Was aber bleibet? Oder sehen wir es nur nicht? – Erinnerungskultur – eine Serie
Erinnerungskultur(3) – Marc Chagalls „Commedia dell’Arte“
von Walter H. Krämer
Erinnerungen haben die Angewohnheit, nach einer Weile zu verblassen. Plötzlich verschwinden Bilder und Kunstwerke, prägende Persönlichkeiten, dann das ganze Lebensgefühl einer Aufbruchzeit von der Bildfläche. Das kann politische Hintergründe, bisweilen familiäre haben, manchmal auch einen Wechsel der Moden oder Wahrnehmungsweisen von neuen Generationen… Und doch gibt es Spuren im Verborgenen, die wir uns immer wieder zurück ins Bewusstsein holen. Es ist wieder da – das Original von Marc Chagalls Gemälde Commedia dell’Arte (1959). Allerdings ist es jetzt nicht mehr im Chagall-Saal der Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz zu sehen, sondern seit dem 18. Februar 2025 als Leihgabe im Städel Museum.
Nun hängt das Bild von der Commedia dell’arte von Marc Chagall im Städel Museum, Foto: Norbert Migueletz
Die Commedia dell‘ Arte, Mischtechnik auf Leinwand – eine Auftragsarbeit für das Theaterfoyer der Städtischen Bühnen Frankfurt – war seit dem 15. Dezember 1963 – allerdings mit Unterbrechungen – im Foyer von Schauspiel und Oper Frankfurt zu sehen. Jetzt hängt das Original im Städel Museum.
Chagall hatte sein großformatiges Werk einst für das Foyer der Städtischen Bühnen geschaffen. Dort wurde das Gemälde bereits 2023 durch eine originalgetreue Reproduktion ersetzt. Zuletzt war es bis zum 9. Februar in der Chagall-Ausstellung in der Wiener Albertina zu sehen. Zusammen mit dem Gemälde werden auch die 14 vorbereitenden Skizzen von Marc Chagall als Leihgaben der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung in die Sammlung des Städel Museums aufgenommen.
Die italienische Commedia dell’Arte gilt als Ausdruck des Theatralischen schlechthin. Sie steht für Vitalität, Sinnlichkeit und Spontanität. Der Zusatz dell’Arte bedeutet in diesem Zusammenhang „Kunst“ und verweist auf die Professionalität und Virtuosität dieser neuen von Berufsschauspieler*innen erschaffenen Theatergattung. Mit der Commedia dell’Arte rückten die Aktionen der Mimen in den Mittelpunkt des Geschehens. Improvisationskunst und ein bunter Reigen mimischer, musikalischer und choreographischer Einfälle waren dabei die besonderen Merkmale des italienischen Stehgreifspiels.
Im Januar 1958 besuchte der damalige Kulturdezernent von Frankfurt am Main Karl Julius Herbert Viktor vom Rath (1915-1986) Marc Chagall in Südfrankreich und besprach mit ihm ein mögliches Auftragswerk für das Theaterfoyer. Chagall sagte zu, eine zweite, größere Fassung seines Gemäldes Commedia dell‘ Arte anzufertigen.
Mitte Dezember 1958 beschloss die Stadtverordnetenversammlung den Kauf des Bildes und der dazugehörigen 14 Skizzen von Marc Chagall – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Kaufpreis in Höhe von 150.000 Mark durch Spenden von Frankfurter Firmen und Privatleuten aufgebracht würde. Das wurde letztlich auch mit Hilfe der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung, die seit dieser Zeit Eigentümerin des Gemäldes ist, erreicht.
Pünktlich zur Eröffnung der sogenannten Theaterdoppelanlage im Jahre 1963 hing das 2,50 x 4,00 Meter große Gemälde bis 2004 im Chagall- Saal. Danach folgten Restaurierungsarbeiten, Ausstellungen im Frankfurter Ikonenmuseum und Reisen zu anderen Ausstellungen in Europa. Seit dem 25.9.2008 war das Gemälde, nachdem alle Auflagen der Stiftung (Alarmanlage, Umbau und Klimatisierung der Vitrine) erfüllt und die Commedia gründlich restauriert und ein neuer Leihvertrag zwischen Stiftung und Städtischen Bühnen geschlossen wurde – wieder dort zu sehen, wofür es gemalt worden war: im Chagall Saal der Theaterdoppelanlage.
Chagall hatte sich die genauen Maße des Raumes die Grundrisse und den Aufriss geben lassen, und legte zunächst das Format des Bildes nach diesen Gegebenheiten fest. Die Größe des Foyer-Raumes bewog ihn, auf die Größe von 2,50 x 4 Meter zu gehen.
Der Maler ging von dem Gedanken aus, dass der Betrachter ein Bild in einem Theaterfoyer „im Vorbeigehen“ erlebt. Er war ferner der Meinung, der Theaterbesucher solle in der Pause nicht aus dem Erlebnis der Aufführung gerissen werden; mit anderen Worten: das Bild müsse ihm die Illusionswelt der Bühne erhalten, gleichsam eine Art Zwischenvorhang von einem zum anderen Akt sein. Chagall wusste auch, dass ein Bild in einem Foyer fast immer bei künstlichem und nicht bei Tageslicht gesehen wird, und darauf hat er seine Farben sorgsam eingestellt.
Das riesige Bild anzufertigen, war für den damals bereits über 70-jährigen Chagall durchaus keine Kleinigkeit. Aufgrund der enormen Größe zog er es nicht auf Leinwand auf, sondern nagelte es direkt an die Wand seines Ateliers. Zum Teil musste er dafür auf Leitern oder ein kleines Gerüst steigen, um an die oberen Teile des Bildes heranzukommen.
Für die Theaterdoppelanlage wollte man die Darstellende und die Bildende Kunst zusammenbringen: das Theater als eine ganz eigene Welt, zu der die Bildende Kunst unbedingt gehörte. Deswegen sollte kein Geringerer als Marc Chagall mit dieser Aufgabe betraut werden … und er sagte zu, obwohl er 1941 vor den deutschen Truppen aus Frankreich in die USA hatte fliehen müssen. Seine Liebe zum Theater gab letztlich den Ausschlag, diesen Auftrag der Stadt Frankfurt anzunehmen. „Es ist nicht so“, sagte er, „dass ich die Welt als Commedia dell’Arte male. Die Welt ist die Commedia dell’Arte“
Und genau das ist es, was dieses Bild so besonders macht: es erzählt von Spielern, Artisten, Sängern, Tänzern und der Musik. Die Realität wird ins Phantastische gewendet und das Alltägliche als bunte Bilderwelt gestaltet. Die Welt des Dichters ist ebenso eingefangen wie die des Regisseurs und des Publikums.
2018 – Diskussion zur Zukunft der Städtischen Bühnen im Chagall-Saal unter dem Gemälde, Foto: Petra Kammann
Marc Chagall malte im Auftrag der Stadt Frankfurt für das Foyer des neuen Theatergebäudes. Das Gemälde Commedia dell’Arte hängt im dafür vorgesehenen Chagall-Saal, der gleichzeitig als Verbindungsraum des Opern- und Schauspielfoyers dient. Das Besondere an diesem Werk ist, dass es Chagall nicht für andächtige Kunstbetrachter im Museum geschaffen hat, sondern für Flaneure im Theaterfoyer, die sich im Vorübergehen an dem heiteren Farbenkosmos erfreuen können. Beim Flanieren durch das Pausenfoyer sollte man das Gemälde Szene für Szene wahr- und in sich aufnehmen – genau wie den Theaterbesuch selbst.
„Die Frankfurter Commedia dell’Arte ist also nicht irgendein Bild, das an einem beliebigen, unbestimmten Ort aufgehängt werden kann, sondern es ist für einen bestimmten Ort, für eine bestimmte Gelegenheit, für eine bestimmte Stadt und es ist fester Bestandteil der Theaterarchitektur“, so Karl vom Rath in dem Buch „Frankfurt und sein Theater“.
Die Doppelanlage – Schauspielhaus und Oper unter einem Dach — am Willy-Brandt-Platz soll nun abgerissen und durch zwei Neubauten ersetzt werden. Noch ist nichts endgültig, steht kein Termin für den Abriss und den Beginn der Neubauten für Schauspiel und Oper fest. Wenn es denn soweit ist, sollte und muss auch für das Gemälde Commedia dell’Arte von Marc Chagall ein neuer und stimmiger Ort gefunden werden.
Kulturdezernentin Ina Hartwig begrüßt die nun gefundene Lösung für das Chagall-Gemälde und dankt der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung für ihr Vertrauen: „Das beeindruckende Gemälde ‚Commedia dell’Arte‘ von Marc Chagall bekommt im Städel Museum einen wunderbaren und angemessenen Platz, der allen konservatorischen Anforderungen genügt. (…) Wir bereiten gerade die Zukunft der Bühnen vor, dazu gehört auch der verantwortungsvolle Umgang mit dem uns anvertrauten Kulturgut. In der Theater-Doppelanlage am Willy-Brandt-Platz wäre das wertvolle Gemälde von Chagall aus konservatorischer Sicht nicht mehr angemessen aufzubewahren gewesen. Ich danke der Adolf und Luisa Haeuser-Stiftung deshalb sehr, dass sie für das Chagall-Gemälde Sorge trägt“.
Die Fenster in der Kirche St. Stephan zu Mainz und das Gemälde Commedia dell’Arte in Frankfurt am Main sind die beiden einzigen Werke, die Chagall für Deutschland nach dem Krieg gemalt hat und er war dafür keinen Moment vor Ort – nach dem Krieg wollte er Deutschland nicht mehr betreten.