, zu betonen, dennoch ein positiver Roman. Mutter und Tochter führen Gespräche, die sie längst hätten führen sollen.
Das Hotel, in dem Linn den Vortrag gehalten hat, lässt eine Anzeige gegen sie fallen. Denn im Fallen hat sie ein Glas mit Fruchtsaft verschüttet, ein Bild und die Wand wurden dadurch beschädigt. Das wurde zunächst als bewusste Tat einer Klimaaktivistin ausgelegt.
Annett lässt sich scheu sich auf eine heimliche Beziehung zum zwanzig Jahre jüngeren Nachbarn ein. Alles wendet sich zum Guten.
Nicht alle Kritiker sind mit der Auszeichnung Kristine Bilkaus einverstanden. Wolf Haas “Wackelkontakt“ und Christian Krachts „Air“ sind deutlich innovativer, sprachlich versierter und auch skurriller. Die Jury hat sich für einen politisches Roman entschieden, einen mit zwei weiblichen Protagonisten. Das liegt im Trend.
Kristine Bilkau
Halbinsel
Luchterhand Literaturverlag
224 Seiten
24,00 EUR