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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Shakespeares radikal gekürzter „König Lear“ am Düsseldorfer Schauspielhaus

Der alte König wird dement

von Simone Hamm

Der riesige schwarz-braun-goldene Thronsaal mutet an wie ein Chorgestühl in einer Kathedrale. Stufen führen zu Lears Thron. Etienne Pluss hat ein imposantes, fast bedrohliches Bühnenbild geschaffen. Eine Drehbühne: auf der einen Seite der Thronsaal, auf der anderen dessen rissige, verschmutze Mauern. Unrat davor, Kinderspielzeug, zusammengeknüllte Zeitungen, eine Mülltonne, aus der Flammen lodern. Hier irrt Lear umher, hier wird er wahnsinnig werden und sterben. Er hatte seinen beiden Töchtern Goneril und Regan sein Reich vermacht, sie haben ihn verjagt. Seine jüngste Tochter Cordelia, die ihm die liebste war, hat er verstoßen. Denn auf die Frage, wie sehr sie ihn liebe, hatte sie kühl und wahrhaftig geantwortet, nicht schmeichelnd wie ihre Schwestern. Sie wird ihm beistehen in seinen schlimmsten Stunden. Der edle Kent, der Lear hatte warnen wollen, wurde ebenso verbannt.

Friederike Wagner als Regan, Jenny Schily als Goneril, Foto: Thomas Rabsch

„König Lear“ ist nach „Macbeth“ und „Richard III“ der letzte Teil der Shakespeare-Trilogie von Evgeny Titovs  in Düsseldorf. Künftig will er Opern inszenieren und ja, das imposante Bühnenbild, die üppigen Kostüme, die weißgeschminkten Schwestern in riesigen Reifröcken mit ihren kahlen Köpfen, auf denen hohe Kopfbedeckungen wie übergroße Ohren prangend, der Intrigant Edmund in Lacklederhose, das hat viel Opernhaftes. Esther Bialas Kostüme sind phantasievoll, überbordend.

König Lear von William Shakespeare, hier:  Valentin Stückl, Foto: Thomas Rabsch

Für die Augen ist dieser Abend ein Hochgenuss. Die dunkle Musik von Moritz Wallmüller setzt Akzente.

Burghart Klaußner ist ein cholerischer, alter Mann, nicht weise, sondern von sich selbst eingenommen. Lear hält es für einen klugen Schachzug, sein Reich schon zu seinen Lebzeiten weiterzugeben, klebt aber irgendwie doch noch an der Macht. Klaußner verkörpert diesen schwachen, trotzigen König, der nicht loslassen kann, der schreit und greint und tobt und sich selbst bemitleidet. Einfach großartig.

Evgeni Titov will, so ist im Programmheft zu lesen, sich auf das Wesentliche konzentrieren, die Essenz von „Lear“ finden. Das ist für ihn der Kampf des Herrschers mit seinen rachsüchtigen Töchtern. Sein Lear ist ein Lear der Frauen. Weshalb er vielleicht neben den Schwestern, die sonst eigentlich nicht die Hauptfiguren sind (Jule Schuck als Cordelia, Jenny Schily als Goneril, Friederike Wagner als Regan) auch Kent (Manuela Alphons) und den Narren (Anne Müller) mit Schauspielerinnen besetzt. Es ist eine Freude, den Narren über die Bühne springen und hopsen zu sehen. Den Narren, der seine Worte nicht im Zaum hält, der ist, was er ist.

Zwei Männer bleiben: Lear und der falsche, eilte Edmund (Valentin Stückel), der Goneril und Regan den Hof macht, bis die eine die andere tötet und sich dann das Leben nimmt. In einer atemberaubenden Szene führt Edmund seinen nackten, muskulösen Körper regelrecht vor, schreitet zum Thron, blickt böse lächelnd in einen Handspiegel.

Allein, wer „Lear“ nicht kennt, der dürfte aus diesem Abend nicht schlau werden, denn Titov beschränkt sich fast ausschließlich auf Lears Familie. Die Parallelgeschichte vom Grafen Gloucester und seinen Söhnen hat er gestrichen. Nur der betrügerische Edmund darf bleiben, kommt aber irgendwie unvermittelt wie Kai aus der Kiste. Denn die Rolle seines Halbbruders Edgar (nach der des Lear die größte Rolle) und die des Vaters, des Grafen Gloucester, der auf die Lügen seins Sohnes Edmund hereinfällt und Edgar verstößt, hat Titov gestrichen.

So nimmt Titov Edmund die Tiefe. In seiner Inszenierung ist Edmund ein Lackaffe, der Macht will. Edmunds Rachsucht hat aber einen Grund. Sie rührt aber daher, dass er sich ein Leben lang gegenüber Edgar zurückgesetzt gefühlt hat. Seine Boshaftigkeit ist nicht annähernd so grauenvoll wie im Originaltext.

Bei Shakespeare sind es zwei Väter, die fatale Entscheidungen treffen, die ihre Kinder verstoßen – und doch werden diese Kinder ihnen vergeben.


Burghart Klaußner als Kin klar, Großartig!  Foto: Thomas Rabsch

Da Titov die Rolle des Edgar gestrichen hat, ist es hier Cordelia, nicht wie im bei Shakespeare Edgar, der sich als wahninniger Bettler Tom ausgibt, der Lear am Ende beisteht. Auch auf die politischen Krisen, Kriege geht Titov nicht ein. Sein „König Lear“ ist radikal privat. Er ist einfach ein alter, einst mächtiger  Mann, der in die Demenz abgleitet.

Das kann Titov natürlich so interpretieren. So wird aus einem komplizierten Drama ein kurzer und kurzweiliger 1 3/4 stündiger „König Lear“. Dazu trägt auch die moderne Übersetzung von Frank Günther bei. Dass es dennoch auch ein mitreißender Abend wird, ist dem Bühnenbild, den Kostümen und einem großartigen Burghart Klaußner zu verdanken.

König Lear wird am Düsseldorfer Schauspielhaus noch gezeigt am 9.4., 27.4. und 4.5.

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