home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Thomas Mann zwischen Ruinen und Erinnerungen – Eine ungewöhnliche Graphic Novel und Manns Rundfunkansprachen

Lob der deutschen Sprache und Reise in das politisch aufgewühlte Nachkriegsdeutschland

Von Petra Kammann

Basierend auf Tagebüchern, Briefen, Reiseberichten und den Erinnerungen seines Schweizer Fahrers Georges Motschan, illustriert die von Magdalena Adomeit gezeichnete Graphic Novel die zehntägige Rückkehr des emigrierten Nobelpreisträgers Thomas Mann durch Deutschland. Dieses Kapitel seiner Biografie ist ähnlich politisch aufgeladen, wie es seine Rundfunkansprachen über die BBC an „Deutsche Hörer!“ zwischen 1940 und 1945 waren. Man versteht durch die so unterschiedlichen Genres die menschlichen Schlüsselmomente im Leben des Exil-Schriftstellers, der auf prägende historische Ereignisse seiner Zeit zurückblickt wie auch auf die tiefgreifenden historischen Dimensionen der Nachkriegszeit. Städte und Menschen sind ihm fremd geworden. Da treten die Risse offen zutage. Und in der aktuellen Lage des krisengeschüttelten Europas stimmen die kommentierten Bilder wie auch die eindringlichen BBC-Reden besonders nachdenklich.

Magdalena Adomeits Illustration von Thomas Mann in der Paulskirche, wo er den Goethepreis erhält

Zunächst zur Graphic Novel: Eine kurze Rückblende erinnert an Stockholm, wo der Schriftsteller der „Buddenbrooks“ 1929 den Literaturnobelpreis erhalten hatte, bevor er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 Deutschland verließ. Als Thomas Mann 16 Jahre später schließlich nach Deutschland zurückkehrt, hat sich Etliches in seinem früheren Heimatland, das nun in Zonen aufgeteilt ist, verändert. Begleitet von öffentlichem Protest und in Trauer um den verlorenen Sohn Klaus Mann, der sich umgebracht hatte, erlebt das Ehepaar Katia und Thomas Mann die einst vertrauten Orten neu, und nimmt besonders scharfsinnig und angefasst wahr, was sie einst zu ihrer Flucht bewegt hat. Durch den so realistischen wie einfühlenden Strich der Illustratorin Magdalena Adomeit verfolgt man die Ankunft der Manns im zerstörten Frankfurt, wo Thomas vor allem dank des liberalen Nachkriegsoberbürgermeisters Walter Kolb (1902-1956), den Goethepreis der Stadt Frankfurt in der Paulskirche erhält.

Die Freude darüber ist nicht ungetrübt, es war schon im Vorfeld „eine knappe Entscheidung“, heißt es im kommentierenden lakonisch-knappen Text des in Münster geborenen und heute in New York lebenden erfolgreichen Graphic-Novel-Autors Julian Voloj. Er hat sich mit dem Thomas Mann-Kenner und Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Friedhelm Marx, seit 2006 Vizepräsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, ausgetauscht, um die Geschichte historisch korrekt und verständlich zu formulieren.

In seiner Paulskirchenrede nimmt Mann Bezug auf die deutsche Sprache, die keine Besatzungszonen kenne, und begründet damit seine Weiterreise über Nürnberg und München nach Weimar und sagt: „Mein Besuch gilt Deutschland selbst, Deutschland als Ganzem und keinem Besatzungsgebiet.“ Immerhin ist seine Deutschlandreise das erste international beachtete kulturelle Großereignis nach dem Fall des Nationalsozialismus. Lange hat Thomas Mann gezögert, ob er überhaupt kommen soll. Also reist er mit seiner Frau Katia und hält Reden in beiden Teilen Deutschlands, was seinem Deutschlandbesuch auf den verschiedensten Ebenen politisch höchste Brisanz verleiht. Er wird bejubelt und zugleich als Vaterlandsverräter kritisiert. Und schon bald merkt er, wie fremd ihm seine früheren Mitbürger geworden sind, er muss viele „blutige Hände schütteln“. Schwierig auch seine Rückkehr nach München, wovor ihn Sohn Klaus, der hier übergangsweise amerikanischer GI war, gewarnt hatte.

Literaturpremiere bei S. Fischer mit dem Schauspieler und Sprecher Werner Wölbern und Lektor Sebastian Guggolz und der Schriftstellerin Lena Gorelik im Gespräch, Foto: Petra Kammann

Hat man gerade seine Rundfunkansprachen, die gerade wieder neu aufgelegt wurde, gelesen oder gehört – wie im Verlag S. Fischer großartig von Werner Wölbern vorgetragen –, so erinnert man sich, wie der einstige feingeistige Schriftsteller mit ironischen Untertönen, ein im Grunde unpolitischer Bürger, schockiert durch das Ausmaß an Brutalität in der NS-Zeit, in seinen Rundfunkansprachen einen Wandel durchmacht und zum klar Stellung nehmenden politisch engagierten Bürger wird. Wenn er „Hiltler die abstoßendste Figur, auf die je das Licht der Geschichte fiel“ nennt, so appelliert er in seinen Ansprachen gleichzeitig immer wieder an Vernunft und Humanität seiner früheren Mitbürger, setzt sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte ein und sucht nach Möglichkeiten eines nachhaltigen Friedens. Wie groß jedoch die Schäden, ausgelöst durch das diktatorische Regime, sind, erleben die Leser und Leserinnen eindrucksvoll in Kurzform in der illustrierten Reise durch das zutiefst gespaltene „Land der Dichter und Denker“ der Nachkriegszeit.

Die Erinnerung an Nürnberg, an die Rassengesetze hat die Illustratorin Magdalena Adomeit in Grün gestaltet

In der Graphic Novel sind die Rückblenden in die NS-Zeit wie zum Nürnberger Reichsparteitag optisch düsterem Grün gehalten. Aus dem unidentifizierbaren Meer aus Personen stechen lediglich auf einer Doppelseite die schwarzen Fahnen mit Hakenkreuz hervor, und es wird an die Kriegsverbrecherprozesse erinnert.

Von Nürnberg aus geht es dann weiter in die Richard-Wagner-Stadt nach Bayreuth, wo wegen der Rede Thomas Manns anlässlich des 50. Todestags von Richard Wagner, die u.a. im Münchner Merkur von Richard Strauss kritisiert wurde. Mit den Kommunisten Klaus Gysi, dem späteren DDR-Kulturminister und dem in München aufgewachsenen Dichter Johannes R. Becher fahren die Manns schließlich über die sowjetische Besatzungszone und durch vorgegebene Dörfer nach Weimar, wo Manns Roman „Lotte in Weimar“ spielt, um dort das Goethehaus am Frauenplan zu besuchen. Beunruhigend auch hier die Bilder auf den Straßen mit fahnenchwenkenden SED-Gruppen.

Beim Festessen in Weimar, wo Mann den Goethe-National-Preis erhalten soll, was hier im Vorfeld für ebensoviele Unruhe gesorgt hatte wie in Frankfurt beim Goethepreis, wird es bei Tisch sehr ungemütlich, nicht zuletzt durch die Anwesenheit des die Manns ausspionierenden sowjetischen Generalmajors Sergej Iwanowitsch Tulpanow, da Mann als kapitalistischer Amerikaner gilt. Erschwerend hinzu kommt, dass  Tulpanow nicht den geringsten Draht zu dem hat, was Literatur bedeutet.

Zurück geht es schließlich wieder mit dem vertrauten Schweizer Fahrer Georges Motschan nach Frankfurt. Mann wurde für seine Reise in die beiden deutschen Staaten – der eine hieß kurz nach seiner Zeit DDR – auch von amerikanischen Zeitungen wegen unamerikanischer Umtriebe kritisiert, so dass es die Manns auch nicht weiter in Kalifornien hielt. Also kehrten sie 1952 gemeinsam mit ihrer Tochter Erika zurück in die Schweiz. Mann selbst sprach von einer „wiederholten Emigration“. In seinem Reisebericht für die New York Times schrieb er: „Bin gesund geblieben, habe schlecht und recht standgehalten.“ Geschwächt starb er wenige Jahre später, 1955 dann in Zürich. Von da aus hatte er Deutschland nie wieder besucht.

 

Thomas Mann,
Deutsche Hörer!
Radiosendungen nach Deutschland
Neuausgabe mit einem
Vorwort und einem Nachwort von Mely Kiyak
Verlag S. Fischer

 

 

 

Julian Voloj & Friedhelm Marx (Text),
Magdalena Adomeit (Ill.)
Thomas Mann – 1949. Rückkehr in eine fremde Heimat
Verlag Knesebeck

 

 

 

 

 

 

 

Comments are closed.