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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Monteverdis Marienvesper mit Philippe Herreweghe und dem Collegium Vocale Gent in der Alten Oper

Zwischen gregorianischer Kirchenmusik und frühbarock-sinnlicher Marienverehrung

Von Petra Kammann

Die „Marienvesper“, das sakrale wie auch kühne Meisterstück aus dem 17. Jahrhundert, das Monteverdi 1610 kurz nach seiner Oper L’Orfeo komponierte, wird nur sehr selten aufgeführt. In der Alten Oper war es jetzt bei den Frankfurter Bachkonzerten zu erleben. Die komplexe Vesper (ein kirchliches Abendlob) mit ihrer üppigen Polyphonie im Renaissancestil, der konzertanten Mehrchörigkeit, den begleiteten Monodien, den barockhaft expressiv solistischen Passagen und dem concertato-Stil: sie alle greifen darin wirkungsvoll ineinander. Das zu koordinieren, setzt jedoch eine hohe Könnerschaft voraus. Das geheimnisvolle, bisweilen auch rhythmisch vertrackte musikalische Werk hat den Genter Altmeister der historischen Aufführungspraxis Philippe Herreweghe schon seit langem begleitet. Bereits zweimal hat er mit seinen Ensembles diesen musikalischen Kosmos in gelobten Einspielungen dargeboten. Knapp vier Jahrzehnte nach seiner ersten Aufnahme überzeugte er mit seinen Genter Musikern und dem mit ihm organisch gewachsenen Collegium Vocale Gent und der Schola Gregoriana abermals und brachte ein fluoriziernd-transparentes Klanggewebe zum Klingen. Das Publikum dankte es ihm mit nicht enden wollendem Applaus.

Philippe Herreweghe, Altmeister der Historischen Aufführungspraxis, Foto: Stephan Vanfleteren

In der „Marienvesper“ („Vespro della Beata Vergine“), dem Gesang zum Lobe der Muttergottes, spielt für den italienischen Komponisten Monteverdi der Text zunächst einmal die Hauptrolle. Er soll den Reichtum menschlicher Emotionen in Musik verwandeln. Mit seiner, von der lateinischen Liturgie abweichenden Überzeugung, Texte musikalisch zu dramatisieren und Spielraum für Improvisationen und Besetzungen zu lassen, gilt Monteverdi zwar als der „erste moderne Komponist“, wurde in seiner Zeit dafür aber auch scharf kritisiert, von Musikkritikern wie von Kirchenverantwortlichen. Um dem zuvorzukommen, hatte der schlecht bezahlte, selbstbewusste Kapellmeister und Komponist aus Mantua die Vesper ausdrücklich Papst Paul V. gewidmet.

Seine Partituren lassen im wahrsten Wortsinn viel Spielraum, sind daher durchaus individuell umzusetzen, wie Christian Kabitz in seiner Konzerteinführung betonte. Das stellt häufig die Interpreten und Interpretinnen vor große Herausforderungen, gewährt ihnen gleichzeitig aber auch große Freiheiten, die sie bei der konzertanten Frankfurter Aufführung souverän wahrnahmen. Neben den gebetsmühlenartigen zwischengeschalteten gregorianischen Antiphonen und den ausgewogen erhabenen Renaissance-Polyphonien entwickelte der Komponist eine farbenreiche sinnlich-barocke musikalische Sprache. Denn gerade erst war seine erfolgreiche Oper „L’Orfeo“ in der Welt.  Zur Oper fühlte sich der Komponist eigentlich hingezogen und sie zu komponieren auch berufen.

Die Sopranistin Hannah Morisson, Foto: Petra Kammann

So wurde aus seiner Marienvesper eine vielfarbiges Kompositum vokaler Konzerte, die ihren stark sinnlichen Charakter bisweilen nur mühsam hinter der Fassade geistlicher Musik verbergen kann. Bunt gemischt sind daher in diesem musikalischen Kosmos die unterschiedlichen Genres, die Herrewghe jedoch nicht straff und dominant dirigierte. Vielmehr öffnete er den Bühnenraum für ein Bäumchen-Wechsele-Dich-Spiel der einzelnen Solisten, die dadurch sicht- und hörbar wurden. Und das nicht nur, weil sie sich auch frei auf der Bühne bewegten – so etwa im geheimnisvollen Echogesang des „Audi coelum“, wo die Stimmen von Solotenor Benedict Hymas und vom kräftigen Bariton Johannes Kammler aus den verschiedenen Ecken auf und neben der der Bühne in verschiedenen Lautstärken ertönten. Der Platzwechsel der solistischen Musiker hatte durchaus auch funktionale Gründe, so, wenn die Sopranistin Barbora Kabátková den hinteren Raum der Bühne erweiterte, wo sie die Schola Gregoriana leitete und Herreweghe sich als Dirigent zurücknahm.

Herausragend die Qualität der Violinistin Eva Saladin, Foto: Petra Kammann

Das innovative Monteverdis, das ihn als Opernkomponist charakterisiert, fand Niederschlag in einzelnen Arien wie im „Nigra sum“ oder in der vom Hohen Lied Salomons inspirierten Psalmvertonung „Pulcra es, amica mea“/“Schön bist Du meine Freundin“, oder im hymnischen Gesang von „Ave Maria Stellis“ /„Heilige Maria bitte für uns“. Geradezu berückend klang auch das „Laudete pueri“  /„Lobet die Knechte des Herrn“, wo sich die Stimmen bisweilen ineinander verschlangen. So machte der Platzwechsel der Solisten auch auf die jeweilige Akzentuierung innerhalb der Komposition aufmerksam. Und all diese Bewegungen auf der Bühne waren nicht allein auf den Dirigenten konzentriert.

Natürlich wurden die individuellen solistischen Instrumentalisten auf diese Weise sehr viel wahrnehmbarer, wie etwa die erste Geigerin Eva Saladin, oder die beiden herausragenden Theorbe-Spieler Jonas Nordberg und Johannes Ötzbrugger. In den Concerti entwickelte sich aus dem Spiel der zwei Theorben, den langen, heute nicht mehr so vertrauten Renaissance-Lauten, im „Duo Seraphim“ – zwei Engel, die sich gegenseitig das Lob Gottes zurufen –  setzt eine dritte Stimme ein, um die Dreifaltigkeit zu versinnbildlichen. Mit der symbolischen Betonung der Dreifaltigkeit aus „Pater Verbum et Spiritus Sanctus“ / „Der Vater, das Wort und der Heilige Geist“ stoßen wir wieder auf die besondere, von Herreweghe so geschätzte Betonung des Wortes in Monteverdis Oeuvre.

Jonas Nordberg und Johannes Ötzbrugger spielten hervorragend die authentische Theorbe, hier mit Herreweghe, Foto: Petra Kammann 

In der Frankfurter Aufführung strahlten die Chöre den Geist erhabener Renaissance-Polyphonie aus und ließen über allem die Ewigkeitsmusik des frühmittelalterlichen gregorianischen Chorals schweben. Der wiederum sorgte am Ende auch für den Zusammenhalt der so gegensätzlichen Elemente der Komposition. Die historische Aufführungspraxis, die Herreweghe von seinem Lehrmeister Nikolaus Harnoncourt übernommen hatte, mit ihrer völlig anderen Phrasierung, Artikulation, Dynamik und dem Einsatz historisch authentischer Instrumente, vermittelt einem das Gefühl einer anderen Zeitepoche. Gleichwohl kann man Vergleiche zur Gegenwart ziehen, wenn auch die Frage der Religionsbindung heutzutage inzwischen eher durch Ideologien ersetzt wurde. Es ist die Musik, die zählt.

Philippe Herreweghe und das 1970 von ihm gegründete Collegium Vocale Gent erwiesen sich nicht zum ersten Mal als herausragende Monteverdi-Kenner und -Interpreten. Sie beherrschen die ganze Palette und ziehen alle Register des authentischen Klangs: von gehaucht, durchsichtig und zurückgenommen bis hin zu kräftig tönend und auffordernd. Die große Erfahrung langjähriger Zusammenarbeit, welche die Musiker miteinander verbindet, lässt sie auch konträrste musikalische Passagen nicht nur überwinden, sondern geradezu selbstverständlich erscheinen.

Die acht Solisten des Orchesters des Collegium Vocale Gent mit dem Dirigenten, Foto: Petra Kammann

Durchdringend strahlt zum Schluss das überschwängliche „Magnificat“ und hinterlässt ein zurecht begeistertes Publikum.

Die Solisten

Hannah Morrison, Sopran
Barbora Kabátková, Sopran
Benedict Hymas, Alt
William Knight, Alt
Samuel Boden, Tenor
Guy Cutting, Tenor
Johannes Kammler, Bass
Jimmy Holliday, Bass

Collegium Vocale Gent

Leitung:

Philippe Herreweghe

Der Zutritt zur Konzerteinführung durch Christian Kabitz im Albert-Mangelsdorf-Foyer galt und gilt ausschließlich für Mitglieder und Abonnenten der Frankfurter Bachkonzerte e. V., für die Abonnenten der Bachreihe sowie für die FREUNDE der Alten Oper.

 

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