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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

 „Le Postillon de Lonjumeau“ von Adolphe Adam in der Oper Frankfurt

Trickreich lässt sie den untreuen Ehemann zappeln

von  Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt

Der französische Komponist Adolphe Adam (1803-1856), Sohn eines Komponisten und Klaviervirtuosen begann früh zu komponieren zum Beispiel „Vaudevilles“. Das sind freche, volkstümliche, typisch französische Stücke. Sie waren die Vorläufer der opéra comique, deren Meister Adam wurde. Mit Le Postillon de Lonjumeau, uraufgeführt 1836 in Paris, kam der Durchbruch als Komponist, der sehr beliebt war. Lonjumeau liegt 20 Kilometer südlich von Paris. Bereits ein Jahr nach der Uraufführung wurde der Postillon in vielen Städten aufgeführt, so auch in Frankfurt. Und nun 188 Jahre später hatte das Spektakel, eine Übernahme der Produktion der Tiroler Festspiele Erl (Ende 2021) am Karnevalssonntag an der Oper Frankfurt, Premiere. Das Publikum war hingerissen von der witzigen Regie, dem ausgefallenen Bühnenbild und dem brillanten Sängerteam.

Hochzeitsfest in der Bildmitte Francesco Demuro (Chapelou) und Monika Buczkowska-Ward (Madeleine) sowie Ensemble und Chor der Oper Frankfurt

Der Komponist, Kompositionsprofessor am Pariser Konservatorium, geriet in Vergessenheit. 72 Opern, Operetten, Vaudevilles und 12 Ballettmusiken hat er geschrieben: Giselle und Le Corsaire waren und sind auch heute noch beliebt. Nach dem2. Weltkrieg gab es mehrere Schallplattenaufnahmen vom Postillon – so mit dem berühmten Tenor Nikolai Gedda (1925-2017). Übrigens der Narhalla-Marsch zu Fastnacht hat seinen Ursprung bei Adolphe Adam.

Madeleine und Postillion Chapelou haben ihre Hochzeit üppig gefeiert. Bevor der frisch Vermählte zur Liebesnacht forteilen kann, wollen die Gäste, dass er das Lied vom Postillon, dem Kutscher einer Postkutsche, singt „Mes amis écoutez l’histoire d‘un jeune et galant postillon“. Die Arie machte die opéra berühmt. Zufällig hört ihn der Pariser Theaterdirektor Marquis de Corcy, der auf Befehl des Königs verzweifelt überall nach Ersatz für einen erkrankten Sänger in Paris sucht. Wegen einer Reifenpanne ist er in Lonjumeau gelandet. Er ist begeistert von Chapelous Tenorstimme, der die Arie bis zum hohen D meistert. Der Marquis prophezeit Chapelou eine große Karriere in Paris und drängt ihn, ihm nach Paris zu folgen. Zunächst lehnt Chapelou ab, macht sich dann aber mit dem adeligen Theaterdirektor aus dem Staub. Bijou, der Schmied, hat alles mitbekommen, berichtet der fassungslosen Madeleine von der Abreise ihres Ehemannes und macht sich auch nach Paris auf.

Unter dem Namen Saint-Phar avanciert Chapelou zum ersten Sänger an der königlichen Oper. Bijou heißt nun Alcindor und wurde erster Chorsänger. Madeleine, die nichts mehr vom Ehemann gehört hatte, wurde durch das Erbe ihrer Tante reich und stieg als Madame de Latour gesellschaftlich auf und hat natürlich Lonjumeau verlassen. Jetzt scharwenzelt der Marquis, der für sie ein Intermezzo komponierte, um sie herum. Madeleine ist das zuwider. In dem Sänger-Star, der zum Sängerstreik aufrief, erkennt sie ihren Mann. Der Streik wird abgesagt, als er der angebeteten Dame, Mäzenin des Abends, gegenübersteht und sofort von Zuneigung spricht. Den Heiratsantrag von Madame de Latour alias Madeleine nimmt er beglückt an. Unruhe entsteht allerdings, als ein Brief seiner rechtmäßigen Ehefrau Madeleine Birotteau auftaucht.

Heiratsvertrag auf der Bühne; in der Bildmitte Monika Buczkowska-Ward (Madame de Latour; mit hoher Perücke) und rechts davon Francesco Demuro (Saint-Phar) sowie Ensemble und Chor der Oper Frankfurt; rechts außen Jarrett Porter (Marquis de Corcy)

Es wird sehr turbulent im zweiten und dritten Akt: geplant die Trauung mit Saint-Phar durch einen falschen Priester, dann aber ist es ein echter Priester, Bigamie-Vorwurf, darauf steht die Todesstrafe, Verhaftung von Chapelou – Arie in Panik „pendu, pendu“  – „gehängt, gehängt“.

Ausgerechnet König Louis XV., der mehrere Mätressen hatte, wäre befugt das Urteil zu sprechen.

Madeleine gibt sich zu erkennen und offenbart, dass sie ihren Mann genarrt hat, aber noch liebt. Einem Neubeginn als Ehepaar steht nichts mehr im Weg, da Chapelou verspricht, treu zu sein. Mal schaun.

Das Bühnenbild und die Kostüme, die Kaspar Glarner entwarf, sind eine Wucht. Seine Kunst kann derzeit auch noch im Singspiel Doktor und Apotheker bewundert werden.

Auf mehreren Spielebenen wird agiert: ganz vorne ein Cembalo, in dem man sich sogar verstecken kann, dann hoch die eigentliche prächtige Theaterbühne – Theater im Theater –, an deren Ende das Bayreuther Festspielhaus zu erahnen ist, und alles ist drehbar.

Richard Wagner (1812-1883) soll, wenn er nicht schlafen konnte, die berühmte Arie des Postillon gesummt haben, so seine Frau Cosima. Und es gibt auch wagnerische Töne aus dem Lohengrin nebst Schwan, der vorbeigleitet. Glarners üppige Kostüm-Entwürfe für den Postillon wurden von den Werkstätten der Tiroler Festspiele Erl prächtig umgesetzt. Das Licht-Design von Jakob Bogensperger gibt den seidenen Roben, den Fräcken, den Reifröcken, den opulenten Perücken als Turmfrisuren noch einen besonderen Glanz.

Regisseur Hans Walter Richter lässt die Geschichte im Spätbarock, der Herrschaft von Louis XV. (1710-1774), spielen – einer Zeit geprägt von fortschrittlicher Entwicklung von Bühnentechnik und Bühnenaufbau, politisch von Despotismus.

Für ihn geht es in der opéra vor allem um Liebe, Vertrauen und Ehrlichkeit bei Madeleine und Chapelou, aber auch um Liebschaften und Liebesversuche von anderen. Komponist Adolphe Adam war begeistert vom Theater und kannte den Theateralltag, den er mit viel Humor und Witz auf die Schippe nimmt. Diese Konstellation Theater im Theater schwappt herrlich zum Publikum rüber. Alle fühlen sich einbezogen. Regisseur Richter, der mit Dramaturgin Mareike Wink den französischen Text überarbeitete, hat die Tiefe und Vielschichtigkeit der Figuren trotz gelegentlich klamaukiger Turbulenzen nicht aus dem Auge verloren. Madeleine ist die „Reflektiertere und Lebensklügere“, Chapelou ein Filou, hat was von einem Gauner, ist selbstverliebt, egoistisch.

Aussprache – Monika Buczkowska-Ward (Madame de Latour) und Francesco Demuro (Saint-Phar)

Francesco Demuro ist eine Idealbesetzung der Rolle. Das hohe D schafft er mit Leichtigkeit, ansonsten ausgewogene Mittellage und begeistert durch seine unglaubliche Spielfreude.

Ensemblemitglied Monika Buczkowska-Ward als Madeleine alias Madame de Latour kann diesem Typ Parolie bieten stimmlich wie darstellerisch. Meisterhaft die Koloraturen der in Polen geborenen Sopranistin. Die Rolle wird in anderen Vorstellungen auch von Ava Dodd gesungen.

Schmied Bijou alias erster Chorsänger Alcindor wird von Bassbariton Joel Allison umwerfend witzig interpretiert. Der Sänger, international unterwegs, ist Ensemblemitglied der Deutschen Berlin und gibt sein Debüt an der Oper Frankfurt. Barnaby Rea übernimmt die Rolle gelegentlich.

Ensemblemitglied Jarrett Porter imponiert als eleganter Marquis de Corcy. Ein Intrigant par exellance, mit melancholischen Momenten. Morgan-Andrew King, Mitglied im Frankfurter Opernstudio, mischt sich als Chapelous Kumpane Bourdon gekonnt ein. Wolfgang Gerold mimt König Ludwig XV.

Choreograf Gabriel Wanka dient als Rose Madame de Latour und erfreut mit Tanz und Spagat und hat auch den Chor, Einstudierung Álvaro Corral Matute, wirkungsreich mobilisiert.

Dirigent Beomseok Yi studierte in seiner Heimatstadt Seoul zunächst Geschichte und Archäologie, dann begann er ein Dirigierstudium, das ihn nach Graz führte, wo er neben seinen Konzertauftritten seit 2022 als Dozent unterrichtet. Flott leitete er das wieder vorzügliche Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Er wechselt sich ab mit Takeshi Moriuchi, der seit fünf Jahren an der Oper Frankfurt engagiert ist.

Schlussapplaus, Foto: Renate Feyerbacher

Das prächtige Rokokofest Le Postillon de Lonjumeau wird aufgeführt am 21., 23. (mit Kinderbetreuung), 29. März, am 4., 6. und 12. April.

Der Trailer lockt zum Besuch.

Online-Tickets: oper-frankfurt.de/tickets

Telefonischer Verkauf: 069 / 212-49494

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