Die Maifestspiele 2025 in Wiesbaden
Ein Fest für alle Sinne und großer Kunst mit herausragenden Künstler*innen
Von Walter H. Krämer
Als die Wiesbadener Kaiserfestspiele 1896 „auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät“ im neu erbauten Theater am Warmen Damm eröffnet wurden, galt es, der Nebenresidenz des Kaisers hauptstädtischen Glanz zu verleihen. Die Kunst der Bühne bot Anlässe, sich in großer Abendgarderobe zu zeigen – die Herren im Smoking und bei den Damen bestand man auf einer korrekten Einhaltung eines Mindestdekolletés. Vom Glanz der Perlen und Diamanten, der Orden und Diademe schwärmten die Augenzeugen noch Jahrzehnte später.

Außenansicht Rückseite Staatstheater Wiesbaden, Foto: Maximilan Borchardt
Auf der Bühne gab es große Opern, im Schauspiel pompöse Klassikeraufführungen. Enrico Caruso, der übrigens eine abendliche Gage von 10.000 Goldmark erhielt (heute entspräche dies dem stolzen Betrag von mehr als 100.000 Euro), trat beispielsweise in seiner weltberühmten Rolle als Herzog von Mantua in Verdis „Rigoletto“ auf.
Nach dem Ersten Weltkrieg und unter den geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Republik zielte ein neues Konzept auf ein Volks- und Kulturtheater und wollte als klare Absage an ein nur auf äußerliche Wirkung bedachtes, elitäres Pomp- und Prunktheater verstanden werden. Unter Intendant Paul Bekker entwickelte sich mit der Wiederaufnahme der Maifestspiele 1928 eine Festspielidee, die sich bis zum heutigen Tag fortgesetzt hat: Die hervorragenden Aufführungen des Jahres sollten zusammen mit Neuinszenierungen in einer kurzen Festspielzeit im Mai präsentiert werden.
Bekker musste wegen seiner jüdischen Abstammung 1933 seinen Posten aufgeben und emigrierte im folgenden Jahr über Frankreich in die USA. Verbittert und verarmt nahm er sich 1937 in New York das Leben.
Um „die Kunst wieder zum Volk und das Volk zur Kunst“ zu führen, machte Goebbels 1935 auch aus dem Wiesbadener Theater ein „Deutsches Theater“, das seinem Ministerium unterstand. Die letzten Maifestspiele fanden im gleichen Jahr statt: der Spielplan insgesamt wurde „gereinigt“, die Klassiker – sofern sich an ihnen „deutsches Wesen“ demonstrieren ließ, blieben erlaubt.
Die dritte Phase der Wiesbadener Maifestspiele begann am 28. August 1949 – dem 200. Geburtstag Goethes -, als der damalige Oberbürgermeister Redlhammer die Neubegründung der Maifestspiele als Europäisches Opernfest verkündete. Völkerverständigung durch die internationale Sprache der Musik war die neue Parole.
Ensemble-Gastspiele sollten einen Beitrag leisten, die europäischen Nationen aus Ost und West wieder mit deutscher Kultur und Kunst zu versöhnen. Die Maifestspiele wurden bald ein „Fenster zum Osten“, die völkerverbindende Grundidee der neuen Maifestspiele fand bereits in der Phase des Kalten Krieges ihre praktische Umsetzung.
1967 dann gab es das erste Gastspiel des Bolschoi-Balletts im Wiesbadener Opernhaus. Glanzvolle Spitzenleistungen von Solisten und Ensembles aus aller Welt geben seitdem einem interessierten und sachkundigen Publikum Einblick in das Theaterleben und in die künstlerische Arbeit, die jenseits unserer Grenzen geleistet wird.

Achilles – ein Stück mit Fersenfrei nach Homer, Inszenierung: Antú Romero Nunes, Foto: Ingo Hoehn
Der höfische Glanz der Kaiserzeit ist verschwunden, die Faszination der Internationalen Maifestspiele für die Besucherinnen und Besucher einer neuen demokratischen Gesellschaft aber ist geblieben. Die Internationalen Maifestspiele sind noch immer ein Höhepunkt im kulturellen Leben der Landeshauptstadt Wiesbaden – so auch im Jahr 2025.
Erstmals haben die neuen Intendantinnen des Staatstheaters Wiesbaden, Dorothea Hartmann und Beate Heine, die Festspiele mit ihrer künstlerischen und konzeptionellen Handschrift versehen und es fühlt sich gut und richtig an. So ist es der Anspruch der Festspiele, neue Impulse für das Theater und die Stadt zu setzen, andere Sichtweisen auf Kunst und Gesellschaft zu ermöglichen, Emotionen zu wecken und den Geist herauszufordern.
Grenzen des Theaters als Spielsituation und Begegnungsort werden erweitert und Grenzen des Theaterbaus werden aufgelöst. Man öffnet sich in die Stadt hinaus. Gespielt wird also nicht nur auf den fünf Bühnen und den Foyers des Staatstheaters, sondern auch in der Wartburg, im Museum Reinhard Ernst, der Caligari Filmbühne, der Villa Clementine dem Kurhaus und dem Zukunftswerk.
Die Maifestspiele öffnen sich in die Stadt hinein und wollen die ganze Stadtgesellschaft mitnehmen u. a. durch Public Viewing und das Format „Maifestspiele für alle“.
Das Prinzip „Associate Artists“ bietet Raum für vertiefte Begegnungen mit ausgewähltem Künstler*innen wie beispielsweis FC Bergmann, Falk Richter oder den Friends of Forsythe.

Blutstück nach dem Roman „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon, Inszenierung: Leonie Böhm
v.l.n.r.: Kim de l’Horizon, Gro Swanjte Kohlhof, Vincent Basse, Sasha Melroch, Lukas Vögler
Foto: Diana Pfammatter / Schauspielhaus Zürich
Die Zeit vom 1. bis zum 31. Mai ist prall gefüllt mit Musiktheater, Schauspiel, Tanz, Konzert, Theater für Jugendliche, Performance, Liederabenden, Lesungen, Filmen, Open-Air Veranstaltungen, Familienfesten, Meisterklassen und Workshops und die Spielarten des Theaters zwischen Tanz, Schauspiel, Gesang und Performance sind mannigfaltig – genauso wie die eingeladenen Künstler*innen der Internationalen Maifestspiele 2025.
Es macht daher Sinn, sich über das umfangreiche Programm anhand der Veröffentlichungen – Internet und / oder der umfangreichen und sehr informativen Festivalbroschüre – zu informieren und schnell zu entscheiden, ob und was man sehen möchte und wo man dabei sein will. Der Vorverkauf beginnt am 4. März um 11 Uhr.
Auf einige der gezeigten Arbeiten sei hier näher eingegangen – was weder Wertung noch Ranking bedeutet.
Ein erster Höhepunkt ist am Samstagabend (3.Mai) das Public Viewing am Staatstheater. Zu sehen sein wird dort eine Live-Übertragung aus dem Opernhaus der Oper „Die Perlenfischer“ von Georges Bizet in der Inszenierung des belgischen Kollektivs FC Bergmann.
Mit gleich zwei Inszenierungen ist der Regisseur und Autor Falk Richter bei den Maifestspielen vertreten.

The Silence von Falk Richter, Inszenierung: Falk Richter, Foto: Gianmarco Bresadola
In „Die Freiheit einer Frau“ (30. + 31. Mai) erzählt der Schriftsteller Édouard Louis von seiner Mutter, die sich eines Tages aus dem lebenslangen Käfig von Armut und Gewalt befreien kann. Falk Richter adaptiert den Stoff mit einer Rockband und der Schauspielerin Eva Matthes für die Bühne.
In „The Silence“ (22.05.) – einer Produktion der Schaubühne Berlin – macht er seine eigene Familiengeschichte zum Thema.
Unterschiedliche künstlerische Arbeiten gibt es auch vom Kollektiv FC Bergman aus Flandern. Neben Bizets „Die Perlenfischer“ (1. + 3. +5.05) kommt „The Sheep Song“ (4.05.) als Theaterfilm auf die Leinwand am Warmen Damm. Dieses Open-Air-Kino der etwas anderen Art zeigt ohne Worte, dafür mit umso eindrücklicheren Tanz-, Musik- und Spielszenen, wie schön und tragisch Veränderung sein kann.
Der Nachwuchsförderung verschrieben hat sich der international erfolgreiche Bassbariton Johan Reuter. Bevor er in der Titelpartie des „Fliegenden Holländers“ (11.05) alle Stimm- und Darstellungsregister zieht, gibt er sein Können in einer Meisterklasse an junge Gesangstalente weiter.
Lucio Gallo, der Scarpia in Puccinis „Tosca“ (27.05.), zeigt mit „Tribute to Frank Sinatra“ (18.05.) seine jazzige Seite. Das Programm vereint Sinatra-Titel mit dem Groove des Claudio Chiara Jazz Quintet und beweist, wie unterschiedlich eine Singstimme klingen kann.
Als Gastspiel aus Zürich zeigen die Maifestspiele Leonie Böhms umjubelte Romanadaption von Kim de l’Horizons „Blutstück“ (7. + 8.05.)
Im Studio geben mit „Landsfrau“ (4.05.), „Migrant Migraine“ (5.05.) und „Utopia is now!” (6.05.) drei Produktionen jungen, postmigrantischen Stimmen eine Bühne.
Fragen zur Zukunft stellt sich die Uraufführung „Futur4“ (3. + 4. + 5.05.) von Rimini Protokoll. Künstliche Intelligenz errechnet aus Mustern der Vergangenheit das Künftige im Jetzt. Vor den Augen des Publikums werden Erinnerungen und Erwartungen konstruiert und dekonstruiert, wird eine Biografie weitergeschrieben und umgeschrieben.
Manche der eingeladenen Arbeiten eröffnen eine historische Perspektive, wie beispielsweise das Konzert von Annika Treutler und Johann von Bülow am 8. Mai.
Das bildgewaltige Schauspiel „Parallax“ (17.05.) von Kornél Mundruczó ist eine Theaterinszenierung über Identität in Zeiten von Antisemitismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit.
In der Inszenierung „Achilles – ein Stück mit Fersen“ (13.05.) begeben sich Jörg Pohl und Gala Othero Winter in der von Antú Romero Nunes mit Witz, Charme und Schauspielkunst in den Hades.
In „Notte Morricone“ (14.05.) trifft Tanz auf die Filmmusik von Ennio Morricone. Verspielt imaginäre Welten und poetische Landschaften entstehen dabei an der Schnittstelle von Tanz über Film und Musik.
„Iss, mein Kind“ (15.05.) – eine feministische Überschreibung von Shakespeares Rachetragödie Titus Andronicus, lotet die Frage aus, welches emanzipatorische Potential in der Überschreibung von kanonisierten Frauenrollen liegt.
Die Choreografin Constanza Macras erschafft mit „The Visitors“ (24. + 25.05.) eine fesselnde Performance zwischen Tanz und Schauspiel mit jungem südafrikanischem Darsteller*innen.
Mit „Maifestspiele für alle” (3. + 4.05.) öffnet sich das Festival im Herzen Wiesbadens in diesem Jahr zudem für die breite Öffentlichkeit und will ein noch engeres Band mit der Stadtgesellschaft knüpfen.
Genießen sie den Mai in der Landeshauptstadt Wiesbaden und erfreuen sie sich an der Vielfalt der Örtlichkeiten und dem Ideenreichtum der Künste.
Link zum digitalen Programmheft
https://hsw-6a25.kxcdn.com/download/2521/programmheft_der_internationalen_maifestspiele_2025.pdf
https://www.staatstheater-wiesbaden.de/internationale-maifestspiele/