Carl-Hermann Rudloff (1890-1949). Protagonist des Siedlungsbaus im Neuen Frankfurt
Das neue Frankfurt – Nicht Ernst May allein
Von Petra Kammann
Siedlungsbauten wie der Ladenhausblock in der Römerstadt oder „Zickzackhausen“ in Niederrad, die heute zu den Ikonen des Neuen Frankfurt, dem Zentrum der Moderne in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zählen, werden meistens dem Stadtbaurat und strategischem Kopf Ernst May (1886-1970) zugeschrieben. Dahinter steckt jedoch der Architekt Carl-Hermann Rudloff (1890-1949), dessen Name heute lediglich in Fachkreisen bekannt ist. Dabei war er einer der Protagonisten des Siedlungsbaus im Neuen Frankfurt. Das fand die Geschäftsführerin der ernst-may-gesellschaft e.V. Christina Treutlein in ihrer Dissertation heraus. Diese Publikation wurde nun aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums des Neuen Frankfurt im Auftrag der Frankfurter Historischen Kommission und der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e.V. von Evelyn Brockhoff herausgegeben und in der Geschäftsstelle präsentiert.
Siedlung Römerstadt, Ladenblock in der Hadrianstraße, um 1930, Architekt: Carl-Hermann Rudloff, Foto: Hermann Collischonn /Sammlung der ernst-may-gesellschaft
Der interessante Rundbau von Rudloff an der Ecke Hadrianstraße kann sich heute noch sehen lassen, Foto: Petra Kammann
„Ich brauche für den Karpfenteich, in dem 190-200 Karpfen herumschwirren 8 – 10 Hechte (…) Wollen Sie kommen?“ schrieb der unter Oberbürgermeister Ludwig Landmann selbstbewusst draufgängerisch agierende Frankfurter Stadtbaurat Ernst May an Carl-Hermann Rudloff und fing den schlesischen Architekten 1925 in sein neues Netz. Er sollte unter seiner Ägide bei der Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen (ABG) zuständig sein. Denn May konnte sich sicher sein, dass dieser gestandene Architekt seine Erfahrungen aus Schlesien und Ostpreußen in der wachsenden Mainstadt würde einbringen können. Die beiden Architekten Carl-Hermann Rudloff und Ernst May waren einander zum ersten Mal schon 1922/23 im Umfeld der Schlesischen Flüchtlingsfürsorge begegnet, wo Rudloff unter ihm ab 1924 bei der Schlesischen Heimstätte arbeitete und Baracken zu kleinen Wohnheimen stabilisiert und umgebaut hatte. In Frankfurt war die Wohnungsnot groß und in kurzer Zeit sollten so viele kleine Wohnungen wie möglich geschaffen werden.
Der gestalterisch versierte Architekt Carl-Hermann Rudloff arbeitete in der zweiten Reihe, Fotograf: unbekannt
Gemeinsam schufen die beiden dann auch in einem Kreis weiterer ingeniöser Architekten modernste Einzelbauten und Siedlungen, die als Neues Frankfurt weltweit bekannt werden sollten. Das Neue Frankfurt wurde und wird bis heute fast ausschließlich in Verbindung mit Ernst May wahrgenommen. So wurde ihre Zusammenarbeit durch die nach außen propagierte Dominanz des Marketing-Genies und Motivators May getrübt und überlagert. Denn Rudloff stand trotz seiner bedeutenden Stellung als effizienter Chefarchitekt der ABG stets im Schatten des Stadtbaurats und taucht lediglich vereinzelt in Randnotizen zum Neuen Frankfurt auf. Das Schicksal, in der zweiten Reihe zu stehen, teilt er übrigens auch mit etlichen anderen Architektenkollegen wie etwa Walter Körte oder Carl Krayl.
„Zickzackhausen“ – Siedlung Niederrad, Baublock Bruchfeldstraße, um 1926 von Carl-Hermann Rudloff, Foto: Hermann Collischonn / Sammlung der ernst-may-gesellschaft,
Dabei ist die gestalterische Handschrift Rudloffs, was die Bauten des Neuen Frankfurt betrifft, unverkennbar. Sie machen sein eigentliches Lebenswerk aus. Doch endete die Zusammenarbeit der beiden schlesischen Architektenkollegen schließlich mit Mays Übersiedlung in die Sowjetunion 1930, während Rudloff versuchte, sich nach 1932 mit Privatbauten über Wasser zu halten. Er blieb zwar überzeugtes Mitglied der SPD, trat aber kurzfristig auch in die NSDAP ein, um als freier Architekt wenigstens noch ein paar Aufträge zu bekommen. Immerhin musste er eine Familie mit drei Kindern ernähren. Doch schon bald nach Ende des Krieges, gekennzeichnet als „Mitläufer“, starb er geschwächt 1949 mit gerade mal 58 Jahren. Auch beim Wiederaufbau der zerstörten Stadt Frankfurt hatte er nicht mehr an seine früheren Erfolge anknüpfen können.
v.li.: Prof. Maris-Luise Recker, Vors. Frankfurter Historische Kommission, Dr. Evelyn Brockhoff, GF Frankfurter Historischen Kommission, Dr. Christina Treutlein, GF der ernst-may-gesellschaft, Foto: Petra Kammann
Die Kunsthistorikerin Christina Treutlein, die Kulturmanagement in Berlin, Marburg, Neapel und Görlitz studiert hat und durch ein Praktikum bei der ernst-may-gesellschaft auf den Architekten gestoßen war – 2008 war der Nachlass von der Familie, genauer von seinem Sohn Carl Hermann Rudloff der ernst-may-gesellschaft inklusive 13 Fotoalben übereignet worden – beleuchtet in ihrer Recherche erstmals die internen Arbeitsabläufe im städtischen Hochbauamt und bei der weniger hierarchisch gegliederten ABG, wo Treutlein einige Wochen Einsicht in die Planungen bekam. Sie beschreibt in der nun vorliegenden Monografie die Zuständigkeiten und Kooperationen aus der Perspektive Rudloffs. In einigen Kapiteln beschäftigt sie sich darüberhinaus mit Rudloffs Schaffen in jungen Jahren in Ostpreußen sowie in Schlesien.
Viel Lob gab es für Cristina Henrich-Kalveram, Verlegerin der Buchausgabe, Foto: Petra Kammann
Interessant bleibt zweifellos bis heute die Frage der architektonischen Urheberschaft Rudloffs, nicht zuletzt sogar an der legendären Frankfurter Küche, die gezielt zusammen mit dem jeweiligen Raumgrundriss im Team entwickelt, ausschließlich der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky zugeschrieben wurde, die wiederum vor allem die Küchenmöbel entwarf. Sie war wohl die einzige Frau in der männlichen Architektengesellschaft, die Ernst May eigens aus Wien geholt hatte, und der diese Arbeit zugetraut wurde.
Was sich wiederum mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass es sich beim Neuen Frankfurt vor allem um Team-Projekte handelt, an die sich Ernst May eben immer an die erste Stelle setzte. Vielleicht ist die Untersuchung auch der Auftakt zu Biografien verschiedener Kreativen des Neuen Frankfurt, wie es sie im Falle der Bauhaus-Aufarbeitung schon mehrfach gegeben hat. Dazu bietet das hundertjährige Jubiläum sicher beste Anlässe.
Das Buch:
Herausgegeben von Evelyn Brockhoff im Auftrag der Frankfurter Historischen Kommission und der Gesellschaft für Frankfurter Geschichte e.V.
Band 68 der „Studien zur Frankfurter Geschichte“
Henrich Editionen,
440 Seiten, ISBN 978-3-96320-082-3, 30 Euro
Hadrianstraße 5
60439 Frankfurt
Tel. +49 (0)69 15 34 38 83
Geschäftszeiten:
Montag bis Freitag 10 bis 17 Uhr
Weitere Mitarbeiter Ernst Mays:
Bangert, Wolfgang, Dipl. -Ing.; Böhm, Herbert, Dipl. -Ing.; Brenner, Anton, Dipl. Akad. Architekt; Bromme, Gartenbaudirektor; Cetto, Max, Dipl. -Ing., Architekt; Elsaesser, Martin, Reg. -Baum., Städt. Baudirektor; Frühauf, Max, Bauingenieur; Hebebrand, Werner, Reg. -Baum. a. D.; Kaufmann, Eugen, städt. Baurat; Körte, Walter, Dipl. -Ing., städt. Baurat; Kramer, Ferdinand, Dipl. -Ing., Architekt und Möbeldesigner; Leistikow, Hans, Grafiker; Löcher, Albert, Architekt; Lodders, Rudolph, Architekt; Meyer, Adolf, Architekt; Rudloff, Carl-Hermann ; Schultz, Walter, Reg. -Baum. a. D.; Schütte, Wilhelm, Reg. -Baum. a. D.; Schütte-Lihotzky, Margarete, Architektin und Gestalterin der Frankfurter Küche; Schwagenscheidt, Walter, Architekt und Stadtplaner; Weber, Karl, Dipl. -Ing.
Andere Architekten und Planer
Balser, Ernst; Gropius, Walter, Architekt; Hermkes, Bernhard; Nathan, Fritz, sakraler Architekt; Roeckle, Franz; Schroeder, Reg. -Baum. a. D.; Stam, Mart, Architekt und Möbeldesigner; Taut, Bruno, Architekt; Weber, Martin, sakraler Architekt; Migge, Leberecht (Migge, Leberecht, Gartenkultur des 20. Jahrhunderts)
Grafiker, Fotografen, Filmmacher, Designer etc.
Baumeister, Willi, Maler und Grafiker; Bergmann-Michel, Ella, Fotografin und Filmemacherin; Bing, Ilse , Fotografin; Dexel, Walter, Grafiker und Typograf; Hoepffner, Marta, Fotografin; Renner, Paul, Typograph; Wichert, Fritz, Kunsthistoriker und Direktor der Städelschule; Wolff, Paul, Filmemacher und Fotograf; Schanz, August, Schlosser und Entwickler der Stahlzarge; Sutter, Otto Ernst, Ingenieur, Musikjournalist und Leiter der Messegesellschaft