Bracha Lichtenberg Ettinger: „Engel des Fürtragens“ im K 21 in Düsseldorf
Erinnerung, Grauen, Trauer und Heilung?
Von Simone Hamm
Sie ist Psychoanalytikern und Philosophin: Bracha Lichtenberg Ettinger. Ihre Eltern überlebten den Holocaust, viele ihrer Verwandten starben. Diese Gewalt und die daraus resultierenden Traumata der Überlebenden sind die Wurzel von BRACHAS Kunst. BRACHA ist ihr Künstlername. Er bedeutet im Hebräischen Lobpreis und Segen. So hieß ihre Großmutter, die in Auschwitz starb. BRACHA stellt sich die Frage, wie es möglich sein konnte, dass Frauen und Kindern solche Gewalt angetan werden kann. Die Tatsache, so betont sie, kann sie nicht ändern, aber sie kann sie transformieren und ihr eine Bedeutung geben.
Bracha Lichtenberg Ettinger, Eurydice n.4, 1992-1994, Öl und Mischtechnik auf Papier auf Leinwand, 36,8 x 27 cm, Courtesy the Artist, © BRACHA
Die Autodidaktin BRACHA legte zunächst Fotografien und Buchseiten auf einen Kopierer, öffnete den Kopierer, bevor die Kopie fertig war. Diese halbfertige Kopie übermalte sie mit Tusche, Öl, Asche und Tonerpigmenten. Die Methode des Überarbeitens behielt sie bei. Manchmal bearbeitet sie ein Bild jahrelang, tupft Tusche, Farbpigmente und Asche auf die Leinwand oder einfach kleine, weiße Pünktchen.
Sie arbeitet mit historischen Fotos. Immer und immer wieder benutzt sie dieselben Fotos als Vorlage: eine Gruppe nackter Frauen und Kinder vor ihrer Exekution durch SS-Männer 1942 in der Ukraine. Luftaufnahmen von Palästina, aufgenommen von Militärpiloten des deutschen Heeres im Ersten Weltkrieg. Fotos von Familienmitgliedern im Ghetto von Lódz.
Bracha Lichtenberg Ettinger, Eurydice n.61, 2017-2022, Öl auf Leinwand, 30 x 30 cm, Courtesy the Artist, © BRACHA
Aufgerissene Münder, die an Munchs „Schrei“ erinnern. Große Augen. Blicke, die direkt in die Kamera hinein schauen. Fließende Figuren, vage Umrisse. Die vorherrschenden Farben sind rot, orange, blau, violett, zartes türkis und weiß. BRACHA verwischt die Farbe auf den Fotografien und zwangsläufig denkt man an Gerhard Richters „Birkenau“.
BRACHAs Werke sind weder figürlich noch abstrakt. Sie schweben, so wie die Farbpigmente über den Bildern schweben. Und etwas Ungewisses Flirrendes, Fließendes wohnt all’ den kleinformatigen Bildern, die in Düsseldorf ausgestellt sind, inne. Man muss sie schon genau betrachten, um jedes Detail zu erkennen, man muss versuchen, sie Schicht für Schicht freizulegen. Das haben die Künstlerin BRACHA und die Psychoanalytikerin Bracha Lichtenberg Ettinger gemein. Sie wollen einen Blick auf Verstecktes, Unbewusstes werfen. Dass dieses Unbewusste universell ist, geben die Titel wieder, die sie ihren Malereien gibt: Eurydice, Medusa, Pietà.
„Angel of Carrience – Engel des Fürtragens“ heißt die Ausstellung, bei der Frauenfiguren im Mittelpunkt stehen. So düster die Bilder auf den ersten Blick auch anmuten, wenn man genau hinguckt, ist da immer auch etwas, das Hoffnung gibt: Ein Kind wird geboren. Ein Engel schwebt über allem.
Ausstellungsansicht: Bracha Lichtenberg Ettinger, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 2025, Foto: Achim Kukulies
Auch ihr Skizzenbuch ist in der Schau zu sehen. Darin schrieb BRACHA am 20. Oktober 2023: „return the hostages! stop bombing Gaza! open the hearts“. BRACHA, die auch Friedensaktivistin ist, will keine Rache. Sie will das Leid sichtbar machen und sich damit auseinandersetzen. Ihr Herz, so schreibt sie, weine um jeden Toten. Jedes Leben sei kostbar.
Hoffnung macht auch, dass BRACHA wieder in Deutschland ausstellt. Das hatte sie bislang immer vermieden. Als sie sich dann dazu entschied, gab es nur eine Bedingung: sie wollte ihre Bilder in Düsseldorf zeigen, der Stadt, in der die Nazis Paul Klee von der Kunstakademie verwiesen hatten.
Die Ausstellung ist noch bis zum 31. August 2025 im K21 zu sehen.
DER KATALOG
Wer mehr erfahren will über BRACHA und deren Kunst, dem sei der hervorragende zweisprachige Katalog (deutsch und englisch) empfohlen:
Bracha Lichtenberg Ettinger:
Engel des Fürtragens /Angel of Carriance
143 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
und einem Essay der Künstlerin:
Distanz Verlag
29,90 Euro.