Aschermittwoch der Künstler-innen im Haus am Dom in Frankfurt
„Spielraum des Sozialen: Zur Schauspielkunst der Gegenwart“
Von Walter H. Krämer
Gastgeber des Aschermittwochs der Künstlerinnen und Künstler in Frankfurt, der 2025 erstmals seit 2020 wieder in gewohnter Form mit anschließendem Essen stattfinden konnte, ist traditionell Bischof Dr. Georg Bätzing. 2025 sprach Marion Tiedtke, Professorin für Schauspiel, über den „Spielraum des Sozialen: Zur Schauspielkunst der Gegenwart“. Da Beobachten menschlichen Verhaltens ihre Leidenschaft ist, begreift die Dramaturgin Theater als kollektiven Arbeitsprozess. Organisiert und moderiert wurde der Abend von Prof. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom. Aschenkreuz, kultureller Impuls und Begegnung waren und sind seit jeher das Anliegen dieser Veranstaltung.
Schauspielstudierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) Pablo Weller de la Torre und Joshua Grölz, Foto: Petra Kammann
Der Aschermittwoch der Künstler*innen ist eine in Paris begründete Veranstaltung der Begegnung von Kirche und Kunst, die von dem französischen katholischen Schriftsteller Paul Claudel (1868-1955) nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen wurde. In Köln hatte Kardinal Josef Frings die Idee schon 1950 aufgegriffen. Wenige Jahre später wurde der Aschermittwoch erstmals in München (1955) gefeiert, zu dem alle Künstlerinnen und Künstler der Erzdiözese München und Freising eingeladen wurden. Inzwischen strahlt dieser Impuls auf immer mehr Bistümer und auch die evangelisch-lutherischen Landeskirchen aus.
Traditionell wird mit dem Aschermittwoch der Start in die Fastenzeit markiert. Auch in Frankfurt am Main hat dies Tradition. Schon mehr als 65 mal wurde er hier gefeiert und zelebriert. Immer verbunden mit einem Vortrag (in den letzten Jahren beispielsweise von Christian Stückl, dem Leiter der Oberammergauer Passionsspiele (2018), von Kulturdezernentin Ina Hartwig (2022) oder 2023 vom Direktor des Deutschen Architekturmuseums Frankfurt Peter Cachola Schmal, mit einem anschließenden Gottesdienst im Dom und einem abschließenden geselligen Beisammensein bei Wein, Wasser, Suppe und Brot.
Dramaturgin Marion Tiedtke im Haus am Dom, Foto: Petra Kammann
Und nun zu Marion Tiedtke. Sie war nicht nur an maßgeblichen Inszenierungen beteiligt, sondern bildet auch seit 2007 junge Menschen für das Schauspiel aus. Was sie am Theater als künstlerischer Arbeitsform interessiert, welche Voraussetzungen es für eine erfolgreiche Aufführung braucht und was die Qualitäten eines Ensembles ausmacht, konnte sie anhand ihrer zwei Berufsfelder beschreiben und einen Blick auf die Zukunft werfen, die für Kunst und Kultur mehr als herausfordernd sind.
Vorab gab es allerdings einen Einblick in eine Szene aus Wolfgang Herrndorfs Stück „Tschick“ mit Joshua Grölz und Pablo Weller de la Torre, Schauspielstudierende des dritten Semesters der Schauspielabteilung an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), das gemeinsam mit Marc Prätsch erarbeitet wurde.
Veranstaltunsgsraum als improvisierte Bühne für Pablo Weller de la Torre und Joshua Grölz, Foto: Petra Kammann
Theater als analoger Raum sei eine besondere Form des Zusammenseins – einmal der Schauspieler*innen mit dem Leitungsteam bei den Proben und dann bei den Aufführungen zusammen mit dem Publikum. Vorgestellt wurde die Kunst des Schauspiels als ein Ort, der vom Gemeinsinn lebt und das Schauspiel als ein Erlebnisraum.
Anhand von vier Beispielen: Othello (2003) von William Shakespeare in der Regie von Luk Perceval und in einer Neuübersetzung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel an den Münchner Kammerspielen Drei Schwestern (2006) von Anton Tschechow unter der Regie von Andreas Kriegenburg an den Münchner Kammerspielen, Die Perser (2018) von Aischylos unter der Regie von Ulrich Rasche am Schauspiel Frankfurt in Zusammenarbeit mit den Salzburger Festspielen und schließlichMut und Gnade (2018) von Ken Wilber in der Regie von Luk Perceval im Bockenheimer Depot Frankfurt . Inszenierungen, an denen Marion Tiedtke maßgeblich als Dramaturgin beteiligt war. Anhand der Beispiele erläuterte sie ihre Sicht bezogen auf Theater, seine gesellschaftliche Bedeutung und mögliche Relevanz in Zeiten von Kürzungen im Kulturbereich, die mit Angriffen rechter Kreise auf die Inhalte der Kunst einhergehen.
Der „analoge Raum“ im Haus am Dom, in dem Bischof Bätzing 1. Reihe) interessiert die Veranstaltung und Diskussion verfolgt, Foto: Petra Kammann
Diese vier Inszenierungen lösen allemal den von Marion Tiedtke formulierten Anspruch nach Gemeinsinn sowohl während des Probenprozesses als auch während der Aufführungen selbst ein – was nicht allen Inszenierungen landauf landab gelingt! – und auch die Besucher*innen blieben nicht unberührt und waren vielfach bewegt und betroffen.
Marion Tiedtke und Joachim Valentin im Gespräch, Foto: Petra Kammann
Marion Tiedtke endete ihren Vortrag – ich zitiere aus dem Redemanuskript – mit folgenden Worten: „Seit 2500 Jahren haben wir mit dem Theater eine Kulturpraxis entwickelt, die zu einer erfolgreichen Aufführung kommen kann, wenn sie für ihr Publikum den Nerv der eigenen Zeit trifft. Wir erleben gerade, wie alte Gewissheiten infrage gestellt und Werte als Kompass unserer Zeit neu ausgehandelt werden. Da hätte das Schauspiel eigentlich eine zentrale Bedeutung: Als Ort des fiktiven Handelns befragt es Rollen, Positionen, Optionen und damit Werte. Wir haben etwas zu bieten, was die Zukunft auf jeden Fall braucht: Austausch – Begegnung – Selbstbefragung- Vergemeinschaftung und Spielräume des Sozialen, im wahrsten Sinne des Wortes!“
Auch in der Liturgie der Kirche steckt viel Theater, Foto: Walter H. Krämer
Bleibt noch anzumerken, dass mir beim Pontifikalamt im Dom St. Bartholmäus deutlich vor Augen geführt wurde, wieviel Theater in den Ritualen der Kirche und in den „Verkleidungen“ ihre Diener*innen steckt!
Aschermittwoch der Künstlerinnen und Künstler im HAUS AM DOM in Frankfurt am Main – live gestreamt und mittels des untenstehenden Links noch abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=XXknMwhX8Rg
Einladung zur Veranstaltung, Foto: Walter H. Krämer