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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Move and Make“- Die erste Wechselausstellung mit den bewegenden Bildern von Helen Frankenthaler im Museum Reinhard Ernst

Explosive Landschaften der agilen Queen of Coulors

Von Petra Kammann

Die Ausstellung „Helen Frankenthaler: Move and Make“ im Museum Reinhard Ernst (mre) gibt erstmals mit 32 Werken aus fünf Schaffensjahrzehnten einen umfassenden Einblick in die weltweit größte private Frankenthaler-Sammlung mit insgesamt 50 Arbeiten. Sie zeigt, wie die Künstlerin mit ihrer Malerei in den frühen 1950er Jahren die Konventionen ihrer Zeit herausforderte und sich selbst stetig weiterentwickelte. Ihren Willen zur Erneuerung und ihr schöpferisches Selbstverständnis erklärte sie dann Anfang der 1970er Jahre auch in verdichteter Form. Ihr Ausspruch „Ich denke lieber, bewege und mache, als stehen zu bleiben“ / „‘I’d rather think and move and make than halt’“ verleiht der am Sonntag, den 16. März, in Wiesbaden beginnenden Schau sowohl den Titel als auch den Schwerpunkt. Ein in verschiedener Hinsicht folgenreicher „Move“. Die ausgestellten Arbeiten von Helen Frankenthaler (1928–2011) umspannen die Periode von 1950–1989.

Ausstellungsansicht: Kerstin Ludolph, die Verlegerin des Katalogs (Hirmer Verlag), beim Abgleich mit dem Original von ,Spanning‘, Foto: Petra Kammann

Die Malerei hatte seit der Renaissance vor allem die Funktion, die Wirklichkeit abzubilden. Nachdem aber im 19. Jahrhundert die Fotografie erfunden wurde, verlor sie zunächst an Bedeutung. Umso interessanter wurde seither der Prozess des Malens selbst. Angefangen hatte dieses, sich ständig entwickelnde Experiment bereits bei den Impressionisten, die begannen, das flirrende Licht in unkonturierte Farbtupfer zu verwandeln und stattdessen einen subjektiven Eindruck der äußeren Wirklichkeit wiederzugeben, während es die Expressionisten unter dem Eindruck des Schreckens von Krieg und der damit verbundenen Katastrophen vielmehr reizte, das, was uns im Innersten bewegt, nicht etwa farbgetreu der Wirklichkeit entsprechend wiederzugeben, sondern oft aufrüttelnd kontrastreich bunt, bisweilen schrill, symbolisch und emotional.

Und dann steht plötzlich die Frage im Raum, ob eine Leinwand in ihrer Begrenztheit des Formats überhaupt ausreichen würde, um das zu vermitteln, was uns umtreibt und bewegt. Die Farbe selbst wird zum Neuland, jedenfalls für die 1928 geborene Amerikanerin Helen Frankenthaler, die kurzerhand kübelweise verdünnte Acrylfarbe auf ein am Boden ihres Ateliers liegendes Tuch kippte, um dem Lauf der Farbe zu verfolgen, den Zufall aufzugreifen und ihn zu gestalten – bisweilen linear, bisweilen flächig oder beides zusammen. Ein großaufgezogenes Foto zeigt sie 1969 in Aktion in ihrem New Yorker Atelier an der Ecke East der 83rd Street., auf dem man sieht, Wie plötzlich die Leinwand, der Stoff selbst, zum Experimentierfeld, wird, dessen Grenzen sie sprengt. Stehend, knieend, hockend betanzt und bemalt sie förmlich das riesige Stück Tuch. So bricht Helen Frankenthaler vollends mit der Tradition der Malerei, um zum aktiven Teil ihres Schöpfungsprozesses zu gelangen und etwas sinnlich Raumsprengendes zu schaffen. Ihre so entstanden Gemälde erzeugen den Eindruck, als ob die Farbe mit der Leinwand verschmelzen würde.

Kuratorin Lea Schäfer bei der Erläuterung von „Beach Horse“, Foto: Petra Kammann 

Frankenthaler macht es dem Gemälde „Beach Horse“ von 1959 auf einem Querformat mit abgeschrägter linker Seite geradezu programmatisch sichtbar. Da beschneidet sie das Rechteck eines „normalen“ horizontal angelegten viereckigen Bildes, isoliert daraus ein dreieckiges Feld, das die stoffliche Struktur der Leinwand zeigt, stellt demgegenüber eine abgegrenzte weiß grundierte Fläche in ein Rechteck. Und auf dem weiteren Zweidrittel des Gemäldes imaginiert sie die farbige Bewegung eines Pferdes am Strand und kann hier ihre malerische Virtuosität entfalten.

Blick in den unteren Ausstellungsraum: Dokumentarisches aus dem Atelier und Gemaltes, Foto: Petra Kammann

In der New Yorker Kunstszene der 1950er Jahre hatte sich die damals 23-Jährige Helen mit ihrer Erfindung der Soak-Stain-Technik (Tränken und Einfärben) durchgesetzt. Da ließ sie die verdünnte Farbe in die unbehandelten Leinwandbahnen einsickern, rollte die Leinwand auf dem Boden aus und verteilte die Farbe mit Schwämmen und Bürsten auf der Oberfläche, rakelte, ähnlich wie es periodenweise auch Gerhard Richter kurz zuvor getan hatte. „Dabei erklärt sie die Farbe regelrecht zur schöpferischen Komplizin“, sagt mre-Museumsleiter Oliver Kornhoff.  

Auf diese Weise schuf sie Kompositionen, indem sie das Verhältnis von Farbe, Form und Raum neu auslotete und gleichzeitig immer auch die Grenzen bewusst machte. Auch drehte sie souverän einfach die Bildformate um und veränderte damit die zunächst horizontal angelegte Landschafts- bzw. Meereskompositionen (mountains and seas) zum Vertikalen hin, so dass aus einer imaginierten Landschaft schnell auch mal ein aufrechter Turm wurde wie auf dem Gemälde „Sea Level“ von 1976, das auch den informativen Ausstellungskatalog aus dem Hirmer Verlag als Coverbild ziert.

2003 resümiert Helen Frankenthaler ihre eigene Arbeitsweise so: „Es gibt kein ‚immer‘. Keine Formel. Es gibt keine Regeln. Lass das Bild dich dorthin führen, wo es hingehen muss.“ Ihr Credo: Verharre nicht in der Starre: „Move and Make“, wie es treffend im Titel der Schau heißt.

Sammler Reinhard Ernst im Gespräch mit Elizabeth Smith, Executive Director der Helen Frankenthaler Foundation, Foto: Petra Kammann

Reinhard Ernst, der Sammler, Unternehmer und Erbauer des architektonisch reizvollen Wiesbadener Museums, erinnert sich, wie er die Künstlerin entdeckte: „Erste Arbeiten von Helen Frankenthaler sah ich Ende der 1980er Jahre in einer Galerie in der Avenue Matignon in Paris. Frankenthaler wurde zu dieser Zeit in Deutschland bzw. Europa kaum ausgestellt, überhaupt spielte amerikanische Kunst hierzulande damals kaum eine Rolle. Als ich 2011 längere Zeit geschäftlich in New York verbrachte, entdeckte ich ihre riesigen Gemälde überall“. In den USA hingegen war sie in den Großen Museen wie dem Museum of Modern Art in New York, vertreten. Mehr und mehr fühlte Ernst sich zu der Kunst hingezogen, die für ihn auch eigene Assoziationen zulässt.

Zunächst war er von ihrem Zugang mit den Farben fasziniert, dann von ihrem großzügigen Umgang mit dem Bildraum, von ihrer unendlichen Experimentierfreude. Und schließlich erwarb er einige ihrer großformatigen Gemälde auf Auktionen und Galerien, die in den hellen klaren Räumen des vom japanischen Architekten Maki ausgeklügelten Museums mit seinen überzeugenden Sichtachsen natürlich bestens zur Geltung kommen.

Schon in der von Männern beherrschten New Yorker Kunstszene der 1950er Jahre hatten Frankenthalers Zeitgenossen wie Morris Louis (1912–1962) und Kenneth Noland (1924–2010) die Genialität der Kompositionen ihrer selbstbewussten Kollegin, die das Verhältnis von Farbe, Form und Raum neu interpretierte, erkannt. Ihren Umgang mit der Farbe adaptierten sie auch in ihren eigenen Werken, und entwickelten daraufhin die Farbfeldmalerei („Color Field Painting“). Das blieb den Kunstkritikern nicht verborgen. Frankenthalers Weg wurde dann eben doch ein ganz eigener.

Frankenthalers Gemälde im Umfeld ihrer Zeitgenossen, Foto: Petra Kammann

Dazu Dr. Oliver Kornhoff: „Sie beschritt einen anderen Weg als die männlichen Zeitgenossen, die actionreich Pinselhiebe und Farbtropfen fliegen ließen“, während sie sich mit diesen scheinbaren Nebensächlichkeiten auch gestisch auseinandersetzte. In der Schau sind in einem der Räume im oberen Geschoss Frankenthalers Gemälde in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Arbeiten ihrer Lehrer, Freund:innen, Lebensgefährten und Mentoren zu erleben: So hängt etwa Provincetown Harbor, ein frühes Aquarell, das 1950 in der Summerschool von Hans Hofmann, die sie besuchte, entstand, unmittelbar neben einem Gemälde ihres Lehrers. Und von Robert Motherwell, dem US-amerikanischen Maler des Surrealismus und Abstrakten Expressionismus, mit dem Helen Frankenthaler dreizehn Jahre lang verheiratet war, können wir das rätselhafte Gemälde „The Wedding“ aus dem Jahre 1958, dem Jahr ihrer Hochzeit, entdecken. Adolph Gottlieb, dessen Empfehlung Frankenthaler die Teilnahme an ihrer ersten Gruppenausstellung 1950 verdankte, ist in der Ausstellung ebenso präsent wie eine Arbeit von Lee Krasner (1908–1984), mit der sie sich für einige Monate ein Atelier teilte.

Dr. Oliver Kornhoff bei der Erläuterung von „Green Moon, 1984“ im Saal „Alles ist Farbe“ als Hommage an den zehn Jahre zuvor verstorbenen Lehrer Adolph Gottlieb (1903–1974), Foto: Petra Kammann

Lea Schäfer, die Kuratorin der bemerkenswerten Ausstellung, in der die Bilder atmen können, sagt: „Helen Frankenthaler erschuf einen völlig neuen Farbauftrag und eine unvergleichliche Bildwirkung. Damit gab sie der amerikanischen Nachkriegskunst eine entscheidende Wendung. Heute wird sie deshalb als wegweisende Vermittlerin zwischen dem Action Painting und der Farbfeldmalerei gefeiert. Sie inspirierte nicht nur ihre Zeitgenoss:innen. Das dynamische Fließen der ausufernden und pulsierenden Farbflächen lässt auch heutige Betrachter:innen aufatmen und staunen.“

Man muss schon mehrfach hingehen, um die Wucht der Provokationen wie auch Subtilitäten ihrer Arbeiten zu entdecken. Frankenthaler, die selbstbewusste Städterin aus New York, ist bei allem doch auch tief der europäischen Sichtweise verbunden, etwa mit Künstlern im Paris der Nachkriegszeit, die von der Höhlenmalerei von Altamira in Spanien oder von südfranzösischen Lascaux fasziniert waren, wie etwa der französische Maler André Masson und andere Künstler der Moderne wie Picasso oder der spanische Maler Joan Miró. Die Eindrücke, die Frankenthaler aufnimmt, gehen durch sie durch. So hatte sie sich zum Beispiel entschieden, die Rückseite der Leinwand zu verwenden, nachdem sie die Vorderseite verworfen hatte. Daher kann man ihr „Cave Memory“ von 1959 in der Wiesbadener Schau von zwei Seiten betrachten, von der Rück- und von der Vorderseite.

Auf der ersten Biennale in Paris hatte die Künstlerin bereits 1950 den Ersten Preis für ihre Malerei erhalten. Immer wieder zog es sie auf ihren Reisen nach Europa und nicht zuletzt nach Wiesbaden zum Besuch einer Verwandten. Schließlich stammt ihre jüdische Mutter Martha Frankenthaler (1895–1954), geborene Lowenstein aus Wiesbaden. Da schließt sich der Kreis vor Ort. „Du gibst nie etwas aus der Vergangenheit auf“, heißt es daher auch im 4. Ausstellungsraum, in dem sie ihre Reisen, ihre Erfolge und Misserfolge, ihre Freundschaften und Liebesbeziehungen, zeitgenössische und historische Gemälde völlig offen, durchtränkt von emotionaler Wahrnehmung, und ganz durchlässig,  in sich aufnimmt.

„Wenn die Malerei einmal von der Staffelei befreit und nicht durch einen Rand, eine Ecke oder ein bestimmtes Format begrenzt ist, kann sich die Sicht immer weiter ausdehnen“, bekennt 1998 rückwirkend die Künstlerin. Von der damit verbundenen Aufforderung, das Sichtfeld stets zu erweitern, sollte man sich animieren lassen. Morgen ist Eröffnung. Dann wird man beim Besucheransturm allerdings wohl eher die Wucht der großformatigen raumfüllenden Gemälde erleben als die Poesie schwebender Wolken, Wellen und assoziierte Landschaften in unerwarteter Farbigkeit oder das Feingesponnene und Schwebende einer zarten fragilen Linie, welche die Leere durchkreuzt und neue Anknüpfungspunkte sucht.

Hingehen und Wiederkommen lohnt sich allemal, zumal sich außerdem auch noch ein reiches Zusatzprogramm um die starke Ausstellung rankt.

Die Ausstellung „Helen Frankenthaler. Move and Make“ wird vom 16. März bis 28. September 2025 im Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zu sehen sein.

Der Katalog

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog in deutscher und englischer Sprache im Hirmer Verlag mit Beiträgen von Douglas Dreishpoon, Reinhard Ernst, Larissa Kikol, Oliver Kornhoff und Lea Schäfer. 160 Seiten, 75 Abbildungen in Farbe, 25 x 30,7 cm, gebunden, ISBN: 978-3-7774-4538-0. Für 29,90 Euro im Museumsshop erhältlich.

Katalog_Helen Frankenthaler

Museum Reinhard Ernst

Öffnungszeiten:

Dienstag bis Sonntag 12–18 Uhr
Mittwoch 12–21 Uhr
Montags geschlossen

Vormittags ist der Museumsbesuch ausschließlich Schulklassen vorbehalten. Der Eintritt ins Museumsfoyer ist für alle Besucher:innen frei.

Tickets können im Onlineshop vorbestellt werden.

Eintrittspreise:
Erwachsene 14 €
Ermäßigt 12 €
Jugendliche bis 18 Jahre erhalten freien Eintritt.

Öffnungszeiten Restaurant rue 1 by gollner’s
Dienstag bis Samstag 11–24 Uhr
Sonntag 11–18 Uhr

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