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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Chimamanda Ngozi Adichie rockt die LitCologne

Chimamanda Superstar

von Simone Hamm

Chimamanda Ngozi Adichie wird in der Köln-Mülheimer Stadthalle gefeiert wie ein Popstar. Minutenlang brandet Applaus auf, als sie zusammen mit der Moderation Marie-Christine Knop und der Schauspielerin Anja Herden auf die Bühne kommt. Vor über zehn Jahren erschien Americanah, ein Buch über den ganz alltäglichen Rassismus in den USA – auch unter den Intellektuellen der Ostküste, Americanah war Adichies weltweiter Durchbruch. Jetzt stellte sie in Köln auf der LitCologne ihren neuen Roman Dream Count vor.

Chimamanda Ngozi Adichie, Foto: Katja Tauber

Marie-Christine Knop beginnt mit einem schnellen Frage-, und Antwort Spiel: Wenn sie sich entscheiden müsse zwischen Fiktion und Sachbuch ? Dann würde Adichie sich für Fiktion entscheiden. Hierin könne sie radikal ehrlich sein. Wie das sei, wenn sie im Schreibflow sei? Dann vergesse sie alles um sich herum, auch zu essen und zu duschen. Nein, das habe sie nicht sagen wollen. In Nigeria wurde man sie nämlich sann für unhygienisch halten. Dort dusche man zweimal am Tag.

Ob sie zufrieden sei mit dem englischen Titel der deutschen Ausgabe: Dream Count? Sie schätze ihre Verleger sehr, aber manchmal hätten sie halt merkwürdige Einfälle.

Was schwieriger sei, der erste oder der letzte Satz. Der erste. Der letzte käme ganz automatisch, wenn das Buch zu Ende sei. Dann sei er eben da. Den ersten Satz in Dream Count hatte sie lange, lange im Kopf: „Ich habe ich immer danach gesehnt, von anderen Menschen erkannt zu werden, wirklich erkannt.“ Und genau das ist das Thema des Buches. Es geht um Freundschaft, Vertrauen, Erkenntnis. Inwieweit kann ein Mensch einen anderen erkennen?

Über Frauen wolle sie schreiben, radikal und ehrlich, und auch das erzählen, was allzuoft ungesagt bliebe. Wie sich etwa die Periode auf das Befinden von Frauen auswirke, wie schmerzhaft eine Geburt sei. Das werde viel zu selten dargestellt.

Cover von Dream Count, S. Fischer

Dream Count handelt von vier Frauen aus Nigeria und Guinea, die in Amerika leben oder zwischen Nigeria und Washington hin und her pendeln. Der 528-seitige Roman lässt sich leicht lesen. Viel, allzuviel Raum aber nehmen die Betrachtungen dreier Frauen über Männer ein (die vierte und interessanteste der Frauen, Katiatou, hat dafür zu wenig Zeit).

Anja Herden liest jeweils eine Passage über eine der Frauen. Chimamanda Ngozi Adichie ist – wie auch das Publikum  – so begeistert von ihrer ruhigen, unaufgeregten und doch eindringlichen Lesung, dass sie meint, sie werde gleich anfangen zu weinen, wenn Anja Herden weiterlese.

Chiamaka ist ein nigerianische Reiseschriftstellerin aus reichem Hause, die an all die Männer denkt, die sie ein Stück weit in ihrem Leben begleitet haben. Es ist unglaublich, wie klein sich diese wunderbare Frau macht, um einem Mann zu gefallen. Wie sie auch noch in der die herbsten Zurückweisung eine versteckte Zuneigung erkennen möchte.

Zikora ist Anwältin und alleinerziehende Mutter aus Washington D.C. Der Vater des Kindes hat sich aus dem Staub gemacht. Da hat alles Flehen nichts genutzt.

Omelogor ist wohlhabende Bankerin, die den Banken lange geholfen hat, das Geld ihrer korrupten Kunden zu waschen. Dann beginnt sie, Geld von eben diesen Kunden zu stehlen – denn wehren können sie sich nicht – um es unter den Armen zu verteilen, um Projekte schwarzer Frauen zu unterstützen. Männer erregen sie kurz und schnell, keine Beziehung dauert lange.

Katiatou ist Chias Hausangestellte, Mutter einer Tochter. Sie arbeitet auch in einem Hotel. Dort fällt ein Gast über sie her. Das Zimmermädchen klagt den Vergewaltiger an. Sie hat zunächst nicht gewusst, dass es sich um einen der mächtigsten Männer der Welt handelt. Das Verfahren wird eingestellt.

Bei ihrer Einbürgerung hat sie gelogen. Die Presse macht sie nieder. Vorbild für Katiatou ist Nafissatou Diallo, die von Dominique Strauss Kahn, dem damaligen Chef des Internationalen Währungsfonds, der sexuellen Nötigung angeklagt wurde. Frauen, so Adichie  müssten einfach perfekt sein, damit ihnen geglaubt werde.

Man könne jede ihrer Figuren kritisieren, nicht aber Katiatou, fügt sie streng hinzu.

Und tatsächlich ist Katiatou die Frau, deren Geschichte am meisten bewegt. Von den vier Protagonisten ist sie diejenige, die Adichie am Genauesten, am Einfühlsamsten beschreibt: Von Katiatous Leben als Kind in einem kleinen Dorf, vom Tod der geliebten, freiheitsliebenden Schwester, von ihren Träumen mit dem Mann, in den sie sich verliebt hat, um für ein besseres Lebennach nach Amerika zu gehen. Auch in ihrer Heimat Guinea ist sie schon einmal vergewaltigt worden. Aber dort wäre es eine noch schlechtere Idee gewesen, den Vergewaltiger zur Rechenschaft zu ziehen. Es wäre nur auf sie zurückfallen.

Bei solchen Männern wundert es doch, dass Chimamanda Ngozi Adichie die Moderatorin Marie Christine Knop unterbricht, als diese von toxischen Männern sprichst. „Nein“, meint Adichie, „Sie sind nicht toxisch, sie sind eben Männer“.

Auch von Trauer und Tod spricht Adichie an diesem Abend. Erst hat sie den Vater verloren, als kurz darauf, am 1. März 2021, dem Geburtstag des Vaters, ihre Mutter stirbt. Über ihre Trauer, über den Tod des Vaters, hat sie ein Essay geschrieben: „Trauer ist das Glück, geliebt zu haben“. (Deutsch bei S. Fischer, übersetzt von Annette Grube, als Taschenbuch 12 €).

Ihrer Mutter Grace Ifeoma Adichie hat sie Dream Count gewidmet.

Chimamanda Ngozi Adichie
Dream Count
Übersetzt von Jan Schönherr und Asal Dardan.
S. Fischer. 528 S. 28 €.

 

Chimamanda Ngozi Adichie
 Trauer ist das Glück, geliebt zu haben.
Übersetzt von Annette Grube.
S. Fischer
80 S. Taschenbuch. 12

 

 

 

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