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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Rückblick auf die 75. Berlinale – Ausgezeichnete Filme

Ein Festival Starker Frauen (2)

von  Renate Feyerbacher

Der Gewinner mehrerer Preise bei der 75. Berlinale war Oslo Stories „Träume“ (Drømmer) des norwegischen Regisseurs Dag Johan Haugerud. Goldener Bär als Bester Film, FIPRESCI-Preis, (internationalen Filmkritiker- und Filmjournalisten-Vereinigung), Gilde-Filmpreis. Träume ist der letzte und von Kritikern als bester Teil einer Filmtrilogie des 60jährigen Filmemachers Haugerud, der Drehbücher und Romane schreibt und als Bibliothekar an der norwegischen Musikhochschule arbeitet, bewertet wurde.

Träume, Still:  Dag Johan Haugerud / © Fin-Serck Hansen

Teil 1 Sehnsucht (Sex 2024), gezeigt im letzten Jahr in der Sektion Panorama der Berlinale, ist die Geschichte zweier verheirateter Schornsteinfeger, die in monogamen heterosexuellen Beziehungen leben. In Teil 2 Liebe (Kjærlighet, Love 2024) trifft eine Ärztin auf einer Fähre nach einem Blind Date einem schwulen Krankenpfleger, der ihr seine Erfahrungen mitteilt. Sie ist von dem Gespräch angetan und denkt darüber nach, in wieweit auch sie gesellschaftliche Normen infrage stellen könnte. Der Beitrag lief beim Wettbewerb in Venedig.

Still aus: Träume / Ane Dahl Torp, Ella Øverbye, Anne Marit Jacobsen © Motlys

Träume (Drømmer, Dreams 2024) erzählt von der Schülerin, Johanne, die sich in eine Lehrerin verliebt. Diese akzeptiert den Kontakt, erwidert aber nicht die Gefühle von Johanne. Als sie ahnt, warum die Schülerin sie so oft besucht, bricht sie den privaten Kontakt ab. Johanne setzt die Begegnung mit der Lehrerin in ihrer Fantasie fort und schreibt schließlich ein Buch über ihre Gefühle, die in körperlichen Momenten münden. Hätte das in der Realität stattgefunden, wäre die Lehrerin vermutlich in Schwierigkeiten geraten.

Die 16jährige Johanne fand eine Lösung, ihre Gefühle zu steuern und wurde dadurch zur Schriftstellerin. Mutter und Oma lesen ihre aufgezeichneten Gedanken, die sie für sich schrieb. Eine Diskussion über Sexualität, Emanzipation, Feminismus und Selbstbestimmtheit beginnt, die von den drei Generations-Vertreterinnen unterschiedlich eingeschätzt wird. Ein Beweis für die Macht des Wortes. Der Film zeichne eine klare Beobachtung, eine kluge Kameraführung und eine perfekte Darstellung aus, so begründete Berlinale Jury-Präsident Todd Haynes die Auszeichnung. Ein umsichtiges Nachdenken über die Liebe.

Ab 17. April wird Liebe im Frankfurter Mal‘ Sehn Kino zu sehen sein.

Sehnsucht kommt am 22. Mai in die Kinos.

Kinostart für Träume ist für den 8. Mai geplant.

Film Kontinental‘25

Der bedeutende rumänische Regisseur Radu Jude, mehrfach ausgezeichnet, ist immer wieder Gast bei der Berlinale. Vor vier Jahren erhielt seine Politsatire Bad Luck Banging or Loony Porn (2021) über die politische Situation seines Landes den Goldenen Bären. Jetzt war sein Film Kontinental ’25 wieder ein Anwärter für den höchsten Preis. Er gewann ihn nicht, wohl aber die Auszeichnung für das Beste Drehbuch.

Radu Lupu war bereits öfters beim mittel- und osteuropäischen Filmfestival goEast (24.4.-30.4. 2025), dem er verbunden ist, in Wiesbaden. In diesem Jahr ist er verhindert.

Ein heruntergekommener, schimpfender Obdachloser sammelt den Dreck im Dino-Park der rumänischen Universitätsstadt Stadt Cluj-Napoca, ehemals Klausenburg / Siebenbürgen, Hauptstadt von Tanssilvanien, auf. Ganz obdachlos ist der Mann nicht. Er lebt in einem Kellerverschlag, den er nun aufgeben muss, aber nicht aufgeben will. Das Haus soll abgerissen werden und ein Neubau ist in Planung. Während die Gerichtsvollzieherin und die Gendarmen draußen sitzen und warten – der obdachlose Mann hatte sich noch zwanzig Minuten fürs Packen erbeten –, stranguliert dieser sich am Heizkörper.

Still: Kontinental ’25 / © Raluca Munteanu

Gerichtsvollzieherin Orsolya, überzeugend dargestellt von Schauspielerin Eszter Tompa, ist erschüttert. Tompa, geboren in Transilvanien, heute überall in der Welt zu Hause, ist ein künstlerisches und mehrsprachiges Multitalent.

Der Suizid des Obdachlosen überschattet das Leben der Beamtin Orsolya. Lange philosophisch geprägte Gespräche und Diskussionen bringen sie nicht weiter, weil niemand sie versteht. Sie sucht nach moralischer Unterstützung. Die Wohnungsnot, die postsozialistische Wirtschaft, der Nationalsozialismus, die politischen Auseinandersetzungen um Transilvanien, das mal ungarisch, mal rumänisch, mal deutsch war, spielen dabei eine Rolle. Ein spannendes Drehbuch.

 El mensaje

Der argentinisch-spanische Beitrag El mensaje (The message, Die Nachricht,) 2025 von Regisseur Iván Fund wurde auch zum Wettbewerb eingeladen und mit dem Silbernen Bären (Preis der Jury) ausgezeichnet. Das Mädchen Anika ist mit ihrer Großmutter und ihrem Partner in einem klapprigen Campingbus in den menschenleeren Weiten Argentiniens unterwegs. Anika Bootz, sie ist die Stieftochter des Regisseurs, ist Anika, die die außergewöhnliche Gabe hat, mit Tieren sprechen zu können. Tierbesitzer buchen Gespräche und bezahlen sie dafür. So können die Drei überleben. Der Druck auf das neunjährige Mädchen ist vor allem seitens der Großmutter manchmal groß, dennoch ist ihre Verbundenheit innig.

Still: El mensaje Anika Bastelli – © Iván Fund, Laura Mara Tablón, Gustavo Schiaffino / Rita Cine, Insomnia Film

Es sind lange Einstellungen, die der aus Venezuela stammende Filmemacher in diesem schwarz-weißen Road-Movie präsentiert. Man braucht Geduld und muss sich auf die außergewöhnliche, märchenhaft-realistische Geschichte einlassen, die schöne Momente hat. Berührend das Schlüsselerlebnis, als Anika ihrer, in der Psychiatrie lebenden Mutter begegnet. Die harte Realität, in dieser menschenleeren Gegend zu überleben, prägt sich ein. Anika hat gelernt, auch mit Menschen zu kommunizieren.

La Tour de Glace

Das Ensemble von La Tour de Glace (The Ice Tower, Der Eissturm , 2025 ) wurde für seine kreative Leistung von der Jury ausgezeichnet. Lucile Hadžihalilovic, die französische Regisseurin und Drehbuchautorin, hat das Märchen Die Schneekönigin von Hans Christian Andersen (1805-1875) im Blick, das in einer Lagerhalle verfilmt wird.

Die 15jährige Jeanne ist von dem Märchen begeistert, hat es einem anderen Mädchen im Waisenhaus vorgelesen. Jeanne flüchtet aus dem Waisenhaus in den Bergen und findet auf dem Weg nach Paris Zuflucht in eben in dieser Lagerhalle, die zum Filmstudio eingerichtet wurde. Ausgerechnet hier wird gerade ihr Lieblingsmärchen verfilmt. Jeanne ist fasziniert von Cristina, der Hauptdarstellerin, die die Schneekönigin darstellt. Diese nimmt sich des Mädchens an, das sogar zu ihrer Vertrauten wird und es auch ausnutzt. Reales und Fiktives verschmelzen in diesem Fantasiefilm.

Still: La Tour de Glace / © 3B-Davis-Sutor Kolonko-Arte-BR

Marion Cotilard, der französische Film- und Theaterstar, spielt die Doppelrolle. Die Kritiken sind geteilt: einig sind sie sich in der Begeisterung für Cottilards schauspielerische Leistung, sowie für Clara Pacini als Jeanne und für das gesamte Ensemble. Aber der Funke springt nicht über. „Faszinierend ist daran eigentlich nur, wie kunstvoll sich Leere verpacken lässt,“ so das Urteil in der Berliner Tageszeitung – TAZ.

Marion Cotilard war im Dezember in der Alten Oper. „Ein einmaliger Abend des HR-Sinfonieorchesters in der Alten Oper Frankfurt unter der Leitung seines Chefs Alain Altinoglu mit ausdrucksstarken Solisten, dem Wiener Singverein, dem Kinderchor der Oper Frankfurt und ausgezeichneten Sprechern.“

„Wie Marion Cotilard, die französische Schauspielerin, Oscar‘ Preisträgerin, ‚Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres‘, im Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher (Johanna auf dem Scheiterhaufen) des Schweizer Komponisten Arthur Honegger (1892-1955) Jeanne sprach und darstellte, war ungemein berührend,“ schrieb ich in FeuilletonFrankfurt.

Yunan

Den Spielfilm Yunan, in mehreren Ländern unter anderem in Deutschland produziert, wurde gedreht von dem in Deutschland lebenden Filmemacher, Drehbuchautor Ameer Fakher Eldin, der in Kiew als Sohn syrischer Eltern geboren wurde. Yunan wurde als arabischer Beitrag zum Wettbewerb eingeladen.

Der in Hamburg lebende Schriftsteller Munir leidet unter Atemnot. Der Arzt findet jedoch keine physische Ursache und rät ihm, eine Auszeit zu nehmen. Munir, der seine Heimat verlassen musste, leidet unter diesem Verlust. Seine an Demenz erkrankte Mutter wird er nie wiedersehen. Seine Krankheit ist äußerst psychosomatisch. Er verlässt Hamburg und schifft sich ein zur Hallig Langeneß in der Nordsee. Hier will er sich das Leben nehmen.

Still: Yunan / © 2025 Red Balloon Film, Productions Microclimat, Intramovies

Die Wirtin der einzigen Unterkunft auf der Hallig weist ihn fast schroff zurück, weil es kein Zimmer mehr gibt, ermöglicht ihm dann aber, woanders unterzukommen. Ihr gelingt es, dem traurigen Mann  ein Stück Lebensmut und Lebenswillen zurückzugeben. Weltstar Hanna Schygulla spielt die empathische Wirtin Valeska, die eine magische Kraft hat. Sie lässt Munir, beeindruckend gespielt vom libanesischen Schauspieler Georges Khabbaz, nicht aus den Augen. Sie weiß von seinem suizidalenVorhaben. Es sind nur kleine Aktionen, feine Gesten, die geschehen. Eine sehr sympathische Darstellung von Altersweisheit und Gelassenheit: „So viel Luft zum Atmen braucht man doch gar nicht“.  Sibel Kekilii erscheint Munir als traurige Frau in seinen Träumen aus der Heimat.

Großartige Kinobilder von der unbändigen Gewalt der Natur hat der Regisseur von der Hallig Langeneß, die immer wieder von Sturmfluten und Orkanen heimgesucht wird, eingebaut. Das Kommen und Gehen von Gezeiten wird hier zu einer Metapher für die Bewältigung von Krisenzeiten. Yunan ist ein persönlicher Film, der auch von der Stimmungslage seines Schöpfers geprägt ist.

Was Marielle weiß

Was Marielle weiß (What Marielle Knoes) ein Film des jungen, in Karlsruhe geborenen Frédéric Hambalek, war ein deutscher Beitrag beim Berlinale Wettbewerb. Unter anderem gefördert von HessenFilm. Ihm wurde nur eine lobende Erwähnung von Gilde Film Preis zuteil.

Still: Was Marielle weiß Julia Jentsch- Felix Kramer Alexander Griesser

Die schlimme Ohrfeige der Eltern (Julia Jentsch, Felix Kramer) löst bei dem Kind Marielle seltsam-wundersame, telepathische Kräfte aus. Nun bekommt sie alles mit, was im Leben der Eltern geschieht und gesagt wird. Eine dramatische Geschichte von Total-Überwachung. Freunde, die keine Kinder haben, waren vom experimentalen, grotesken Szenario angetan. Eltern wird dieser Beitrag zum Nachdenken bewegen.

Kinostart ist am 17. April

Mother‘s Baby und Zirkuskind

Der Wettbewerbsbeitrag Mother‘s Baby der Österreicherin Johanna Moder, (Regie und Buch), ebenfalls gefördert von HessenFilm, ist ein bedrückender Film. Großartig darin –  Marie Leuenberger, aber auch das gesamte Team. Doch ist der Film keine Empfehlung für Eltern, die sich zum Wunschkind entscheiden. Dirigentin Julia findet keine Bindung zu ihrem Neugeborenen. Ist es das Zeichen einer postmortalen Depression? Ihr Mann und andere sie Umgebende, auch Klinikpersonal, versuchen ihre ständigen Zweifel, dass es nicht ihr Kind sein könnte, zu nehmen . Ein packender Film zwischen Horror und Realität, aber auch sehr verunsichernd.

Still: Zirkuskind / Julia Lemke / Flare Film

 Zirkuskind (Circusboy),  2025 von Koproduzent Hessischer Rundfunk gefördert, wurde bei der Berlinale GenerationKplus belobigt. In ihrem Dokumentarfilm erzählen die Regisseurinnen Julia Lemke und Anna Koch vom Zirkusalltag des zwölfjährigen Jungen Saltino Frank und seinem Großvater. Gedreht wurde die Zirkus-Roadmovie mit der Familie Frank und dem Team des Zirkus Arena. Eine wichtige Dokumentation, die das schwierige, aber für die Zirkusfamilie zufriedene Umherziehen in Deutschland berichtet.

 

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