Die „ambiente“ als Frankfurter Messe-Glanzlicht: Design or not design, that is …
Auch German Design Award und World Design Capital haben dort ihren Auftritt
Von Uwe Kammann (Text) und Petra Kammann (Fotos)
Detlef Braun, Geschäftsführer der Frankfurter Messe, war sichtlich beflügelt, als er in großer Journalistenrunde den Auftakt der „ambiente“ mit besten Zahlen garnieren konnte. Endlich wieder bis zum letzten Platz ausgebuchte Messehallen, endlich wieder ein Ausstellerzuspruch wie zu besten Zeiten dieser weltgrößten Konsumgütermesse – jenen Zeiten also, als Corona „uns nicht arbeitslos machte“. Wer dann durch die Hallen lief, vom gläsernen Pyramiden-Eingang der City bis zum architektonisch grandiosen West-Tor, der war schnell überzeugt: Keines der euphorischen Worte Brauns war übertrieben, die Hallen quollen über von Fachbesuchern aus aller Welt, nicht zuletzt aus Asien. Zu sehen war: das gastfreundliche Frankfurt in Bestform. Auch das Wetter gab sich alle Mühe: hell, einladend, wintermild.
Reger Besucherverkehr auf der „ambiente“ schon früh am Morgen
Messegeschäftsführer Detlef Braun mit optimistischen Worten zur Eröffnung der „ambiente“
War an den vielen, vielen Ständen auf den vielen, vielen Etagen ein Trend auszumachen, gibt es Dinge, die weltweit zu einer einzigen – natürlich immer auch tausendfach variierten Form – zusammenlaufen und unsere häusliche Lebenswelt, eben das Ambiente, bestimmen? Die Antwort ist einfach: Nein, das Angebot aus den Zigtausenden von Dingen, welche um die Aufmerksamkeit buhlten, ist so heterogen wie nur vorstellbar, von indischer Knüpftechnik über folklorebunten Schmuck aus Belgien bis zu minimalen Linien aus der Skandinavien-Schule.Vielfalt hoch Hundert, das wäre die gängige Formel für alle, die einen gemeinsamen Nenner suchen.
Umso größer natürlich die Neugier, wenn auf der diesjährigen „ambiente“ ein Unternehmen sich vorstellt – schon durch das gemeinsame Auftreten mit Messechef Detlef Braun gleichsam als Super-Gast geadelt –, das unter dem Titel „World Design Capital 2026“ antritt. Viele Besucher, darauf angesprochen, konnten sich darunter nichts vorstellen, hatten diese Wortkombination noch nie gehört.
Plakative Aufforderung zur 2026er Initiative „World Design Capital“
Das allerdings ist nicht verwunderlich. Denn erst jetzt soll und kann es mit einer Initiative richtig losgehen, deren Organisation einiges an Anlauf in Anspruch nahm und immer noch braucht. Ein treibender Kopf dahinter ist Matthias Wagner K, Direktor des Museums Angewandte Kunst. Er stellte zum Messeauftakt zusammen mit den Programmverantwortlichen Kai Rosenstein und Barbara Lersch (klingende Titel: Chief Experience Officer und Chief Programme Officer) dieses unter dem Kürzel WDC firmierende Unternehmen vor. Ein gemeinnütziges Unterfangen, das Frankfurt und die RheinMain-Region im nächsten Jahr – und dann eben für zwölf Monate – zu einer Metropole des Designs machen soll, ausgewählt von der gemeinnützigen, international operierenden World Design Organisation, welche nach einem offenen Bewerbungsprozess im Zweijahresrhythmus im internationalen Umlauf einer Stadt diesen Titel World Design Capital verleiht.
Die WDC-Organisatoren (von links) Matthias Wagner K, Kai Rosenstein und Barbara Lersch formulieren ein großes Ziel: Gemeinsamkeit und Gemeinsinn
Wer nach der genaueren Bestimmung des Begriffs Design in dieser Kombination fragt, dem wird ein weiter Deutungshorizont eröffnet. Es gehe, so Matthias Wagner K, um ein umfassendes Verständnis, mit dem Ziel, unter vielen Aspekten die Lebensqualität zu verbessern. Design, das sei zu beziehen auf eine sich aus vielen Quellen speisende Gestaltung und Formung der Gesellschaft, habe zu tun mit der Förderung demokratischer Prozesse und Praktiken und damit natürlich auch mit einer stetig verstärkten Entwicklung des Gemeinsinns.
Wer will, mag und kann dies als zivilgesellschaftliches Gemeinschaftsprojekt in einem weitgefassten öffentlichen Raum begreifen, das sich aus vielen – auch sehr unterschiedlichen – Initiativen speisen soll, vom gemeinsamen Singen über Kreativwerkstätten und Ideenstammtische bis zu künstlerischen Interventionen. Nicht weniger als 1000 Veranstaltungen haben die jetzigen Organisatoren (die im Rahmen einer gemeinnützigen GmbH arbeiten) im Sinn, wobei es auch – wenn sich eine Beteiligungswelle herausbilden sollte – die doppelte Anzahl sein könnte und dürfte.
Die WDC-Initiative will auch eine Brücke zwischen renommierter Vergangenheit und einer offenen Zukunft schlagen
Zur Veranschaulichung der ehrgeizigen Zielsetzung verwies Wagner K auf jene Epoche der Stadtgeschichte, die in den 30er Jahren unter dem Schlagwort Neues Frankfurt auch international Furore machte – vom rasanten seriellen Wohnungsbauprogramm durch Ernst May bis hin zu damals revolutionären Designentwicklungen durch Walter Leistikow. Mithin: Design sei in diesem Gesamtprogramm nicht zu reduzieren auf Produktgestaltung, sondern der Begriff müsse viel umfassender verstanden werden, als Gestaltungsrahmen für alle Bereiche des Lebens.
In der Römerstadt – eine typische Ernst-May-Siedlung des ,Neuen Frankfurt‘
Das Museum Angewandte Kunst wird bei diesem Großprogramm, das die RheinMain-Region einbezieht, eine Art (Festival-)Zentrum bilden, um den Besuchern (besser noch: den Mitmachenden) den Zusammenhang von elementarer Stadtgestaltung und prägendem Gemeinwohlgedanken zu verdeutlichen, nicht zuletzt durch interaktive Bildungsprojekte.
Unter den komprimierten „Programmschienen“ (von links): Matthias Wagner K, Kai Rosenstein und Barbara Lersch
Vorgestellt wurden im Rahmen der gastgebenden „ambiente“ sieben „Programmschienen“, welche die verschiedenen Projekte und Einzelinitiativen bündeln sollen, derzeit noch (oder auch später?) in Titelkombinationen aus Englisch und Deutsch, wie beispielsweise „Better together – in guter Gesellschaft“. Das Netz der einbezogenen Orte soll vielfältig sein, kooperierend mit einer Vielzahl unterschiedlich großer Partner – ein Konzept, das der Landrat des Hochtaunus-Kreises, Ulrich Krebs, auch in Anwesenheit von Messe-Geschäftsführer Detlef Braun als vorbildlich lobte. Die Verbindung zum Projekt WDC war von Anfang an eng, weil der Kulturfonds Frankfurt RheinMain (in dem Krebs als Vorsitzender des internen Kulturausschusses fungiert) schon in der Bewerbungsphase das Vorhaben unterstützt hatte.
Offen ist natürlich, so hieß es von Beobachtern am Rand, inwieweit das Projekt tatsächlich in die Region hinausstrahlen kann; eine Frage auch deshalb, weil sich wegen der Neuheit der Organisation und der Zielsetzung viele noch kaum etwas Präzises unter dem Dreier-Kürzel WDC vorstellen können. Die Organisation selbst will möglichst intensiv auch international für dieses Frankfurter Ereignis werben und seine Aktivitäten auf Design-Messen und Kongressen bewerben, so in London, Brüssel, Mailand und Wien. In Frankfurt selbst ist eine internationale Konferenz geplant, zu der auch – besonders symbolträchtig – eine Veranstaltung in der Paulskirche gehören soll.
Gemeinsam engagiert: WDC-Promoter Matthias Wagner K und Landrat Ulrich Krebs
Wegen einer lange geplanten Reise konnte die seit Anfang letzten Dezembers amtierende Geschäftsführerin des WDC2026-Projekts, Carolina Rohman, an der jetzigen Präsentation auf der „ambiente“ nicht teilnehmen. Allerdings hatte sie ihre Leitideen und -linien schon zwei Tage vorher in einem ausführlichen FAZ-Beitrag skizzieren können. Dort hatte sie natürlich auch die oberste Maxime des Projekts erläutert und unterstrichen: „Design for Democracy“ – als „Atmosphere for a Better Life“. Und genau so wie es Matthias Wagner K ausdrückt, wird sie dort mit dem Satz zitiert: „Der Designbegriff hat sich geändert, es geht nicht nur um die ästhetische Dimension.“
Wie durchschlagskräftig diese Auffassung sein wird und ob sich alle hochfliegenden Pläne aus der 2023 begonnenen Bewerbungsphase – eben mit Blick auf eine umfassend gelingende kollektive und individuelle Lebensgestaltung – verwirklichen lassen, das wird sich wahrscheinlich erst im kommenden Jahr ablesen lassen.
Noch ist im allgemeinen Verständnis der Designbegriff wesentlich bezogen auf die unmittelbare Gestaltung von Objekten und Basis-Erscheinungsformen der visuell wahrnehmbaren Umwelt. Hier ist Frankfurt lange ein Pilgerort gewesen wegen der Arbeit des in Kronberg lebenden Designers Dieter Rams, der speziell mit der Gestaltung von Geräten für die Firma Braun ein weltweit hoch angesehener Vertreter für vorbildliches Produktdesign geworden ist (dessen Werk im Museum Angewandte Kunst in einer eigenen Abteilung gewürdigt wird).
Eine Bühne mit Breitwand-Format als magischer Ort für herausragende und zukunftsträchtige Design-Innovationen
Ein ebenso herausragender und angesehener Designer ist Hartmut Esslinger. Er machte in den 70er Jahren, damals noch blutjung, mit der Gestaltung der TV- und Audiogeräte für die Firma Wega Furore. Dann entwarf er mit seinem Studio frog design ikonische Apple-Produkte, im engen Kontakt mit dem Visionär Steve Jobs, für den auch Dieter Rams zu den Vorbildern zählt. Eine Vielzahl von Weltfirmen gehörte zu Esslingers Kunden, zahlreiche internationale Designpreise ehrten seine herausragende Arbeit. So sprach ihm 2017 die World Design Organisation (genau jene also, welche die WDC-Städte auswählt und auslobt) die World Design Medal zu.
Die siegreiche Design-Newcomerin Juni Sun Neyenhuys wird von der farbmutigen Design-Legende Hartmut Esslinger belobigt
Und jetzt, ihm Rahmen der „ambiente“, konnte ihn, die lebende (und mit 80 Jahren höchst lebendige) Legende, das Publikum bei der Verleihung des German Design Award bewundern. Diesmal nicht als Preisträger, sondern als Laudator. Und zwar einer, der nicht nur die richtigen lobenden Worte für die Textildesignerin Juni Sun Neyenhuys als „Newcomerin des Jahres 2025“ fand; sondern der auch allgemein den großen Publikumssaal befeuerte: indem er Mut machte, jeweils intensiv einen ganz eigenen Weg zu gehen, sich nicht durch vermeintliche Engpässe oder Hürden beirren oder entmutigen zu lassen. Dass er selbst 1969 den Namensvorgänger des German Design Award – nämlich den Designpreis Gute Form – bei der Premiere erhalten hatte, setzte jetzt, 2025, natürlich einen besonderen Akzent – der große Beifall war der Legende sicher.
Immer wieder Hingucker und eine Augenweide für Aussteller und Besucher: das techno-filigrane Dach der Halle 3 in der architektonisch vielfältigen Frankfurter Messe
Vorher waren auf der überbreiten Leinwand hinter der Bühne viele Bestbeispiele für gelungene Gestaltung zu sehen: tatsächlich ein Best of von Möbeln, Gebrauchsgegenständen, Kommunikationsdesign, Einrichtungs- und Architekturbeispielen. Das Publikum dieses auch international sehr angesehenen Preises des Rates für Formgebung war auffallend jung, ein Beleg dafür, dass der Preis trotz der nun schon traditionsreichen Geschichte in keiner Weise gealtert ist, ganz im Gegenteil. Und zweifellos setzt deutsches Design noch immer Maßstäbe.
Auf der Messe selbst wurde ein Designer mit einer Extra-Inszenierung herausgestellt, der bereits in der Eröffnungs-Pressekonferenz einen Solo-Part spielen durfte: Fabian Freytag. In seinem Berliner Studio schafft er Interior-Welten, die er auf seiner Homepage auf englisch so bewirbt: „We love interior design and the connection to art & architecture. Our goal is to create tailor-made worlds and turn them into reality“. In seiner Präsentation holte er groß aus und bezeichnete die Mondlandung 1969 als markantes Datum für eine Revolution des Designs (die er mit Bildern von Gastronomie-Interieurs aus Lanzarote zu illustrieren suchte).
Exotische Inszenierung von Fabian Freytag in der einst vom Architekten Oswald Mathias Ungers gestalteten lichten Galleria der Messe
Ob seine Inszenierung auf der „ambiente“ die steile These belegen konnte? Nun, auf jeden Fall wirkten die orientalisierenden Zelte, welche unter dem gläsernen Rundbogen der Galleria aufgebaut waren, wie ein exotischer Einschlag; schon äußerlich waren sie mit ihren schweren Stoffwänden zumindest ein Hingucker. Im Inneren, nun ja, wurden in den in Zeltnischen verschiedene Arrangements von Bar- und Salonmöbeln präsentiert.
Eine Design-Offenbarung? Die Macher der World Design Capital 2026 werden trotz des besonderen Auftritts nicht auf Anhieb überzeugt gewesen sein, dass sie hier einen begehrenswerten Anwärter auf eine Projektbeteiligung gesehen hätten. Doch wer weiß: Der Designbegriff, so lautet doch der Anspruch der Initiatoren, ist weit. Vielleicht schließt er auch eine orientalisierende Zeltlandschaft ein.
New Bauhaus – Rückblick nach vorne: Walter-Gropius-Uhren-Kollektion von Designer Daniel Eltner