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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„A Land Within“ – Die Dresden Frankfurt Dance Company „rockt“ das Bockenheimer Depot

Liebe, Konflikt und Vergebung: Alles in Bewegung

Von Walter H. Krämer

Das Bockenheimer Depot ist immer wieder für eine Überraschung gut, wenn es darum geht, das Haus neu zu bespielen und zu nutzen. Diesmal sind es auch die Nebenräume, die für die Performances der Tänzer*innen genutzt werden. Während des Stücks kann sich das Publikum frei bewegen, viele Türen öffnen und in verschiedene Welten eintauchen.

,High Peaks‘ mit Emanuele Co’ und Emanuele Pira, Photo: Dominik Mentzos

“A Land Within” ist eine Wandelperformance. Das bedeutet, dass sich die Zuschauer*innen auf eigene Faust durch die Räume der Aufführung bewegen können. Entscheiden, welchen Weg sie einschlagen, ob sie den Hinweisschildern folgen und alle Räume besuchen wollen oder doch lieber in einem der Räume verharren.

Sollen die Zuschauer*innen den Wegweisern folgen?, Foto: Margarete Berghoff

In insgesamt sechs unterschiedlichen Räumen innerhalb des Bockenheimer Depots sind die Tänzer*innen mit sehr unterschiedlichen Situationen konfrontiert, die sie bewältigen müssen. Und auch für die Zuschauer*innen ergeben sich unterschiedliche Situationen. Es können Momente von Begegnung und Nähe mit den Tänzer*innen im Raum entstehen und gleichzeitig bekommen die unterschiedlichen Talente und Charaktere der Tänzer*innen Raum und werden für ein Publikum sicht- und hörbar.

Über der riesigen Tanzfläche im vorderen Teil des Depots schweben Emanuele Co’ und Emanuele Piras an Seilen – High Peaks – und leben ihren Traum vom Fliegen.

Der Glaskasten am Eingang ist angefüllt mit Nebel – Smokey Valley – und Ichiro Sugae füllt diesen Raum mit Tanz und Bewegung. Als Zuschauer*in erkennt man das nur schemenhaft und es kostet Überwindung, in diesen Raum einzutreten. Unabhängig davon, dass versichert wird, dass der künstlich erzeugte Nebel nicht die Gesundheit gefährdet. Allenfalls zu Hustenreiz führt.

In Cold Shore liegen  Noémie Larcheveque und Todd Baker  unter Fell begraben und schälen sich allmählich aus diesem Fell heraus, kommen sich näher und tanzen einen erotisch angehauchten Pas de deux mit akrobatischen Einlagen. Beeindruckend.

Daniel Myers und Audrey Dionis führen in Black Pit, einem dunklen schwarzen Kasten, der nur über steile Treppenstufen zu erreichen ist und einen Blick in die Tiefe gewährt, martialische Kämpfe, mit Geschrei und Donnern gegen die Wände, aus.

In Erratic Geyser tanzt und spricht und schreit Louella May Hogan in abwechselnd weißem und schwarzem Kostüm ihr Solo.

„A Land within“  von Ioannis Mandafounis, Photo: Dominik Mentzos

Thomas Bradley gestaltet in Drift Ice den Raum links vom Eingang mit tänzerischen Bewegungen und akrobatischen Wortkaskaden, wobei 20 % seiner Wortperformance aus der Feder des Philosophen Maxime Rovere stammen und somit fest vorgegeben, sind die restlichen 80% nach Aussagen des Tänzers seine freien Improvisationen über und zum Text.

Bei Rainbow Forest, normalerweise getanzt, gesprochen und gesungen von Cassandra Arnmark + Ido Toledano sprang Ionnis Mandofounis, wohl wegen Erkrankung des Tänzers, selbst ein und überraschte mit seinen gesanglichen und natürlich auch tänzerischen Qualitäten (in der Vorstellung am Sonntag, den 6.04.) Für mich eine der beeindruckensten Stationen, von der ich die Frage: Schmerz oder Liebe? mitnahm. Für welche Variante entscheide ich mich? Du Dich?

Marina Kladi, Ugne Irena Laurinaviciute und Solène Schnüriger tauchten als reisendes Trio immer mal wieder an vielen Orten und in vielen Räumen auf.

Thomas Bradley in DriftIce, Photo: Dominik Mentzos

Thematisch zieht sich durch die Arbeit das Denken des französischen Philosophen Maxime Rovere. Basierend auf seinem Buch über die Philosophie des Streits „Se vouloir du bien et se faire du mal” hat er für „A Land Within“ über Konflikt und Vergebung nachgedacht.

Nach ungefähr 45 Minuten hat das Wandeln durch die Räume ein Ende, alle beteiligten Tänzer*innen versammeln sich auf der Tanzfläche. Rennen, schreien, jubeln, tanzen. Dann plötzlich Black und Stille. Ein riesiger Vorhang fällt und eine Zuschauer*innen Tribüne wird sichtbar. Aufforderung an das Publikum, für den 2. Teil des Abends – Heartland – Platz zu nehmen. Auf jedem Sitz für zum Mit-nach-Hause-nehmen ein Din-A-4 -Blat mit Weisheiten des Philosophen Maxime Rovere.

Nastia Ivanova eröffnet mit einem Solo den Reigen, dann kommen nach und nach Sam Young-Wright und Yan Leiva hinzu. Später auch noch zwei tanzende Tische, die gelegentlich hart aufeinanderprallen.

Gedanken von Maxime Rovere zu Konflikt und Vergebung sind als Audioaufnahmen an mehreren Stellen Teil der Inszenierung zu hören, ziehen sich aber auch als roter Faden im Hintergrund durch die einzelnen Stationen. Es geht dabei nicht um abschließende Thesen, sondern vor allem um den Akt des Denkens, der etwas vorläufig umkreist, der sich trotz moderner Digitaltechnik nie ganz vom Körper ablösen lässt und der immer auch eine konkrete Person durchscheinen lässt.

Ausgangspunkt der Arbeit zu „A Land Within“ waren die drei Begriffe Liebe, Konflikt und Vergebung. Im Laufe des Prozesses hat sich das auf den Begriff Liebe reduziert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die beiden eingespielten Lieder – „Sometimes I Feel Like a Motherless Child“ und „Still wie die Nacht“ – beide gesungen von Ruby Elzy – den gesanglichen Abschluss bilden.

Still wie die Nacht
Tief wie das Meer
Soll deine Liebe sein

Still wie die Nacht
Und tief wie das Meer
Soll deine Liebe, deine Liebe, sein
Soll deine Liebe sein

Wenn du mich liebst,
So wie ich dich
Will ich dein Eigen sein

Heiß wie der Stahl
Und fest wie der Stein
Soll deine Liebe, deine Liebe, sein
Soll deine Liebe sein

Im digitalen Programmheft formuliert die Truppe ihren Anspruch so: „Wir sind ein zeitgenössisches Tanzensemble unter der künstlerischen Leitung von Ioannis Mandafounis. Wir entwickeln, präsentieren und vermitteln Tanz mit dem Wunsch, Menschen zusammenzubringen, zu inspirieren und für Tanz zu begeistern. Ob durch energiegeladene, inspirierende Aufführungen oder intime, ruhige Momente – Tanz hat die Kraft, die unterschiedlichsten Menschen zu verbinden.

Wir vereinen zeitgenössisches Denken und Tanztradition, indem wir experimentieren und traditionelle Vorstellungen von Choreografie überdenken und weiterentwickeln. Eine zentrale Grundlage der Arbeit des Ensembles ist die von Ioannis Mandafounis entwickelte Methodik. Diese ermöglicht es den Tänzer*innen, aus ihren Körpern, Bewegungen und Aktionen in jeder Aufführung und jedem Moment neu live auf der Bühne eine Choreografie zu kreieren.“

Nie wurde mir dieser Anspruch und die damit verbundene Methode deutlicher vor Augen geführt als in „A Land Within“. Ich konnte mich für diese Arbeit begeistern und war beeindruckt von der Energie der beteiligten Tänzer und Tänzerinnen und fand die beiden unterschiedlichen Perspektiven für mich als Zuschauer – einmal als Wanderer und einmal auf einem Stuhl sitzend – bereichernd.  Gleichwohl erschließt sich wohl keinem – schon gar nicht bei einem einmaligen Besuch – der ganze Reichtum der philosophischen Gedanken von Maxime Rovere. Doch was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen. Beim Lesen versteht man eventuell noch mehr von diesen tiefgründigen und doch alltagstauglichen Gedanken.

CHOREOGRAFIE:
Ioannis Mandafounis

TANZ:
Tänzer*innen der Dresden Frankfurt Dance Company

PHILOSOPH UND STIMME:
Maxime Rovere

CHOREOGRAFISCHE ASSISTENZ:
Pauline Huguet

DRAMATURGIE:
Philipp Scholtysik

BÜHNE UND LICHT:
Ioannis Mandafounis

KOSTÜME
Dorothee Merg

MUSIK

Brian Eno:
Music for Airports 2/2
Jean Sibelius: Valse Triste (op. 44)
Arca: Umbilical
Sometimes I Feel Like a Motherless Child (Interpretin: Ruby Elzy)
Carl Bohm: Still wie die Nacht (op. 326; Interpretin: Ruby Elzy)

Vorstellungen noch bis einschließlich 13.04. 2025 im Bockenheimer Depot

https://www.dfdc.de/

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